Urteilstext
Tenor
Das Urteil des Amtsgerichts Gießen vom 24.11.2017 wird im Rechtsfolgenausspruch abgeändert und die Angeklagte zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 100,00 € verurteilt.
Im Übrigen wird die Berufung verworfen.
Die Angeklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Kosten der Revision und die insoweit entstandenen Auslagen der Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.
Angew. Vorschrift: § 219 a StGB in der Fassung vom 22.03.2019
Gründe
Mit Urteil vom 24.11.2017 hat das Amtsgericht Gießen die Angeklagte wegen Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 150,- € verurteilt.
Gegen dieses Urteil hat die Angeklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt.
Mit Urteil vom 12.10.2018 hat die 3. Strafkammer des Landgerichts Gießen die Berufung der Angeklagten verworfen.
Auf die Revision der Angeklagten hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit Beschluss vom 26.06.2019, Aktenzeichen,1 Ss 15/19, das Urteil des Landgerichts Gießen - 3. kleine Strafkammer - vom 12. Oktober 2018 unter Berücksichtigung einer nach Erlass des Urteils eingetretenen Gesetzesänderung aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Gießen zurückverwiesen, die auch über die Kosten der Revision zu entscheiden hat.
Die Gründe des Beschlusses des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 26.06.2019 enthalten u.a. folgende Ausführungen:
„Diese Feststellungen des Landgerichts ermöglichen dem Senat nicht die Prüfung, ob das der Angeklagten vorgeworfene Verhalten strafbar ist. Dies zwingt auf die Sachrüge hin zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
Nach Erlass dieses Urteils, mit Wirkung vom 29. März 2019; hat der Gesetzgeber dem § 219a StGB einen neuen Abs. 4 angefügt, wonach § 219a Abs. 1 StGB dann nicht gilt, wenn Ärzte, Krankenhäuser oder Einrichtungen (1.) auf die Tatsache hinweisen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche unter den Voraussetzungen des § 218 Abs. 1 bis 3 StGB vornehmen, oder (2.) auf Informationen einer insoweit zuständigen Bundes- oder Landesbehörde, einer Beratungsstelle nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz oder eine Ärztekammer über einen Schwangerschaftsabbruch hinweisen.
§ 219a Abs. 4 StGB enthält einen Ausnahmetatbestand. Die dort genannten Handlungen fallen nicht mehr unter § 219a Abs: 1 StGB. Die Ausnahmevorschrift umfasst die öffentliche Information über die Tatsache, dass Ärztinnen und Ärzte sowie Krankenhäuser und sonstige Einrichtungen zugelassene Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Darüber hinaus ermöglicht die Vorschrift den öffentlichen Hinweis - etwa durch Verlinkung - auf Informationsangebote neutraler Stellen, die im Gesetz ausdrücklich benannt werden (BT-Drs 19/7693 S. 2, 7, 11). Anders als nach bisher geltendem Recht soll die bloße Information darüber, das nach § 218a Abs. 1 bis 3 StGB straflose oder nicht rechtswidrige Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden, nicht mehr unter § 219a Abs. 1 StGB fallen. Werbung bleibt dagegen weiterhin verboten (BT-Drs aa0 S.11).
Dadurch wurde die Strafbarkeit nach § 219a Abs. 1 StGB eingeschränkt. Die neue Rechtslage ist gegenüber der bisherigen Regelung, die zur Tatzeit galt, das mildere Recht (§ 2 Abs. 3 StGB). Gemäß § 354a StGB hat der Senat bei seiner Entscheidung das mildere Strafgesetz zugrunde zu legen (BGHSt 20, 116)."
Daraus ergibt sich für die Kammer gemäß § 358 Abs. 1 StPO eine Bindungswirkung insoweit, als die Möglichkeit einer Aussetzung des Verfahrens und eine Vorlage dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 GG verwehrt und daher in diesem Stadium des Verfahrens nicht mehr zu prüfen ist. Die Aufhebung erfolgte nicht aufgrund eines Verfahrensmangels, sondern auf die Sachrüge hin. Die sachlich-rechtliche Prüfung beweist, dass das Revisionsgericht das angewendete Gesetz für verfassungsgemäß gehalten und das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen bejaht hat (Meyer-Gossner/Schmitt, StPO, 62. Auflage, § 358 Rdnr. 4). Zwar enthalten die Gründe des Beschlusses des Oberlandesgerichts keine ausdrücklichen Ausführungen zur Verfassungsgemäßheit 'des § 219a StGB. Die Zurückverweisung wegen des Darlegungsmangels ist jedoch nur schlüssig unter der Prämisse, dass das Revisionsgericht die Gültigkeit des Gesetzes bejaht.
Die Berufung hat teilweise Erfolg.
Aufgrund der Berufungshauptverhandlung steht folgender Sachverhalt fest:
Die Angeklagte führt eine Arztpraxis für Allgemeinmedizin in der in . Dort führt sie unter anderem auch Schwangerschaftsabbrüche durch. Für ihre Praxis hat sie im Internet die Homepage eingerichtet, die frei zugänglich ist und direkt oder über Suchmaschinen erreicht werden kann. Die Eingabe einer E-Mail-Adresse oder eines Passwortes ist nicht erforderlich.
Auf der Homepage standen jedenfalls ab dem 29.04.2015 die Menüpunkte „Home", „Infos", „Reittherapie", „Team" und „Kontakt" zur Verfügung. Über das Menü „Infos" gelangte man zu einer Schaltfläche mit den Auswahlmöglichkeiten „Schwangerschaftsabbruch" und „Allgemeinmedizin". Beim Anklicken der Befehlsschaltfläche „Schwangerschaftsabbruch" wurde eine PDF-Datei zum Download angeboten. In dem Dokument werden auf ausgedruckt zwei DIN A4 - Seiten zunächst die gesetzlichen Voraussetzungen für einen legalen Schwangerschaftsabbruch dargelegt. Anschließend wird unter der Überschrift „Durchführung in unserer Praxis" im Einzelnen ausgeführt, welche Methoden des Schwangerschaftsabbruchs dort möglich sind und welche Schritte vor dem eigentlichen Abbruch in der Praxis zu durchlaufen sind. Unter anderem heißt es dort: „Wir führen alle drei Methoden (medikamentös, chirurgisch mit örtliche Betäubung, chirurgisch mit Vollnarkose) des Schwangerschaftsabbruchs auf Kostenübername oder für Privatzahlerinnen durch." Die unterschiedlichen Methoden des medikamentösen und des chirurgischen Schwangerschaftsabbruchs werden detailliert beschrieben, einschließlich möglicher Nebenwirkungen und Komplikationen.
Der Angeklagten war bewusst, dass sie die Informationen zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen nicht über ihre Homepage der Öffentlichkeit zugänglich machen durfte.
Im Einzelnen hat die PDF-Datei folgenden Inhalt:
Gesetzliche Voraussetzungen
• Für einen legalen Schwangerschaftsabbruch in Deutschland benötigen Sie entweder
• eine schriftliche Bescheinigung über eine Beratung bei einer nach §219StGB bzw. §7SchKG anerkannten Beratungsstelle oder
• eine schriftliche ärztliche Bescheinigung über das Vorliegen einer medizinischen oder kriminologischen Indikation nach §218StGB
Durchführung in unserer Praxis
Wir fuhren alle drei Methoden (medikamentös, chirurgisch mit örtlicher Betäubung, chirurgisch mit Vollnarkose) des Schwangerschaftsabbruchs auf Kostenübernahme oder für Privatzahlerinnen durch. Nur bei Vorliegen einer ärztlichen Indikation werden die Kosten der Behandlung von *der Krankenkasse übernommen.
Bei Ihrer Ankunft werden die Unterlagen auf Vollständigkeit überprüft. Danach findet ein Aufnahmegespräch mit der Arzthelferin oder Krankenschwester statt. Diese Kollegin bleibt dann in der, . Regel Ihre Bezugsperson während des gesamten weiteren Aufenthaltes. Im Anschluss findet das Gespräch mit der Ärztin statt. Vor dem Schwangerschaftsabbruch führt die Ärztin eine Tastuntersuchung zur Bestimmung der Lage- und Größe der Gebärmutter durch. Ebenso wird eine Ultraschalluntersuchung gemacht, um das Schwangerschaftsalter zu bestimmen.
Der weitere Verlauf unterscheidet sich beim medikamentösen und chirurgischen Abbruch.
Medikamentöser Schwangerschaftsabbruch
Ein medikamentöser Abbruch ist in Deutschland nur bis zum 63. Tag nach der letzten Regel möglich (entspricht dem 49. Tag nach der Empfängnis). Das benutzte Medikament ist ein künstliches Hormon (Mifepriston), das die Wirkung des Hormons Progesteron blockiert. Progesteron ist entscheidend an der Entwicklung und Erhaltung der Schwangerschaft beteiligt. Für die medikamentöse Methode sind zwei Termine in unserer Praxis erforderlich.
Beim ersten Besuch erfolgt die Untersuchung in,, Ultraschall. Sollte die Fruchtblase noch nicht im Ultraschall zu sehen sein, ist eine Bestimmung des Schwangerschaftshormons (3-HCG im Blut erforderlich. Anschließend werden drei Tabletten des Medikamentes unter ärztlicher Aufsicht eingenommen. Oft kommt es bereits am folgenden Tag zur Blutung. In drei Prozent der Fälle wird das Schwangerschaftsgewebe ohne weitere Behandlung in den nächsten beiden Tagen ausgestoßen. Auch in diesem Fall ist ein zweiter Besuch zur Kontrolle erforderlich.
Viele Frauen spüren jedoch keine körperliche Veränderung.
Beim zweiten Besuch in der Praxis müssen Sie mit drei bis vier Stunden Aufenthalt rechnen. Sie bekommen mehrere - Tabletten eines Medikamentes (Prostaglandin), das die Ausstoßung des Schwangerschaftsgewebes fördert. Bei vielen Frauen kommt es zu Kontraktionen der Gebärmutter und Blutungen setzen ein. Sollte es nach zwei bis drei Stunden nicht zu einer Blutung gekommen sein, wird die Gabe Prostaglandin wiederholt und eine Stunde später können Sie die Praxis in aller Regel verlassen.
Bei vielen Frauen kommt es während des Aufenthaltes in der Praxis zum Ausstoßen der Fruchtblase, aber bei jeder vierten Frau setzen die Blutungen sogar erst nach 24 Stunden ein. Sollten Sie also nicht innerhalb der drei bis vier Stunden die Fruchtblase ausgestoßen haben, so ist das kein Grund zur. Beunruhigung.
Nebenwirkungen und Komplikationen
Mögliche Nebenwirkungen sind Unterleibsschmerzen, Übelkeit und Erbrechen. Die Blutungen können stärker sein als beim chirurgischen Abbruch oder bei Ihrer Periode und länger anhalten. In ca. 1-4% versagt die Methode. Bei einer weiter bestehenden Schwangerschaft ist eine chirurgische Beendigung des Abbruchs notwendig.
Gründe gegen die medikamentöse Methode
• Konkreter Verdacht auf eine Schwangerschaft außerhalb der Gebärmutter (z.B. im Eileiter)
• Unverträglichkeit von Prostaglandinen
• Allergie gegenüber Mifepriston
• Chronische Nebenniereninsuffizienz
• Schweres Asthma (Einnahme von Cortisontabletten.)
• Leber- und Nierenversagen
Eine evtl. liegende Spirale muss entfernt werden.
Chirurgischer Schwangerschaftsabbruch
In der Regel geben wir ihnen ca. eine Stunde vor Beginn des Eingriffs Medikamente, die die Gebärmutter vorbereiten (Priming). Dadurch wird das Risiko, die Gebärmutter beim Eingriff zu verletzen, verringert. Der chirurgische Schwangerschaftsabbruch kann entweder unter lokaler Betäubung oder mit Vollnarkose durchgeführt werden. Bei einer örtlichen Betäubung wird das Betäubungsmittel in den Muttermund gegeben. Dies wird von vielen Frauen gar nicht bemerkt, obwohl die Angst davor oft groß ist. Die Nerven am Muttermund reagieren zwar auf Druck sehr empfindlich, aber nicht auf Berührung.
Die Vollnarkose wird durch einen Narkosearzt durchgeführt, der an einem Tag pro Woche in unserer Praxis anwesend ist. Die Narkosemittel werden über eine in die Armvene gelegte Nadel gegeben. Kurz darauf werden Sie müde und schlafen ein. Sie werden sich später nicht mehr an den Eingriff erinnern können. Oft erinnern die Frauen nicht einmal, dass Sie nach ca. 15 Minuten, wenn der Eingriff beendet ist,. selbständig in den Ruheraum gelaufen sind.
Zur Vorbereitung des Absaugens wird der Muttermund mit Dehnungsstäben geöffnet. Mit einem Plastikröhrchen wird anschließend das Schwangerschaftsgewebe abgesaugt. Dabei wird auch die obere Schleimhautschicht mit entfernt, die. normalerweise bei der Periode abblutet. Das Absaugen dauert nur wenige Minuten. Am Ende zieht sich die Gebärmutter zusammen, um die Blutung zu stoppen, was in etwa dem Gefühl bei der Menstruation oder den Nachwehen nach einer Geburt entspricht. Es folgt eine Kontrolle, ob die Gebärmutter vollständig entleert ist. Auch das abgesaugte Gewebe wird kontrolliert. Nach einer abschließenden Ultraschalluntersuchung gehen Sie in den Ruheraum.
Komplikationen
• Entzündungen der Unterleibsorgane
• Gewebereste, die zu verstärkten Blutungen oder auch zu Entzündungen fuhren können. In seltenen Fällen muss ein weiterer Eingriff erfolgen
• Allergische Reaktionen auf Medikamente.
• Verletzungen der Gebärmutter oder des Gebärmutterhalses sowie angrenzender Gewebe
Bei ernsten Komplikationen kann eine Verlegung ins Krankenhaus erforderlich sein.
Begleitpersonen
Oft ist es hilfreich, eine Begleitperson zum Abbruch mitzubringen. Partner oder andere Begleitpersonen wie Freunde und Freundinnen oder Verwandte sind bei uns herzlich willkommen. Sollte ein Schwangerschaftsabbruch in örtlicher Betäubung gemacht werden, ist es auch möglich, sich beim 'Abbruch in den Behandlungsraum begleiten zu. lassen. Ansonsten kann die Begleitperson in der Regel Mi. Ruheraum bei Ihnen sein.
Nach dem Abbruch
Bevor Sie die Praxis verlassen, erhalten Sie von uns ausführliche Informationen, wie Sie sich in den nächsten Tagen verhalten sollen. Bis zu 24 Stunden nach dem Eingriff sollten Sie nicht selbst Auto fahren. Sie bekommen eine Telefonnummer von uns, unter der sie jederzeit auch außerhalb der Sprechstunden jemanden erreichen können. Eine Nachuntersuchung bei Ihrer Ärztin/Ihrem Arzt oder in unserer Praxis ist ca. 14 Tage nach dem Abbruch erforderlich. (Beim Medikamentösen Abbruch zwischen dem 10. und 14. Tag nach Mifegyne-Einnahme) Nur dann kann gewährleistet werden, dass der Abbruch vollständig war und keine gesundheitlichen Nachteile fur Sie entstehen.
Verhütung
Der erste Eisprung nach dem Abbruch findet nach ca: zwei bis vier Wochen statt. Dementsprechend setzt die nächste Regelblutung nach vier bis sechs Wochen ein. Da Sie direkt nach dem Abbruch wieder empfängnisbereit sind, sollte die Frage der anschließenden Verhütung geklärt sein. Bitte besprechen Sie dieses Thema mit Ihrer Ärztin/Ihrem Arzt. Zur Unterstützung der Gebärmutterrückbildung ist es möglich, direkt mit der Pale zu beginnen. Dies wird aus medizinischen Gründen fir den medikamentösen Abbruch empfohlen.
Essen und Trinken, Medikamente
2 Tage vor dem Eingriff dürfen kein Aspirin oder sonstige Mittel mit Acetylsalicylsäure eingenommen werden. Sollten ie andere Blutverdünnende Medikamente nehmen oder eine Blutgerinnungsstörung haben, besprechen Sie bitte 'mit uns vorab das weitere Vorgehen.
Beim chirurgischen Abbruch mit örtlicher Betäubung es sinnvoll, eine leichte Mahlzeit zu sich zu nehmen, aber nicht später als zwei Stunden vorher.
Beim chirurgischen Abbruch mit Vollnarkose dürfen Sie 6 Stunden vorher auf keinen Fall essen, trinken oder rauchen. (Nikotin regt die Magensäure an und im Notfall könnte säurehaltige Flüssigkeit in die Lunge gelangen!) Bis 1 Stde. vor, dem Termin können Sie klare Flüssigkeit (ohne Milch und Zucker) zu sich nehmen.
Schwangerschaftsabbruch - Bild
Was müssen sie mitbringen?
• Beratungsbescheinigung über die nach § 219 StGB durchgeführte Beratung oder Indikation nach § 218 StGB
• Blutgruppennachweis
• Versichertenkarte
• Kostenübernahmebescheinigung oder Bargeld
• Überweisungsschein der Frauenärztin/des Frauenarztes
- Sie sollten bequeme Kleidung tragen sowie Damenbinden, Socken und ein Badehandtuch für Ihren Aufenthalt im Ruheraum mitbringen.
Die Angeklagte erhält für einen durchgeführten Schwangerschaftsabbruch das dafür vorgesehene ärztliche Honorar.
Die Angeklagte betreibt ihre Praxis-Homepage im Wesentlichen unverändert weiter. Die wortgleichen zweiseitigen Informationen zum Schwangerschaftsabbruch sind inzwischen unmittelbar und nicht in Form einer PDF-Datei auf der Seite eingestellt.
Die Angeklagte erstrebt die Abschaffung des § 219a StGB. Der gesellschaftliche Konflikt und die gesetzgeberische Entwicklung sind ihr bekannt, insbesondere auch die Reichweite der Strafvorschrift des § 219a StGB in der alten Fassung und in der Fassung vom 22.03.2019.
IV.
Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen beruhen auf den glaubhaften entsprechenden Angaben der Angeklagten. Soweit die Angeklagte zu der konkreten Höhe ihres Nettoeinkommens keine Angaben gemacht hat, beruht die entsprechende Feststellung auf einer Schätzung der Kammer, § 40 Abs. 3 StGB. Dabei hat die Kammer berücksichtigt, dass die Angeklagte die allgemeine Praxistätigkeit nur an drei bis vier Tagen pro Woche ausübt und mit den durchgeführten Reittherapien nach ihren unwiderlegten Angaben keinen Gewinn erzielt.
Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus der ausweislich der Sitzungsniederschrift durchgeführten Beweisaufnahme, insbesondere der geständigen Einlassung der Angeklagten.
Die Angeklagte hat eingeräumt, die Homepage zu betreiben. Vom Inhalt der Praxis-Homepage der Angeklagten hat sich die Kammer durch Verlesen und Inaugenscheinnahme der Screenshots und der ausgedruckten PDF-Datei Überzeugung verschafft. Zudem wurde der Aufbau der Homepage von dem Zeugen detailliert dargestellt und von der Angeklagten bestätigt. Insbesondere hat die Angeklagte eingeräumt, dass bereits zum Zeitpunkt der Anzeigenerstattung in dieser Sache im April 2015 die PDF-Datei zum Schwangerschaftsabbruch mit dem Inhalt, wie in der Berufungshauptverhandlung verlesen, zum Download auf ihrer Homepage eingestellt und öffentlich zugänglich war. Diese Datei sei bis heute inhaltlich unverändert, allerdings seit einiger Zeit nicht mehr als Download, sondern direkt auf der Homepage über die Schaltfläche Schwangerschaftsabbruch aufrufbar.
Die Angeklagte hat auch eingestanden, bewusst gegen § 219a StGB zu verstoßen, um eine Rechtsänderung auf politischem Wege zu inszenieren oder über eine Vorlage beim Bundesverfassungsgericht gem. Art. 100 GG bzw. eine Verfassungsbeschwerde die verfassungsrechtliche Überprüfung der Norm zu erreichen. Sie ist der Auffassung, die Vorschrift verstieße in der ursprünglichen, aber auch in der gegenwärtigen Fassung mit eingefügtem Absatz 4 gegen die Kernbereiche der Artikel 5 und 12 des Grundgesetzes zur Informations- und Berufsfreiheit.
Aufgrund des festgestellten Sachverhaltes ist die Angeklagte schuldig des Werbens für den Abbruch der Schwangerschaft gemäß § 219 a Abs. 1 StGB.
1.
Die festgestellte Tathandlung der Angeklagten erfüllt den objektiven Tatbestand des § 219a Abs. 1 Nr. 1 StGB.
Die Angeklagte hat eigene Dienste zur Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs angeboten. Unter Anbieten im Sinne von § 219a Abs. 1 StGB ist eine einseitige Erklärung der Bereitschaft zur Vornahme des Schwangerschaftsabbruchs zu verstehen (Leipziger Kommentar-Kröger, StGB, 12. Aufl., § 219a Rdnr. 4). Die Angeklagte hat auf ihrer Homepage dargelegt, dass sie in ihrer Praxis Schwangerschaftsabbrüche durchführt, die zur Auswahl stehenden Methoden (medikamentös oder chirurgisch) aufgezählt, die Methoden detailliert erläutert, einschließlich möglicher Nebenwirkungen, Komplikationen bzw. Nachteile der jeweiligen Methode und den Ablauf in ihrer Praxis dargestellt.
Zwar sind die Informationen aufklärend und sachlich. Auch die sachliche Information ohne besonderen werbenden Charakter ist jedoch von der Strafandrohung des § 219a Abs. 1 StGB erfasst, wenn das Anerbieten von einer geldwerten Gegenleistung abhängig gemacht ist. Das ist hier der Fall, denn die Angeklagte zählt in den Informationen zum Schwangerschaftsabbruch unter der Überschrift „Was müssen Sie mitbringen?" explizit die Kostenübernahmeerklärung oder Bargeld auf.
Eine Auslegung des Tatbestandsmerkmals „anbieten" nach Wortsinn und unter Berücksichtigung des Normzwecks und der Gesetzessystematik führen zu keinem anderen Ergebnis. Zwar bezeichnet die amtliche Überschrift der Strafnorm die Tathandlung als Werbung, worunter grundsätzlich eine gezielte oder auch indirekte (psychologische) Beeinflussung zu meist kommerziellen Zwecken zu verstehen ist. Nach dem unmittelbaren Normzweck des als abstraktes Gefährdungsdelikt ausgestalteten § 219a StGB soll jedoch im Hinblick auf Schwangerschaftsabbrüche jeder ansonsten im standesrechtlichen Rahmen erlaubte Wettbewerb um Patientinnen verhindert werden. Denn dem Schutz des ungeborenen Lebens steht die Kommerzialisierung von Schwangerschaftsabbrüchen (BT-Drs. 7/1981, 17; Prot. 7/1646), die nach dem eigentlichen Gesetzeswortlaut bereits beim Vorliegen einer Aufforderung zur Abgabe eines Angebots im Hinblick auf eine entgeltliche Leistung gegeben ist, entgegen. Der Zweck des Verbots des Anbietens eigener Dienste zur Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs wird auch durch den Annexcharakter, der Vorschrift zum Verbot des Schwangerschaftsabbruchs in § 218 Abs. 1 StGB deutlich.
Eine andere Auslegung der Tathandlung des Anbietens gebietet schließlich auch nicht die am 29.03.2019 in Kraft getretenen Vorschrift des § 219a Abs. 4 StGB. Eine grundlegende strukturelle Veränderung des § 219a Abs. 1 StGB hat der Gesetzgeber durch die Einfügung von § 219a Abs. 4 StGB gerade nicht vorgenommen. Vielmehr wurde § 219a StGB in dem neuen Absatz 4 um einen weiteren Ausnahmetatbestand (zu den bereits bestehenden Einschränkungen nach den Absätzen 2 und 3) ergänzt (BT-Drs. 19/7693), der unter den Voraussetzungen der Ni. 1 (Hinweis auf die Tatsache, dass Schwangerschaftsabbrüche unter den Voraussetzungen des § 218a Abs. 1 bis 3 StGB vorgenommen werden) und Ni. 2 (Verweis auf Informationen einer insoweit zuständigen Bundes- oder Landesbehörde, einer Beratungsstelle oder einer Ärztekammer) Tathandlungen des § 219a Abs. 1 StGB tatbestandslos stellt. Die in § 219a Abs. 1 StGB aufgeführten Tathandlungsvarianten des Anbietens, Ankündigens und Anpreisens blieben unangetastet. In der Begründung für den Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Information über einen Schwangerschaftsabbruch vom 12.02.2019 (BT-Drs. 19/7693) ist zudem ausdrücklich klargestellt, dass § 219a StGB - anders als dessen Überschrift nahelegt - nicht nur werbende Handlungen unter Strafe stellt, sondern bei Personen, die wegen eines eigenen Vermögensvorteils handeln, worunter insbesondere auch Ärztinnen und Ärzte fallen, die selbst Schwangerschaftsabbrüche durchführen, vielmehr schon die bloße Information darüber, dass sie einen nach § 218a Abs. 1 bis 3 StGB straflosen Schwangerschaftsabbruch durchführen, erfasst, sofern dies öffentlich geschieht.
Das Angebot der Angeklagten ist nach Maßgabe von § 219a Abs. 1 StGB öffentlich, da es sich um eine im Internet frei zugängliche Seite handelte.
2.
Jedoch ist nach dem neu eingefügten § 219a Abs. 4 Nr. 1 StGB die Tathandlung der Angeklagten tatbestandslos, soweit sie darüber informiert hat, dass sie Schwangerschaftsabbrüche als eigene Dienste vornimmt.
Der neu eingefügte § 219a Abs. 4 StGB ist anwendbar. Zwar war die angeklagte Tat vor Inkrafttreten dieser Vorschrift bereits beendet. Die neue Rechtslage ist jedoch gegenüber der bisherigen Regelung, die zur Tatzeit galt, nach Maßgabe von § 2 Abs. 3 StGB das mildere Recht, da die Strafbarkeit nach § 219 Abs. 1 StGB eingeschränkt wurde.
Anders als nach bisher geltendem Recht gilt nunmehr bei bloßer Information darüber, dass nach § 218a Abs. 1 bis 3 StGB straflose oder nicht rechtswidrige Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden, § 219a Abs. 1 StGB nicht. Durch den Hinweis auf die gesetzlichen Voraussetzungen für einen legalen Schwangerschaftsabbruch und die Erläuterung, dass die Patientinnen entweder eine schriftliche Bescheinigung über eine Beratung bei einer anerkannten Beratungsstelle oder eine schriftliche ärztliche Bescheinigung über das Vorliegen einer medizinischen oder kriminologischen Indikation benötigen, geht aus der Homepage der Angeklagten ausreichend hervor, dass sie Schwangerschaftsabbrüche nur unter den Voraussetzungen des § 218a Abs. 1 bis 3 StGB durchführt.
Der Hinweis auf der Homepage der Angeklagten auf die angewandten Behandlungsmethoden, die detaillierten Beschreibungen der jeweiligen Methoden und die Darstellung des Ablaufs der Behandlung in der Praxis, von der Überprüfung der Unterlagen auf Vollständigkeit, über Aufnahmegespräch, Arztgespräch, den einzelnen Untersuchungen und dem eigentlichen Eingriff, bis hin zur Nachuntersuchung, gehen jedoch über die - straflose - Information hinsichtlich der Frage, „ob" Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden, weit hinaus. Die Angeklagte informiert hier ausführlich über das „Wie" der von ihr durchgeführten Schwangerschaftsabbrüche und handelte damit insoweit auch unter Berücksichtigung der Ausnahmeregelung in § 219a Abs. 4 StGB tatbestandsmäßig im Sinne von § 219a Abs. 1 Nr. 1 StGB.
Eine Auslegung dahingehend, dass auch ärztliche Angaben zur Art und Weise des Schwangerschaftsabbruchs unter § 219a Abs. 4 StGB fallen und damit nicht tatbestandsmäßig wären, ist weder mit der Gesetzessystematik noch mit dem Willen des Gesetzgebers in Einklang zu bringen.
Zum einen hätte eine so verstandene Auslegung von § 219a Abs. 4 Nr. 1 StGB zur Folge, dass für den ebenfalls eingefügten § 219a Abs. 4 Nr. 2 StGB kein Anwendungsraum mehr verbliebe. Denn einer gesonderten Erwähnung, dass (auch) die in Nr. 2 genannten mittelbaren Hinweise auf (eigene) ärztliche Behandlungsmethoden straflos sind, hätte es dann nicht mehr bedurft (KG, Beschluss vom 19.112019, (3) 121 SS 143/19 (80 + 81/19)). Daher spricht schon die Systematik für einen engen Anwendungsbereich von § 219a Abs. 4 Nr. 1 StGB.
Des Weiteren ergibt sich aus dem Bericht und der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages vom 20.02.2019 (BT-Drs. 19/7965), dass eine Erlaubnis für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte zur Information über die angewandten Behandlungsmethoden im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren zwar erwogen worden ist, aber sich dafür keine Mehrheit gefunden hat und daher die Möglichkeit der Verlinkung der Homepage der Ärztekammer als Kompromiss geschaffen worden war. Diesem gesetzgeberischen Willen liefe eine Auslegung des § 219a Abs. 4 StGB dahingehend, dass die behandelnden Ärztinnen und Ärzte unmittelbar auf der eigenen Homepage über die angewandten Schwangerschaftsmethoden informieren dürfen, gerade zuwider.
Schließlich ist eine abweichende Auslegung des § 219a Abs. 4 StGB auch nicht von Verfassungs wegen geboten. Das in § 219a StGB enthaltene Verbot, über § 219a Abs. 4 StGB hinausgehend Informationen zu verbreiten, stellt lediglich einen Eingriff auf unterster Ebene in die Freiheit der Berufsausübung nach Art. 12 Abs. 1 GG dar und ist bloße Folge der Entscheidung für den Arztberuf. Die Einschränkung von ärztlichen Informationsrechten wird durch die in § 219a Abs. 4 Nr. 2 StGB eröffnete Möglichkeit, eine Verlinkung zur Seite der Bundesärztekammer herzustellen, auf ein minimales Eingriffsniveau abgesenkt (KG, aa0) und ist im Hinblick auf den gesetzgeberischen Zweck, der Kommerzialisierung von Schwangerschaftsabbrüchen entgegenzuwirken, nicht unangemessen. Dabei ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass sich die Einschränkungen nur auf öffentliche Informationen beziehen und die Information über die praktizierten Behandlungsmethoden in der persönlichen Beratung vollumfänglich möglich ist.
3.
Die Angeklagte handelte auch subjektiv tatbestandsmäßig. Sie hat die Informationen über die Methoden der von ihr durchgeführten Schwangerschaftsabbrüche und den Ablauf in der Praxis wissentlich und willentlich über ihre Praxis-Internetseite der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und damit die Tathandlung mit direktem Vorsatz begangen. Dabei hat sie um ihres Vermögensvorteils wegen im Sinne von § 219a Abs. 1 StGB gehandelt, denn ausreichend ist insoweit die Erwartung des regulären Honorars (Fischer, StGB, 67. Auflage, § 219a Rdnr. 13).
4.
Die Angeklagte handelte rechtswidrig und schuldhaft. Insbesondere liegt kein Verbotsirrtum im Sinne des § 17 StGB vor. Die Angeklagte strebt eine Abschaffung des § 219a StGB an. Sie hat eingeräumt, bewusst gegen § 219a StGB zu verstoßen, um eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsgemäßheit bzw. die Verfassungswidrigkeit der Norm entweder durch eine Vorlage nach Art. 100 GG oder-, nach rechtskräftiger Verurteilung - durch eine Verfassungsbeschwerde zu erreichen. Dementsprechend hat sie nach eigenen Angaben die Informationen über die praktizierten Schwangerschaftsabbruchsmethoden auch unverändert auf ihrer Homepage eingestellt.
Dass sie mit der öffentlichen Bereitstellung der Informationen gegen geltendes Recht, nämlich § 219a StGB, verstößt, war der Angeklagten - wie sie selbst eingeräumt hat - auch bereits seit dem Jahre 2009 bekannt, als ein gleichgelagertes Ermittlungsverfahren gegen sie aufgrund eines unvermeidbaren Verbotsirrtums unter Darstellung der Rechtslage eingestellt worden war.
VI.
Für die Bemessung der zu verhängenden Strafe eröffnet § 219a StGB einen Strafrahmen, der von Geldstrafe bis 2 Jahre Freiheitsstrafe reicht.
Bei der konkreten Strafzumessung war strafmildernd zu berücksichtigen, dass die Angeklagte nicht vorbestraft ist und der angeklagte Tatzeitraum bis April 2015 und daher mehr als vier Jahre zurückreicht. Zugunsten der Angeklagten wirkte sich auch ihr Geständnis aus. Zudem verkennt die Kammer nicht, dass die Angeklagte keine eigennützigen Ziele verfolgt und es ihr auch nicht darum geht, sich im Wettbewerb mit anderen Medizinern einen finanziellen Vorteil zu verschaffen. Schließlich war der Angeklagten zugute zu halten, dass nach der Reform des § 219a StGB sich ihr Fehlverhalten nunmehr auf die Information über das „Wie" der praktizierten Schwangerschaftsabbrüche beschränkt und diese Informationen sachlich dargestellt sind.
Demgegenüber fiel nicht zu Lasten der Angeklagten ins Gewicht, dass das Einräumen des objektiven Tatgeschehens und des Wissens um die Rechtslage nicht mit einer Einsicht und Verhaltensänderung einhergeht, sondern der Verstoß gegen geltendes Recht bewusst hingenommen und beibehalten wird. Denn diese Haltung der Angeklagten lässt nicht auf eine kriminelle Energie oder beharrliche Ignoranz der Rechtsordnung schließen, sondern ist in ihrem politischen Bestreben, um eine Abschaffung des § 219a StGB begründet, die nur über eine Anrufung des Bundesverfassungsgerichts oder eine weitergehende Gesetzesreform erreicht werden kann.
Unter Berücksichtigung aller für und gegen die Angeklagten sprechenden Umstände, insbesondere der vorgenannten, erschien der Kammer eine
Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 100,- €
tat- und schuldangemessen.
Die Tagessatzhöhe basiert auf dem geschätzten Nettoeinkommen der Angeklagten in Höhe von 3.000,- € und ihren persönlichen Verhältnissen, wie sie die Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung angegeben hat.
Die Geldstrafe konnte nicht vorbehalten bleiben. Die Voraussetzungen des § 59 Abs. 1 StGB liegen nicht vor. Denn die Angeklagte ist gerade nicht im Sinne des geltenden Rechts belehrbar und die Gewähr einer dementsprechenden Verhaltensänderung ist gerade nicht gegeben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 StPO.