Urteilstext
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 22. April 2004 - 8 Sa 2051/03 - wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Dauer der Kündigungsfrist und davon abhängige Vergütungsansprüche der Klägerin.
Die Klägerin war seit dem 18. Juni 2001 in der Praxis des Beklagten als Arzthelferin gegen eine monatliche Bruttovergütung von 816,00 Euro beschäftigt. Im schriftlichen Arbeitsvertrag vom 1. Juli 2001 ist vereinbart, dass
“das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von sechs Wochen zum Ende eines Kalendervierteljahres gekündigt werden (kann), sofern sich nicht aus anderen Vorschriften oder auf Grund einer längeren Beschäftigungsdauer eine längere Frist ergibt. Für die Kündigung seitens des Arbeitgebers gelten die Bestimmungen des aktuellen Tarifvertrages”.
§ 17 Abs. 1 des Manteltarifvertrags für Arzthelferinnen vom 12. September 1997 in der Fassung vom 30. April 2002 sieht eine Kündigungsfrist von vier Wochen zur Monatsmitte oder zum Monatsende vor.
Mit Schreiben vom 14. Juni 2003 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31. Juli 2003.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Vergütung für die Monate August und September 2003 mit der Begründung begehrt, die Kündigung vom 14. Juni 2003 habe ihr Arbeitsverhältnis erst zum 30. September 2003 beendet. Die vertraglich vereinbarte Kündigungsfrist verstoße gegen § 622 Abs. 6 BGB, die von ihr einzuhaltende Frist sei länger als die des Beklagten. Der Beklagte müsse deshalb gleichfalls die für sie geltende vertragliche Frist von sechs Wochen zum Ende eines Kalendervierteljahres einhalten.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 1.632,00 Euro brutto nebst 4 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus 816,00 Euro seit dem 1. September 2003 sowie aus 816,00 Euro ab dem 1. Oktober 2003 zu zahlen.
Der Beklagte hat zur Begründung seines Klageabweisungsantrags die Auffassung vertreten, die unzulässige arbeitsvertraglich vereinbarte Kündigungsfrist führe nur zu einer Anwendung der gesetzlichen Mindestkündigungsfrist. Das Gesetz habe nur die Vereinbarung einer längeren Kündigungsfrist zu Lasten des Arbeitnehmers verbieten wollen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage der Klägerin stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Die Kündigung des Beklagten konnte das Arbeitsverhältnis der Klägerin erst zum 30. September 2003 beenden. Der Klägerin steht deshalb der von ihr geltend gemachte Vergütungsanspruch nach § 615 BGB zu.
A.
Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner klagestattgebenden Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, in Analogie zu § 89 Abs. 2 Satz 2 HGB trete an die Stelle der vertraglich für den Arbeitgeber vereinbarten und gegen § 622 Abs. 6 BGB verstoßenden Kündigungsfrist nicht die gesetzliche Regelung, sondern die Kündigungsfrist, die für eine von der Klägerin erklärte Kündigung vertraglich gegolten hätte.
B.
Dem folgt der Senat im Ergebnis und in der Begründung.
I.
Die nach § 11 des Arbeitsvertrags für eine Kündigung durch den Beklagten vereinbarte Kündigungsfrist des Manteltarifvertrags für Arzthelferinnen ist nach § 622 Abs. 6 BGB iVm. § 134 BGB nichtig, weil sie kürzer ist als die für die Klägerin ausdrücklich vereinbarte Frist. Dies entspricht dem Sinn und Zweck des § 622 Abs. 6 BGB. Danach soll der Arbeitnehmer vor einer Schlechterstellung gegenüber dem Arbeitgeber und der für ihn geltenden Kündigungsfrist geschützt werden (BAG 29. Januar 2001 - 4 AZR 337/00 - BAGE 99, 24) .
II.
Entgegen der Auffassung des Beklagten tritt an die Stelle der unwirksam vereinbarten Kündigungsfrist nicht die gesetzliche Frist des § 622 Abs. 2 Nr. 1 BGB, sondern die für die Klägerin geltende, vertraglich vereinbarte Kündigungsfrist (allgemeine Auffassung: KR-Spilger 7. Aufl. § 622 BGB Rn. 196; HWK/Bittner § 622 BGB Rn. 64; Staudinger-Preis BGB (2002), § 622 Rn. 56) .
1.
In den Fällen, in denen der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer kündigt, ist dem Grundsatz der Gleichheit der Kündigungsfristen der Arbeitsvertragsparteien dadurch Rechnung zu tragen, dass die längere Kündigungsfrist, die nach der vertraglichen Vereinbarung nur für eine Kündigung durch den Arbeitnehmer gelten soll, auch für die Kündigung des Arbeitgebers maßgebend ist (Kittner/Däubler/Zwanziger KSchR 6. Aufl. § 622 BGB Rn. 50; APS/Linck 2. Aufl. § 622 BGB Rn. 185; HWK/Bittner § 622 BGB Rn. 64; HaKo-Pfeiffer § 622 BGB Rn. 66; MünchKommBGB/Hesse 4. Aufl. § 622 Rn. 107; Palandt-Weidenkaff BGB 64. Aufl. § 622 Rn. 26; Staudinger-Preis BGB (2002) § 622 Rn. 57; RGRK-BGB/Röhsler 12. Aufl. § 622 Rn. 166; Erman/Belling BGB 11. Aufl. § 622 Rn. 22; Stahlhacke/Preis/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 9. Aufl. Rn. 522; Kramer Kündigungsvereinbarung im Arbeitsvertrag S. 144 f.; Preis/Kramer BB 1993, 2125, 2128; Hromadka BB 1993, 2372, 2373; MünchKommHGB/von Hoyningen-Huene § 89 Rn. 61) . Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, ergibt sich dieses Ergebnis aus einer analogen Anwendung des § 89 Abs. 2 Satz 2 HGB. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob nach dem Schutzzweck des § 622 Abs. 3 BGB etwas anderes gilt, wenn der Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis kündigt (vgl. hierzu KR-Spilger 7. Aufl. § 622 BGB Rn. 79; HaKo-Pfeiffer § 622 BGB Rn. 46) .
2.
Die Voraussetzungen einer analogen Anwendung von § 89 Abs. 2 Satz 2 HGB sind gegeben. Es liegen sowohl eine Gesetzeslücke als auch mit § 89 Abs. 2 Satz 2 HGB ein analogiefähiger gesetzlicher Tatbestand vor.
a)
Die analoge Anwendung einer Norm ist möglich, wenn zur Ausfüllung einer planwidrigen Gesetzeslücke die Rechtsfolge eines gesetzlichen Tatbestands auf einen vergleichbaren, aber im Gesetz nicht geregelten Tatbestand übertragen werden kann (BAG 21. Juli 1993 - 7 ABR 25/92 - BAGE 73, 378; 1. Juli 2000 - 1 ABR 39/99 - BAGE 95, 240; Larenz Methodenlehre der Rechtswissenschaft 6. Aufl. S. 381 ff.) . Dabei muss der zu beurteilende Sachverhalt dem gesetzlich geregelten Sachverhalt gleichen, die möglichen Unterschiede dürfen nicht von einer Art sein, dass eine Übertragung der gesetzlichen Wertung ausgeschlossen ist.
b)
Die Voraussetzungen liegen vor.
aa)
§ 622 Abs. 6 BGB enthält eine gesetzliche Regelungslücke. Er sieht keine Folgenregelung für die Fälle vor, in denen die Arbeitsvertragsparteien eine längere Kündigungsfrist für eine Kündigung durch den Arbeitnehmer vereinbart haben. Ein Rückgriff auf die allgemeinen Grundsätze des § 139 BGB ist nicht sachgerecht. Dadurch wird kein hinreichender Ausgleich für einen Verstoß gegen den vom Gesetz gewollten Grundsatz der Gleichheit der Kündigungsfristen vermittelt. Auch lässt sich diese Regelungslücke nicht ohne weiteres durch eine ergänzende Vertragsauslegung schließen, weil der hypothetische Wille der vertragsschließenden Partei sich nur selten hinreichend feststellen lassen wird (Kramer Kündigungsvereinbarung im Arbeitsvertrag S. 145; Preis/Kramer DB 1993, 2125, 2128; Stahlhacke/Preis/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis Rn. 522; HWK/Bittner § 622 BGB Rn. 64; aA: KR-Spilger 7. Aufl. § 622 BGB Rn. 79) .
bb)
Anders als § 622 BGB regelt § 89 Abs. 2 HGB in seinem Satz 2 die Folgen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Fristenparität. Mit der gesetzlichen Regelung, dass bei Vereinbarung einer kürzeren Kündigungsfrist für den Unternehmer auch für ihn die für den Handelsvertreter vereinbarte - längere - Frist gilt, wird der Grundsatz der Fristenparität im Handelsrecht zu Lasten des Unternehmers durchgesetzt (Hopt Handelsvertreterrecht 2. Aufl. § 89 Rn. 30) .
cc)
Die Sachverhalte - hier Handelsvertreter, dort Arbeitnehmer, die beide an eine längere Kündigungsfrist als ihre Vertragspartner gebunden sind - gleichen sich. In beiden Fällen wird die Kündigungsfrist zu Lasten der vermeintlich “schwächeren” Vertragspartei verändert. Es sind auch keine relevanten Unterschiede zwischen einem selbstständigen Handelsvertreter einerseits und einem persönlich abhängigen Arbeitnehmer andererseits erkennbar, die im Hinblick auf die möglichen Folgen einer solchen unwirksamen Vertragsgestaltung eine Differenzierung tragen und gegen eine Übertragung des Regelungsmodells aus § 89 Abs. 2 Satz 2 HGB sprechen. Es gibt keinen einleuchtenden sachlichen Grund, warum im Verhältnis zum persönlich abhängigen Arbeitnehmer gerade der selbstständige Handelsvertreter bei einer unzulässigen vertraglichen Gestaltung der Kündigungsfrist eines stärkeren Schutzes bedarf. Weder aus der Gesetzesgeschichte des § 89 Abs. 2 Satz 2 HGB, der seine Fassung auf Grund der gesetzlichen Neuregelung des Anpassungsgesetzes vom 23. Oktober 1989 in Ausführung der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaft vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten betreffend die selbstständigen Handelsvertreter (ABl. 1986 Nr. L 382/70) erhalten hat, noch aus dem Sinn und Zweck der Norm lässt sich schließen, die gesetzliche Regelung sei allein dem Schutzbedürfnis und der besonderen Stellung des selbständigen Handelsvertreters geschuldet. Bei der Vorschrift des § 89 Abs. 2 Satz 2 HGB handelt es sich nicht um eine auf die besonderen Belange des Handelsvertreters beschränkte Schutzvorschrift.
3.
Ist vorliegend die Kündigungsfrist deshalb erst am 30. September 2003 abgelaufen, so hat die Klägerin auch einen Anspruch auf den begehrten Verzugslohn in unstreitiger Höhe nach § 615 BGB.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.