Beschlusstext
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 3. Juli 2009 geändert.
Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller (VG Arnsberg - 3 K 2962/08 - )wird wiederhergestellt bzw. angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.
Der Streitwert wird für beide Instanzen auf jeweils EUR 15.000,00 festgesetzt.
Gründe
Gegenstand des Verfahrens allgemein ist nicht die Gewährung vorläufigen Rechtss¬chutzes in Zusammenhang mit der in der Entscheidung der Antragsgegnerin vom 13. August 2008 (auch) enthaltenen Missbilligung. Zwar kann eine von einer Zahnärztekammer ausgesprochene Missbilligung u. U. als Verwaltungsakt i. S. d. §35 VwVfG angesehen werden,
vgl. VG Minden, Urteil vom 30. Juni 2005 - 7 K 818/04 -, NWVB1. 2006, 66,
so dass auch die üblichen Wirkungen und Regelungen bei verwaltungsrechtlichen und -gerichtlichen Rechtsmitteln einschlägig sein könnten. Aufbau und Wortlaut der Entscheidung der Antragsgegnerin vom 13. August 2008 lassen aber erkennen, dass neben der erteilten Missbilligung "zudem" ein Bescheid mit mehreren Regelungstatbeständen ergangen ist und nur "die sofortige Vollziehung des Bescheides" angeordnet wurde. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kann sich dementsprechend, wie auch das Verwaltungsgericht angenommen hat, nur auf den "Bescheid", also den zweiten Teil der in Frage stehenden Verfügung der Antragsgegnerin, beziehe.
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist wegen der Entscheidung des Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen Beschluss, insoweit die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller anzuordnen, zudem nicht mehr die Zwangs-geldandrohung in Nr. 4 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 13. August 2008.
Im Übrigen ist die Beschwerde der Antragsteller, über die der Senat gemäß §146 Abs. 4 Satz 6 VwGO im Rahmen der dargelegten Gründe befindet, begründet.
Dies gilt nicht schon deshalb, weil das Verwaltungsgericht den im Hauptsacheverfahren und in diesem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zunächst anberaumten Erörterungstermin am 29. Mai 2009 wegen der Unmöglichkeit des Er¬scheinens eines Mitarbeiters der Antragsgegnerin wieder aufgehoben hatte. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt darin, anders als die Antragsteller und ihr Bevollmächtigter meinen, nicht. Angesichts ihres tatsächlichen schriftlichen Vorbringens ist nicht ersichtlich, dass es den Antragstellern wegen der Aufhebung des vorgesehenen Erörterungstermins nicht möglich gewesen ist, ihr Begehren hinreichend darzulegen.
In der Sache fällt die im Rahmen des §80 Abs. 5 VwGO gebotene Interessenabwägung aus Sicht des Senats zum Nachteil der Antragsgeg nerin eins. GG gen den auf §6 Abs. 1 Nr. 6 Heilberufsgesetz NRW - HeilBerG - in der Änderungsfassung vom 20. November 2007 (GV. NRW, S. 572) i. V. m. §21 Abs. 1 Satz 2 der Berufsordnung der Antragsgegnerin - BO - vom 19. November 2005 (MB1. NRW 2006, 42) gestützten Bescheid der Antragsgegnerin vom 13. August 2008, der sich auf die uneingeschränkte Werbung für eine Behandlung unter Vollnarkose und auf Behandlungen von Gesichtsfalten durch Unterspritzungen und die Werbung hierfür bezieht, bestehen bei der in diesem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen Prüfung rechtliche Bedenken, so dass der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes Erfolg hat.
Nach §21 Abs. 1 Satz 2 BO ist dem Zahnarzt berufswidrige Werbung untersagt. Berufswidrig ist insbesondere eine anpreisende, irreführende, herabsetzende oder vergleichende Werbung (§21 Abs. 1 Satz 3 BO). Das Verbot berufswidriger Werbung ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Das Werbeverbot für Ärzte/Zahnärzte dient dem Schutz der Bevölkerung und soll das Vertrauen der Patienten darauf erhalten, dass der Arzt nicht allein aus Gewinnstreben bestimmte Untersuchungen vornimmt, Behandlungen vorsieht oder Medikamente verordnet. Das Werbeverbot beugt einer gesundheitspolitisch unerwünschten Kommerzialisierung des Arztberufs vor. Werbebeschränkungen orientieren sich letztlich am Rechtsgut des Schutzes der Gesundheit der Bevölkerung. Jede Art von Einschränkungen ist an dem die Berufsfreiheit schützenden und auch die berufliche Außendarstellung umfassenden Art. 12 Abs. 1 GG zu messen. Beschränkungen können daher nur Bestand haben, wenn sie durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt werden. Von entscheidender Bedeutung ist dabei auch der Informationsanspruch des (potentiellen) Patienten. Dem (Zahn-)Arzt ist demnach nicht jede, sondern lediglich solche Werbung verboten, die keine interessengerechte und sachangemessene Information darstellt. Bei der Bewertung von Werbemaßnahmen ist dabei auf den Standpunkt der angesprochenen Verkehrskreise und auf das Leitbild eines durchschnittlich informierten und verständigen Verbrauchers/Patienten und nicht auf die Auffassung des jeweiligen Berufsstandes abzustellen.
Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 13. Juli 2005 - 1 BvR 191/05 -, MedR 2006, 107, vom 26. August 2003 - 1 BvR 1003/02 -, NJW 2003, 3470, vom 18. Februar 2002 - 1 BvR 1644/01 -, NJW 2002, 3091-, und vom 4. Juli 2000 1 BvR 547/99 -, MedR 2000, 523; BGH, Urteil vom 9. Oktober 2003 - I ZR 167/01 -, NJW 2004, 440; BVerwG, Urteil vom 24. September 2009 - 3 C 4.09 -, juris; ÄrztGH Saarland, Urteil vom 10. Oktober 2001 - ÄGH 2/01 -, NJW 2002, 839; OVG NRW, Beschlüsse vom 26. Juni 2008 - 13 A 1712/06 -, GesR 2009, 46, und vom 10. November 2003 13 B 1703/03 -.
Nach diesen Kriterien ist die in Rede stehende Werbung nicht berufswidrig. Aus der fraglichen Werbeanzeige der Antragsteller auf der Zeitschrift "Brigitte" hält die Antragsgegnerin die Angaben "Vollnarkosebehandlung" und "Behandlung von Gesichtsfalten" für unzulässig. Diese Einschätzung teilt der Senat nicht.
Zunächst sind beide Angaben nicht isoliert für sich zu sehen, sondern sie stehen im Kontext mit den übrigen Angaben und Hinweisen auf zahnärztliche Behandlungsbereiche in der Anzeige. Die Angabe mehrerer Behandlungsbereiche und -möglichkeiten in der zahnärztlichen Praxis der Antragsteller bewirkt eine entsprechende Information für den potentiellen Patienten zum Leistungsspektrum der Praxis und dazu, welche Bereiche zahnärztlicher Tätigkeiten in dieser Praxis vorrangig zur Anwendung kommen und ihm als Patienten zur Verfügung stehen. Sie sind daher generell als sachangemessene und interessengerechte Information für Patienten zu werten und daher nicht berufswidrig. Dies gilt auch für die Angabe "Vollnarkosebehandlung", für die die Antragsgegnerin eine Klarstellung, dass eine solche Möglichkeit nur nach besonderer medizinischer Indikation besteht, für erforderlich hält. Nach dem Vorstehenden beinhaltet dieser Schlagwort-Begriff - ähnlich wie bei den anderen in der Anzeige enthaltenen schlagwortartigen Begriffen - vorrangig die Information für einen Patienten, dass in der angegebenen Praxis eine entsprechende personelle und gerätemäßige Ausstattung vorhanden ist und dass Behandlungen unter Vollnarkose dort möglich sind und durchgeführt werden. Weil eine derartige Behandlungsmöglichkeit, wie dem Senat bekannt ist, offenbar relativ häufig von Patienten nachgefragt wird, wird deshalb damit einem entsprechenden Informationsbedürfnis Rechnung getragen. Dies gilt in besonderem Maße gerade auch für sog. Angstpatienten, denen ein Hinweis auf die Möglichkeit einer Behand-lung unter Vollnarkose eine zusätzliche Hilfe bei der Auswahl eines aus ihrer Sicht geeigneten Zahnarztes bietet. Es kann davon ausgegangen werden und erscheint fast als selbstverständlich, dass einem verständigen Bürger und Patienten bekannt ist, dass eine Vollnarkose mit gewissen gesundheitlichen Risiken verbunden sein kann und dass sie deshalb regelmäßig erst und nur dann zum Einsatz kommt, wenn sie auf Grund gemeinsamer Überlegungen des (Zahn-)Arztes und des Patienten als einzusetzende Behandlungsmethode ausgewählt wurde. Die Annahme, dass mit dem Begriff "Vollnarkosebehandlung" eine Verharmlosung der Gefahren einer Vollnarkose einhergeht, erscheint daher nicht gerechtfertigt. Des Weiteren kann unter Berücksichtigung berufsethischer Grundsätze für Arzte und Zahnärzte generell und auch in diesem Fall unterstellt werden und entspricht daher dem Verständnis der Patienten, dass nicht schon deshalb eine Behandlung unter Vollnarkose erfolgt, weil es der Patient so wünscht und weil ihm "danach ist". Angesichts dessen erscheint die Annahme, der Begriff "Vollnarkosebehand¬lung" ohne einen weiteren Hinweis auf eine entsprechende Indikation suggeriere, dass die Behandlung unter Vollnarkose allein von dem entsprechenden Willen des Patienten abhängig sei, unrealistisch; jedenfalls bestimmt diese Vorstellung nicht vorrangig das Verständnis eines interessierten Patienten. Mit einem allein den Wunsch des Patienten in den Vordergund stellenden Verständnis kämen beispielsweise auch die anderen in der fraglichen Anzeige bezeichneten Behandlungsbereiche wie Kieferorthopädie, Parodontosebehandlung, Ästhetische Zahnbehandlung usw. ohne entsprechende zahnmedizinische Indikation und nur dem Wunsch eines Patienten folgend in Betracht. Dies wird tatsächlich sicher nicht erfolgen. Nach dem Vorstehenden kommt es auch nicht mehr darauf an, ob der Hinweis auf der Praxishomepage der Antragsteller auf die Kostentragung bei einer Vollnarkosebehandlung ausreichend ist.
Bezüglich der im Bescheid der Antragsgegnerin vom 13. August 2008 verfügten Untersagung, Behandlungen von Gesichtsfalten durch Unterspritzungen in der Praxis durchzuführen und hierfür zu werben, gilt, dass insoweit zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung ein Regelungsbedarf nicht mehr bestand. Ausgangspunkt für diese Regelung war ebenfalls die in Frage stehende Werbeanzeige der Antrag¬steller auf der Umschlagseite einer "Brigitte'-Zeitschrift. Da in Bezug auf das - in der Vergangenheit gelegene - Ereignis des Erscheinens dieser Anzeige der Bescheid vom 13. August 2008 keine Regelung mehr treffen konnte, kann sich der Regelungsgehalt der Nr. 2 des Bescheids, der durch die Anordnung in Nr. 4 des Bescheids ergänzt wird, nur auf ein künftiges Verhalten der Antragsteller beziehen. Für eine entsprechende Regelung bestand aber zum Zeitpunkt der formellen Entscheidung der Antragsgegnerin kein Anlass (mehr). Die Antragsteller hatten ihr bereits mit Schreiben vom 17. Dezember 2007 mitgeteilt, dass die "Werbung über die Behandlung von Gesichtsfalten eingestellt" werde, so dass seither kein Grund für eine auf die Untersagung entsprechender Werbung bezogene Verfügung bestand. Vor der Untersagungsverfügung, die erst ca. neun Monate nach Anforderung einer Stellungnahme ergangen ist, hätte die Antragsgegnerin zudem durch Blick auf die von Nr. 4 des Bescheids vom 13. August 2008 ebenfalls erfasste Homepage der Praxis der Antragsteller erkennen können, dass die beanstandete "Behandlung von Gesichtsfalten" nicht mehr in der Wiedergabe des Leistungsspektrums der Praxis der Antragsteller enthalten und durch "Behandlung des Lippenrotbereiches" ersetzt worden war. Das Vorbringen der Antragsgegnerin, das Schreiben der Antragsteller vom 17. Dezember 2007 hätte sich nur auf die Werbung für die Behandlung von Gesichtsfalten bezogen, nicht aber die Behandlung selbst betroffen, rechtfertigt demgegenüber keine andere Einschätzung. Die Antragsteller haben glaubhaft vorgetragen, dass der Wechsel zur Angabe des Leistungsbereichs "Behandlung des Lippenrotbereiches" bereits im Dezember 2007 vollzogen worden sei. Dies hätte von der Antragsgegnerin vor Erlass des in Frage stehenden Bescheids erkannt werden können.
Die bei summarischer Prüfung im Rahmen dieses Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes anzunehmende Rechtswidrigkeit der Regelungen in Nr. 1 und 2 des Bescheids vom 13. August 2008 führt dazu, dass auch die darauf bezogene Zwangsgeldandrohung in Nr. 3 des Bescheids rechtswidrig ist, so dass insoweit die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller anzuordnen ist.
Zu Nr. 4 des Bescheids geht der Senat mit dem Verwaltungsgericht davon aus, dass die dortige Regelung an die Regelungen in den Nummern 1 und 2 anknüpft und ihr kein darüber hinausgehender eigenständiger Gehalt zukommt. Nach dem Vorstehenden ist deshalb auch bezüglich der Nr. 4 des Bescheids die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung und -änderung beruht auf §§47 Abs. 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2, 63 Abs. 3 Satz 1 GKG. Bei berufsrechtlichen Untersagungsverfügungen setzt der Senat regelmäßig in Hauptsacheverfahren einen Wert von EUR 5.000,00 je Untersagungsregelung an. Das führt zu einem Wertansatz von EUR 10.000,00 für die Nummern 1 und 2 des angefochtenen Bescheids; für Nr. 4 des Bescheids erfolgt wegen des Zusammenhangs mit den Nummern 1 und 2 keine eigenständige Wertannahme. Ein eigenständiger Wertersatz unterbleibt auch für die in dem Bescheid enthaltenen Zwangsgeldandrohungen (vgl. Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit von Juli 2004, Nr. 1.6.2). Da der angefochtene Untersagungsbescheid gegen alle drei Antragsteller persönlich gerichtet war und die Antragsteller dementsprechend zwar in gemeinsamen Schriftsätzen, aber jeder für sich und mit getrennten Vollmachten (vgl. Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 15. Oktober 2008 im Hauptsacheverfahren) um Rechtsschutz nachgesucht haben, sind wegen der Personenvielzahl die Werte zusammenzurechnen (§39 Abs. 1 GKG, §5 ZPO). Somit ergäbe sich für ein Hauptsachverfahren ein Streitwert von EUR 30.000,00, der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes um die Hälfte zu reduzieren ist. Dies führt zu dem aus dem Tenor ersichtlichen Streitwert.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.