Beschlusstext
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Osnabrück - 3. Kammer - vom 25. Juli 2022 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 28.000,00 Euro festgesetzt.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt B. für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich im Eilverfahren gegen ein infektionsschutzrechtliches Tätigkeitsverbot.
Nach § 20a Abs. 1 und 2 Infektionsschutzgesetz - IfSG - müssen Personen in bestimmten Einrichtungen, zu denen u.a. Arzt- und Zahnarztpraxen gehören, ab 15. März 2022 über einen Impf- oder Genesenennachweis gegen das Coronavirus (SARS-CoV-2) verfügen. Gemäß § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG kann das Gesundheitsamt einer Person, die keinen Nachweis innerhalb einer angemessenen Frist vorlegt, u.a. untersagen, dass sie in einer solche Einrichtung tätig wird.
Hierauf gestützt untersagte das Gesundheitsamt des Antragsgegners mit Bescheid vom 9. Juni 2022 dem ungeimpften Antragsteller, in seiner Zahnarztpraxis oder in einer anderen Einrichtung, die dem Geltungsbereich des § 20 Abs. 1 IfSG unterfällt, befristet bis zum 31. Dezember 2022, als Zahnarzt tätig zu sein.
Der Antragsteller hat daraufhin Klage beim Verwaltungsgericht Osnabrück (3 A 144/22) erhoben, über die noch nicht entschieden ist, und zugleich um vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht.
Den Eilantrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen das Tätigkeitsverbot hat das Verwaltungsgericht Osnabrück mit Beschluss vom 25. Juli 2022 abgelehnt. Das Vollziehungsinteresse des Antragsgegners überwiege das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Das auf der Grundlage des § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG angeordnete Tätigkeitsverbot sei nach summarischer Prüfung rechtmäßig. Eine Verfassungswidrigkeit der in § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3, Abs. 2 IfSG normierten einrichtungsbezogenen Nachweispflicht bezüglich einer Covid-19-Immunität sei nicht zu erkennen. Insoweit werde u.a. auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 27. April 2022 (1 BvR 2649/21 -, juris) verwiesen. Verfassungsrechtliche Bedenken bestünden auch nicht gegen die Regelung des § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG. Auch insoweit werde auf die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in dem genannten Beschluss Bezug genommen. Der Antragsteller als in eigener Praxis tätiger Zahnarzt sei auch vom Anwendungsbereich des § 20 Abs. 1 IfSG umfasst (vgl. Nr. 1 lit. h). Eine Kontraindikation des Antragstellers i.S.d. § 20a Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 IfSG sei nicht dargelegt. Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung, die der Antragsgegner mit einem Widerrufsvorbehalt für den Fall versehen habe, dass der Antragsteller einen Impf- oder Genesenennachweis vorlege, bestehe bei summarischer Prüfung nicht. Die Verfügung weise insbesondere keine Ermessensfehler auf. Entgegen der Ansicht des Antragstellers habe der Antragsgegner weder die massiven Folgen der streitgegenständlichen Verfügung für diesen ignoriert noch das Risiko für betroffene Dritte unverhältnismäßig überhöht. Der Antragsteller habe als Zahnarzt unmittelbaren und engen Kontakt zu den Gesichtern seiner Patienten, insbesondere zu deren Mund- und Nasenöffnungen. Trotz aller vom Antragsteller ergriffenen Vorsichtsmaßnahmen sei in dieser Konstellation das Risiko für eine Übertragung des Virus durch den ungeimpften Antragsteller auf seine Patienten oder auch Mitarbeitenden am Stuhl erheblich erhöht. Dabei komme es nicht allein auf eine etwaig erhöhte Übertragungswahrscheinlichkeit, sondern vielmehr auf die unbestritten erhöhte Infektionswahrscheinlichkeit des Antragstellers an. Zudem sei zu berücksichtigen, dass das durch § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG besonders betroffene Personal in Heil- und Pflegeberufen eine besondere Verantwortung gegenüber den Patienten habe. Dieser besonderen Verantwortung müssten sich Angehörige dieser Berufsgruppen schon bei ihrer Berufswahl bewusst sein.
Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde.
II.
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers ist unbegründet. Die mit der Beschwerde dargelegten Gründe, auf deren Prüfung sich der Senat nach § 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO zu beschränken hat, geben keinen Anlass, den Beschluss des Verwaltungsgerichts zu ändern. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht dem Eilantrag den Erfolg versagt, da die Klage des Antragstellers bei summarischer Prüfung keine Aussicht auf Erfolg hat (1.). Auch eine Interessenabwägung unter dem Aspekt der sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheids des Antragsgegners führt zu keinem anderen Ergebnis (2.). Demnach kommt die begehrte Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nicht in Betracht.
1.
Rechtsgrundlage des in Ziffer 1 des Bescheids vom 9. Juni 2022 angeordneten Tätigkeitsverbots ist § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG. Nach dieser Vorschrift kann das Gesundheitsamt unter anderem einer Person, die trotz Anforderung nach § 20a Abs. 5 Satz 1 IfSG keinen Nachweis innerhalb einer angemessenen Frist vorlegt, untersagen, dass sie die dem Betrieb einer in § 20a Abs. 1 Satz 1 IfSG genannten Einrichtung oder eines dort genannten Unternehmens dienenden Räume betritt oder in einer solchen Einrichtung oder einem solchen Unternehmen tätig wird. § 20a Abs. 5 Satz 1 sieht wiederum vor, dass die in § 20a Abs. 1 Satz 1 IfSG genannten Personen dem Gesundheitsamt, in dessen Bezirk sich die jeweilige Einrichtung oder das jeweilige Unternehmen befindet, auf Anforderung einen Nachweis nach § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG vorzulegen haben. Gemäß § 20a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 IfSG müssen Personen, die in den in § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 IfSG im Einzelnen genannten Einrichtungen oder Unternehmen des Pflege- und Gesundheitssektors tätig sind, ab dem 15. März 2022 über einen Impf- oder Genesenennachweis im Sinne des § 22a Abs. 1 oder Abs. 2 IfSG verfügen, es sei denn, sie können aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpft werden (vgl. § 20a Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und 4 IfSG).
a)
Eine Verfassungswidrigkeit dieser Vorschriften, insbesondere des § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG, vermag der Senat im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht festzustellen.
Die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, die - wie hier im Fall einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage - im Ergebnis darauf hinausläuft, eine Regelung in einem formellen Gesetz gegenüber einem Antragsteller jedenfalls vorläufig nicht anzuwenden, ist an besondere Voraussetzungen geknüpft. Zwar sind die Fachgerichte in Bezug auf ein formelles Gesetz durch Art. 100 Abs. 1 GG nicht gehindert, schon vor der im Hauptsacheverfahren einzuholenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, wenn dies nach den Umständen des Falles im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes geboten erscheint und die Hauptsacheentscheidung nicht vorweggenommen wird (Senatsbeschl. v. 24.8.2022 - 14 ME 288/22 -, juris Rn. 14 und v. 6.4.2022 - 14 ME 180/22 -, juris Rn. 27; OVG NRW, Beschl. v. 22.7.2022 - 13 B 1466/21 -, juris Rn. 71 f. [jeweils im Zusammenhang mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung] unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschl. v. 24.6.1992 - 1 BvR 1028/91 -, juris Rn. 29 und BVerwG, Beschl. v. 5.7.2010 - 7 VR 5.10 -, juris Rn. 10 [im Zusammenhang mit einer Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO]).
Ein solches Vorgehen kann bei formellen Gesetzen aber nur unter Berücksichtigung der Vorgaben des Art. 100 Abs. 1 GG erfolgen (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 22.7.2022 - 13 B 1466/21 -, juris Rn. 73 f. und Beschl. v. 27.4.2009 - 16 B 539/09 -, juris Rn. 34 ff.).
Erforderlich ist mithin, dass das beschließende Gericht von der Verfassungswidrigkeit der in Rede stehenden Vorschrift überzeugt ist. Dies bedeutet im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, dass der Grundrechtsverstoß evident bzw. offenkundig ist (vgl. Senatsbeschl. v. 24.8.2022 - 14 ME 288/22 -, juris Rn.15 m.w.N.; OVG NRW, Beschl. v. 22.7.2022 - 13 B 1466/21 -, juris Rn. 75 f. m.w.N.; vgl. auch: OVG RP, Beschl. v. 2.9.2022 - 6 B 10723/22.OVG -, bislang nur PM).
Eine solche offenkundige Verfassungswidrigkeit des § 20a IfSG vermag der Senat derzeit nicht festzustellen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommt dem Gesetzgeber bei der Gestaltung von Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie ein weiter Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum zu. Allerdings müssen sich die getroffenen Maßnahmen auf hinreichend tragfähige tatsächliche und wissenschaftliche Erkenntnisse stützen lassen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.11.2021 - 1 BvR 781/21 u.a. -, juris Rn. 171). Auf dieser Grundlage hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 27. April 2022 entschieden, dass die Entscheidung des Gesetzgebers für die Einführung einer einrichtungs- und unternehmensbezogenen Nachweispflicht bezüglich einer Covid-19-Immunität gemäß § 20 IfSG in der konkreten Situation der Pandemie im Winter 2021 und nach Maßgabe der zu diesem Zeitpunkt bestehenden Erkenntnislage zu den Wirkungen der Covid-19-Schutzimpfungen sowie zu den großen Gefahren für Leben und Gesundheit vulnerabler Personen auch unter Berücksichtigung der hiermit für die Betroffenen verbundenen Eingriffstiefe verfassungsrechtlich tragfähig war. Nach damaliger überwiegender fachlicher Einschätzung sei von einer erheblichen Reduzierung der Infektions- und Transmissionsgefahr durch die Covid-19-Impfung ausgegangen worden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.4.2022 - 1 BvR 2649/21 -, juris, insb. Rn. 157 ff., 173 f.)
Zwar führt das Bundesverfassungsgericht in dieser Entscheidung weiter aus, dass die Verfassungsmäßigkeit einer Regelung zunächst nur aus einer ex-ante-Perspektive im Hinblick auf die verfügbaren Informationen und Erkenntnismöglichkeiten zu beurteilen ist. Gleichwohl könne eine zunächst verfassungskonforme Regelung später mit Wirkung für die Zukunft verfassungswidrig werden, wenn ursprüngliche Annahmen des Gesetzgebers nicht mehr trügen, weil sie durch nachträgliche Erkenntnisse oder Entwicklungen erschüttert würden. Bestehe dagegen eine Situation der Ungewissheit fort, weil es insbesondere auch der Wissenschaft nicht gelinge, die Erkenntnislage zu verbessern, wirke sich dies nicht ohne Weiteres auf die verfassungsrechtliche Beurteilung des weiteren Vorgehens aus (BVerfG, Beschl. v. 27.4.2022 - 1 BvR 2649/21 -, juris Rn. 235 unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschl. v. 19.11.2021 - 1 BvR 781/21 u.a. -, juris Rn. 177).
Bei Zugrundelegung der dargestellten Maßstäbe ist die Vorschrift des § 20a IfSG auch bis zum Zeitpunkt dieser gerichtlichen Entscheidung entgegen dem Beschwerdevorbringen nicht durch die weitere Entwicklung des Pandemiegeschehens offenkundig in die Verfassungswidrigkeit hineingewachsen (vgl. auch VG Düsseldorf, Beschl. v. 30.8.2022 - 29 L 1703/22 -, juris Rn. 25 ff; VG Neustadt a.d.W., Beschl. v. 20.7.2022 - 5 L 585/22.NW -, juris Rn. 23 ff.; OVG RP, Beschl. v. 2.9.2022 - 6 B 10723/22.OVG -, bislang nur PM)
Die dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 27. April 2022 zur einrichtungsbezogenen Nachweispflicht gemäß § 20a IfSG zugrundeliegenden Stellungnahmen der als sachkundige Dritte angehörten Fachgesellschaften bezifferten eine Impfstoffwirksamkeit gegenüber „der Omikron-Variante“ des Coronavirus SARS-CoV-2 - vorbehaltlich wissenschaftlicher Bewertungsunsicherheiten - bei dreifach Geimpften auf 40 bzw. 50 bis 70%; bei einer Grundimmunisierung sei die Schutzrate (teils mit 42,8% beziffert) zwar reduziert, aber nicht bzw. erst nach Ablauf von fünfzehn Wochen nach der Grundimmunisierung aufgehoben (1 BvR 2649/21 -, juris Rn. 184). Zudem bestehe eine im Allgemeinen niedrigere Wahrscheinlichkeit einer Übertragung durch eine geimpfte Person nach Infektion mit der Omikron-Variante (1 BvR 2649/21 -, juris Rn. 184).
Hiervon ausgehend führt das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 27. April 2022 bezogen auf den Zeitpunkt seiner Entscheidung aus, die Vertretbarkeit der gesetzgeberischen Eignungsprognose, die verfügbaren Impfstoffe würden auch gegenüber der Omikron-Variante des Coronavirus SARS-CoV-2 eine noch relevante Schutzwirkung entfalten, sei durch die weitere Entwicklung des Pandemiegeschehens nach Verabschiedung des Gesetzes ausweislich der Stellungnahmen der im dortigen Verfahren als sachkundige Dritte angehörten Fachgesellschaften nicht durchgreifend erschüttert worden. Dies gelte insbesondere auch für die gesetzgeberische Prognose, die verfügbaren Impfstoffe könnten vor einer Infektion schützen und - sollten sich Betroffene gleichwohl infizieren - zu einer Reduzierung des Transmissionsrisikos beitragen. Es sei weiterhin davon auszugehen, dass eine Impfung jedenfalls einen relevanten - wenn auch mit der Zeit abnehmenden - Schutz vor einer Infektion auch mit der aktuell vorherrschenden Omikron-Variante des Coronavirus biete. Dabei sei auch nicht erkennbar, dass die Impfwirksamkeit so sehr reduziert wäre, dass die Verwirklichung des mit dem angegriffenen Gesetz verfolgten Zwecks des Schutzes vulnerabler Menschen nur noch in einem derart geringen Maße gefördert würde, dass im Rahmen der Abwägung den widerstreitenden Interessen der von der einrichtungs- und unternehmensbezogenen Nachweispflicht Betroffenen von Verfassungswegen der Vorrang gebühren müsste. Zwar sei nach wie vor fachwissenschaftlich nicht gesichert, in welchem Maße die Schutzwirkung der Impfung mit der Zeit und abhängig von weiteren Faktoren konkret abnehme. Auch bestünden keine gesicherten Erkenntnisse zur genauen Höhe des reduzierten Transmissionsrisikos. Die bisherigen Annahmen des Gesetzgebers seien aber auch nicht grundlegend erschüttert, so dass sein insoweit bestehender Einschätzungs- und Prognosespielraum fortbestehe (BVerfG, Beschl. v. 27.4.2022 - 1 BvR 2649/21 -, juris Rn. 184 f.; 237 ff.).
Hiervon geht der Senat auch zum maßgeblichen Zeitpunkt dieser gerichtlichen Entscheidung weiter aus. Die wissenschaftliche Erkenntnislage hat sich seit Ergehen der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht derart geändert, dass die ursprüngliche Annahme des Gesetzgebers, eine Impfung gegen das Coronavirus schütze in nennenswertem Umfang vor einer Infektion und einer weiteren Transmission des Virus, unzutreffend geworden und deshalb nunmehr von einer offenkundigen materiellen Verfassungswidrigkeit des § 20a IfSG auszugehen wäre (vgl. auch VG Düsseldorf, Beschl. v. 30.8.2022 - 29 L 1703/22 -, juris Rn. 29 ff; VG Neustadt a.d.W., Beschl. v. 20.7.2022 - 5 L 585/22.NW -, juris Rn. 26 ff.; vgl. auch: OVG RP, Beschl. v. 2.9.2022 - 6 B 10723/22.OVG -, bislang nur PM). Tragbare wissenschaftliche Erkenntnisse, wonach Impfungen keinerlei Einfluss auf die Infektionstätigkeit haben, sind derzeit nicht ersichtlich und auch von dem Antragsteller nicht dargelegt worden. Nach den Ausführungen des Robert Koch-Instituts (im Folgenden: RKI), der nationalen Behörde zur Vorbeugung übertragbarer Krankheiten sowie zur frühzeitigen Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen (§ 4 Abs. 1 Satz 1 IfSG), auf seiner Internetseite stellt sich die derzeitige Erkenntnislage vielmehr wie folgt dar:
„Die Covid-19-mRNA-Impfstoffe Comirnaty (BioNTech/Pfizer) und Spikevax (Moderna) und der Vektor-Impfstoff JCOVDEN (Johnson & Johnson) bieten vor der Omikron-Variante weniger Schutz als vor der sog. Delta-Variante. (…)
Die Studienergebnisse zeigen, dass die Wirksamkeit nach zwei Impfstoffdosen (Grundimmunisierung) gegenüber jeglicher oder symptomatischer Erkrankung durch die Omikron-Variante insgesamt gering sei und zudem mit der Zeit deutlich nachlasse. Durch eine Auffrischimpfung kann die Schutzwirkung verbessert werden. Gegen schwere Erkrankungen bietet die Impfung weiterhin einen guten Schutz. Die Datenlage deutet darauf hin, dass auch hier die Schutzwirkung nach der Grundimmunisierung abfällt, jedoch weniger stark als im Vergleich zu jeglichen bzw. symptomatischen Erkrankungen.
Nach einer Auffrischimpfung ist die Wirksamkeit gegenüber schweren Erkrankungen erneut hoch. Daten wiesen auch nach Auffrischimpfung auf einen nachlassenden Schutz vor (symptomatischer) Infektion über die Zeit hin. Die hohe Schutzwirkung gegenüber schweren Infektionen bleibt aber mindestens über sechs bis neun Monate nach der Auffrischimpfung bestehen. (…)
Über die Transmission unter Omikron gibt es bisher keine ausreichenden Daten; sie scheint bei Geimpften weiterhin reduziert zu sein, wobei das Ausmaß der Reduktion nicht vollständig geklärt ist. Haushaltsstudien aus Norwegen und Dänemark zeigten, dass eine Impfung auch unter vorherrschender Zirkulation der Omikron-Variante die Übertragbarkeit um ca. 6 bis 21 % nach Grundimmunisierung und nach Auffrischimpfung um weitere 5 bis 20 % reduziert (vgl. RKI, Wie wirksam sind die Covid-19-Impfstoffe?, Stand: 18. August 2022, abrufbar unter www.rki.de/SharedDocs/FAQ/COVID-Impfen/FAQ_Liste_Wirksamkeit.html).
Auch das Bundesverwaltungsgericht hat sich in zwei - bisher nicht im Volltext veröffentlichten - Beschlüssen vom 7. Juli 2022 (Az. 1 WB 2.22 und 1 WB 5.22), die Beschwerden von zwei Luftwaffenoffizieren gegen die Verpflichtung, die Covid-19-Impfung zu dulden, betrafen, nach einer von ihm durchgeführten umfangreichen Sachverständigenanhörung der Bewertung des BVerfG angeschlossen, dass die Impfung gegenüber der nunmehr vorherrschenden Omikron-Variante nach wie vor eine noch relevante Schutzwirkung im Sinne einer Verringerung der Infektion und Transmission habe (vgl. die zu den beiden Entscheidungen veröffentlichten Pressemitteilungen des BVerwG vom 7. Juli 2022, abrufbar unter www.bverwg.de/pm/2022/44).
Hinzu kommt, dass die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) mittlerweile die Zulassung der an die Omikron-Variante angepassten Impfstoffe gegen das Corona-Virus empfohlen und die EU-Kommission dieser Empfehlung auch gefolgt ist (vgl. auch: OVG RP, Beschl. v. 2.9.2022 - 6 B 10723/22.OVG -, bislang nur PM).
b)
Entgegen dem Beschwerdevorbringen hat der Antragsgegner nach im Eilverfahren allein möglicher und gebotener summarischer Prüfung auch das ihm im Rahmen des § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG zustehende Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht nach § 114 Satz 1 VwGO auch, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts legt der § 20a Abs. 5 IfSG zugrundeliegende Regelungszweck, vulnerable Personen zu schützen, sowohl die Anforderung des Nachweises als auch - bei dessen nicht rechtzeitiger Vorlage - den Erlass einer Anordnung nach § 20a Abs. 5 Satz 2 IfSG in der Regel nahe. Vorbehaltlich besonders gelagerter Einzelfälle dürfe daher für das Gesundheitsamt letztlich kein relevanter Spielraum bestehen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.4.2022 - 1 BvR 2649/21 -, juris Rn. 85).
In den Blick zu nehmen ist aber auch, dass der Gesetzgeber für bereits zum 15. März 2022 in einer von § 20a Abs. 1 Satz 1 IfSG erfassten Einrichtung tätige Personen - wie den Antragsteller - kein sich unmittelbar kraft Gesetzes ergebendes Betretungs- oder Tätigkeitsverbot geregelt, sondern dessen Anordnung nach § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG gerade von einer ermessensgeleiteten Einzelfallentscheidung des Gesundheitsamts abhängig gemacht hat. Die zuständige Behörde muss das ihr eingeräumte Ermessen (rechtmäßig) ausüben und darf dessen Grenzen nicht über- oder unterschreiten. Darüber hinaus muss sich das Gesundheitsamt des Eingriffs seiner Maßnahmen in die Grundrechte der betroffenen Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 12 Abs. 1 GG bewusst sein (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.4.2022 - 1 BvR 2649/21 -, juris Rn. 147, 215).
Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe liegt hier kein Ermessensfehler vor. Ausweislich der Begründung des Bescheides war sich der Antragsgegner des ihm zustehenden Ermessens bewusst und hat im Rahmen der Ausübung dieses Ermessens auch die Belange des Antragstellers, insbesondere die von ihm im Verwaltungsverfahren geltend gemachten, gewürdigt.
Es bestehen im Eilverfahren auch keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit des angeordneten Tätigkeitsverbotes. Die Anordnung ist zur Erreichung eines legitimen Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen.
Das Betretungs- und Tätigkeitsverbot dient einem legitimen Zweck, nämlich dem Schutz von Gesundheit und Leben der von dem Antragsteller behandelten und im Hinblick auf eine Covid-19-Erkrankung jedenfalls teilweise als besonders vulnerabel einzustufenden Patientinnen und Patienten (vgl. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG; vgl. dazu auch BVerfG, Beschl. v. 27.4.2022 - 1 BvR 2649/21 -, juris Rn. 154 f. in Bezug auf die legitimen Ziele der Vorschrift des § 20a IfSG).
Das gegenüber dem Antragsteller angeordnete Betretungs- und Tätigkeitsverbot ist zur Erreichung dieses legitimen Zwecks voraussichtlich auch geeignet. Das ist im verfassungsrechtlichen Sinne schon dann der Fall, wenn mit Hilfe der Maßnahme der gewünschte Erfolg gefördert werden kann, wobei die abstrakte Möglichkeit der Zweckerreichung genügt. Es ist nicht erforderlich, dass der Erfolg in jedem Einzelfall auch erreicht wird oder jedenfalls erreichbar ist (BVerfG, Beschl. v. 27.4.2022 - 1 BvR 2649/21 -, juris Rn.166). Dies zugrunde gelegt, ist es nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner davon ausgeht, das Tätigkeitsverbot gegenüber dem Antragsteller, der keinen Immunitätsnachweis im Hinblick auf das Coronavirus vorgelegt hat, diene dem Schutz der von ihm behandelten, teilweise besonders vulnerablen Personen. Insbesondere ist nach derzeitigem Sach- und Streitstand - wie dargelegt - die Annahme, dass die vorhandenen Impfstoffe eine noch relevante Schutzwirkung im Hinblick auf eine Infektion und eine weitere Transmission des Virus haben, weiterhin tragfähig.
Das Tätigkeitsverbot ist auch erforderlich. Ein aus Sicht des Antragstellers weniger eingriffsintensives, zur Zweckerreichung ebenso geeignetes Mittel ist nicht ersichtlich. Es ist in diesem Zusammenhang zunächst rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner ein Tätigkeitsverbot gegenüber dem Antragsteller ausgesprochen hat. Zwar kann die isolierte Anordnung eines Betretungsverbotes nach den Erwägungen des BVerfG ein milderes Mittel gegenüber der (zusätzlichen) Anordnung eines Tätigkeitsverbotes darstellen, da Mitarbeitern ohne einen Immunitätsnachweis dann eine berufliche Tätigkeit etwa im Home-Office weiter möglich wäre (BVerfG, Beschl. v. 27.4.2022 - 1 BvR 2649/21 -, juris Rn. 215). Vorliegend hat der Antragsgegner dennoch zu Recht ein Tätigkeitsverbot ausgesprochen. Denn bei der Aussprache eines reinen Betretungsverbotes für seine Zahnarztpraxis könnte nicht ausgeschlossen werden, dass der Antragsteller sich örtlich anderweitig als Zahnarzt betätigt. Eine Tätigkeit im Homeoffice scheidet bei ihm ohnedies aus.
Auch der Vortrag des Antragstellers, er unterziehe sich vor jedem Arbeitstag einem Corona-Test und trage im Umgang mit seinen Patientinnen und Patienten zumindest eine medizinische, teilweise auch eine FFP2-Maske, stellt die Erforderlichkeit des angeordneten Betretungs- und Tätigkeitsverbotes nicht durchgreifend in Frage. Denn sowohl eine regelmäßige Testung als auch die Einhaltung sonstiger Hygienemaßnahmen stellen keinen gleichwertigen Schutz wie eine Immunisierung dar, gerade bei Kontakt mit besonders vulnerablen Personen (vgl. dazu im Einzelnen: BVerfG, Beschl. v. 27.4.2022 - 1 BvR 2649/21 -, juris Rn. 192 ff., 197 und Beschl. v. 19.11.2021 - 1 BvR 781/21 u.a. -, juris Rn. 210).
Die streitgegenständliche Regelung erweist sich schließlich nach summarischer Prüfung auch als angemessen. Die mit der Regelung für den Antragsteller verbundenen Nachteile stehen nicht außer Verhältnis zu den bezweckten Vorteilen.
Zwar greift das angeordnete Tätigkeitsverbot erheblich in das Recht des Antragstellers auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ein und betrifft zudem seine Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG. Die getroffene Anordnung begründet zwar keinen Impfzwang, sondern überlässt dem Antragsteller letztlich die Entscheidung, den erforderlichen Nachweis zu erbringen. Sie stellt den Antragsteller aber de facto vor die Wahl, entweder seine bisherige Tätigkeit zumindest zwischenzeitlich aufzugeben und damit die im Verfahren geltend gemachten finanziellen Einbußen hinzunehmen oder aber in die Beeinträchtigung seiner körperlichen Integrität durch die Impfung einzuwilligen (vgl. dazu auch BVerfG, Beschl. v. 27.4.2022 - 1 BvR 2549/21 -, juris Rn. 206 ff. in Bezug auf die Angemessenheit der Vorschrift des § 20a IfSG).
Es ist jedoch nach summarischer Prüfung dennoch nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner durch seine Anordnung dem Schutz von Leib und Leben der von dem Antragsteller behandelten Patientinnen und Patienten gegenüber den Rechten des Antragstellers den Vorrang eingeräumt hat. Bei den durch das Tätigkeitsverbot geschützten Schutzgütern handelt es sich um Verfassungsgüter von überragendem Stellenwert (vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 27.4.2022 - 1 BvR 2649/21 -, juris Rn. 217 ff. in Bezug auf die Angemessenheit der Regelung des § 20a IfSG). Das Verwaltungsgericht hat zudem zutreffend darauf hingewiesen, dass gerade der Antragsteller als Zahnarzt unmittelbaren und engen Kontakt zu den Gesichtern seiner Patientinnen und Patienten hat insbesondere auch zu deren Mund- und Nasenöffnungen und dass dadurch die Übertragungswahrscheinlichkeit ohnedies bereits erhöht ist.
Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Eingriffstiefe auf Seiten des Antragstellers zum einen dadurch abgemildert wird, dass das angeordnete Tätigkeitsverbot - entsprechend der Geltungsdauer der zugrundeliegenden Rechtsgrundlage des § 20a IfSG, der zum 1. Januar 2023 außer Kraft tritt (vgl. Art. 2 Nr. 1 und 2a i.V.m. Art. 23 Abs. 4 des Gesetzes zur Stärkung der Impfprävention gegen Covid-19 und zur Änderung weiterer Vorschriften im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie) - bis zum 31. Dezember 2022 befristet ist. Zum anderen gilt die Anordnung auch nur bis zur Vorlage eines Nachweises im Sinne des § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG. Damit besteht für den Antragsteller insbesondere die Möglichkeit, ein ärztliches Zeugnis über das Vorliegen einer medizinischen Kontraindikation im Sinne des § 20a Abs. 1 Satz 2 IfSG vorzulegen. Im Übrigen ist bezüglich des Auftretens von gravierenden Folgen einer Impfung gegen das Coronavirus - wie sie der Antragsteller augenscheinlich befürchtet - von einer nur sehr geringen Wahrscheinlichkeit auszugehen (vgl. dazu im Einzelnen BVerfG, Beschl. v. 27.4.2022 - 1 BvR 2649/21 -, juris Rn. 222, 230 ff. in Bezug auf die Angemessenheit der Vorschrift des § 20a IfSG).
2.
Unabhängig von der offensichtlichen Rechtmäßigkeit des vom Antragsgegner verhängten Tätigkeitsverbots für den Antragsteller führt auch eine unter dem Aspekt der sofortigen Vollziehbarkeit des angegriffenen Bescheids vorgenommene gerichtliche Abwägungsentscheidung in diesem Aussetzungsverfahren zu keinem anderen Ergebnis. Es liegen keine Gründe vor, trotz der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids dem privaten Aufschubinteresse des Antragstellers gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Tätigkeitsverbots den Vorrang einzuräumen.
3.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG, wobei der Senat sich - wie das Verwaltungsgericht - an dem vom Antragsteller vorgetragenen wirtschaftlichen Verlust orientiert. Eine Reduzierung des Streitwertes gemäß Ziff. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit erscheint hier angesichts der befristeten Geltung der einschlägigen Vorschriften bis zum Ende dieses Jahres nicht angemessen. Mit einer Entscheidung in der Hauptsache dürfte vor Ablauf der Frist nicht zu rechnen sein, so dass die Entscheidung im Eilrechtsschutz damit in der Sache abschließend sein dürfte.
4.
Die beantragte Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren kann nicht bewilligt werden, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den oben dargelegten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).