Beschlusstext
Tenor
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des 26. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 7. Juli 2020 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren wird auf bis 140.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Herausgabe eines während ihres stationären Aufenthalts im Krankenhaus der Beklagten angeblich angefertigten Schmerzprotokolls.
Die Klägerin befand sich in der Zeit vom 2. bis zum 4. Mai 2017 im Krankenhaus der Beklagten in stationärer Behandlung, wobei am 2. Mai 2017 unter spinaler Anästhesie eine arthroskopische Operation des linken Kniegelenks durchgeführt wurde. Postoperativ entwickelte sich bei der Klägerin möglicherweise ein postpunktionelles Syndrom, das zu einer inkompletten Querschnittslähmung und einer Blasen- und Mastdarmentleerungsstörung führte. Die Klägerin forderte bei der Beklagten Ablichtungen ihrer Krankenunterlagen an. Unter den ihr daraufhin übersandten Unterlagen befand sich ein Schmerzprotokoll eines anderen Patienten. Im Wesentlichen mit der Behauptung, auch bei ihr sei während des vorgenannten Krankenhausaufenthalts ein Schmerzprotokoll angefertigt worden, nimmt die Klägerin die Beklagte auf Herausgabe dieses Protokolls Zug-um-Zug gegen Kostenerstattung, Feststellung, dass sich die Beklagte hinsichtlich der genannten Kosten in Annahmeverzug befindet, den Ersatz vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten, Setzung einer Frist von vier Wochen nach Rechtskraft für die Herausgabe der Unterlagen und Zahlung von 39.780 € nebst Zinsen für den Fall des fruchtlosen Fristablaufs, hilfsweise auf Feststellung der Pflicht der Beklagten zum Ersatz allen materiellen Schadens, der ihr dadurch entsteht, dass das Schmerzprotokoll nicht herausgegeben wird, in Anspruch.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht die von der Klägerin dagegen geführte Berufung zurückgewiesen. Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
1.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seines Urteils im Wesentlichen ausgeführt, es könne dahingestellt bleiben, ob die Klage unter dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzbedürfnisses angesichts der bereits erhobenen Schadensersatzklage im Hauptsacheverfahren überhaupt noch zulässig sei, was der (Berufungs-) Senat sehr in Zweifel ziehe; denn die Berufung sei in jedem Fall unbegründet. Die Klägerin könne von der Beklagten nicht nach §§ 630a, 630g BGB die Herausgabe des Schmerzprotokolls verlangen, weil sie nicht beweisen könne, dass ein solches im Hinblick auf die Spinalkanalanästhesie überhaupt angefertigt worden sei, die bei ihr die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hervorgerufen haben solle.
So habe der Zeuge Dr. B. bekundet, dass er es für ausgeschlossen halte, dass bei dem von ihm mit der Beklagten am 23. Mai 2017 geführten Gespräch ein solches Protokoll vorgelegen habe, weil für seinen Fachbereich derartige Protokolle nicht angefertigt würden, weder zur damaligen Zeit noch heute. Dabei habe er darauf hingewiesen, dass es für ihn auch nicht nachvollziehbar wäre, wenn die Anfertigung derartiger Protokolle im Bereich der Anästhesie dem Patienten überlassen bliebe. Dies würde vielmehr vom Arzt dokumentiert. Derartige Protokolle könne es bei den Orthopäden geben oder auch bei einer interventionellen Schmerztherapie, wie sie bei der Klägerin zuvor im März erfolgt sei. Darüber habe er jedoch keine weiteren Erkenntnisse. Dem von der Klägerin erstellten Gedächtnisprotokoll könne der (Berufungs-) Senat nichts Anderes entnehmen, weil diese Protokolle zeitlich wesentlich später erfolgt seien, so dass nicht auszuschließen sei, dass sich die Klägerin falsch erinnert habe beziehungsweise den Vorgang fälschlicherweise mit einer anderen Behandlung in Verbindung gebracht habe. Soweit sich die Klägerin auf weitere Krankenschwestern berufen habe, wäre es einem Ausforschungsbeweis gleichgekommen, wenn der (Berufungs-) Senat versucht hätte, diese zu laden; denn die im Dienst tätige Krankenschwester habe unstreitig nicht der von der Klägerin abgegebenen Personenbeschreibung entsprochen und diejenige Krankenschwester, die der Beschreibung vielleicht entsprochen hätte, habe keinen Dienst gehabt. Schließlich komme auch eine Parteivernehmung der Klägerin nicht in Betracht. In Bezug auf eine Parteivernehmung gemäß § 447 ZPO fehle es an der erforderlichen Zustimmung durch die Gegenseite; im Übrigen wäre es der Klägerin auch möglich gewesen, die Krankenschwester als Zeugin zu benennen. Eine Parteivernehmung gemäß § 448 ZPO komme nicht in Betracht, da es am hierzu erforderlichen Anbeweis fehle.
2.
Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Erfolg, dass diese Erwägungen auf einer Verletzung des Anspruchs der Klägerin aus Art. 103 Abs. 1 GG auf Gewährung rechtlichen Gehörs beruhen.
a)
Die Nichtzulassungsbeschwerde macht geltend, das angefochtene Urteil beruhe deshalb auf einer Gehörsverletzung, weil das Berufungsgericht die Behauptung der Klägerin übergangen habe, aus dem "Pflegeprozess" vom 2. Mai 2017 ergebe sich, dass die Schmerzerfassung per Selbsteinschätzung mittels visueller Analogskala (VAS) erfolgt sei, bei der der Patient die subjektiv empfundenen Schmerzen anhand einer Grafik einordne. Auf diesen Vortrag gehe das Berufungsgericht "mit keiner Silbe" ein. Gehe das Gericht aber in seinen Entscheidungsgründen auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung sei, nicht ein, so begründe dies einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG.
b)
Die Rüge ist begründet.
aa)
Nach ständiger verfassungsgerichtlicher und höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. nur Senatsbeschluss vom 23. März 2021 - VI ZR 1110/20, NJW-RR 2021, 720 Rn. 8 mwN) sind Gerichte nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen einer Partei ausdrücklich auseinanderzusetzen. Vielmehr ist auch ohne ausdrückliche Erwähnung von Parteivorbringen grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen eines Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann aber dann festgestellt werden, wenn sich aus den besonderen Umständen des einzelnen Falles deutlich ergibt, dass das Gericht Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung nicht in Erwägung gezogen hat. Davon ist unter anderem dann auszugehen, wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags eines Beteiligten in einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingegangen ist, sofern er nach seinem Rechtsstandpunkt nicht unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. nur Senatsbeschluss vom 8. November 2016 - VI ZR 512/15, VersR 2017, 316 Rn. 6, mwN).
bb)
Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor. Die Klägerin hat bereits in erster Instanz mit Schriftsatz vom 25. April 2019 Auszüge aus dem von der Beklagten stammenden, ihren Aufenthalt ab 2. Mai 2017 betreffenden "Pflegeprozess" vorgelegt, aus dem sich unter anderem ergibt, dass als "Pflegeintervention" eine "Schmerzerfassung per Selbsteinschätzung mittels VAS" jedenfalls vorgesehen war. Dabei handelte es sich um zentrales Vorbringen der Klägerin in Bezug auf ihre Behauptung, bei ihrem Aufenthalt vom 2. bis zum 4. Mai 2017 sei ein solches Schmerzprotokoll dann auch angefertigt worden. Dass sich das Berufungsgericht mit diesem Vortrag, der doch ganz erheblich für die Richtigkeit der genannten Behauptung der Klägerin spricht, nicht auseinandergesetzt hat, lässt den Schluss darauf zu, dass es ihn bei seiner Entscheidung jedenfalls aus den Augen verloren hat. Aus dem bloßen Umstand, dass im Tatbestand des Berufungsurteils auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils verwiesen wird, in dem auch der "Pflegeprozessauszug vom 02.05.2017" erwähnt ist, folgt nichts Anderes. Denn dieser Umstand ändert nichts daran, dass sich das Berufungsgericht mit dem dargestellten, erheblich für die Behauptung der Klägerin sprechenden Protokoll in seiner Beweiswürdigung überhaupt nicht auseinandergesetzt hat.
cc)
Der Gehörsverstoß ist auch entscheidungserheblich. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich das Berufungsgericht unter Berücksichtigung des übergangenen Vortrags letztlich davon überzeugt hätte, dass ein Schmerzprotokoll - der Behauptung der Klägerin entsprechend - erstellt wurde. Der das Berufungsurteil allein tragenden Begründung, die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass ein Schmerzprotokoll überhaupt erstellt wurde, wäre damit der Boden entzogen.
Ob das Berufungsgericht die Klage letztlich auch in diesem Fall abgewiesen hätte, weil es davon ausgegangen wäre, dass das Protokoll auch im Falle seiner Erstellung nicht mehr vorliege, kann ohne die dafür notwendigen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht beurteilt werden. Jedenfalls erscheint es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass sich ein einmal erstelltes Protokoll noch im Besitz der Beklagten, etwa - wofür das fremde Schmerzprotokoll in der Akte der Klägerin sprechen könnte - in der Akte eines anderen Patienten, befindet.
dd)
Anders als die Beschwerdeerwiderung meint, steht der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückweisung der Sache an das Berufungsgericht auch nicht entgegen, dass - wie das Berufungsgericht andeutet, letztlich aber offenlässt - die vorliegende Klage nach Erhebung der Schadensersatzklage mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig wäre. Beim Einsichts- und Herausgabeanspruch gemäß § 630g BGB handelt es sich um einen selbständigen Anspruch, der nicht nur den Zweck hat, im Vorfeld eines Prozesses die Klage vorzubereiten.
3.
Für das weitere Verfahren weist der erkennende Senat auf Folgendes hin:
a)
Für den Erfolg der vorliegenden (Herausgabe-) Klage ist es unerheblich, ob das von der Klägerin begehrte Schmerzprotokoll für den Zeitraum vom 2. bis zum 4. Mai 2017 im Hinblick auf die Spinalkanalanästhesie oder aus einem anderen Grund erstellt wurde. Ob das Berufungsgericht, sollte das Berufungsurteil tatsächlich anders, nämlich im Sinne der Unerheblichkeit eines im Rahmen der stationären Behandlung der Klägerin auf dem Fachgebiet der Orthopädie erstellten Schmerzprotokolls, zu verstehen sein, - wie die Nichtzulassungsbeschwerde meint - ebenfalls gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen hätte, kann mangels Entscheidungserheblichkeit ebenso dahinstehen wie die weitere Frage, ob insoweit dann (sogar) ein Verstoß gegen das Verbot objektiv willkürlicher Entscheidungen (Art. 3 Abs. 1 GG) vorläge.
b)
Sollte es - wie von der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht - zutreffen, dass die Klägerin im Rahmen des nachfolgenden Aufenthalts bei der Beklagten vom 19. bis 24. Mai 2017 ein Schmerzprotokoll ausgefüllt hat, so könnte sich auch aus diesem Umstand ein Indiz für die Richtigkeit der Behauptung der Klägerin ergeben, sie habe auch für die im Streitfall relevante Zeit vom 2. bis zum 4. Mai 2017 ein Schmerzprotokoll erstellt. Auch dies wird das Berufungsgericht gegebenenfalls in den Blick zu nehmen haben.