Wettbewerbsrecht: Bezeichnung als "Stimmklinik" einer HNO-Praxis

 | Gericht:  Landgericht (LG) Hamburg  | Aktenzeichen: 315 O 472/18 | Entscheidung:  Urteil
Kategorie Berufliche Kommunikation , Sonstiges

Urteilstext

Tenor

I.

Die Beklagten werden verurteilt, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens EUR 250.000,00, Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre), Ordnungshaft zu vollziehen bei der Beklagten zu 1) an ihren Geschäftsführern und bei der Beklagten zu 2) an ihren Gesellschaftern,

zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr mit der Angabe „Deutsche Stimmklinik“ zu werben, wie nachfolgend abgebildet:

a) im Internet:

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b) in den Praxisräumen:

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c) im Flyer:

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II.

Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger € 299,60 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 08.01.2019 zu zahlen.

III.

Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Klägers tragen die Beklagten je zur Hälfte. Ihre außergerichtlichen Kosten tragen die Beklagten selbst.

IV.

Das Urteil ist hinsichtlich der Ziffer I. gegenüber den Beklagten zu 1) und zu 2) jeweils gegen Sicherheitsleistung in Höhe von € 12.500,00 sowie hinsichtlich Ziffer II. und der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Unterlassung eines behaupteten Wettbewerbsverstoßes sowie die Erstattung einer Abmahnkostenpauschale.

Die Beklagten betreiben (ausschließlich) in H. auf dem Gelände des U. die „D. S.“ und werden als verantwortliche Gesellschaften im Impressum auf der Webseite „s..de“ genannt (Anlage K 1). Dort heißt es unter „Haftungsausschluss“:

„Haftung für Inhalte

Die Inhalte unserer Seiten wurden mit größter Sorgfalt erstellt. Für die Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität der Inhalte können wir jedoch keine Gewähr übernehmen. Als Diensteanbieter sind wir gemäß § 7 Abs. 1 TMG für eigene Inhalte auf diesen Seiten nach den allgemeinen Gesetzen verantwortlich. [...]“

Unter der Überschrift „Jobs in der D. S.“ wird die sogenannte „D. S.“ als „Privatpraxis“ aufgeführt (Anlage K 2). Unter der Zeile „Wir bieten:“ heißt es zudem: „Eine der spannendsten Praxen in H. und ein tolles Arbeitsklima“.

In der „D. S.“ konzentriert die Beklagte zu 2) ihr Fachgebiet ausschließlich auf die Stimme und deren Behandlung und arbeitet jeweils fachübergreifend Hand in Hand mit den Stimmspezialisten der Beklagten zu 1) zusammen. Diese decken die Bereiche Logopädie, Stimmcoaching, Gesangspädagogik sowie Osteopathie mit psychotherapeutischem Hintergrund ab.

Die Beklagten sind mit verschiedenen Kliniken eine Kooperation eingegangen, so u.a. mit der C. (B.) und dem U. H. (Anlage K 3). Ein Kooperationsvertrag mit dem U. ermöglicht es der Beklagten zu 2), jederzeit Patienten beim U. einzuweisen.

Der Kläger mahnte die Beklagte zu 1) mit Schreiben vom 15.11.2018 (Anlage K 4) und die Beklagte zu 2) mit Schreiben vom 14.12.2018 (Anlage K 5) ab und forderte sie zur Abgabe einer Unterlassungsverpflichtungserklärung auf. Die Beklagte zu 1) wies die Ansprüche mit anwaltlichem Schreiben vom 28.11.2018 (Anlage K 6) zurück, die Beklagte zu 2) mit anwaltlichem Schreiben vom 19.12.2018 (Anlage K 7).

Mit der Klage verfolgt der Kläger die Ansprüche weiter.

Der Kläger trägt vor, dass der Unterlassungsanspruch aus §§ 8 Abs. 1 und 3 UWG i. V .m. § 5 Abs. 1 S. 1 und 2 Nr. 1 UWG folge. Die Beklagten täuschten die angesprochenen Verkehrskreise über die tatsächliche Größe der Privatpraxis.

Die angegriffene Angabe setze sich aus den Worten „Deutsche“ und „Stimmklinik“ zusammen. Die Beklagten betrieben ausschließlich in H. eine Privatpraxis für die Behandlung rund um die Stimme. Der Umstand, dass sich diese Privatpraxis auf dem Gelände des U. befinde, mache daraus keine „Deutsche Stimmklinik“.

Der angesprochene allgemeine Verbraucher werde zunächst durch die Verwendung des Begriffs „Deutsche“ getäuscht. Denn der Verkehr erwarte von einer Praxis, die sich auf die Behandlung rund um die Stimme spezialisiert hat und unter der Bezeichnung „Deutsche“ im Internet auftritt, zumindest einen Zusammenschluss von Praxen, der in mehr als in einer Stadt tätig ist.

Ebenfalls irreführend sei die Verwendung der Bezeichnung „Stimmklinik“. Tatsächlich werde unter dieser Bezeichnung keine Klinik betrieben, sondern eine Privatpraxis.

Mit der Verwendung der Bezeichnung „Deutsche Stimmklinik“ werde der unzutreffende Eindruck erweckt, als würden dort nicht nur umfangreiche Operationen vorgenommen, sondern auch Betten für die stationäre Aufnahme der Patienten vorgehalten. Der Durchschnittsverbraucher erwarte bei einer „Stimmklinik“ jedenfalls auch stationäre Versorgung, und zwar auch über Nacht. Diese Vorstellung sei im vorliegenden Fall jedoch falsch, weil auch nach eigenem Vorbringen der Beklagten zu 1) die „Deutsche Stimmklinik“ nicht über die Möglichkeiten einer auch nur vorübergehenden stationären Aufnahme verfüge. Vielmehr verweise die Beklagte zu 1) darauf, dass sich die Privatpraxis auf dem Gelände des U. befinde und das U. insoweit die notärztliche Versorgung für Patienten der „Stimmklinik“ gewährleiste. Der durchschnittliche Patient der Beklagten erwarte bei der Angabe „Stimmklinik“ nicht nur die Möglichkeit, dass der Patient im Notfall unverzüglich vom U., einem Kooperationspartner der Beklagten, versorgt werden könne, sondern vielmehr, dass die Beklagten selbst für solche Fälle eigene Betten vorhalten. Das sei unstreitig nicht der Fall. Der Umstand, dass für die Beklagte zu 2) die Möglichkeit besteht, Patienten jederzeit bei dem U. einzuweisen, berechtige sie dennoch nicht, selbst mit der Angabe „Klinik“ zu werben.

Der durchschnittliche Patient erwarte, dass die vorgehaltene medizinische Versorgung der „Stimmklinik“ in jedem Fall über das Angebot einer normalen Praxis hinausgehe.

Durch die Verwendung des Begriffs „Deutsche“ erwarte er, dass es sich nicht nur um eine lokale Einrichtung eines Hamburger Arztes handele.

Der Anspruch auf Erstattung der Abmahnkostenpauschale folge aus § 12 Abs. 1 S. 2 UWG.

Der Kläger beantragt,

- wie erkannt. -

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten tragen vor, dass die Klage nicht begründet sei. Die beanstandete Kennzeichnung „Deutsche Stimmklinik“ sei nicht wettbewerbswidrig, insbesondere sei sie nicht irreführend.

Anders als vom Kläger angenommen handele es sich bei der Beklagten zu 2) nicht um eine HNO und/oder Phoniatrie-​Facharztpraxis, wie sie hierzulande üblich sei.

Während die Beklagte zu 2), deren Gesellschafter ausschließlich Ärzte seien, selbständig medizinische Leistungen erbringe, erbringe die Beklagte zu 1) ebenfalls selbständig nichtmedizinische Dienstleistungen. Neben den Verwaltungstätigkeiten für die Beklagte zu 2) seien dies unter anderem auch die Organisation von Vorträgen und Lehrveranstaltungen im In- und Ausland. Die Besonderheit liege in der engen Kooperation zwischen medizinischen und nichtmedizinischen Leistungen. Die Kooperationsform zeichne sich durch die inter- und multidisziplinäre Behandlung der Stimme und damit des Kehlkopfes aus.

Mit diesem gemeinsamen Geschäftsmodell aus einer Kombination zwischen medizinischen und nichtmedizinischen Dienstleistungen verfügten die Beklagten über ein bundesweites Alleinstellungsmerkmal.

International habe sich für solche Einrichtungen in den vergangenen Jahren die Bezeichnung „Stimmklinik“ herausgebildet, wobei international die englischsprachige Übersetzung „Voice Clinic“ gebräuchlich sei. Insoweit werde auf die als Anlage B 1 vorgelegte Auflistung Bezug genommen.

Im Gegensatz zu gängigen HNO- oder Phoniatrie-​Praxen seien die Beklagten daher in gänzlich anderer Funktion tätig. Dagegen böten Facharztpraxen für HNO oder Phoniatrie bundesweit keine dieser geschilderten multi- und interdisziplinären Kooperationen bei der Behandlung von Stimme und Kehlkopf in integrierter Kooperation mit einer nichtmedizinischen Einrichtung an.

Anders als der durchschnittliche Patient eines Zahnarztes, welchem mit dem Begriff „Klinik“ eine andere, insbesondere größere Bedeutung der Praxis suggeriert werde, fehle es bei den Beklagten schon an dem „durchschnittlichen“ HNO-​Patienten, welcher Adressat des Begriffs „Stimmklinik“ sei. Die vom Kläger zitierte Entscheidung des OLG Hamm (GRUR-​RR 2018, 365 – Praxisklinik) sei daher nicht übertragbar.

Das Verständnis der angesprochenen Kreise bezüglich des Begriffs „Klinik“ sei im Wandel; es würden heutzutage offenbar durchaus unterschiedliche Meinungen vertreten.

Zudem ermögliche es der Beklagten zu 2) der Vertrag mit dem U., dass im Bedarfsfall im U. jederzeit eine stationäre Behandlung erfolgen könne. Zudem gehe der angesprochene Personenkreis schon gar nicht davon aus, dass eine stationäre Aufnahme bei der Behandlung der Stimme erforderlich sei oder auch nur in Betracht komme, da man die Stimme nun einmal nicht betten könne. Als weiteres Beispiel für eine gleichartige Verwendung des Begriffs „Klinik“ sei weiter auf die heute in Krankenhäusern übliche Unterscheidung zwischen bettenführenden und nicht-​bettenführenden Kliniken hingewiesen.

Im Ergebnis gehe auch das Deutsche Patent- und Markenamt (DPMA) davon aus, dass die Führung der Bezeichnung „S.“ wettbewerbsrechtlich unbedenklich sei. Es sei nämlich bei der Prüfung der Eintragungsfähigkeit dieser zweigliedrig zusammengesetzten Kennzeichnung „S.“ als Wortmarke (Az. des DPMA: Marke 30253757) zu dem Ergebnis gekommen, dass kein absolutes Eintragungshindernis vorliege. Ein absolutes Eintragungshindernis sei aber stets dann gegeben, wenn in der Benutzung der Kennzeichnung „S.“ ein Verstoß gegen im öffentlichen Interesse liegende gesetzliche Vorschriften läge. Um genau solche Vorschriften handele es sich bei denen des UWG, deren vermeintliche Verletzung der Kläger geltend mache.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 18.09.2019 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

I.

Dem Kläger steht gegen die Beklagten der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zu.

1.

Der Kläger ist aktivlegitimiert. Gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG stehen die Ansprüche des § 8 Abs. 1 UWG auch rechtsfähigen Verbänden zur Förderung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interesse zu, soweit ihnen eine erhebliche Zahl von Unternehmen angehört, die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben, soweit diese insbesondere nach ihrer personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung imstande sind, ihre satzungsgemäße Aufgaben der Verfolgung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen tatsächlich wahrzunehmen und soweit die Zuwiderhandlung die Interessen ihrer Mitglieder berührt. Dass der Kläger vorliegend diese Voraussetzungen erfüllt, steht zwischen den Parteien nicht im Streit.

2.

Der Unterlassungsanspruch gemäß Ziffer I. des Tenors folgt aus §§ 8 Abs. 1 S. 1 UWG i. V. m. §§ 3 Abs. 1, 5 Abs. 1 S. 1 und 2 Nr. 1 UWG. Denn durch die streitgegenständliche Angabe „Deutsche Stimmklinik“ wird jedenfalls bei relevanten Verkehrskreisen der irreführende Eindruck erweckt, dass es sich dabei als „Klinik“ um ein Krankenhaus oder eine Abteilung eines Krankenhauses handelt, das auch über Betten für eine stationäre Versorgung – auch über Nacht - verfügt. Ein anderes Verkehrsverständnis folgt auch nicht aus der als Anlage B 1 vorgelegten Liste von „Voice Clinics“. Denn jedenfalls bei den für das Gebiet der Europäischen Union angeführten „Voice Clinics“ handelt es sich ausweislich der Liste um Abteilungen von Krankenhäusern (Hospital / Infirmary).

Das trifft auf die „Deutsche Stimmklinik“ nicht zu. Vielmehr handelt es sich bei dieser um eine interdisziplinäre Gemeinschaftspraxis, bei der neben medizinischen Dienstleistungen auch Dienstleistungen der Bereiche Logopädie, Stimmcoaching, Gesangspädagogik sowie Osteopathie mit psychotherapeutischem Hintergrund angeboten werden.

Dem steht auch nicht entgegen, dass die Beklagte zu 2) – unstreitig – einen Kooperationsvertrag mit dem U., auf dessen Gelände sich die „D. S.“ befindet, geschlossen hat, der es ihr ermöglicht, jederzeit Patienten in das U. einzuweisen. Denn bei der Aufnahme der Patienten in einer Klinik, mit der die Beklagten kooperieren, handelt es sich nicht um eine stationäre Versorgung durch die Beklagten selbst.

Auch die Beklagten selbst bezeichnen sich im Übrigen auf ihrem Internetauftritt „stimmklinik.de“ als „Privatpraxis“ bzw. „eine der spannendsten Praxen in Hamburg“ mit einem „Praxisteam“ (Anlage K 2).

3.

Ohne Erfolg bleibt der Einwand der Beklagten, dass das DPMA bei Eintragung der Marke „STIMMKLINIK“ bereits festgestellt habe, dass die Führung der Bezeichnung „Stimmklinik“ wettbewerbsrechtlich unbedenklich sei. Denn Gegenstand der Prüfung vor Markeneintragung ist nicht, ob die konkrete Nutzung der Marke für Dienstleistungen des Markeninhabers oder seines Lizenznehmers irreführend ist, sondern ob grundsätzlich Eintragungshindernisse entgegenstehen.

4.

Aufgrund des Verstoßes besteht auch eine Wiederholungsgefahr, die nur durch eine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung hätte beseitigt werden können. Dies ist nicht geschehen.

II.

Dem Kläger steht gegen die Beklagten auch ein Anspruch auf Erstattung der Abmahnkostenpauschale in Höhe von € 299,60 zu gemäß § 12 Abs. 1 S. 2 UWG. Die Abmahnungen waren berechtigt. Insoweit wird auf die Ausführungen zum Unterlassungsanspruch unter Ziffer I. Bezug genommen.

Die Höhe der geltend gemachten Abmahnkostenpauschale steht nicht im Streit und ist auch nicht zu beanstanden.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 BGB.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

 

Das Oberlandesgericht Hamburg hat mit Beschluss vom 02.09.2020 (Az.: 3 U 205/19) die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil des LG Hambrug zurückgewiesen.


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