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Umsatzsteuerpflicht von Schönheitsoperationen

 | Gericht:  Bundesfinanzhof (BFH) München  | Aktenzeichen: V R 27/03 | Entscheidung:  Urteil
Kategorie Sonstiges

Urteilstext

 

Tatbestand

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Arzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Im Rahmen von Privatliquidationen führte er medizinisch nicht indizierte Schönheitsoperationen gegen Entgelt durch. Umsatzsteuer wurde gegen den Kläger zunächst nicht festgesetzt.

 

Aufgrund einer Außenprüfung gelangte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) zu der Auffassung, dass die medizinisch nicht indizierten Schönheitsoperationen der Umsatzsteuer zu unterwerfen seien, da sie nicht vom Regelungsbereich der Steuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 14 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) umfasst seien, und erließ für die Streitjahre 1996 bis 1998 entsprechende Umsatzsteuerbescheide.

 

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg (vgl. Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2003, 418).

 

Gegen das Urteil des Finanzgerichts (FG) wendet sich der Kläger mit der vorliegenden Revision. Er rügt in erster Linie Verletzung des § 4 Nr. 14 UStG. Der Kläger meint, die Befreiungsvorschrift erfasse die Ausübung der Heilkunde durch einen Arzt, auch wenn sie keinem therapeutischen Ziel im Sinne des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 14. September 2000 Rs. C-384/98, D (Slg. 2000, I-6795, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2000, 432) diene.

 

Schließlich macht der Kläger geltend, dass die Finanzverwaltung selbst aus dem Urteil des EuGH in Slg. 2000, I-6795, UR 2000, 432 unterschiedliche Folgerungen ziehe; im Übrigen verweist er auf ein Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 27. Mai 2003 IV D 1 -S 7170- 27/03, nach dem nicht zu beanstanden ist, wenn vor dem 1. Januar 2003 erbrachte Leistungen auf dem Gebiet der Schönheitschirurgie als steuerfrei behandelt werden, soweit durch Erlasse oder Verfügungen oder einzelne Auskünfte in den Ländern entsprechende Vertrauenstatbestände geschaffen wurden. Er meint deshalb, die Steuer sei auch aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 der Abgabenordnung (AO 1977) auf 0 DM/€ herabzusetzen.

 

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Umsatzsteuer für 1996, 1997 und 1998 auf jeweils 0 DM/€ festzusetzen;

 

hilfsweise, die Umsatzsteuer gemäß § 163 AO 1977 aus Billigkeitsgründen auf 0 DM/€ festzusetzen.

 

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet.

 

1.

Nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG sind "die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Krankengymnast, Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes und aus der Tätigkeit als klinischer Chemiker" steuerfrei.

 

2.

Das FG hat rechtsfehlerfrei entschieden, dass diese Vorschrift richtlinienkonform restriktiv dahin auszulegen ist, dass nur Tätigkeiten zur Diagnose, Behandlung und --soweit wie möglich-- Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen steuerfrei sind.

 

a)

Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts, durch das Richtlinien der EG umgesetzt worden sind, ergibt sich bereits daraus, dass der nationale Gesetzgeber mit dem Erlass der nationalen Normen die Vorgaben der Richtlinie umsetzen wollte; sie folgt aber auch aus der gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtung der Gerichte und der sonstigen Träger öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten alle zur Erreichung des durch eine Richtlinie vorgeschriebenen Zieles erforderlichen Maßnahmen zu treffen (ständige Rechtsprechung des EuGH, vgl. z.B. Urteil vom 18. Dezember 1997 Rs. C-129/96, Inter-Environnement Wallonie, Slg. 1997, I-7411 Randnr. 40).

 

b)

§ 4 Nr. 14 UStG beruht --soweit für den Streitfall von Interesse-- auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG --Richtlinie 77/388/EWG-- (so auch die Regierungsbegründung zu § 4 Nr. 14 UStG 1980).

 

aa)

Die Bestimmung des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG lautet:

 

"(1) Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:

...

c)

die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen oder arztähnlichen Berufe erbracht werden."

 

Diese Bestimmung ist nach der Rechtsprechung des EuGH dahin auszulegen, dass medizinische Leistungen, die nicht in der medizinischen Betreuung von Personen durch das Diagnostizieren und Behandeln einer Krankheit oder einer anderen Gesundheitsstörung bestehen, nicht in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung fallen; befreit sind nur diejenigen Leistungen, deren Zweck der Schutz der menschlichen Gesundheit ist; die befreiten Leistungen müssen der medizinischen Behandlung einer Krankheit oder einer anderen Gesundheitsstörung dienen (EuGH-Urteile in Slg. 2000, I-6795, UR 2000, 432; vom 6. November 2003 Rs. C-45/01, Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie, UR 2003, 584 Randnr. 48; vom 20. November 2003 Rs. C-212/01, Margarete Unterpertinger, UR 2004, 70; vom 20. November 2003 Rs. C-307/01, Peter d'Ambrumenil, UR 2004, 75).

 

bb)

Demnach fallen nicht unter die Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG:

 

- anthropologisch-erbbiologische Untersuchungen im Rahmen eines Vaterschaftsprozesses (EuGH in Slg. 2000, I-6795, UR 2000, 432),

 

- die Erstellung eines Gutachtens zum Gesundheitszustand einer Person im Rahmen eines Verfahrens wegen Gewährung einer Invaliditätspension (EuGH-Urteil in UR 2004, 70),

 

- das Ausstellen von ärztlichen Bescheinigungen für Zwecke eines Kriegsrentenanspruchs,

 

- ärztliche Untersuchungen für die Erstellung von Gutachten für Haftungsfragen und die Bemessung des Schadens von Personen, die die Erhebung einer Klage wegen Körperverletzung in Erwägung ziehen,

 

- die Erstellung von ärztlichen Gutachten im Anschluss an solche Untersuchungen sowie die Erstellung von Gutachten auf der Grundlage von Arztberichten ohne Durchführung ärztlicher Untersuchungen,

 

- ärztliche Untersuchungen für die Erstellung von Gutachten über ärztliche Kunstfehler für Personen, die die Erhebung einer Klage in Erwägung ziehen,

 

- die Erstellung von ärztlichen Gutachten im Anschluss an solche Untersuchungen sowie die Erstellung von Gutachten auf der Grundlage von Arztberichten ohne Durchführung ärztlicher Untersuchungen (EuGH-Urteil in UR 2004, 75).

 

cc)

Dasselbe muss für eine Schönheitsoperation gelten, deren Zweck nicht der Schutz der menschlichen Gesundheit ist. Die Ansicht, dass "ärztliche" Leistungen der Schönheitschirurgen ohne Rücksicht auf ihre medizinische Indikation steuerfrei sind, ist mit der Bestimmung des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG und der dazu ergangenen Rechtsprechung des EuGH unvereinbar.

 

c)

Die Vorschrift des § 4 Nr. 14 UStG ist entgegen der Ansicht des Klägers einer richtlinienkonformen Auslegung zugänglich. Sie ist nicht eindeutig im Sinne des Klagebegehrens.

 

Bereits zu § 4 Nr. 14 UStG 1967, auf den der Wortlaut des § 4 Nr. 14 UStG 1993 zurückgeht, hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, dass nicht alle vom Arzt ausgeführten Umsätze steuerfrei sind, sondern nur diejenigen, die er in Ausübung seiner heilkundlichen Tätigkeit bewirkt (BFH-Urteil vom 26. Mai 1977 V R 95/76, BFHE 123, 199, BStBl II 1977, 879). Wie weit die heilkundliche Tätigkeit geht, war seit jeher umstritten. Unstreitig war z.B., dass die Gutachtertätigkeit eines Arztes zur Erhaltung und Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit eine nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfreie "Tätigkeit als Arzt" ist; streitig war hingegen bereits bei Einführung des § 4 Nr. 14 UStG 1967, ob hierunter auch die Gutachtertätigkeit des Arztes in Wahrnehmung anderer als gesundheitlicher Zwecke gehört (vgl. Salch, UR 1968, 298).

 

Bis zum Ergehen des EuGH-Urteils in Slg. 2000, I-6795, UR 2000, 432 bejahte die wohl herrschende Meinung eine Tätigkeit als Arzt bereits dann, wenn die Gutachtertätigkeit nur durch einen Arzt erfolgen konnte (vgl. Sauer in Plückebaum/Malitzky, Umsatzsteuergesetz, 10. Aufl., Stand März 1999, Köln/Berlin/Bonn/ München, § 4 Nr. 14 Rz. 70). Dem entspricht, dass auch die Leistungen der Schönheitschirurgen als steuerfrei behandelt wurden (so noch Oberfinanzdirektion --OFD-- Karlsruhe/ Stuttgart, Verfügung vom 25. März 2002, Steuererlasse in Karteiform --StEK--, Umsatzsteuergesetz 1980, § 4 Ziff. 14, Nr. 81), da auch sie nur durch einen Arzt durchgeführt werden können.

 

Die Finanzverwaltung ist von dieser weiten Auslegung der Vorschrift des § 4 Nr. 14 UStG jedoch zu Recht abgerückt, und vertritt nunmehr die Auffassung, dass ästhetisch-plastische Leistungen eines Chirurgen (Schönheitsoperationen) steuerpflichtig sind, wenn nicht nach den Umständen des Einzelfalls eine medizinische Indikation vorliegt (OFD München/Nürnberg, Verfügung vom 7. April 2003, StEK, Umsatzsteuergesetz 1980, § 4 Ziff. 14, Nr. 85). Nach den Grundsätzen der zitierten Rechtsprechung des EuGH reicht es nicht aus, dass die Operationen nur von einem Arzt ausgeführt werden können, vielmehr müssen sie der medizinischen Behandlung einer Krankheit oder einer anderen Gesundheitsstörung und damit dem Schutz der menschlichen Gesundheit dienen; nur dann liegt eine ärztliche Ausübung der Heilkunde vor.

 

3.

Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG waren die streitigen Schönheitsoperationen medizinisch nicht indiziert; ihre Kosten wurden von den Sozialversicherungsträgern nicht getragen. Sie dienten nicht der medizinischen Behandlung einer Krankheit oder einer anderen Gesundheitsstörung und sind deshalb nicht nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfrei.

 

4.

Der Hilfsantrag des Klägers, die Umsatzsteuer gemäß § 163 AO 1977 aus Billigkeitsgründen auf 0 DM/€ festzusetzen, ist unzulässig.

 

Das FG hat in der Sache lediglich über die Anfechtungsklage gegen die Umsatzsteuerbescheide für 1996 bis 1998 vom 15. Januar 2002 entschieden. Soweit der Kläger bereits beim FG die Berücksichtigung von Billigkeitserwägungen begehrte, hat es die Klage als unzulässig angesehen, da weder ein Ablehnungsbescheid vorgelegen habe noch das nach § 44 der Finanzgerichtsordnung (FGO) erforderliche Vorverfahren durchgeführt worden sei (S. 5 der Vorentscheidung). Einen Verfahrensmangel hat der Kläger insoweit nicht gerügt (zur Rüge eines Verfahrensmangels vgl. § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b FGO).

 

Es ist dem Senat deshalb aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht möglich, über den Billigkeitsantrag des Klägers in der Sache zu entscheiden. Bei der Entscheidung über diesen Billigkeitsantrag kann auch die frühere Behandlung der Schönheitsoperationen durch die Finanzverwaltung eine Rolle spielen.


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