Urteilstext
Tenor
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger auf die Arztrechnung vom 16.09.2016 hinsichtlich der Gebührenziffer 1375 eine weitere Beihilfe zu gewähren, auch soweit das angesetzte Honorar den Schwellenwert überschreitet. Der Bescheid vom 27.09.2016 und der Widerspruchsbescheid vom 15.11.2016 des beklagten Amtes werden aufgehoben, soweit sie dieser Verpflichtung entgegenstehen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand
Der Kläger begehrt eine weitere Beihilfe zu einer Arztrechnung, bei der der Schwellenwert nach der ärztlichen Gebührenordnung überschritten wurde.
Der Kläger ist Beamte des Landes Niedersachsen und mit einem Bemessungssatz von 70 % Beihilfe berechtigt.
Er unterzog sich einer Augenoperation, die der behandelnde Arzt mit Rechnung 16.09.2016 abrechnete. Bei der Gebührenziffer GOÄ 1375 setzte der Arzt dabei den Faktor 3,5 an. Er begründete diese Schwellenwertüberschreitung mit: „schwierige OP, extrem harter Linsenkern, Semiydriasis, Cataracta matura.“ Für diese Rechnung beantragte der Kläger eine Beihilfe.
Mit Bescheid vom 27.09.2016 bewilligte das beklagte Amt dem Kläger eine Beihilfe, hinsichtlich der Gebührenziffern 1375 jedoch nur bis zum Schwellenwert.
Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers wies das beklagte Amt mit Widerspruchsbescheid vom 15.11.2016, zugestellt am 19.11.2016, zurück. In der Begründung seien keine Besonderheiten dargelegt, sie betreffe alle Patienten mit ähnlicher Krankengeschichte.
Der Kläger hat am 16.12.2016 Klage erhoben.
Er vertritt die Auffassung, der Augenarzt habe zu Recht mit dem Faktor 3,5 abrechnen können, weil eine patientenbezogene Besonderheit vorgelegen habe und diese auch ausreichend begründet sei.
Der Klage war eine Stellungnahme der Ärztekammer Niedersachsen vom 30.11.2016 beigefügt; später legte der Kläger eine augenärztliche Bescheinigung der behandelnden Ärzte vom 24.01.2017 vor. Auf diese Unterlagen wird wegen der näheren Einzelheiten Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom Simon 20.09.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.11.2016 zu verpflichten, ihm, dem Kläger, eine weitere Beihilfe in Höhe von EUR 171,37 zu zahlen.
Das beklagte Amt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es vertritt die Auffassung, in der Rechnung und der späteren ärztlichen Stellungnahme seien keine patientenbezogenen Besonderheiten dargelegt, die eine Überschreitung des Schwellenwertes rechtfertigen könnten. Es ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Ablauf des operativen Eingriffs beim Kläger vom sonst üblichen Ablauf abweiche. Aus langjähriger Erfahrung könne gesagt werden, dass ein harter Linsenkern einen immer wiederkehrenden Umstand und daher bei der Erbringung der Leistungen nach der Gebührenziffern 1375 GOÄ den Regelfall darstelle. Es verweise zudem auf ein Urteil des Verwaltungsgerichtes München vom 08.12.2016 - M 17 K 16.483 -. Auch die Gutachterin habe nicht bestätigt, dass die Operation beim Kläger technisch schwieriger gewesen sei. Sie habe zudem zu verstehen gegeben, dass in der Mehrzahl der Fälle ein harter Linsenkern vorliege.
Das Gericht holte zu der Frage, ob ein extrem harter Linsenkern die beim Kläger erfolgte, in diesem Verfahren gegenständliche Augenoperation tatsächlich schwieriger gestaltet hat als dies bei einem Patienten mit einem nicht so harten Linsenkern der Fall gewesen wäre und ob diese Schwierigkeiten schon von einem erfahrenen Arzt als überdurchschnittlich eingestuft werden können und zu der Frage, ob bei Patienten, die eine Cataract-Operation durchführen lassen, häufiger ein „extrem harter Linsenkern“ vorliegt, ein Sachverständigengutachten der Sachverständigen Dr. med. … ein. Wegen des näheren Inhaltes des Gutachtens wird auf Blatt 67 ff. der Gerichtsakte Bezug genommen.
Alle Beteiligten haben sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung und mit einer Entscheidung des Berichterstatters anstelle der Kammer einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Im Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung gemäß § 87a Abs. 2 und 3 VwGO durch den Berichterstatter und nach § 101 Abs. 2 VwGO weiterhin ohne mündliche Verhandlung.
Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Beihilfe auf die Rechnung vom 16.09.2016 auch soweit bei der GOÄ-Ziff. 1375 der Schwellenwert überschritten und der Arzt beim Honorar den Faktor 3,5 angesetzt hat. Diese Aufwendungen sind noch angemessen.
Die Frage der Angemessenheit der Aufwendungen richtet sich gemäß § 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 NBhVO ausschließlich nach dem Gebührenrahmen der zahnärztlichen Gebührenordnung. Beihilfefähig ist nach alledem eine Rechnung auf der Basis einer zutreffenden Auslegung des Gebührenrechts. Es gibt grundsätzlich keine unterschiedliche Angemessenheit hinsichtlich des Honoraranspruchs einerseits und der Beihilfefähigkeit andererseits. Angemessen sind regelmäßig die nach § 5 GOÄ vom Arzt rechtmäßigerweise anzusetzenden Gebühren.
Nach § 5 Abs. 2 GOÄ bildet der 2,3fache Gebührensatz die nach Schwierigkeit und Zeitaufwand durchschnittliche Leistung ab; ein Überschreiten dieses Gebührensatzes ist aber zulässig, wenn Besonderheiten der in Satz 1 genannten Bemessungskriterien (Schwierigkeit und des Zeitaufwandes der einzelnen Leistung sowie der Umstände bei der Ausführung) dies rechtfertigen.
Allerdings bestimmt § 5 Abs. 1 Satz 4 NBhVO, dass Aufwendungen, die auf einer Überschreitung des Schwellenwertes des Gebührenrahmens beruhen, nur dann angemessen sind, wenn patientenbezogene Besonderheiten, die eine Ausnahme darstellen, vorliegen. Das Gericht sieht darin jedoch keine über § 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 NBhVO hinausgehende Einschränkung der Beihilfefähigkeit (eine derartige Regelung dürfte im Hinblick auf die gegenüber dem einzelnen Beamten bestehende Fürsorgepflicht auch rechtlich sehr bedenklich sein). Denn die bei der ärztlichen Versorgung über den Durchschnitt hinausgehenden Schwierigkeiten und ein dadurch bedingter erhöhter Zeitaufwand kann seine Ursache nur in patientenbezogenen Umständen haben. Es ist nicht davon auszugehen, dass die GOÄ auch dann der Arzt ein erhöhtes Honorar zubilligen wollte, wenn die Schwierigkeiten bzw. der erhöhte Zeitaufwand auf Umstände zurückzuführen sind, die etwa in seinen unter den Durchschnitt liegenden ärztlichen Fähigkeiten oder seiner mangelhaften technischen Ausstattung zu suchen sind.
Für die Entscheidung, ob nach den Maßstäben des Beihilferechts Aufwendungen für ärztliche Leistungen angemessen sind, ist die Auslegung des ärztlichen Gebührenrechts durch die Zivilgerichte maßgebend (OVG Lüneburg, Urteil vom 05.04.2011 - 5 LB 231/10 - ). Die Entscheidung der Beihilfestelle, ob die Aufwendungen notwendig und angemessen sind, ist keine Ermessensentscheidung und unterliegt uneingeschränkter verwaltungsgerichtlicher Kontrolle (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Beschluss vom v. 19.1.2011 - 2 B 64.10 -, zitiert nach juris, Rn. 5; Urteil vom 16.12.2009 - 2 C 79.08 -, NVwZ-RR 2010, 365 und zitiert nach juris, Rn. 14; Urteil vom 28.10.2004 - 2 C 34.03 -, ZBR 2005, 169 und zitiert nach juris, Rn. 11, 14).
Zwar hat in dem hier zu entscheidenden Fall bislang kein Zivilgericht die Rechtsfrage geklärt, ob der Arzt des Klägers seine ärztlichen Leistungen hinsichtlich der streitigen Gebührenziffern mit dem 2,3fachen oder abrechnen oder den Schwellenwert überschreiten durften. Der Bundesgerichtshof hat aber in seinem Urteil vom 8. November 2007 (- III ZR 54/07 -, BGHZ 174, 101 und juris) die Frage entschieden, unter welchen Voraussetzungen ein Arzt persönlich-ärztliche Leistungen mit dem Höchstsatz der Regelspanne des 2,3fachen des Gebührensatzes abrechnen darf. Er hat abschließend in Auseinandersetzung mit der zivilgerichtlichen Judikatur und auch der von dem Verwaltungsgericht zitierten bundesverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung sowie insbesondere unter Berücksichtigung der Entwicklung der Abrechnungspraxis ärztlicher Gebühren festgestellt, dass es nicht als ermessensfehlerhaft anzusehen ist, wenn persönlich-ärztliche Leistungen, die sich in einem Bereich durchschnittlicher Schwierigkeiten und einem durchschnittlichen Zeitaufwand befinden sowie nicht durch Erschwernisse gekennzeichnet sind, zum Schwellenwert von 2,3 abgerechnet werden (OVG Lüneburg, a. a. O unter Hinweis auf BGH, a. a. O., zitiert nach juris, Rn. 11 ff. <18, 21>).
Ist demnach zivilgerichtlich festgestellt, dass ein Arzt ohne Begründung seine Leistung mit dem 2,3fachen Gebührenwert abrechnen darf, wenn die Behandlung mit durchschnittlichen Schwierigkeiten und durchschnittlichem Zeitaufwand ohne Erschwernisse verbunden war (vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 19.1.2011 - 2 B 70.10 -, juris und Beschl. v. 5.1.2011 - 2 B 55.10 -, juris), folgt daraus auch für das Beihilferecht, dass der Arzt den Schwellenwert des 2,3fachen Gebührenwertes dann überschreiten kann, wenn er überdurchschnittliche Schwierigkeiten und einen überdurchschnittlichen Zeitaufwand der Leistungen und überdurchschnittlich schwierige Umstände der Ausführung schriftlich begründet (OVG Lüneburg, a. a. O.).
Allerdings muss die Begründung überdurchschnittlicher Schwierigkeiten die in § 5 Abs. 2 Satz 4 letzter Halbsatz GOÄ genannten Besonderheiten der in Satz 1 genannten Bemessungskriterien eindeutig aufzeigen. Die Überschreitung des 2,3fachen Gebührensatzes setzt nämlich nach dieser Vorschrift voraus, dass Besonderheiten gerade bei der Behandlung des betreffenden Patienten, abweichend von der großen Mehrzahl der Behandlungsfälle, aufgetreten sind. Dem Ausnahmecharakter des Überschreitens des Schwellenwertes widerspräche es, wenn schon eine vom Arzt allgemein oder häufig, jedenfalls nicht nur bei einzelnen Patienten wegen in ihrer Person liegender Schwierigkeiten, angewandte Verfahrensweise bei der Ausführung einer im Gebührenverzeichnis beschriebenen Leistung als eine das Überschreiten des Schwellenwertes rechtfertigende Besonderheit angesehen würde. Diese Betrachtungsweise ergibt sich aus der Gegenüberstellung der "in der Regel" einzuhaltenden Spanne zwischen dem einfachen Gebührensatz und dem Schwellenwert einerseits mit dem zulässigen Überschreiten dieses Wertes wegen Besonderheiten der Bemessungskriterien andererseits (§ 5 Abs. 2 Satz 4 GOZ) sowie aus der Anordnung einer schriftlichen Begründung des Überschreitens des Schwellenwertes, die auf Verlangen näher zu erläutern ist (§ 12 Abs. 3 GOÄ). Für eine nähere Erläuterung ist sinnvoll nur Raum, wenn Besonderheiten gerade des vorliegenden Einzelfalles darzustellen sind; könnte schon eine bestimmte, vom Einzelfall unabhängige Art der Ausführung der im Gebührenverzeichnis beschriebenen Leistung das Überschreiten des Schwellenwertes rechtfertigen, so wäre dies mit einem kurzen Hinweis auf die angewandte Ausführungsart abschließend dargelegt (OVG Lüneburg, a. a. O.).
Zwar verkennt das Gericht nicht, dass in der Vergangenheit verschiedentlich von einigen Beihilfe gewährenden Stellen unzumutbar hohe Anforderungen an die Begründung der Schwellenwertüberschreitung gestellt wurden. Es kann nicht angehen, dass der Arzt bzw. Zahnarzt für die Begründung der Schwellenwertüberschreitung mehr Zeit aufwenden muss als für die eigentliche Behandlung, zumal es sich oft nur um relativ geringe Beträge handelt. Ausführliche ärztliche Berichte oder gar Gutachten können nicht verlangt werden. Jedoch muss sich aus der gegebenen Begründung andererseits aber auch nachvollziehbar entnehmen lassen, weshalb bei dem Patienten nun eine überdurchschnittliche Erschwernis vorlag.
Nach diesen Grundsätzen sind die Aufwendungen des Klägers hinsichtlich des Honorars zur GOÄ 1374 angemessen. Bei dem Kläger lag eine patientenbezogene überdurchschnittliche Schwierigkeit vor, die ausreichend vom Arzt begründet wurde.
Dass beim Kläger bei der Operation des grauen Stars ein extrem harter Linsenkern vorgelegen hat, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Das Gericht sieht ebenfalls keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Angaben des Arztes nicht den Tatsachen entsprechen.
Nach dem eingeholten Sachverständigengutachten ist die Operation an einem harten Linsenkern schwieriger und bedeutend zeitaufwendiger als bei einem nicht harten Linsenkern. Auch ist danach bei einer harten Linse besonders vorsichtiges Hantieren geboten, weil hier die Gefahr einer Kapselruptur gegeben ist und das Operationsrisiko insgesamt erhöht wird.
Zwar ist dem Beklagten einzuräumen, dass die Gutachterin zu der Häufigkeit eine Operation mit harten Linsenkern keine hinreichenden Angaben gemacht hat. Sie hat lediglich ausgeführt, dass dem Patienten angeraten wird, mit einer Operation nicht allzu lange zu warten, weil ein extrem harter Linsenkern ungern operiert werde. In Großstädten würden Patienten in der Regel eher nicht solange warten bis der Linsenkern hart sei.
Nach dem unstreitigen Sachverhalt liegt beim Kläger aber nicht nur ein harter, sondern ein „extrem harter“ Linsenkern vor. Der Begriff „extrem“ zeigt dabei schon auf, dass es sich nicht um einen Regelfall handeln kann, sondern hier eine patientenbezogene Besonderheit vorliegt, die das durchschnittliche Maß deutlich überschreitet.
Das Gericht ist nach alledem zu der Überzeugung gelangt, dass unter Berücksichtigung des eingeholten Gutachtens eine besondere Schwierigkeit, die auf individuelle Besonderheiten des Patienten zurückgeht, hinreichend dargelegt wurde.
Gründe für die Zulassung der Berufung gem. §§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO sind nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.