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Widerruf der Approbation wegen sexuellem Mißbrauch

 | Gericht:  Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Karlsruhe  | Aktenzeichen: 1 BvR 1657/17 | Entscheidung:  Urteil
Kategorie Ausübung des zahnärztlichen Berufs

Beschlusstext

 

Tenor

 

1.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

 

2.

Damit wird die einstweilige Anordnung vom 1. August 2017 gegenstandslos.

 

3.

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf 5.000 € (in Worten: fünftausend Euro) festgesetzt.

 

Gründe

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft den Widerruf einer Approbation als Arzt wegen Unwürdigkeit.

 

Der im Jahr 1960 geborene Beschwerdeführer ist approbierter Arzt und betreibt in Niedersachsen eine Praxis. Im Jahr 2014 wurde er wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses rechtskräftig verurteilt. Infolgedessen leitete der Niedersächsische Zweckverband zur Approbationserteilung (NiZzA) das Verfahren ein, welches mit dem Widerruf der Approbation des Beschwerdeführers endete. Die Entscheidung wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts vom 31. Januar 2017 bestätigt. Den dagegen gerichteten Antrag auf Zulassung der Berufung wies das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 12. Juli 2017 zurück.

 

II.

Mit seiner am 26. Juli 2017 erhobenen und mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG. Zur Begründung macht er insbesondere geltend, dass das Tatbestandsmerkmal der Unwürdigkeit gegen den Bestimmtheitsgrundsatz verstoße. Zudem bezieht er sich auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Mai 2005 (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats - 1 BvR 1028/05 -, juris) und vom 28. August 2007 (BVerfGK 12, 72 ff.) und die hierin hinsichtlich des Merkmals der Unwürdigkeit geäußerten verfassungsrechtlichen Zweifel.

 

Auf Grundlage einer Folgenabwägung hat die Kammer am 1. August 2017 eine einstweilige Anordnung erlassen, mit der sie die Vollziehung des Bescheids des Niedersächsischen Zweckverbandes bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde vorläufig, jedoch längstens für die Dauer von sechs Monaten, ausgesetzt hat.

 

III.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt.

 

Hinsichtlich der gerügten Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG ist die Verfassungsbeschwerde bereits unzulässig, weil sie nicht hinreichend begründet worden ist (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG).

 

Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet, weil die von dem Beschwerdeführer gerügte Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG nicht ersichtlich ist.

 

Der Widerruf der Approbation stellt einen Eingriff in die Berufswahlfreiheit des Beschwerdeführers dar. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind solche Eingriffe nur unter strengen Voraussetzungen zum Schutze wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft (vgl. BVerfGE 13, 97 <106 ff.>; 44, 105 <117 ff.>; 63, 266 <286>; 97, 12 <26>). Daran gemessen begegnet die Rechtsanwendung im vorliegenden Fall keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

 

1.

§ 5 Abs. 2 in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Bundesärzteordnung (BÄO) stellt eine hinreichende Rechtsgrundlage für den Widerruf der Approbation als Arzt dar. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers verstößt die Vorschrift nicht wegen des hierin verwendeten Begriffs der Unwürdigkeit gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot.

 

a)

Der Bestimmtheitsgrundsatz gebietet, dass eine gesetzliche Ermächtigung der Exekutive zur Vornahme von Verwaltungsakten nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt und begrenzt ist, so dass das Handeln der Verwaltung messbar und in gewissem Ausmaß voraussehbar und berechenbar wird (vgl. BVerfGE 56, 1 <12> m.w.N.). Das Bestimmtheitsgebot zwingt den Gesetzgeber aber nicht, den Tatbestand mit genau erfassbaren Maßstäben zu umschreiben. Dass ein Gesetz unbestimmte, der Auslegung und Konkretisierung bedürftige Begriffe verwendet, verstößt allein noch nicht gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz der Normklarheit und Justitiabilität. Allerdings muss das Gesetz so bestimmt sein, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. Unvermeidbare Auslegungsschwierigkeiten in Randbereichen sind dann von Verfassungs wegen hinzunehmen. Erforderlich ist allerdings, dass die von der Norm Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können. Sie müssen in zumutbarer Weise feststellen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die Rechtsfolge vorliegen (vgl. zum vorstehenden Maßstab insgesamt BVerfGE 103, 332 <384> m.w.N.; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 3. September 2014 - 1 BvR 3353/13 -, Rn. 16, juris).

 

b)

Diesen Anforderungen wird § 5 Abs. 2 in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BÄO gerecht. Zwar handelt es sich bei dem Begriff der Unwürdigkeit um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Die für die Auslegung maßgeblichen Gesichtspunkte lassen sich jedoch hinreichend aus dem Gesamtzusammenhang, insbesondere der dem Arzt zukommenden Aufgabe, der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes zu dienen (§ 1 Abs. 1 BÄO), sowie seinen berufsrechtlichen Pflichten entnehmen. 

 

2.

Die Anwendung und Auslegung von § 5 Abs. 2 in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BÄO in den angegriffenen Entscheidungen begegnet keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass der Widerruf der Approbation Art. 12 Abs. 1 GG verletzt.

 

Zwar stellt der Widerruf der Approbation einen Eingriff in die Berufswahlfreiheit dar. Den damit verbundenen hohen Anforderungen auf der Rechtfertigungsebene wird in den angegriffenen Entscheidungen aber durch eine umfassende Prüfung des Einzelfalls ausreichend Rechnung getragen. Die Entscheidungen lassen eine verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Abwägung der grundrechtlichen Belange des Beschwerdeführers mit den seiner fortdauernden Approbation als Arzt entgegenstehenden Gemeinwohlbelangen erkennen. Dabei wurde nicht nur auf ein Verhalten abgestellt, das im beruflichen Umfeld oder gesellschaftlichen Bereich auf Missfallen stößt, sondern maßgeblich auf das für eine ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung unabdingbare Vertrauen zwischen Arzt und Patient, welches für nachhaltig zerstört erachtet wurde. Mit diesem Vertrauen untrennbar verbunden ist das Schutzgut der Volksgesundheit, in dessen Interesse Patienten die Gewissheit haben müssen, sich dem Arzt als ihrem Helfer uneingeschränkt anvertrauen zu können und nicht etwa durch Misstrauen davon abgehalten werden, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Volksgesundheit ist ein besonders wichtiges Gemeinschaftsgut (vgl. BVerfGE 9, 338 <346>; 13, 97 <107>; 25, 236 <247>), zu dessen Schutz eine subjektive Berufszulassungsschranke nicht außer Verhältnis steht (vgl. BVerfGE 7, 377 <406 f.>; 13, 97 <107>; 78, 179 <192>). Dadurch, dass die angegriffenen Entscheidungen bei der Auslegung des Begriffs der Unwürdigkeit maßgeblich auf diesen Schutzzweck abgestellt haben, haben sie der Bedeutung und Tragweite des Art. 12 Abs. 1 GG insoweit hinreichend Rechnung getragen.

 

Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, § 5 Abs. 2 in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BÄO komme reiner Sanktionscharakter zu, weil auf eine Prognoseentscheidung verzichtet werde, ist dies nach der Rechtsanwendung im vorliegenden Fall gerade nicht erkennbar. In den angegriffenen Entscheidungen wird ausdrücklich nicht nur auf das vorangegangene Fehlverhalten des Beschwerdeführers, sondern auch auf mögliche veränderte Umstände, die eine abweichende Beurteilung der Berufsunwürdigkeit rechtfertigen könnten, abgestellt. Zwar führt das Verwaltungsgericht in der angegriffenen Entscheidung aus, dass nur das in § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BÄO neben der Unwürdigkeit aufgeführte Merkmal der Unzuverlässigkeit ein prognostisches Element enthalte. Es hat aber ebenso hervorgehoben, dass veränderte Umstände bei der Abwägung zur Feststellung des Tatbestandsmerkmals der Unwürdigkeit zu berücksichtigen sind. Entsprechend hat es etwaige veränderte Umstände - insbesondere solche, welche die Annahme rechtfertigen, dass zukünftig ein Vertrauensverhältnis zu den Patienten gesichert und somit eine Gefahr für die Volksgesundheit ausgeschlossen ist - hinreichend geprüft, solche Umstände im zu entscheidenden Fall aber nicht festgestellt. Vor diesem Hintergrund ist auch angesichts der in den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Mai 2005 (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats - 1 BvR 1028/05 -, juris) und vom 28. August 2007 (BVerfGK 12, 72 ff.) geäußerten Bedenken nicht erkennbar, dass Bedeutung und Tragweite von Art. 12 Abs. 1 GG bei der Auslegung des Begriffs der Unwürdigkeit im konkreten Fall nicht hinreichend Rechnung getragen wurde.

 

Der Widerruf der Approbation ist auch nicht unverhältnismäßig. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass der mit dem Widerruf verfolgte Zweck in einem unangemessenen Verhältnis zur Schwere des Eingriffs stünde. Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, die der Verurteilung zugrundeliegende Tat habe sich bereits im Jahr 2009 ereignet, stellt dies nur einen der im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigenden Umstände dar. Zudem kann aus bloßem Zeitablauf nicht auf eine Wiedererlangung der Würdigkeit geschlossen werden. Insoweit hat insbesondere das Verwaltungsgericht dem entgegenstehende konkrete Anhaltspunkte benannt, die auf eine fehlende Unrechtseinsicht oder Reue schließen lassen. Hierbei handelt es sich um eine Feststellung und Würdigung des Sachverhalts, die allein Sache der dafür allgemein zuständigen Fachgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen ist (vgl. BVerfGE 1, 418 <420>). Auch die bei der Abwägung berücksichtigte Frage der Wiedergutmachung stellt ein sachgerechtes Kriterium dar, weil dies in besonderem Maße geeignet sein kann, ein verloren gegangenes Vertrauen der Patienten in die ärztliche Integrität wiederherzustellen.

 

3.

Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird die von der Kammer am 1. August 2017 erlassene einstweilige Anordnung gegenstandslos. 

 

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen. 

 

4.

Die Festsetzung des Gegenstandswerts für das Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz <RVG>; vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

 

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.


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