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Verwertbarkeit von Informationen aus einer unwirksamen Schweigepflichtentbindung

 | Gericht:  Bundesgerichtshof (BGH) Karlsruhe  | Aktenzeichen: IV ZR 140/08 | Entscheidung:  Urteil
Kategorie Ausübung des zahnärztlichen Berufs , Berufliche Kommunikation

Urteilstext

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 21. Mai 2008 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

 

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt Leistungen aus einer beim Beklagten, einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, abgeschlossenen selbständigen Berufsunfähigkeitsversicherung nebst Erstattung gezahlter Prämien und vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten sowie die Feststellung des Fortbestands dieses Versicherungsvertrages.

 

Der Kläger beantragte am 16. Juli 2004 über eine Versicherungsmaklerin beim Beklagten den Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung. Im Antragsformular, das der für die Maklerin auftretende Zeuge S. ausfüllte, wurden insbesondere die Fragen nach Krankheiten, Unfallfolgen oder körperlichen Schäden des Rückens oder Nackens innerhalb der letzten fünf Jahre verneint. Tatsächlich war der Kläger im Dezember 1999, im Juli 2001 und im Mai 2004 jeweils wegen Rückenschmerzen, die zumindest mit drei Massageterminen therapiert wurden, bei seinem Hausarzt in Behandlung gewesen.

 

Im Februar 2005 beantragte der Kläger unter Beifügung einer generellen Schweigepflichtentbindungserklärung, deren genauer Inhalt nicht feststeht, beim Beklagten Leistungen wegen Berufsunfähigkeit, da er wegen einer psychischen Erkrankung seine bisherige Tätigkeit als angestellter Musiklehrer dauerhaft nicht mehr ausüben könne. Unter Hinweis auf unrichtige Angaben zu den Gesundheitsfragen bei Stellung des Versicherungsantrages trat der Beklagte im Oktober 2005 vom Vertrag zurück und focht seine Annahmeerklärung wegen arglistiger Täuschung an.

 

Der Kläger behauptet, nach seinem Wissen hätten den genannten Behandlungen beim Hausarzt lediglich harmlose Muskelverspannungen zu Grunde gelegen. Gleichwohl habe er diese dem Zeugen S. mitgeteilt. Dieser habe jedoch geäußert, wegen der Folgenlosigkeit der Beschwerden müsse hierzu nichts angegeben werden.

 

Der Kläger ist der Ansicht, da er keine gefahrerheblichen und daher mitteilungsbedürftigen Umstände verschwiegen habe, sei der Beklagte weder zum Rücktritt noch zur Anfechtung berechtigt. Selbst wenn jedoch ein Anfechtungsgrund vorgelegen hätte, wäre der Beklagte nach Treu und Glauben nur zu einer eingeschränkten Anfechtung berechtigt, die den Versicherungsvertrag nicht vollständig beseitigt, sondern lediglich zu einem Ausschluss von Wirbelsäulenerkrankungen geführt hätte. Außerdem habe der Beklagte die vom Hausarzt erlangten Erkenntnisse ohnehin nicht verwerten dürfen, denn die erteilte Schweigepflichtentbindung sei unwirksam, da zu unbestimmt und zu weitgehend.

 

Der Beklagte behauptet, der Hausarzt habe dem Kläger bei den Behandlungen seiner Beschwerden jeweils zutreffende Diagnosen (insbesondere HWS/BWS- und LWS-Syndrom) in einer für einen Laien verständlichen Form mitgeteilt. Wegen der Beschwerden sei der Kläger zudem medikamentös und physiotherapeutisch behandelt worden. Die pflichtgemäße Angabe der Rückenbeschwerden bei Antragstellung hätte dazu geführt, dass der Beklagte den Versicherungsvertrag nur unter Ausschluss von Wirbelsäulenerkrankungen abgeschlossen hätte.

 

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht die Berufung zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein ursprüngliches Begehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

 

I.

Das Berufungsgericht hat den Versicherungsvertrag aufgrund der Anfechtung der Vertragsannahme wegen arglistiger Täuschung (§ 123 Abs. 1 BGB, § 22 VVG a.F.) als insgesamt nichtig (§ 142 Abs. 1 BGB) angesehen, weshalb der Beklagte leistungsfrei sei und ihm gleichwohl die gezahlten Prämien gebührten (§§ 40 Abs. 1, 9 VVG a.F.).

 

Die Frage nach Krankheiten oder körperlichen Schäden des Rückens habe der Kläger unzutreffend verneint. Aufgrund der Bekundungen des Hausarztes stehe fest, dass bei allen drei Behandlungsterminen Wirbelsäulenerkrankungen diagnostiziert und medikamentös sowie physiotherapeutisch behandelt worden seien. In allen Fällen sei eine Krankschreibung erfolgt. Der Kläger habe seine jeweiligen Beschwerden auch als gravierende, regelwidrige Zustände empfunden. Bei pflichtgemäßen Angaben des Klägers hätte der Beklagte den Versicherungsvertrag allenfalls unter Ausschluss von Wirbelsäulenerkrankungen abgeschlossen.

 

Der Kläger habe arglistig gehandelt, da ihm die nicht angegebenen Behandlungen bekannt gewesen seien und er es zumindest für möglich gehalten und damit gerechnet habe, dass der Beklagte die nicht offenbarten Umstände in seine Risikoprüfung einbeziehen werde und dies zu einer Einschränkung des Versicherungsschutzes hätte führen können. Durch die Aussage des Hausarztes stehe fest, dass der Kläger von diesem über die Ursachen der Rückenbeschwerden - insbesondere auch Wirbelblockierungen mit Nervenirritation - jeweils unmissverständlich informiert worden sei. Die behaupteten Angaben des Klägers gegenüber dem Zeugen S. zu Arztbesuchen wegen Muskelverspannungen seien daher schon unzureichend, da irreführende Verkürzungen. Zudem sei aber durch die Beweisaufnahme widerlegt, dass der Kläger den Zeugen S. wie behauptet informiert habe.

 

Ein Verwertungsverbot bezüglich der durch die Nachfrage des Beklagten beim Hausarzt gewonnen Informationen bestehe nicht. Zwar sei die im April 2005 erteilte Schweigepflichtentbindungserklärung als unwirksam anzusehen. Ihren genauen Inhalt hätten die Parteien nicht vorgetragen. Es sei aber davon auszugehen, dass die Schweigepflichtentbindung den Vorgaben, die das Bundesverfassungsgericht inzwischen im Beschluss vom 23. Oktober 2006 (VersR 2006, 1669) aufgestellt habe, nicht entsprochen habe, denn vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts seien allgemein umfassende Ermächtigungserklärungen verwendet worden. Dies führe jedoch nicht zu einem Verwertungsverbot. Entschließe sich ein Arzt nach Prüfung, Informationen preiszugeben, seien diese grundsätzlich verwertbar. Das Berufungsgericht habe auch nicht etwa verfahrenswidrig an der Herbeiführung der Aussage mitgewirkt. Zudem werde kein heimlicher Grundrechtseingriff perpetuiert, sondern der Beklagte habe sich offen Informationen verschafft, an denen er ein berechtigtes Interesse gehabt habe. Die Geltendmachung einer Berufsunfähigkeit wegen einer psychischen Erkrankung habe den Beklagten berechtigt, die Krankheitsgeschichte des Klägers umfassend aufzuklären, weshalb der Kläger entsprechende Entbindungserklärungen hätte abgeben müssen. Es komme daher nicht darauf an, ob der Beklagte auch zu Nachforschungen berechtigt gewesen wäre, die speziell auf die Aufdeckung einer arglistigen Täuschung gezielt hätten. Eine Gesamtabwägung ergebe, dass das Verwertungsinteresse des Beklagten das Geheimhaltungsinteresse des Klägers überwiege.

 

II.

Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.

 

1.

Die Feststellungen des Berufungsgerichts zum Vorliegen einer arglistigen Täuschung durch unrichtige Angaben im Versicherungsantrag werden von der Revision als solche nicht mehr angegriffen. Sie wendet stattdessen ein, der Beklagte sei in seinem Anfechtungsrecht darauf beschränkt, den Versicherungsvertrag nicht insgesamt zu vernichten, sondern auf einen Vertrag unter Ausschluss von Erkrankungen der Wirbelsäule zu reduzieren. Denn einen solchen Vertrag hätte der Beklagte auch in Kenntnis der verschwiegenen Umstände abgeschlossen.

 

Damit kann die Revision keinen Erfolg haben.

 

a)

Der zur Anfechtung Berechtigte hat nach § 142 Abs. 1 BGB die Möglichkeit, entweder am betroffenen Rechtsgeschäft festzuhalten oder dieses insgesamt und mit Rückwirkung (ex tunc) unwirksam zu machen. Der Senat hat die Geltung der umfassenden Nichtigkeitsfolge der Anfechtung für das Versicherungsrecht im Senatsurteil vom 1. Juni 2005 (BGHZ 163, 148) ausdrücklich bestätigt und dabei insbesondere den Umstand berücksichtigt, dass dem Versicherer trotz der anfänglichen Unwirksamkeit gemäß § 40 Abs. 1 VVG a.F. die vereinbarten Prämien verbleiben. Weder muss sich der arglistig Getäuschte danach auf eine zeitliche Beschränkung der Nichtigkeitsfolge verweisen lassen, noch muss er sich grundsätzlich eine inhaltliche Beschränkung entgegenhalten lassen. Das Recht zur Arglistanfechtung eröffnet die Möglichkeit, sich von einer durch Täuschung beeinflussten Willenserklärung vollständig zu lösen. Der Erklärende wird auch nicht an einer hypothetischen Erklärung festgehalten, die er bei Kenntnis der wahren Sachlage abgegeben hätte. Für die von der Revision eingeforderte Kausalitätserwägung ist insoweit kein Raum.

 

Zwar mag es Fallgestaltungen geben, in denen der Anfechtungsberechtigte auch einen Mittelweg beschreiten und lediglich einzelne, inhaltlich abgrenzbare Teile des Rechtsgeschäfts vernichten kann (vgl. BAG NJW 1970, 1941). Mit einer solchen Möglichkeit des Anfechtungsberechtigten korrespondiert jedoch grundsätzlich keine Pflicht, hiervon auch Gebrauch zu machen.

 

b)

Der Streitfall gibt keinen Anlass, von diesem Grundsatz abzuweichen. Die von der Revision geforderte Beschränkung der Anfechtungswirkung würde das vom arglistig täuschenden Antragsteller zu tragende Aufdeckungsrisiko sachwidrig auf den Versicherer verlagern. Dieser bliebe im Falle der Nichtaufdeckung der Falschangaben durch einen Vertrag verpflichtet, den er ohne die Täuschung nicht mit diesem Inhalt abgeschlossen hätte. Demgegenüber bliebe dem Täuschenden selbst im Falle der Aufdeckung seines arglistigen Verhaltens immer noch ein Vertrag erhalten, zu dessen Abschluss der Versicherer nur bei ordnungsgemäßen Angaben bereit gewesen wäre. Die Versuchung eines Antragstellers, Vorerkrankungen zu verschweigen, würde hierdurch in nicht hinnehmbarer Weise gesteigert (vgl. dazu BGHZ 163, 148, 153).

 

2.

Auch soweit die Revision geltend macht, mangels wirksamer Schweigepflichtentbindungserklärung (vgl. BVerfG aaO) sei der Beklagte an der Verwertung der durch die Befragung des Hausarztes erlangten Informationen gehindert gewesen, kann sie damit nicht durchdringen. Zwar ist - nachdem das Berufungsgericht zum Inhalt der vom Kläger abgegebenen Erklärung keine näheren Feststellungen getroffen hat - davon auszugehen, dass eine wirksame Entbindung des Hausarztes von der Schweigepflicht und eine wirksame Ermächtigung des Beklagten, bei diesem selbständig Informationen über den Gesundheitszustand des Klägers einzuholen, nicht vorgelegen haben. Dies führt jedoch weder dazu, dass der Beklagte materiell-rechtlich daran gehindert wäre, seine Arglistanfechtung auf die erlangten Informationen zu stützen, noch dazu, dass die Angaben, die der Hausarzt vor dem Berufungsgericht als Zeuge gemacht hat, prozessual nicht verwertbar wären.

 

a)

Dabei kann dahinstehen, ob - wofür einiges spricht - die Erhebung der Gesundheitsdaten durch den Beklagten wegen des Fehlens einer wirksamen Einwilligung des Klägers als rechtswidrig anzusehen ist. Denn selbst in diesem Falle wäre der Beklagte hier nicht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) daran gehindert, sich im Rahmen der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung auf die mittels der zu weit gefassten Schweigepflichtentbindung gewonnenen Erkenntnisse über verschwiegene Vorerkrankungen zu berufen. Die Anfechtung wäre auch dann keine unzulässige Rechtsausübung.

 

Nicht jedes rechts- oder pflichtwidrige Verhalten führt stets oder auch nur regelmäßig zur Unzulässigkeit der Ausübung der hierdurch erlangten Rechtsstellung. Treuwidriges Verhalten eines Vertragspartners kann zwar dazu führen, dass ihm die Ausübung eines ihm zustehenden Rechts zu versagen ist, wenn er sich dieses Recht gerade durch das treuwidrige Verhalten verschafft hat (vgl. BGHZ 57, 108, 111). Entsprechendes gilt, wenn das treuwidrige Verhalten darauf gerichtet war, die tatsächlichen Voraussetzungen der Rechtsausübung zu schaffen, etwa die zur Ausübung eines Rücktritts- oder Anfechtungsrechts erforderliche Tatsachenkenntnis zu erlangen. Lässt sich - wie hier - ein solches zielgerichtet treuwidriges Verhalten nicht feststellen, so muss durch eine umfassende Abwägung der maßgeblichen Umstände des Einzelfalls entschieden werden, ob und inwieweit einem Beteiligten die Ausübung einer Rechtsposition nach Treu und Glauben verwehrt sein soll (vgl. BGHZ 68, 299, 304; 55, 274, 279 f.; Looschelders/Olzen in Staudinger, BGB [2005] § 242 Rdn. 220, 251). Dies muss umso mehr gelten, wenn beiden Seiten ein Rechtsverstoß zur Last fällt.

 

Die danach im Streitfall gebotene Abwägung der Parteiinteressen und sonstigen Fallumstände ergibt, dass das Interesse des Klägers, den Beklagten an der Verwendung der rechtswidrig erhobenen Gesundheitsdaten zu seinem Nachteil zu hindern, hinter dem Interesse des Beklagten zurückstehen muss, sich von dem nur mittels arglistiger Täuschung zustande gekommen Vertrag zu lösen.

 

aa)

Das Interesse des Klägers an der Geheimhaltung seiner Gesundheitsdaten und Kontrolle des Umgangs damit ist ein Schutzgut von hohem Rang, das verfassungsrechtlich durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 1, 2 GG; vgl. z.B. BVerfGE 84, 192, 194 f. m.w.N.) gewährleistet und auf der Ebene des einfachen Rechts insbesondere durch §§ 3 Abs. 9, 4 Abs. 1, 28 Abs. 6 BDSG sowie durch den neu geschaffenen - im Streitfall jedoch noch nicht anwendbaren - § 213 VVG geschützt ist. Dies zeigt sich insbesondere daran, dass eine Verwendung von Gesundheitsdaten nach den genannten Vorschriften grundsätzlich nur mit Einwilligung des Betroffenen und im Übrigen nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässig ist. Demzufolge ist auch das Interesse des Klägers, Informationen über ihn betreffende Erkrankungen - aktuelle wie vergangene - geheim zu halten und den Umgang damit zu kontrollieren, grundsätzlich hoch einzustufen.

 

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, insbesondere der Schutz von Gesundheitsdaten, gilt auch im Rahmen von Versicherungsverträgen. Der Schutzumfang wird im Verhältnis der Vertragspartner einer Berufsunfähigkeitsversicherung jedoch dadurch modifiziert, dass es dem Versicherungsnehmer von Gesetzes wegen obliegt, dem Versicherer relevante Informationen über seinen Gesundheitszustand sowohl vor Vertragsschluss (§ 16 VVG a.F.) als auch im Leistungsfall (§ 34 VVG a.F.) zugänglich zu machen, soweit dies zur Einschätzung des Risikos bzw. zur Prüfung der Leistungspflicht des Versicherers erforderlich ist. Das trägt dem legitimen Interesse des Versicherers an der Kenntnis und der Verwendung dieser Informationen Rechnung. Verstößt der Versicherungsnehmer gegen die Informationsobliegenheiten, kann der Versicherer daran vertragsrechtliche Sanktionen bis hin zur Leistungsfreiheit knüpfen (§ 6 Abs. 3 Satz 1 VVG a.F.) bzw. sich sogar vom Vertrag insgesamt lösen (§§ 17, 22 VVG a.F.). Das Recht missbilligt es zwar, wenn der Versicherer sich die Gesundheitsdaten ohne wirksame Einwilligung des Versicherungsnehmers selbst verschafft und schützt hierdurch dessen Dispositionsbefugnis über die ihn betreffenden Gesundheitsdaten. Die Kenntnis des Versicherers von diesen Daten und deren Verwendung werden als solche dagegen nicht beanstandet, sondern als für die ordnungsgemäße Vertragsdurchführung letztlich unverzichtbar anerkannt. Ein gesetzlich anerkanntes Interesse des Versicherungsnehmers, seine relevanten Gesundheitsdaten geheim zu halten und trotzdem in den Genuss von Versicherungsleistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung zu kommen, besteht demgegenüber nicht.

 

Im Streitfall hat der Kläger bei Vertragschluss Informationen zu Vorerkrankungen wenigstens bedingt vorsätzlich verschwiegen, um sich auf diese Weise einen Versicherungsschutz zu erschleichen, der ohne die Täuschung in dieser Form für ihn nicht zu erlangen gewesen wäre. Mit diesem Verhalten hat er sich seinerseits bewusst gegen die Rechtsordnung gestellt. Sein Bestreben, den Beklagten an der Verwendung eben dieser Informationen nur deshalb zu hindern, weil der Beklagte seine Kenntnisse gestützt auf eine zu weit gefasste Schweigepflichtentbindung erworben hat, verdient daher im konkreten Fall - trotz des abstrakt betrachtet hohen Schutzguts - nur in begrenztem Maße Schutz.

 

bb)

Auf der anderen Seite der Abwägung steht das legitime Interesse des Versicherers an der Aufdeckung von Falschangaben und der Verhinderung der ungerechtfertigten Inanspruchnahme von - insbesondere wiederkehrenden - Versicherungsleistungen (vgl. BGHZ 163, 148, 153 f.; BVerfG VersR 2006, 1669, 1672).

 

Für die Berufsunfähigkeitversicherung bedeutet dies konkret, dass der Versicherer in der Lage sein muss, die ihm nach §§ 16, 34 VVG a.F. zustehenden Informationen zum Gesundheitszustand des Versicherten einzuholen und zu überprüfen. Dies betrifft sowohl den Gesundheitszustand im Zeitpunkt der Geltendmachung von Leistungen, als auch den Gesundheitszustand bei Anbahnung des Versicherungsvertrages. Deshalb hatte auch im Streitfall der Beklagte ein schützenswertes Interesse, im Rahmen der Prüfung des - noch im Lauf des ersten Versicherungsjahres gestellten Leistungsantrags - die Krankheitsvorgeschichte des Klägers umfassend aufzuklären und hierzu auch die Angaben des Klägers durch Nachfrage bei Dritten zu überprüfen.

 

Wenngleich hier wegen einer möglicherweise zu weit gefassten Schweigepflichtentbindungserklärung und mithin des Fehlens einer wirksamen Einwilligung durch den Versicherungsnehmer objektiv von der Rechtswidrigkeit der Erhebung der Daten beim Hausarzt ausgegangen werden muss, so fällt dennoch zugunsten des Beklagten ins Gewicht, dass er dabei entsprechend einer langjährigen, bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Oktober 2006 (VersR 2006, 1669) auch vom Senat gebilligten Praxis verfahren ist. Er hat sich die Gesundheitsdaten des Klägers mithin nicht etwa heimlich und im Bewusstsein der rechtlichen Unzulässigkeit seiner Vorgehensweise verschafft, sondern offen und im Vertrauen auf die Wirksamkeit der erteilten Einwilligungserklärung beim Hausarzt angefragt. Aus diesen Gründen kann dem Beklagten auch nicht der Vorwurf gemacht werden, den Hausarzt zum Bruch seiner Schweigepflicht verleitet zu haben.

 

Es tritt hinzu, dass der Beklagte, wäre ihm die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Oktober 2006 (aaO) bereits bekannt gewesen, dieselben Informationen zum Gesundheitszustand des Klägers mittels gezielter Einzelermächtigungen oder aufgrund einer über den Kläger laufenden Informationsübermittlung hätte verlangen können (vgl. dazu BVerfG aaO Tz. 54 ff.). Der Kläger hätte es dann lediglich in der Hand gehabt, entweder seinen Hausarzt zur Auskunft zu ermächtigen und die entsprechenden Informationen an den Beklagten weiterzuleiten oder aber im Interesse der Vertraulichkeit seiner Gesundheitsdaten von einer Freigabe abzusehen und damit zugleich im Ergebnis auf den erhobenen Leistungsanspruch zu verzichten (BVerfG aaO). Das zeigt, dass zwar die Informationsgewinnung durch den Beklagten an behebbaren Verfahrensmängeln litt, seine materielle Berechtigung, die Gesundheitsdaten des Klägers für seine Leistungsprüfung zu verlangen, jedoch außer Frage steht.

 

cc)

Wägt man diese Umstände gegeneinander ab, so setzt sich das Interesse des Versicherers an der Verwertung der beim Hausarzt erhobenen Daten durch. Der Rechtsverstoß des Beklagten bei der Erhebung der Daten erweist sich angesichts des vorangegangenen Rechtsverstoßes des Klägers als nicht von einem solchen Gewicht, dass ihm deswegen die Arglistanfechtung verwehrt wäre.

 

b)

Auch prozessual war weder der Beklagte daran gehindert, die Informationen zu den Vorerkrankungen des Klägers unter Berufung auf das Zeugnis des Hausarztes in das Verfahren einzuführen, noch war es dem Berufungsgericht verwehrt, den Hausarzt als Zeugen zu vernehmen und seine Angaben zu verwerten.

 

Aus denselben Erwägungen, die zum Ausschluss eines materiellen Verwertungsverbots geführt haben, besteht kein Anlass, dem Beklagten im Prozess die Berufung auf die gewonnenen Erkenntnisse zu verwehren oder für das Gericht ein Verwertungsverbot zu begründen (vgl. dazu OLG Saarbrücken, Urteil vom 9. September 2009 - 5 U 510/08-93). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Urteilen des XII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (BGHZ 162, 1; 166, 283; BGH, Urteil vom 12. Januar 2005 - XII ZR 60/03 - FamRZ 2005, 342), wonach heimlich eingeholte Abstammungsgutachten im Vaterschaftsanfechtungsverfahren "auch als Parteivortrag ungeeignet [seien], die Schlüssigkeit einer Vaterschaftsanfechtungsklage herbeizuführen" (BGHZ 166, 283 Tz. 10). Der hier zu entscheidende Fall unterscheidet sich von den vom XII. Zivilsenat entschiedenen Fällen bereits dadurch, dass die geschützten Daten nicht heimlich, sondern offen und im Vertrauen auf die Wirksamkeit der erteilten Einwilligung erhoben wurden. Darüber hinaus hat der Parteivortrag im Vaterschaftsanfechtungsverfahren eine besondere verfahrensrechtliche Bedeutung. Um das vom Untersuchungsgrundsatz geprägte Vaterschaftsanfechtungsverfahren in Gang zu bringen, muss der Kläger lediglich Umstände vortragen, die bei objektiver Betrachtung geeignet sind, Zweifel an der Abstammung des Kindes von dem als Vater geltenden Kläger zu wecken und die Möglichkeit der Abstammung des Kindes von einem anderen Mann als nicht ganz fern liegend erscheinen zu lassen (BGHZ 162, 1, 3). Die Beweiserhebung erfolgt sodann von Amts wegen. Diese Besonderheit rechtfertigt es, das Verwertungsverbot dort bereits auf den Parteivortrag zu beziehen. Dem durch den Beibringungsgrundsatz und die Parteienmaxime geprägten regulären Zivilverfahren ist ein bereits am Vortrag ansetzendes Verwertungsverbot dagegen fremd.

 

Die Verwertbarkeit der Aussage des Hausarztes ergibt sich bereits daraus, dass auch der Kläger selbst diesen zum betreffenden Beweisthema als Zeugen benannt und ihn insoweit konkludent von der Schweigepflicht entbunden hat (vgl. Greger in Zöller, ZPO 27. Aufl. § 385 Rdn. 11).


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