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Vergütungsvereinbarung über den 27fachen Gebührensatz kann zulässig sein

 | Gericht:  Amtsgericht (AG) Karlsruhe  | Aktenzeichen: 6 C 1670/15 | Entscheidung:  Urteil
Kategorie:  Gebühren


Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert wird auf EUR 567,32 festgesetzt.


Tatbestand

Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Rückzahlung einer Gebühr für eine zahnärztliche Behandlung.

Die Klägerin, selbst Ärztin, begab sich zunächst am 09.07.2014 wegen Schmerzen im Zahn Nr.26 zur Behandlung zur Beklagten.

Am 10.09.2014 begab sie sich erneut zur Beklagten und ließ den Zahn Nr. 26 wegen der andauernden Schmerzen behandeln. Vor der Behandlung unterzeichnete sie eine Vergütungsvereinbarung, wonach die Behandlung nach den Nr. 2400 und 2420 GOZ jeweils mit einem Faktor in Höhe von 27,5171 zu einem Gesamtbetrag in Höhe von EUR 650,00 abgerechnet werden sollte. Diese Summe stellte die Beklagte der Klägerin mit Rechnung vom 11.09.2014 fällig. Die Klägerin beglich den Rechnungsbetrag.

Die Klägerin trägt vor, sie habe unter starken Schmerzen gelitten und dringend Linderung verschafft bekommen wollen. Sie habe die Vergütungsvereinbarung noch vor Beginn der Behandlung unterzeichnet weshalb ein erhöhter Zeit- und Materialaufwand noch nicht absehbar gewesen sei. Der vereinbarte Faktor in Höhe von 27,5171 übersteige den gesetzlich vorgesehenen Höchstfaktor von 3,5 um das 7,86-fache und sei daher als wucherisch zu bezeichnen. Die Kosten für eine elektrometrische Längenbestimmung eines Wurzelkanals nach Nr. 2400 GOZ betrage bei einem Faktor von 3,5 für drei Wurzelkanäle insgesamt EUR 41,34. Die Kosten für die zusätzliche Anwendung elektrophysikalisch-chemischer Methoden nach Nr. 2420 GOZ betrage bei einem Faktor von 3,5 für drei Wurzelkanäle insgesamt ebenfalls EUR 41,34. Die Klägerin sei im Vorfeld der Behandlung darauf hingewiesen worden, dass eine Behandlung nur dann erfolgen könne, wenn sie die Vergütungsvereinbarung unterzeichnen würde. Über den erhöhten Faktor habe sie mit niemandem sprechen können.

Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin EUR 567,32 zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, die vorgenommene Behandlung habe einen erhöhten Zeit- und Materialaufwand erfordert, es habe sich um einen überdurchschnittlichen Schwierigkeitsgrad gehandelt wegen Mehrfachmessung, Querstromes und enger calzifizierter Wurzelkanäle sowie wegen einer erschwerten Zugänglichkeit des Zahnes und der Notwendigkeit mehrerer Spüllösungen. Bei der Behandlung sei eine Lupenbrille und ein OP-Mikroskop zum Einsatz gekommen. Im Übrigen sei die Behandlung der Klägerin nicht von der Unterzeichnung der Vergütungsvereinbarung abhängig gemacht worden. Sie sei ja bereits am 09.07.2014 im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung behandelt worden und danach schmerzfrei gewesen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen ... . Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Zeugenvernehmung vom 04.09.2015 Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Verfahrensakte, insbesondere auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 04.09.2015 Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

I.
Die Klage ist zulässig aber unbegründet.

1.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung von EUR 567,32 aus § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB. Die Beklagte hat durch Leistung der Klägerin Honorar für eine zahnärztliche Behandlung in Höhe von EUR 650,00 erlangt. Dies erfolgte jedoch nicht ohne Rechtsgrund. Rechtsgrund für die Zahlung der Klägerin ist die zwischen den Parteien abgeschlossene Vergütungsvereinbarung vom 10.09.2014.

a) Diese ist nicht nach § 138 Abs. 2 BGB nichtig. Es besteht schon kein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung. Es ist der objektive Wert der verglichenen Leistungen, also das verkehrsübliche Äquivalent, nicht aber ein subjektives Interesse eines Vertragsteils zugrunde zu legen (MüKoBGB/Armbrüster BGB § 138 Rn. 144, beck-online). Hierbei ist der gesetzlich vorgesehene Faktor der GOZ für die konkrete Behandlung als Indiz heranzuziehen. § 5 Abs. 1 Satz 1 GOZ sieht eine einfache bis dreieinhalbfache Gebühr für die jeweilige Behandlung vor, wobei der genaue Faktor gem. § 5 Abs. 2 Satz 1 aufgrund des Einzelfalles unter Berücksichtigung der Schwierigkeit der Behandlung nach billigem Ermessen zu bestimmen ist. Nach § 2 Abs. 1 GOZ kann jedoch durch Vereinbarung zwischen Zahnarzt und Zahlungspflichtigem eine von der GOZ abweichende Gebührenhöhe festgelegt werden. Die Abweichung von dem gesetzlich vorgesehenen Faktor kann daher nur als Indiz gewertet werden. Es ist im Einzelfall zu prüfen, ob die geltend gemachte Gebühr in einem auffälligen Missverhältnis zur konkret erfolgten Behandlung steht.

Soweit wegen des besonderen Aufwands einer zahnärztlichen Leistungen durch den vorgegebenen Rahmen der GOZ eine angemessene Vergütung nicht mehr gewährleistet ist, bedarf es einer Öffnungsklausel, die im Einzelfall ein Abweichen von der Gebührenordnung erlaubt. Ein Zahnarzt kann deshalb eine Honorarvereinbarung oberhalb des gesetzlich vorgesehenen Gebührenrahmens nur in Form einer vor der Leistungserbringung des Zahnarztes getroffenen schriftlichen Individualabrede gem. §§ 2 Abs. 1, Abs. 2 GOZ treffen (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 06. Februar 2006 - 3 U 26/00 -, Rn. 71, juris).

Ausweislich der amtlichen Begründung zu der Gebührenordnung für Zahnärzte kann eine Überschreitung des vorgegebenen Rahmens gerechtfertigt sein, wenn ein Zahnarzt seinen Praxisbetrieb nicht auf den Grundsatz einer kostengünstigen Behandlung ausrichtet, sondern in erster Linie darum bemüht ist, hinsichtlich der Präzision und Qualität seiner Leistungen den jeweils besten möglichen Standard der aktuellen zahnmedizinischen Wissenschaft zu gewährleisten. Vor diesem Hintergrund kann auch der Vortrag der Beklagten, eine weit überdurchschnittliche Qualifikation und Präzision der Leistung und ein darauf abgestellter Praxisaufwand rechtfertigten keine abweichende Honorarvereinbarung, da der Arzt bereits nach dem Behandlungsvertrag dazu verpflichtet sei, größtmögliche Sorgfalt und Präzision zu Gewähr leisten, nicht überzeugen. Denn die Vereinbarung eines Entgelts, welches ausnahmslos erheblich über den Höchstsätzen der amtlichen Gebührenordnung liegt, ist im Hinblick auf das Konzept einer qualitativ äußerst hochwertigen zahnärztlichen Behandlung weder willkürlich, noch verstößt sie per se gegen die berufsrechtliche Verpflichtung zu einer angemessenen Gestaltung der Vergütung (OLG Düsseldorf, Urteil vom 02.06.2005, Aktenzeichen I-8 U 153/04).

Im vorliegenden Fall kann nicht von einem auffälligen Missverhältnis ausgegangen werden. Die Behandlung der Klägerin erforderte einen erhöhten Zeitaufwand. Das ergibt sich aus der Aussage des Zeugen ... . Er hatte ausgesagt, die Behandlung seiner Ehefrau am 10.09.2014 habe zwei Stunden gedauert. Diese Aussage stimmt mit dem Vortrag der Beklagtenseite überein, wonach eine zweistündige Behandlung durch den Arzt Herrn Dr. ... notwendig gewesen sei. Eine Gebühr in Höhe von EUR 650,00 für eine zweistündige Behandlung kann kein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung begründen. Zumal die Behandlung erfolgreich war, der Zeuge ... hat ausgesagt, dass die Schmerzen der Klägerin nach der Behandlung am 10.09.2014 besser waren.

b) Selbst unter der Annahme, es liege ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vor, ergibt sich der geltend gemachte Anspruch nicht aus § 138 Abs. 2 BGB. Die Klägerin befand sich nicht in einer Zwangslage, welche die Beklagte ausgenutzt hätte. Erforderlich ist ein auf Grund einer unmittelbar drohenden oder gegenwärtigen erheblichen Bedrängnis bestehendes Bedürfnis nach einer bestimmten Leistung (Palandt/Ellenberger, BGB, § 138 Rn 70). Eine sich erst künftig abzeichnende Bedrängnis reicht i. d. R nicht; solange der Betroffene noch die Möglichkeit hat, sich die benötigte Leistung innerhalb eines funktionierenden Wettbewerbs unter zumutbarem Aufwand anderweitig zu angemessenen Bedingung zu verschaffen, befindet er sich (noch) in keiner Zwangslage i. S. v. Abs 2 (BeckOK BGB/Wendtland BGB § 138 Rn. 51, beck-online). Auch gesundheitliche Gefährdungen sind hiervon erfasst (Palandt/Ellenberger, BGB, § 138 Rn. 70).

Die Klägerin ließ sich bereits am 09.07.2014 bei der Beklagten am Zahn Nr. 26 behandeln. Anschließend erfolgte die zweite, hier streitgegenständliche Behandlung am 10.09.2014. Aufgrund des langen Zeitraums zwischen den beiden Behandlung ist eine akute Schmerzbelastung der Klägerin, aufgrund derer sie sich in einer Zwangslage i. S. d. § 138 Abs. 2 BGB befunden hätte unwahrscheinlich. Nachdem sie mit der zweiten Behandlung etwa zwei Monate lang gewartet hatte, wäre es ihr auch möglich gewesen, sich bei einem anderen Zahnarzt behandeln zu lassen und so der Vergütungsvereinbarung mit der Beklagten zu entgehen. Der Zeuge ... hat ausgesagt, die erste Behandlung der Klägerin bei der Beklagten habe noch nicht dazu geführt, dass die Klägerin schmerzfrei gewesen sie. Sie habe danach noch über einen Zeitraum von 30 Tagen eine Behandlung mit Antibiotika vorgenommen welche die Schmerzen schließlich gebessert hätten. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin sich in der Zwangslage gesehen hätte entweder die Vergütungsvereinbarung zu unterzeichnen oder dauerhaft unter Zahnschmerzen zu leiden. Sie hätte erneut eine Behandlung mit Antibiotika versuchen oder einen Termin bei einem anderen Zahnarzt vereinbaren können. Aus der Aussage des Zeugen ... ergibt sich ebenfalls, dass die Klägerin über den Zeitraum von 30 Tagen nach der ersten Behandlung bei der Beklagten unter regelmäßigen Zahnschmerzen litt und dennoch eine erneute Behandlung erst einen ganzen Monat später durchführen ließ. Aus diesem Verhalten lässt sich entnehmen, dass die regelmäßigen Schmerzen für die Klägerin nicht so unerträglich sein konnten, dass sie sich zum Abschluss der Vergütungsvereinbarung gezwungen sehen musste.

Die Klägerin war auch nicht unerfahren i. S. d. § 138 Abs. 2 BGB. Unerfahrenheit ist ein allgemeiner Mangel an Lebens- oder Geschäftserfahrung, der insbesondere bei Jugendlichen und Heranwachsenden, alten Menschen oder in ihrer Geistestätigkeit sehr einfach strukturierten Personen vorliegen kann (Palandt/Ellenberger, BGB, § 138, Rn 71). Fehlende Erfahrung lediglich auf einem bestimmten Lebens- und Wirtschaftsgebiet (z. B. fehlende Rechtskenntnis oder fehlende Fachkenntnis in einem sonstigen Sondergebiet) genügt grds nicht (BeckOK BGB/Wendtland BGB § 138 Rn. 52, beck-online). Die Klägerin ist selbst Ärztin. Es liegt daher nahe, dass sie selbst im Umgang mit Vergütungsvereinbarungen und ärztlichen Abrechnungen erfahren ist. Im Rahmen der Vergütungsvereinbarung vom 10.09.2014 wurde die einschlägige Gebühr gemäß der GOZ, der anzuwendende Faktor sowie der zu zahlende Geldbetrag der Behandlung vereinbart. Aus der Vergütungsvereinbarung ergibt sich eindeutig welcher Faktor angewendet werden soll und in welcher Höhe die Gebühren der Behandlung entstehen würden.

2.
Mangels Bestehen des Hauptanspruchs kann die Klägerin auch keine Zinsen nach §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB verlangen.

II.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.


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