Kontakt

Zweigpraxisgenehmigung

 | Gericht:  Bundessozialgericht (BSG) Kassel  | Aktenzeichen: B 6 KA 49/09 R | Entscheidung:  Urteil
Kategorie Ausübung des zahnärztlichen Berufs

Urteilstext

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 23. September 2009 wird zurückgewiesen.

 

Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

 

Tatbestand

Im Streit steht die Genehmigung einer vertragszahnärztlichen Tätigkeit außerhalb des Vertragszahnarztsitzes an einem weiteren Ort (Zweigpraxis).

 

Der Kläger nimmt als Zahnarzt an der vertragszahnärztlichen Versorgung in F. teil. Seine vertragszahnärztliche Tätigkeit übt er gemeinschaftlich mit zwei weiteren Zahnärzten sowie dem - sowohl zur vertragsärztlichen als auch zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassenen - Facharzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Dr. Dr. S. aus. Dr. Dr. S. wurde von der Kassenärztlichen Vereinigung eine - zunächst bis zum 31.3.2009, sodann bis 31.3.2011 befristete - Zweigpraxisgenehmigung für B. erteilt.

 

Am 11.12.2006 beantragte der Kläger gemeinsam mit Dr. Dr. S. die Genehmigung einer zahnärztlichen Zweigpraxis in B. Die beklagte Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZÄV) lehnte die Anträge mit der Begründung ab, dass die Genehmigung die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten am Vertragszahnarztsitz beeinträchtigen würde und die allgemeinzahnärztliche Versorgung der Versicherten in B. gewährleistet sei. Die hiergegen unter Hinweis auf einen Tätigkeitsschwerpunkt "Kinderzahnheilkunde" erhobenen Widersprüche sind ebenso erfolglos geblieben wie die vom Kläger gegen den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 19.7.2007 erhobene Klage (Urteil des SG vom 5.11.2008). Das LSG hat - nachdem es die Beklagte im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet hatte, dem Kläger die Filialtätigkeit bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Hauptsacheverfahrens zu gestatten (Beschluss vom 29.11.2007 - L 4 KA 56/07 ER) - auch die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

 

Zur Begründung hat es ausgeführt, auch bei fehlenden planungsrechtlichen Einschränkungen gälten nicht alle zusätzlichen quantitativen und qualitativen Angebote als Verbesserung der Versorgung der Versicherten. Bei der Beurteilung einer Versorgungsverbesserung sei auf das Leistungsangebot abzustellen, das vom Vertragszahnarzt selbst erbracht werden könne, nicht auf das Leistungsangebot, das er nur im Zusammenwirken mit seinem Praxispartner erbringen könne. Grundsätzlich könnten auch vertragszahnärztliche Tätigkeiten mit dem Tätigkeitsschwerpunkt "Kinderzahnheilkunde" eine qualitative Verbesserung der Versorgung darstellen. Erforderlich sei jedoch eine über die allgemeine Ausbildung hinausgehende Qualifikation oder ein Angebot spezieller bzw verbesserter Untersuchungs- und Behandlungsmethoden. Allein das zusätzliche Angebot von Leistungen der Kinderzahnheilkunde reiche nicht aus, sofern diese Leistungen auch von anderen niedergelassenen Vertragszahnärzten erbracht werden könnten und erbracht würden. Dies sei vorliegend der Fall, da die Kinderzahnheilkunde zur Ausbildung aller Zahnärzte gehöre. Eine darüber hinausgehende Qualifikation, auf die die Annahme einer Versorgungsverbesserung gestützt werden könne, könne dann vorliegen, wenn die Voraussetzungen zum Führen des Tätigkeitsschwerpunkts "Kinderzahnheilkunde" nach der Ordnung der hessischen Landeszahnärztekammer zur Anerkennung besonderer Kenntnisse und Fertigkeiten in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde vom 13.12.2004 nachgewiesen würden. Der Kläger verfüge jedoch weder über die berufsrechtliche Berechtigung zum Führen des Schwerpunkts "Kinderzahnheilkunde" noch über eine damit vergleichbare Qualifikation. Ebenso wenig habe er ein Angebot besonderer bzw verbesserter Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dargelegt (Urteil vom 23.9.2009).

 

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung von Bundesrecht. Mit den Änderungen des vertrags(zahn)ärztlichen Zulassungsrechts durch das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄndG) habe der Gesetzgeber eine weitreichende Liberalisierung der Vorschriften - insbesondere eine Erweiterung der Möglichkeit zur Gründung von Zweigpraxen - erreichen wollen; dies dürfe nicht im Nachhinein durch eine enge Auslegung von untergesetzlichen Normen konterkariert werden. Ein Tätigkeitsschwerpunkt setze vertiefte theoretische Kenntnisse und einen größeren Umfang an Behandlungsfällen voraus, nicht jedoch die Anerkennung durch die (Zahn-)Ärztekammer. Hätte der Gesetzgeber berufsrechtliche Vorgaben gewünscht, hätte er sie erwähnt; aus dem Nichterwähnen müsse man schließen, dass alle qualitativen und quantitativen Verbesserungen ausreichten. Hinzuweisen sei auch auf die Rechtsprechung des BVerfG, wonach ein Hinweis auf eine tatsächlich erfolgte Spezialisierung erlaubt sei, wenn diese nur möglicherweise auf einer Fortbildung beruhe.

 

Die Kinderzahnheilkunde unterscheide sich durch die Behandlungsausrichtung von der Erwachsenenzahnheilkunde. Er - der Kläger - habe in den Jahren 2007 und 2008 1309 Kinder in der Gemeinschaftspraxis behandelt. Dazu behandele er auch behinderte minderjährige Patienten im BWA D. und im Pflegeheim R. in B. ; schon hieraus ergebe sich, dass er die Voraussetzung einer Verbesserung der Versorgung erfülle. Auf ein Kammerzertifikat für die Zahnärztin Dr. K. in B. könne sich die Beklagte schon deswegen nicht berufen, weil dessen Vorliegen nicht nachgewiesen sei. Schließlich könne sein Tätigkeitsschwerpunkt im Zusammenwirken mit Dr. Dr. S. die Versorgung weiter verbessern; gerade die fachübergreifende Tätigkeit und Spezialisierung werde vom Gesetzgeber des VÄndG gefördert. Die Beklagte habe ihren Beurteilungsspielraum in ermessensfehlerhafter Weise überschritten. Bei seiner - des Klägers - Tätigkeit handele es sich um eine besondere Untersuchungs- und Behandlungsmethode, die selbst unter Berücksichtigung der Tätigkeit der Frau Dr. K. die Versorgung weiter verbessere. Der Umstand, dass die "Kinderzahnheilkunde" auch Bestandteil der Ausbildung eines Zahnarztes sei, bedeute nicht, dass sie von jedem Zahnarzt und als Tätigkeitsschwerpunkt ausgeübt werde.

 

Der Kläger beantragt,

 

die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 23.9.2009 und des Sozialgerichts Marburg vom 5.11.2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19.4.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19.7.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die vertragszahnärztliche Tätigkeit an einem weiteren Ort in B. zu gestatten;

hilfsweise seinen Widerspruch unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

 

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Revision zurückzuweisen.

 

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Das Leistungsspektrum, welches der Kläger in der Zweigpraxis anzubieten gedenke, gehe nicht über das jeder anderen allgemeinzahnärztlichen Praxis in B. hinaus. Der Kläger habe keine besonderen theoretischen Kenntnisse auf dem Gebiet der Kinderzahnheilkunde vorgetragen oder nachgewiesen. Die Behandlung besonders vieler Kinder und Jugendlicher durch den Kläger bedeute nicht, dass sich durch Erteilung der Zweigpraxisgenehmigung die Versorgung von Kindern und Jugendlichen in B. verbessere. Der Kläger möge mehr Erfahrung bei der Behandlung - und im Umgang mit - dieser Gruppe haben; eine hieraus resultierende qualitative Versorgungsverbesserung sei jedoch durch keinen Erfahrungssatz belegt. Vertragszahnarztrechtlich erbringe der Kläger weitgehend die gleichen Leistungen, wie sie in der Erwachsenenbehandlung durchzuführen wären. Da er seine Leistungen zusammen mit den Leistungen der Gemeinschaftspraxispartner unter einer Abrechnungsnummer abrechne, habe sie - die Beklagte - im Übrigen keine Möglichkeit festzustellen, in welchem Umfang er tatsächlich Kinder und Jugendliche behandele. Ein Qualitätsvorteil ergebe sich allein bei nachgewiesener und zertifizierter Qualifikation.

 

Auch sei in B. bereits eine Zahnärztin niedergelassen, die zur Führung des zertifizierten Tätigkeitsschwerpunkts "Kinderzahnheilkunde" berechtigt sei. Die Qualifikation des Praxispartners könne zu keiner anderen Beurteilung führen. Jeder Vertragszahnarzt in B. könne eine Narkose von drei bis vier Stunden bei Kleinkindern durch einen Anästhesisten veranlassen. Im Übrigen bestünden keine Berührungspunkte zwischen einer Ausübung der Kinder- und Jugendzahnheilkunde durch den Kläger zur Tätigkeit des Praxispartners Dr. Dr. S. Dieser sei ärztlicher Leiter einer Privatklinik und rechne bei ihr schwerpunktmäßig aufwändige und zum Teil schwere, teilweise an der Grenze zum stationären Leistungsbedarf liegende, Eingriffe wie Dysgnathie-Operationen und Umstellungsosteotomien ab.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das LSG hat zu Recht die Berufung zurück- und die Klage abgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Die Beklagte hat den Antrag des Klägers auf Genehmigung eines zweiten Praxisstandortes in B. ohne Rechtsfehler abgelehnt.

 

1.

Nach § 24 Abs 3 Satz 1 der Zulassungsverordnung für Vertragszahnärzte (Zahnärzte-ZV - idF des Gesetzes zur Änderung des Vertragsarztrechts und anderer Gesetze <VÄndG> vom 22.12.2006 - BGBl I 3439) sind vertragszahnärztliche Tätigkeiten außerhalb des Vertragszahnarztsitzes an weiteren Orten zulässig, wenn und soweit (1.) dies die Versorgung der Versicherten an den weiteren Orten verbessert und (2.) die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten am Ort des Vertragszahnarztsitzes nicht beeinträchtigt wird. Diese Tätigkeiten bedürfen der Genehmigung durch die KZÄV, in der der antragstellende Zahnarzt Mitglied ist, sofern die weiteren Orte - wie hier - in deren Bezirk liegen. Der KZÄV steht bei der Beurteilung, ob die Genehmigung zu einer Verbesserung bzw Beeinträchtigung der Versorgung führen würde, ein Beurteilungsspielraum zu (BSGE 105, 10 = SozR 4-5520 § 24 Nr 3, RdNr 53 f; s hierzu auch die weiteren Urteile vom heutigen Tag B 6 KA 3/10 R, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, und B 6 KA 7/10 R, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

 

2.

a)

Was unter einer "Verbesserung der Versorgung" iS des § 24 Abs 3 Satz 1 Nr 1 Zahnärzte-ZV zu verstehen ist, hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 28.10.2009 (BSGE 105, 10 = SozR 4-5520 § 24 Nr 3, RdNr 47 ff - zur gleichlautenden Vorschrift des § 24 Abs 3 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte) näher dargelegt. Danach steht zunächst außer Frage, dass auf der einen Seite die Genehmigung einer Zweigpraxis im Falle von Unterversorgung stets als Versorgungsverbesserung anzusehen ist (BSG aaO RdNr 47), während andererseits (in ausreichend versorgten Gebieten) das bloße Hinzutreten eines weiteren Behandlers - ungeachtet der damit verbundenen Erweiterung der Möglichkeiten der Arztwahl - noch keine Verbesserung der Versorgung in qualitativer oder zeitlicher Hinsicht darstellt, wie sich bereits unmittelbar aus dem Wortlaut des § 24 Abs 3 Zahnärzte-ZV erschließt (BSG aaO RdNr 50 mwN).

 

Erforderlich, aber auch ausreichend ist es, dass das bestehende Leistungsangebot an dem "weiteren Ort", an dem die Zweigpraxis betrieben werden soll, zum Vorteil für die Versicherten in qualitativer - unter bestimmten Umständen aber auch in quantitativer - Hinsicht erweitert wird (BSGE 105, 10 = SozR 4-5520 § 24 Nr 3, RdNr 51). Eine qualitative Versorgungsverbesserung kann etwa dann gegeben sein, wenn der in der Zweigpraxis tätige Vertragsarzt im Vergleich zu den bereits vor Ort tätigen Ärzten über andere qualifikationsgebundene Genehmigungen nach § 135 Abs 2 SGB V verfügt, ein differenzierteres Leistungsspektrum anbietet oder wenn er eine besondere Untersuchungs- oder Behandlungsmethode anwenden kann, die zB besonders schonend ist oder bessere Diagnoseergebnisse liefert (BSG aaO RdNr 52 mwN). Eine lediglich quantitative Erweiterung des bestehenden Versorgungsangebots kommt etwa dann als Verbesserung im Sinne des § 24 Abs 3 Satz 1 Ärzte-ZV/Zahnärzte-ZV in Betracht, wenn durch das erhöhte Leistungsangebot Wartezeiten verringert werden, die - zB wegen einer ungleichmäßigen Verteilung der Leistungserbringer im Planungsbereich - bei den bereits vor Ort niedergelassenen Ärzten bestehen (BSG aaO). Als Versorgungsverbesserung können auch besondere organisatorische Maßnahmen angesehen werden, wie das Angebot von Abend- und Wochenendsprechstunden (BSG aaO). Im Einzelfall - allerdings wohl nur bei größeren "weiteren Orten" iS des § 24 Abs 3 Ärzte-ZV/Zahnärzte-ZV - kann dies auch im Falle besserer Erreichbarkeit der Zweigpraxis gelten (BSG aaO).

 

b)

Soweit § 6 Abs 6 Bundesmantelvertrag-Zahnärzte (BMV-Z, idF ab 1.7.2007) in seinen Sätzen 4 bis 6 (entsprechend § 8a Abs 1 Satz 4 bis 6 Ersatzkassenvertrag-Zahnärzte <EKV-Z>) "Regelvermutungen" für das Vorliegen einer Versorgungsverbesserung anführt, sind diese nur beachtlich, soweit sie mit der dargestellten Auslegung des § 24 Abs 3 Satz 1 Zahnärzte-ZV in Einklang stehen. Denn der BMV-Z/EKV-Z hat als untergesetzlicher Normsetzungsvertrag die höherrangigen Normen der Zahnärzte-ZV zu beachten. Da sich der der KZÄV - bzw im Falle einer Ermächtigung dem Zulassungsausschuss - zustehende Beurteilungsspielraum aus § 24 Abs 3 Zahnärzte-ZV ableitet, kann dieser ebenfalls nicht durch bundesmantelvertragliche Regelungen eingeschränkt werden.

 

Soweit nach den Bundesmantelverträgen eine Versorgungsverbesserung bei Bestehen einer bedarfsplanungsrechtlichen Unterversorgung (§ 6 Abs 6 Satz 4 BMV-Z, § 8a Abs 1 Satz 4 EKV-Z) oder bei einem Angebot spezieller Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (jeweils Satz 6 aaO) vorliegen soll, steht dies mit der unter 2. a) skizzierten Auslegung des § 24 Abs 3 Zahnärzte-ZV in Einklang. Ob dies auch für die Regelung in § 6 Abs 6 Satz 5 BMV-Z, § 8a Abs 1 Satz 5 EKV-Z gilt, der zufolge eine Verbesserung der Versorgung dann vorliegt, wenn regional oder lokal nicht oder nicht im erforderlichen Umfang angebotene Leistungen erbracht werden und die Versorgung auch nicht durch andere Vertragszahnärzte sichergestellt werden kann, die räumlich und zeitlich von den Versicherten mit zumutbaren Aufwendungen in Anspruch genommen werden können, kann dahingestellt bleiben. Selbst wenn diese Vorgaben im Vergleich zu der in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Auslegung des Begriffes der Versorgungsverbesserung zu eng sein sollten, wäre dies schon deswegen unschädlich, weil die Regelungen in § 6 Abs 6 BMV-Z, § 8a Abs 1 EKV-Z nicht abschließend zu verstehen sind ("insbesondere").

 

3.

Die Beklagte hat die Frage, ob das vom Kläger in B. beabsichtigte Behandlungsangebot die Versorgung der Versicherten vor Ort verbessert, rechtsfehlerfrei verneint. Sie hält sich insbesondere im Rahmen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums, Nachweise für das Vorliegen einer qualitativen Versorgungsverbesserung zu fordern und die Angabe eines bloßen Tätigkeitsschwerpunkts nicht genügen zu lassen. Die Beklagte durfte vorliegend auch ohne Rechtsverstoß davon ausgehen, dass der Kläger diese Anforderungen nicht erfüllt.

 

a)

Grundsätzlich könnte ein spezifisch auf Kinder ausgerichtetes Leistungsangebot eine qualitative Verbesserung der Versorgung iS des § 24 Abs 3 Satz 1 Nr 1 Zahnärzte-ZV darstellen. Es liegt auf der Hand und bedarf daher keiner weiteren Ausführungen, dass sich die zahnärztliche Behandlung von Kindern und Erwachsenen in vielerlei Hinsicht unterscheidet und eine entsprechende fachliche Spezialisierung diesen Unterschieden auch unter dem Gesichtspunkt einer qualitativen Verbesserung der Versorgung Rechnung tragen kann.

 

b)

Der Beurteilungsspielraum, welcher der Beklagten bei der Prüfung des Vorliegens einer Versorgungsverbesserung zusteht, umfasst zunächst auch die Entscheidung darüber, welche formellen Anforderungen sie an den Nachweis einer besonderen Fachkunde stellt, die ein Zahnarzt als Beleg für eine durch seine angestrebte Filialtätigkeit begründete qualitative Verbesserung der Versorgung anführt. Die Festlegung solcher Anforderungen dient dem Interesse an einer einheitlichen und gleichmäßigen Verwaltungspraxis und ist zudem sachlich gerechtfertigt.

 

aa)

Eine sachliche Rechtfertigung dafür, formale Anforderungen an den Nachweis einer besonderen Qualifikation zu stellen, auf die eine qualitative Verbesserung der Versorgung der Versicherten am Ort der Zweigpraxis gestützt wird, ergibt sich unter zwei Gesichtspunkten: Zum einen kann auf diese Weise objektiv festgestellt werden, ob ein Antragsteller über entsprechende Qualifikationen, Kenntnisse und Erfahrungen verfügt, die die am Ort der Zweigniederlassung bereits tätigen Zahnärzte nicht aufweisen; zum anderen kann hierdurch die Prognose gesichert werden, dass eine entsprechend begründete Zweigpraxisgenehmigung auch tatsächlich zu einer Verbesserung der Versorgung der Versicherten führt.

 

Dass die Genehmigung bestimmter vertragsärztlicher Tätigkeiten an Qualitätsvoraussetzungen geknüpft werden kann, unterliegt jedenfalls dann keinem Zweifel, wenn die Genehmigungsvoraussetzungen selbst - und sei es auch nur inzident - das Vorliegen eines bestimmten Qualitätsniveaus voraussetzen. Dies ist in Bezug auf das Merkmal "Verbesserung der Versorgung" in § 24 Abs 3 Satz 1 Zahnärzte-ZV jedenfalls dann der Fall, wenn qualitative Verbesserungen in Rede stehen, die mit einer besonderen Sachkunde des Filial(zahn)arztes begründet werden (zur sachlichen Rechtfertigung von Qualitätsanforderungen siehe auch BSGE 100, 154 = SozR 4-2500 § 87 Nr 16, RdNr 28).

 

Hinzu kommt, dass das Merkmal "Verbesserung" beliebig würde, wenn jeder faktische Tätigkeitsschwerpunkt bereits als ein die Versorgung qualitativ verbessernder Umstand anzusehen wäre. Dies gilt gerade im vertragszahnärztlichen Bereich, weil es hier (nahezu) keine Fachgebietsgrenzen gibt. Jeder Vertragszahnarzt hätte die Möglichkeit, unter Berufung darauf, dass gerade er schwerpunktmäßig bestimmte Behandlungen erbringe und damit seine geplante Filialtätigkeit zu einer Verbesserung der Versorgung führe, eine Zweigpraxisgenehmigung zu erhalten.

 

Diesem Gesichtspunkt kommt nicht zuletzt in Anbetracht der äußerst begrenzten Möglichkeiten der bereits vor Ort tätigen (Zahn-)Ärzte, die Rechtmäßigkeit einer Zweigpraxisgenehmigung im Wege einer defensiven Konkurrentenklage überprüfen zu lassen (s hierzu BSGE 105, 10 = SozR 4-5520 § 24 Nr 3), Bedeutung zu. Obwohl § 24 Abs 3 Zahnärzte-ZV keine drittschützende Wirkung zukommt, und die Zweigpraxisgenehmigung primär den Interessen der Versicherten zu dienen bestimmt ist (BSG aaO RdNr 40), ist die K(Z)ÄV nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtetet, den Interessen der bereits am Ort der geplanten Zweigpraxis tätigen (Zahn-)Ärzte jedenfalls in der Weise Rechnung zu tragen, dass das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Zweigpraxisgenehmigung in einer auch für sie transparenten Art und Weise geprüft wird. Dem wird durch klar definierte Anforderungen an eine Qualitätsverbesserung Rechnung getragen. Derartige Qualitätsanforderungen sind auch verfassungsrechtlich unbedenklich. Da eine Zweigpraxisgenehmigung nicht zu einer Statusgewährung führt (BSGE 105, 10 = SozR 4-5520 § 24 Nr 3, RdNr 29), ist allein die Ebene der Berufsausübung betroffen. Im Übrigen bleibt der Zahnarzt weiterhin berechtigt, kinderzahnärztliche Leistungen an seinem Stammsitz zu erbringen.

 

bb)

Die Beklagte musste sich nicht damit begnügen, dass die erforderliche Qualifikation - an Stelle eines formellen Nachweises, etwa durch Zertifikate - lediglich durch einen entsprechenden (faktischen) Tätigkeitsschwerpunkt belegt wird. Allein aus dem Umstand, dass ein Zahnarzt in größerem Umfang als der Durchschnitt der Zahnärzte Kinder behandelt (bzw dies zumindest vorträgt), lässt sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit herleiten, dass dieser auch über eine besondere, über die der übrigen Zahnärzte hinausgehende, Sachkunde in dem fraglichen Bereich verfügt.

 

Berufsrechtlich sind alle Zahnärzte berechtigt, Kinder zu behandeln, und die meisten tun dies auch. Die Behandlung von Kindern ist Bestandteil der allgemeinzahnärztlichen Ausbildung. So sind nach § 36 Abs 1 Buchst a) der Approbationsordnung für Zahnärzte (ZÄPrO, BGBl I 1955, 37, zuletzt geändert durch Art 11 des Gesetzes vom 24.7.2010) der Meldung zur zahnärztlichen Prüfung Nachweise darüber beizufügen, dass der Kandidat je zwei Vorlesungen ua über Parodontologie und Kinderzahnheilkunde gehört hat; nach § 49 Satz 3 Nr 3 ZÄPrO hat der Kandidat im Rahmen der Prüfung im Fach Zahnerhaltungskunde (IX) in Kinderzahnheilkunde seine Kenntnisse auf dem Gebiet der Kinderzahnheilkunde sowie der oralen Primärprophylaxe nachzuweisen. Somit liegt es nicht auf der Hand, dass allein die Behandlung von Kindern die Annahme zu begründen vermag, dass ein Zahnarzt über ein qualitativ besonderes Leistungsangebot hinsichtlich der Kinderzahnheilkunde verfügt, welches ihn von den übrigen Zahnärzten unterscheidet.

 

Daher kann auch ein Tätigkeitsschwerpunkt allenfalls ein Indiz für eine besondere Leistungsqualität aufgrund großer Erfahrungen in diesem Leistungssegment sein, muss dies aber nicht. So kann eine über dem Durchschnitt liegende Zahl an behandelten Kindern etwa auch darauf zurückzuführen sein, dass im Einzugsbereich der Praxis mehr Familien mit Kindern leben als an anderen Orten im Bezirk der KZÄV. Zudem lässt die bloße Menge durchgeführter Behandlungen nicht zwingend den Rückschluss auf eine entsprechende Qualität zu. Zwar wird etwa eine Mindestmenge bei planbaren stationären Leistungen nach §§ 17, 17b des Krankenhausfinanzierungsgesetzes als Qualitätsindikator angesehen (vgl § 137 Abs 3 Satz 1 Nr 2 SGB V). Auf der anderen Seite hat der Senat im Zusammenhang mit der Degressionsregelung nach § 85 Abs 4b ff SGB V wiederholt ausgeführt, dass diese (auch) beobachteten Fehlentwicklungen bei der Qualität der zahnärztlichen Versorgung entgegensteuern soll, indem umsatzstarken Praxen der Anreiz gegeben wird, Patienten an andere Praxen abzugeben und so mit übermäßiger Leistungserbringung gelegentlich verbundene Qualitätsdefizite zu verringern (vgl BSGE 80, 223, 226 ff = SozR 3-2500 § 85 Nr 22 S 136 ff; BSG SozR 3-2500 § 85 Nr 46 S 383; BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 27 RdNr 11; BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 48 RdNr 12; zuletzt BSG vom 5.5.2010 - B 6 KA 21/09 R - SozR 4-2500 § 85 Nr 57 RdNr 17).

 

Auch in der Rechtsprechung des Senats ist anerkannt, dass ein Normgeber dem Arzt nicht die Möglichkeit einräumen muss, statt eines formellen Qualifikationsnachweises individuell - etwa durch Nachweise über entsprechende Behandlungserfahrungen - eine entsprechende Fähigkeit zu belegen (vgl BSGE 100, 154 = SozR 4-2500 § 87 Nr 16, RdNr 28). Für die Ausübung des Beurteilungsspielraums im Verfahren über die Genehmigung einer Zweigpraxis gilt im Ergebnis nichts anderes.

 

Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass es vorliegend schon an entsprechenden Feststellungen fehlt, in welchem konkreten Umfang der Kläger Kinder behandelt und in welchem Umfang dies innerhalb der Vergleichsgruppe der übrigen Allgemeinzahnärzte der Fall ist. Derartige Feststellungen dürften angesichts des Umstandes, dass der Kläger in einer Gemeinschaftspraxis (Berufsausübungsgemeinschaft) mit gemeinschaftlicher Abrechnung tätig ist, auch nur mit begrenztem Erkenntniswert zu treffen sein. Im Übrigen ist selbst dann, wenn man den Angaben des Klägers folgt, dass er - umgerechnet auf das Quartal - ca 160 entsprechende Fälle behandelt, von denen sich im Übrigen eine gewisse Zahl wiederholen dürfte, nicht ohne Weiteres erkennbar, dass dies die durchschnittliche Zahl vergleichbarer Fälle in anderen Praxen signifikant überschreitet.

 

cc)

Ein derartiger Nachweis besonderer Fähigkeiten in der Kinderzahnheilkunde könnte sich aus einer Bescheinigung eines Tätigkeitsschwerpunkts nach der "Ordnung zur Anerkennung besonderer Kenntnisse und Fähigkeiten in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde" der Landeszahnärztekammer (LZÄK) Hessen vom 19.5.2001 ergeben. Nach den Feststellungen des LSG erteilt die LZÄK aufgrund einer strukturierten Fortbildungsreihe die Genehmigung zum öffentlichen Führen eines Kammerzertifikats "Fortbildung". Hierauf aufbauend wird die Genehmigung zum Führen eines Tätigkeitsschwerpunkts erteilt, wenn zusätzlich entsprechend praktische Erfahrungen und Fertigkeiten im jeweiligen Bereich/Gebiet dieser Ordnung sachgerecht nachgewiesen werden.

 

Es kann offen bleiben, ob das besondere Leistungsangebot der Kinderzahnheilkunde allein dann als eine qualitative Verbesserung der Versorgung anerkannt werden kann, wenn der Zahnarzt einen Tätigkeitsschwerpunkt nach der vorerwähnten Ordnung der LZÄK Hessen nachweist, oder ob ein entsprechender Nachweis auch durch andere formelle Qualifikationsnachweise geführt werden kann. Denn der Kläger verfügt weder über dieses Zertifikat noch hat er andere aussagekräftige Unterlagen vorgelegt, die seine besondere Fachkunde im Bereich der Kinderzahnheilkunde belegen. Der Nachweis einiger Fortbildungsstunden in diesem Bereich reicht nicht aus.

 

c)

Weitere Ansatzpunkte für eine mögliche Versorgungsverbesserung sind nicht erkennbar. Weder liegt in B. eine Unterversorgung vor noch ergibt sich eine Verbesserung der Versorgung durch organisatorische Maßnahmen wie etwa das Angebot von Wochenendsprechstunden. Auch das Vorbringen, eine Versorgungsverbesserung würde jedenfalls durch die Zusammenarbeit mit dem Facharzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Dr. Dr. S. in B. eintreten, ist nicht geeignet, eine Versorgungsverbesserung zu begründen. Denn nach § 24 Abs 3 Satz 1 Zahnärzte-ZV ist Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Filialtätigkeit, dass diese ("dies") die Versorgung der Versicherten verbessert. Für die Beurteilung einer Versorgungsverbesserung ist mithin allein auf das Angebot der Zweigpraxis abzustellen.

 

4.

Da es somit bereits dem Grunde nach an einer nachweislichen Verbesserung der Versorgung der Versicherten in B. fehlt, kann offen bleiben, ob eine Verbesserung der Versorgung auch deswegen zu verneinen wäre, weil - wie von der Beklagten vorgetragen - ein spezialisiertes Leistungsangebot der Kinderzahnheilkunde bereits durch in B. niedergelassene Vertragszahnärzte vorgehalten wird.

 

Ebenso bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob der Betrieb einer Zweigpraxis in B. durch den Kläger zu einer Beeinträchtigung der Versorgung der Versicherten in F. führen würde (zu den diesbezüglichen Anforderungen vgl das weitere Urteil vom heutigen Tag B 6 KA 7/10 R, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach hat der Kläger die Kosten des erfolglos eingelegten Rechtsmittels zu tragen (§ 154 Abs 2 VwGO).


Ausdruck Urteil - PDF