Wirksamkeitsvoraussetzung einer Gebührenvereinbarung

 | Gericht:  Landgericht (LG) Düsseldorf  | Aktenzeichen: 9 0 2/14 | Entscheidung:  Urteil
Kategorie Gebühren

Urteilstext


Tenor

Die 9. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf hat aufgrund mündlicher Verhandlung vom 19.12.2017 für Recht erkannt:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 6.184,13 nebst Verzugszinsen i. H. v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.08.2013 zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere EUR 4.188,40 nebst Verzugszinsen i. H. v. fünf-Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.02.2014 zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ihn weitere EUR 3.356,48 nebst Verzugszinsen i. H. v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6.3.2015 zu zahlen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils aus dem Urteil zu vollstreckenden Betrags.


Tatbestand

Die Parteien sind durch eine private Krankenversicherung miteinander verbunden. Streitgegenstand ist der Ersatz von Kosten, die im Zusammenhang mit Zahnbehandlungen entstanden sind. Versichert ist der Kläger in Bezug auf zahnärztliche Behandlungen im Tarif 741.

Dieser Tarif bestimmte; dass die Aufwendungen für Zahnbehandlung, Zahnersatz und Kieferorthopädie (§ 4 Teil II Abs. 3 AVB) mit nachstehenden Prozentsätzen erstattet würden: Zahnbehandlungen (§ 4 Teil II Abs. 3a AVB): 100 %ige Erstattung; Zahnersatz und Kieferorthopädie (§ 4 Teil II Abs. 3b AVG): 75 %ige Erstattung.

Die Parteien streiten unter anderem darüber, ob die AVB der Beklagten aus dem Jahre 1970 oder Mai 1986 einbezogen waren. § 4 Teil II Abs. 3 der AV B 1970 lautete wie folgt:

"Tarif für zahnärztliche Behandlung

Es werden die Rechnungsbeträge für medizinisch notwendige zahnärztliche Behandlung einschließlich diagnostischer Maßnahmen, Vor- und Nachbehandlung mit den tariflichen Sätzen erstattet. Hierzu gehören, auch wenn sie von einem Arzt ausgeführt werden,

a)
Zahnbehandlung
Als Zahnbehandlung gelten konservierende Leistungen (z.B. Wurzelbehandlung und Füllungen) sowie zahnärztlich-operative Leistungen (z. B. Extraktionen, Wurzelspitzenresektion, Zystenoperationen, Ausmeißelung verlagerter Zähne), ferner Behandlungen bei Erkrankung des Parandotiums und der Mundschleimhaut.

b)   
Zahnersatz, Zahn- und Kieferregulierung

Als Zahnersatz gelten prothetische Leistungen (z. B. Prothesen, Kronen, Stiftzähne, Brücken)."

Die Tarifbedingungen aus dem Jahre 1986 unterschieden sich von dieser Regelung im Wesentlichen darin, dass nunmehr auch "implantologische Leistungen" aufgenommen wurden und tariflich als Zahnersatz definiert wurden, wofür die Erstattungsquote 75 % betrug.

Der 1959 geborene Kläger ist mindestens seit den 1960er Jahren über seinen Vater bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin krankenversichert. Spätestens am 01.04.1971 wurde für den Kläger ein Tarif betreffend Zahnbehandlungen abgeschlossen. Vom 01.11.1983 bis 15.11.1986 warder Kläger bei der Barmer Ersatzkasse gesetzlich versichert. Während dieses Zeitraums ruhte die Versicherung bei der Beklagten.

Mit Datum vom 03.12.1986 erstellte die Rechtsvorgängerin der Beklagten einen Versicherungsschein für den Kläger mit der Nr. 7748335. Als "Änderungsbeginn" war das Datum 01.11.1986 genannt. Im Übrigen findet sich der Hinweis "Übernahme aus Vertrag 6063360", bei dem es sich um den Vertrag des Vaters des Klägers, über den der Kläger zuvor versichert war, handelte.

Laut Versicherungsschein wurden unverändert die Tarife 721 ("Krankheitskosten stationär") und 740 ("Krankheitskosten Zahn") übernommen. Abweichend von dem Versicherungsschein war im Antrag des Klägers vom 20.10.1986 unter anderem der Tarif 741 genannt.

In den Jahren 2011 und 2012 befand sich der Kläger mehrfach in zahnärztlicher Behandlung bei Dr. … .Der Kläger unterzeichnete die aus Anlage K3 ersichtliche mit dem Datum 10.01.2012 versehene "Gebührenvereinbarung", welche für einzelne Gebührentatbestände der GOZ Steigerungssätze von bis zu 8,2 vorsah.

Unter dem 18.07.2013 stellte der Zahnarzt dem Kläger für den Behandlungszeitraum vom 02.07.2012 bis zum 10.06.2013 den Gesamtbetrag von EUR 11.576,71in Rechnung. Wegen der Einzelheiten wird auf Anl. K4 verwiesen.

Mit Schreiben vom 13.08.2013 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie einen Betrag i. H. v. EUR 4742,14 erstatte:

Sie nahm eine Aufteilung auf Zahnbehandlung (Erstattungssatz 100%) in Höhe von EUR 3.481,96, Prophylaxe (Erstattungssatz 100%) in Höhe von EUR 265,24, Zahnersatz (Erstattungssatz 75%) in Höhe von EUR 7.829,51vor.

Zur Begründung führte sie aus:

Für die Honorarleistungen werde der Regelhöchstsatz überschritten. Es werde nur der 2,3 fachen Faktor berücksichtigt. Die Leistung nach Nr. 1010 GOZ könne pro Jahr nur dreimal in Ansatz gebracht werden. Die Leistung nach der Nr. 4070/4075 GOZ könne je Zahn nur einmal innerhalb von zwei Monaten in Ansatz gebracht werden. Für eine darüber hinausgehende Durchführung sei keine medizinische Notwendigkeit ersichtlich. Die Leistung nach der Nr. 2675 GOÄ mit dem Zuschlag 444 GOÄ könne im Rahmen der durchgeführten Behandlung nach Nr. 4100 GOZ nicht berücksichtigt werden. Anhand der vorgelegten Unterlagen sei nicht erkennbar, dass entsprechende Maßnahmen medizinisch notwendig gewesen seien. Die Leistung nach Nr. 3300 GOZ könne im Rahmen der durchgeführten Behandlung durch den Zahnarzt nicht in Ansatz gebracht werden. Stattdessen sei die Leistung nach der Nr. 4150 GOZ in Ansatz zu bringen. Die Leistung nach Nr. 3 GOÄ sei nur berechnungsfähig als einzige Leistung oder im Zusammenhang mit einer

Untersuchung nach der Nr. 0010 GOZ oder mit einer Untersuchung nach den Nr. 5 oder 6 GOÄ. Andere weitere Leistungen dürften neben diesen Gebührennummern nicht berechnet werden. Dies ergebe sich aus Punkt 1 der Allgemeinen Bestimmungen zu Abschnitt A der GOZ. Die Leistung nach Nr. 1020 GOZ könne pro Jahr nur viermal in Ansatz gebracht werden. Dies ergebe sich aus der Anmerkung zur Leistung nach der Nr. 1020 GOZ. Die Leistung nach der Nr. 1000 GOZ könne pro Jahr nur einmal in Ansatz gebracht werden. Dies ergebe sich aus der Anmerkung zur Leistung nach der Nr. 1020 GOZ.

Mit Leistungsabrechnung vom 04.09.2013 (Anl. B1) erstattete die Beklagte einen weiteren Betrag von EUR 363,25.

Der Zahnarzt Dr. … führte überdies bei dem Kläger in derzeit vom 22.07.2013 bis zum 17.12.2013 Behandlungen durch. Hierüber erstellte er unter dem 18.12.2013 eine Rechnung über EUR 7.994,53. Wegen der Einzelheiten wird auf Anlage K16 (Bl. 51 der Akte) verwiesen. Die Beklagte erbrachte eine Erstattung von EUR 3.806,13. In ihrem Abrechnungsschreiben vom 10.02.2015 (Anlage K17, Bl. 57 der Akte) teilte sie den Rechnungsbetrag wie folgt auf:

Zahnbehandlung EUR 957,90, Zahnersatz EUR 6.937,19, Prophylaxe EUR 99,44.

Sie führte sie zu den Kürzungen aus, dass eine Beratungsgebühr nach Nr. 3 des Gebührenverzeichnisses am 28.10.2013 für ärztliche Leistungen nur als einzige Leistung berechnungsfähig sei oder im Zusammenhang mit einer Untersuchung nach Nr. 0010 oder einer Untersuchung nach den Nr. 5 oder 6 des Gebührenverzeichnisses für ärztliche Leistungen. Hieraus ergebe sich ein Abzug von EUR 71,67. Hinsichtlich der Ziffer 1010 GOZ am 28.10.2013 führte sie aus, dass diese nur maximal dreimal berechnet werden dürfe. Es ergebe sich ein Abzug von EUR 33,15. Darüber hinaus dürfe die der zweifache Ansatz der Ziffer 0070 am 10.12.2013 könne aus diesem Grund nicht anerkannt werden. Ziffer 0070 GOZ am 10.12.2013 dürfe nur einmal je Sitzung berechnet werden. Es ergebe sich ein Abzug von EUR 16,57.

Für die diversen Honorarleistungen sei darüber hinaus der Regelhöchstsatz überschritten worden. Der Ansatz eines höheren Faktors müsse im Einzelfall leistungsbezogen und verständlich begründet werden. Eine Begründung liege indessen nicht vor oder erfülle nicht die gebührenrechtlichen Anforderungen. Daher könne nur der 2,3 fachen Faktor berücksichtigt werden. Insofern ergebe sich ein Abzug von EUR 2.105,90.

Die geltend gemachten Laborkosten seien um EUR 829,96 zu kürzen. Neben den Gebühren dürfe der Zahnarzt auch die Kosten für zahntechnische Leistungen in angemessener Höhe berechnen. Unangemessen hohe zahntechnische Leistungen könnten indessen nicht berücksichtigt werden.

Ferner erbrachte der Zahnarzt Dr. … dem Kläger Behandlungen in derzeit vom 23.01.2014 bis zum 28.01.2015. Hierfür berechnete er mit Rechnung vom 02.02.2015 insgesamt EUR 5.094,62. Wegen der Einzelheiten wird auf Anlage K 65 (Bl. 341 der Akte) verwiesen. Die Beklagte erstattete EUR 1.738,14. Sie vertrat die Auffassung, dass ein Teilbetrag von EUR 2.056,72 auf Zahnbehandlungen entfalle, der dem Grunde nach zu 100 % zu ersetzen sei, EUR 2.872,08 auf Zahnersatz, der dem Grunde nach zu 75 % zu erstatten sei und EUR 1.65,82 auf Prophylaxe.

Die Rechnung sei um EUR 1.463,88 zu kürzen, soweit über den Regelsatz bzw. Höchstsatz (2,3 bzw. 3,5) hinaus berechnet worden sei. Zu berücksichtigen seien nur die Gebühren mit dem Faktor 2,3. Ein Abzug i. H. v. EUR 2.15,01 ergebe sich hinsichtlich der Nr. 3 GOÄ bezüglich des 06.03.2014, 30.06.2014 und 15.09.2014. Die Leistung nach Nr. 3 GOÄ sei nur berechnungsfähig als einzige Leistung oder im Zusammenhang mit einer Untersuchung nach der Nr. 0010 GOZ oder mit einer Untersuchung nach den Nr. 5 oder 6 GOÄ. Andere weitere Leistungen dürften neben dieser Gebührennummer nicht berechnet werden. Ein Abzug von insgesamt EUR 1.384,82 ergebe sich hinsichtlich der Ziffer 7010 GOZ am 23.01.2014, 28.04.2014 und 28.07.2014 sowie der dazugehörigen Laborkosten über EUR 588,50. Es sei angesichts anderer Leistungen nicht nachvollziehbar, dass und vor allem daneben noch Aufbissbehelfe eingegliedert worden seien. Schließlich ergebe sich ein Abzug i. H. v. EUR 60,34 zu den restlichen Laborkosten zu der anerkannten Aufbissschiene.

Der Kläger vertritt zunächst die Rechtsauffassung, dass er mit dem Zahnarzt Dr. … eine verbindliche Gebührenvereinbarung getroffen habe und die Beklagte daher nicht berechtigt gewesen sei, die Erstattung auf den 2,3-fachen Satz zu kürzen. Dazu behauptet er, vor dem Treffen der Gebührenvereinbarung vom 10.01.2012 habe am 05.12.2011 eine erneute Untersuchung stattgefunden, ihm, dem Kläger, seien in einem 60-minütigen Gespräch die Ergebnisse aller Untersuchungen vorgestellt und deren Bedeutung erörtert worden. Es sei ihm ausführlich erklärt worden, wie es zu der Situation gekommen sei, was gemacht werden könne und welche Behandlungsmöglichkeiten es gebe. Auch über die voraussichtlichen Kosten sei gesprochen worden.

Zudem vertritt der Kläger die Auffassung, dass sämtliche der geltend gemachten Aufwendungen auf Zahnbehandlungen entfielen, mithin von der Beklagten eine Kostenerstattung zu 100 % der in Rechnung gestellten Aufwendungen geschuldet sei. Auch hält der Kläger die Gebühreneinwendungen der Beklagten für unberechtigt.

Der Kläger beantragt nach teilweiser Zurücknahme der Klage (Bl. 150 GA),

die Beklagte zu verurteilen, an ihn EUR 6.471,32 nebst Verzugszinsen i. H. v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.08.2013 zu zahlen,

die Beklagte weiterhin zu verurteilen, an ihn weitere EUR 4.188,40 nebst Verzugszinsen i. H. v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.02.2014 zu zahlen,

die Beklagte weiterhin zu verurteilen, an ihn weitere EUR 3.356,48 nebst Verzugszinsen i. H. v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6.3.2015 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte vertritt zunächst die Rechtsmeinung, dass der Zahnarzt Dr. … dem Kläger keine über den 2,3-fachen Satz hinausgehenden Gebühren habe berechnen dürfen. Insbesondere hält die Beklagte die zu Grunde liegende Gebührenvereinbarung vom 10.01.2012 für unwirksam. Dort sei, so die Behauptung der Beklagten, die Honorarvereinbarung nicht nach persönlicher Absprache im Sinne des § 2 Abs. 2 GOZ zwischen Dr. … und dem Kläger getroffen worden. Gegen eine derartige Absprache spreche zudem der wechselnde Sachvortrag des Klägers zu diesem Aspekt.

So unterscheide sich diese Gebührenvereinbarung nicht von den Gebührenvereinbarungen anderer Patienten, denn am 16.01.2012 sei eine identische Honorarvereinbarung mit einer anderen Patientin geschlossen worden bis auf Nr. 6000 GOZ. Auch die Steigerungssätze seien identisch mit Gebührenvereinbarungen mit anderen Patienten.

Die Beklagte meint, dass der Kläger auch aus anderen Gründen keinen Anspruch auf Erstattung über den 2,3-fachen Satz hinaus habe: Nach § 192 Abs. 2 WG sei der Versicherer zur Leistung insoweit nicht verpflichtet, als die Aufwendungen für die Heilbehandlung in einem auffälligen Missverhältnis zu den erbrachten Leistungen stünden. Das sei aber, so die Meinung der Beklagten, gegeben. § 10 Abs. 3 S. 3 GOZ sehe zudem vor, dass soweit im Fall einer abweichenden Vereinbarung nach § 2 GOZ auch ohne die getroffene Vereinbarung ein Überschreiten der in S. 1 genannten Steigerungssätze gerechtfertigt gewesen wäre, das Überschreiten auf Verlangen des Zahlungspflichtigen schriftlich zu begründen ist. Eine derartige Begründung habe Dr. … allerdings nicht geliefert.

Die Beklagte vertritt zudem die Meinung, dass die Honorarvereinbarung als sittenwidrig zu qualifizieren sei. Bedacht werden müsse, dass der Zahnarzt Dr. … die Steigerungssätze in der Gebührenvereinbarung aus dem Jahre 2012 unverändert gegenüber der Vereinbarung vom 26.09.2011 übernommen habe, obgleich mit der Neufassung der GOZ die gesetzlich vorgesehene Vergütung angehoben worden sei. Eine besondere Qualität der von Dr. … erbrachten Leistungen sei nicht ersichtlich.

Weiterhin vertritt die Beklagte die Auffassung, dass die jeweils aktuellen AVB der vertraglichen Beziehung zu Grunde legen, hilfsweise aber jedenfalls keine früheren AVB als die aus Mai 1986, da es den Tarif 741 im Jahre 1970 noch gar nicht gegeben habe.

Unter Berücksichtigung dieser AVB ergebe sich, dass wie aus den Abrechnungsschreiben ersichtlich, in erheblichem Maße Zahnersatzleistungen erbracht worden seien, bezüglich derer ohnehin nur eine Erstattung von 75% dem Grunde nach vorgesehen sei.

Weiterhin bestünden die gebührenrechtlichen Einwendungen. Wegen der Einzelheiten dazu wird auf Bl. 22 ff. der Klageerwiderung (Bl. 40 ff. GA), Bl. 14 f. des Schriftsatzes vom 21.7.2014 (Bl. 144 f. GA), Bl. 3 ff. des Schriftsatzes vom 3.11.2014 (Bl. 183 ff. GA), Bl. 6 ff. des Schriftsatzes vom 22.6.2015 (Bl. 373 ff. GA) verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätzen nebst Anlagen sowie auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

Die Kammer hat Beweis erhoben durch ein schriftliches Sachverständigengutachten, welches durch den Zahnarzt Dr. flHMMPerstattet worden ist. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten vom 21.05.2016 (Bl. 477 der Akte) verwiesen. Darüber hinaus hat die Kammer ein Ergänzungsgutachten des Sachverständigen eingeholt. Dieses wurde unter dem 30.04.2017 erstattet (Bl. 609 ff. der Akte). Der Sachverständige hat sein Gutachten mündlich erläutert. Der Zahnarzt Dr. … ist als Zeuge vernommen worden. Der Kläger ist als Partei vernommen worden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsprotokolle vom 21.11.2017 und 19.12.2017 verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die Klage ist überwiegend begründet.

Dazu, welche Versicherungsbedingungen im Verhältnis der Parteien maßgeblich sind, hat die Kammer mit am 26.11.2015 verkündeten Urteil in der … - 9 S 46/14 - wie folgt ausgeführt:

„Das Amtsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass vorliegend ergänzend zum Tarif 741 die AVB 1970 zur Anwendung kommen. Es ist nicht substantiiert dargetan, zu welchem Zeitpunkt welche alternativen AVB zwischen den Parteien hätten vereinbart worden sein sollen.

Die Beklagte kann nicht damit gehört werden, dass bis 1994 eine Änderung bereits bestehender AVB allein durch Genehmigung seitens der Aufsichtsbehörde und Übersendung geänderter Bedingungen an die Versicherungsnehmer erfolgt sein könne. Eine entsprechende Rechtsgrundlage für eine einseitige Änderungsmöglichkeit ist nicht ersichtlich. Vielmehr erfordert eine Änderung vertraglicher Vereinbarungen grundsätzlich die Zustimmung der beteiligten Vertragsparteien. Selbst wenn eine einseitige Änderungsmöglichkeit jedoch bestanden haben sollte, hätte die Beklagte zumindest nicht substantiiert dargelegt, zu welchem Zeitpunkt welche AVB dem Kläger übermittelt worden sein sollen. Die bloße Behauptung, im Jahr 1981 seien dem Vater des Klägers die damals geänderten AVB übersandt worden, ist durch nichts belegt und würde insbesondere auch keine Anwendbarkeit der AVB 1986 indizieren.

Es ist auch nicht ersichtlich, dass im Jahr 1986 eine Vertragsänderung dergestalt stattgefunden haben sollte, dass neue AVB Bestandteil des Vertrags geworden wären. Aus dem Versicherungsschein vom 03.12.1986 ergibt sich ausdrücklich, dass es sich um eine Übernahme aus dem Vertrag des Vaters des Klägers handelt. Es wurde also gerade kein neuer Vertrag abgeschlossen. Vielmehr wurde ein bestehender Vertrag, der hinsichtlich des Klägers offenbar zwischen 1983 und 1986 geruht hatte, wieder aktiviert. Daher ist auch unerheblich, ob - wie die Beklagte vorträgt - im Jahr 1986 erstmals ein Versicherungsvertrag zwischen den Parteien zustande gekommen ist, weil der Kläger zuvor über seinen Vater mitversichert war. Neue AVB sind in diesem Zusammenhang nicht einbezogen worden. Der Passus in dem Versicherungsschein "Es gelten die jeweiligen Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB), gesetzliche Vorschriften und ggf. schriftliche Vereinbarungen" kann aus Sicht der Kammer nur dahingehend verstanden werden, dass es sich dabei um die zwischen den Parteien vereinbarten AVB handelt. Sind die AVB - wie hier - nicht näher bezeichnet, können in diesem Zusammenhang auch keine neuen AVB einbezogen worden sein. Auch kann ein verständiger Versicherungsnehmer den Passus nicht dahingehend verstehen, dass die jeweils aktuellen AVB zur Anwendung kommen sollen, soweit zuvor abweichende AVB Bestandteil des Vertrags waren.

Dem steht nicht die Auffassung der Parteien entgegen, dass aus dem Jahr 1986 ein weiterer Versicherungsschein existieren müsse, weil der vorliegende Versicherungsschein vom 03.12.1986 ersichtlich nicht mit dem Antrag des Klägers vom 29.10.1986 korrespondiere. Denn selbst wenn es einen weiteren Versicherungsschein geben sollte, der seitens der Parteien nicht vorgelegt wird,

würde daraus nicht automatisch folgen, dass abweichende Bedingungen anwendbar wären. Es ist bereits nicht ersichtlich, welche Bedingungen dies sein sollten. Unstreitig ist zwischen den Parteien jedenfalls, dass der Tarif 741 seit 1986 zur Anwendung kommt. Soweit ein Tarifwechsel von 740 zu 741 erfolgte, ist nicht dargelegt und schon gar nicht zwingend erforderlich, dass in diesem Zusammenhang auch neue AVB Vertragsbestandteil geworden wären. Es ist auch nicht willkürlich, auf die AVB 1970 abzustellen. Das Amtsgericht ist mangels konkreter und substantiiert vorgebrachter Anhaltspunkte dazu, welche (ggf. früheren) AVB stattdessen anwendbar sein sollen, zutreffend von der Geltung der AVB 1970 ausgegangen. Zwar bestand eine private Krankenversicherung bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten auch für den Kläger unstreitig bereits in den 1960er Jahren. Hinweise darauf, dass für den Kläger bereits vor 1971 eine Versicherung für zahnärztliche Behandlungen bestand, hat die Beklagte indes nicht substantiiert vorgetragen. Die Vertragsauskunft, die der Kläger mit Schriftsatz vom 19.03.2013 zur Akte gereicht hat (Bl. 361 d.A.), deutet vielmehr darauf hin, dass tatsächlich erstmals im April 1971 eine Versicherung für zahnärztliche Behandlungen für den Kläger abgeschlossen wurde. Diese Auskunft ist nach Auffassung der Kammer auch nicht offensichtlich falsch. Denn dort ist bezüglich zahnärztlicher Behandlungen der Tarif 741, also der aktuell gültige Tarif, genannt und zugleich ausdrücklich angeführt, dass zwischenzeitlich Änderungen stattgefunden haben. Die Behauptung der Klägerin, dass diese Auskunft, die nach dem Vortrag des Klägers von der Generalvertretung der Allianz Beratungs- und Vertriebs-AG stammt, nicht von ihr sei, dürfte zwar insoweit zutreffend sein, als dass es sich bei der Erstellerin um eine andere juristische Person handelt. Hintergrund hierfür wird eine interne Organisationsentscheidung innerhalb der Allianz-Gruppe sein. Dadurch werden die Inhalte der Auskunft indes nicht unzutreffend.

Selbst wenn aber nicht auf die Vertragsauskunft abgestellt würde, wäre weiterhin kein plausibel dargelegter alternativer Anknüpfungspunkt ersichtlich. Solange ein solcher nicht vorgetragen ist, muss es bei den AVB 1970 als maßgebliches Regelwerk bleiben. Das Argument der Beklagten, dass es den Tarif im Jahr 1971 noch nicht gegeben habe und deshalb „denknotwendig" die AVB 1986 anwendbar sein müssten, ist wenig überzeugend. Denn die Vereinbarung eines neuen Tarifs bei bereits laufendem Versicherungsvertrag erfordert nicht die Einbeziehung neuer AVB.

Erstattungsfähige Sätze

Nach den AVB 1970 werden Leistungen betreffend Zahnbehandlungen, Zahnersatz und Zahn- und Kieferregulierung - im tariflichen Umfang - erstattet. Dabei gehen die Parteien übereinstimmend davon aus, dass Zahnbehandlungen zu 100% erstattet werden, Zahnersatz und Zahn- und Kieferregulierung zu 75% und dass funktionsanalytische und -therapeutische Leistungen (Gnathologie) erst in späteren Tarifbedingungen, auf die hier nicht zurückgegriffen werden kann, erwähnt werden.

Auf dieser Grundlage kann der Kläger die Erstattung der streitgegenständlichen Rechnungen des Zahnarztes Dr. … beanspruchen.

Der Kläger hat mit dem Zahnarzt unter dem Datum des 10.1.2012 eine Gebührenvereinbarung im Sinne des § 2 GOZ abgeschlossen. Insbesondere sind im Ergebnis der Beweisaufnahme die Voraussetzungen nach § 2 Abs. 2 Satz 1 GOZ erfüllt.

Eine persönliche Absprache im Sinne der genannten Vorschrift liegt vor. Der als Zeuge vernommene Zahnarzt hat bekundet, dass er dem Kläger die Unterschiede zwischen der alten und der neuen Gebührenvereinbarung erklärt habe. Der Kläger habe angegeben, dass ihn das nicht interessiere. Der Kläger hat das bei seiner Parteivernehmung im Wesentlichen bestätigt. Zwar ist zu berücksichtigen, dass der Kläger und der ihn behandelnde Zahnarzt ein Interesse am Ausgang des Rechtsstreits haben. Allein das reicht der Kammer aber nicht, um von der Unwahrheit der Bekundungen auszugehen. Haben indessen Kläger und Zahnarzt über die Vereinbarung gesprochen, bevor diese zur Unterschrift gelangte, so ist von einer persönlichen Absprache im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 1 GOZ auszugehen.

Diese ist auch für den Einzelfall getroffen worden, nämlich für den hier zu behandelnden Kläger. Das ergibt sich aus dem Inhalt der Vereinbarung selbst, in welcher die Vertragsparteien bezeichnet sind. Nicht entgegen steht der Annahme des Einzelfails, dass der Zahnarzt mit anderen Patienten ähnliche Vereinbarungen trifft. Das ändert nichts daran, dass jeder Patient für sich betrachtet einen Einzelfall darstellt.

Soweit sich die Beklagte zu ihrer Rechtsverteidigung auf § 192 Abs. 2 VVG bezieht, ist zu bemerken, dass der Versicherer in der Beschreibung des Leistungsversprechens frei ist (Bach/Moser/Kalis, 5. Aufl. 2015, VVG § 192 Rn. 61) und eine Höchstsatzbegrenzung in den streitgegenständlichen Bedingungen eben nicht vorgesehen hat.

Der Annahme der Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 2 BGB steht entgegen, dass sich jedenfalls der dafür erforderliche subjektive Tatbestand (vgl. BeckOK BGBA/Vendtland, 43. Ed. 15.6.2017, BGB § 138 Rn. 50) nicht feststellen lässt: Unerfahrenheit, Zwangslage, Mangel an Urteilsvermögen oder erhebliche Willensschwäche haben sich bei dem Kläger auch nach dem Eindruck im Rahmen der Parteivernehmung nicht bestätigt.

Im Ergebnis der Beweisaufnahme nach Einholung des Sachverständigengutachtens, des Ergänzungsgutachtens und der persönlichen Anhörung des Sachverständigen sind ausschließlich zu 100% zu erstattende Zahnbehandlungen Gegenstand der streitgegenständlichen Rechnungen.

Der Sachverständige Dr. …, an dessen fachlicher Qualifikation zu zweifeln die Kammer keinen Anlass hat, hat dies auf Blatt 6 seines Erstgutachtens (Bl. 482 GA) bezüglich der beiden ersten Rechnungen und auf Bl. 13 des Gutachtens (Bl. 489 GA) hinsichtlich der dritten Rechnung einleuchtend begründet. Dem entsprechen die Ausführungen des Sachverständigen Dr. … in der Erörterung im Verfahren 9 S 31/14 im Termin am 19.12.2017, in welchem dieser angegeben hat, dass die kieferorthopädische Behandlung erst mit dem Einsetzen der ersten Schiene begonnen habe.

Soweit schließlich die gebührenrechtlichen Einwendungen der Beklagten betroffen sind, sind diese überwiegend nicht begründet.

Akzeptiert hat der Kläger die sich aus dem Klageerwiderung ergebenden Einwendungen zu den Gebührenziffern 1000, 1020 und 1030 GOZ (EUR 66,30, EUR 82,85, EUR 66,37).

Die Berechtigung weiterer gebührenrechtlicher Einwendungen ist den Ausführungen des'Sachverständigen Dr. HF nur im sehr geringen Umfang zu entnehmen. In seinen schriftlichen Gutachten und im Rahmen der Anhörung durch die Kammer hat der Sachverständige sie weitgehend widerlegt.

Soweit die Beklagte die Berechenbarkeit von Beratungen nach Nr. 3 des Gebührenverzeichnisses zur GQÄ in Abrede gestellt hat, hat der Sachverständige die Berechenbarkeit aufgrund des dokumentierten Zeitaufwands und des Gegenstands der Beratung ganz überwiegend bestätigt. Lediglich hinsichtlich des 10.06.2013 vermochte der Sachverständige die Berechnung des Ansatzes der Nr. 3 jedenfalls anhand des Inhalts der Patientenkarteikarte nicht nachzuvollziehen.

Die Berechenbarkeit der Nr. 70 GOZ am 10.12.2013 hat er ebenfalls bestätigt (Bl. 7 des Erstgutachtens, Bl. 483 der Akte).

Im Übrigen hat der Sachverständige in den schriftlichen Gutachten und insbesondere auch im Rahmen der mündlichen Anhörung sämtliche umstrittenen Positionen zugunsten des Klägers bestätigt. Die diesbezüglichen Ausführungen macht sich die Kammer zueigen.

Die Berechtigung des Ansatzes der Nr. 7010 GOZ konnte er nach der zeugenschaftlichen Vernehmung des Zahnarztes bestätigen.

Im Ergebnis der Beweisaufnahme geht die Kammer zudem davon aus, dass die von dem Zahnarzt erstellten Laborrechnungen nicht, übersetzt sind und sich die Preise im Rahmen der üblichen Vergütung bewegen. Der Sachverständige hat in seinem Erstgutachten (Bl. 487 der Akte) ausgeführt, dass zwar einzelne Positionen bei den Laborrechnungen im oberen Bereich der Preisskala lägen. In der Gesamtbetrachtung seien diese jedoch nicht als unangemessen zu bezeichnen, da es sich um ein komplexes Behandlungsgeschehen handele. Anhaltspunkte dafür, dass sich die angesetzten Laborkosten in der Gesamtbetrachtung über dem Bereich des Üblichen bewegen, vermag die Kammer den gutachterlichen Ausführungen jedenfalls nicht zu entnehmen.

Es ergibt sich dementsprechend folgende Berechnung:

Hinsichtlich des die Rechnung vom 18.7.2013 (Klageantrag zu 1) ist hinsichtlich der Positionen GOZ Nummern 1000, 1020 und 1030 ein Abzug von insgesamt EUR 215,52 geboten. Weiterhin ist dort ein Abzug von EUR 71,67 bezüglich der Position Ä3 am 10.6.2013 vorzunehmen, da der Sachverständige anhand der Patientenkartei eine eingehende Beratung nicht hat bestätigen können. Der Abzug beträgt danach insgesamt EUR 287,19. Es verbleibt eine berechtigte Forderung von EUR 6.184,13. Für die, beiden anderen Rechnungen haben sich berechtigte Abzüge nicht nachweisen lassen.Der Zinsanspruch ergibt sich aus den §§ 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3, 288 BGB. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 2, 709 ZPO. Der Streitwert wird auf EUR 14.379,45 festgesetzt.

Die nicht nachgelassenen Schriftsätze vom 05.02.2018 und 07.02.2018 führen nicht zu einer anderen Entscheidung. Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung durch sie ist nicht veranlasst.


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