Urteilstext
Tenor
Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg – Kn. Lörrach – vom 14.06.2021 – 8 Ga 1/21 – wird auf deren Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Frage, ob der Arbeitgeberin, die eine Praxis für Zahnmedizin betreibt, im Rahmen einer einstweiligen Verfügung zu untersagen ist, die bei ihr beschäftigte Oralchirurgin oralchirurgische und zahnärztliche Tätigkeiten ausüben zu lassen.
Die Verfügungsklägerin (im Folgenden: Klägerin) ist seit dem 1. Januar 2020 bei der Verfügungsbeklagten (im Folgenden: Beklagte) zuletzt als Oralchirurgin mit einer Bruttomonatsvergütung von ca. 7.500.- € beschäftigt.
Im Sommer 2020 wurde die Klägerin schwanger, worauf die Beklagte für die Zeit der Schwangerschaft ein betriebliches Beschäftigungsverbot aussprach.
Am 12. März 2021 brachte die Klägerin ihr Kind zur Welt. Bis einschließlich 20. Mai 2021 befand sie sich im Mutterschutz. Dann nahm sie bis einschließlich 22. Juni 2021 Resturlaub aus dem Jahr 2020 und wurde seitens der Beklagten aufgefordert, ihre Tätigkeit am 23. Juni 2021 wieder aufnehmen (Schreiben des Beklagtenvertreters v. 17. Mai 2021, Anl. 2).
Allerdings kam es zwischen den Parteien zum Streit, ob ein weiteres Beschäftigungsverbot wegen unverantwortbarer Gefährdungen aufgrund Stillen des Kindes vorliege. Diesbezüglich erstellte die Beklagte am 18. März 2021 eine Gefährdungsbeurteilung, wonach keine unverantwortbare Gefährdung für Mutter und Kind vorliege (Anl. 3).
Die Klägerin hat in ihrer beim Arbeitsgericht Freiburg – Kammern Lörrach – am 26. Mai 2021 eingegangenen einstweiligen Verfügungsklage im Wesentlichen vorgetragen, sie stille ihr Kind bis auf weiteres.
Ihre Tätigkeiten seien mit unverantwortbaren Gefährdungen für Mutter und Kind verbunden. In der Vergangenheit habe sie sich bei der Arbeit auch an Instrumenten verletzt. Es bestehe die Gefahr, dass sie mit Blut und Speichel von Patienten in Berührung komme, zum Beispiel durch das Spritzen von Körperflüssigkeiten in ihr Auge. Auch das sei schon vorgekommen. Ebenso sei eine Übertragung von Krankheiten durch Aerosole möglich. Zudem sei die Corona-Pandemie zu berücksichtigen. Die insgesamt vorliegenden Gefährdungen seien als unverantwortbar einzustufen. Es bestehe eine Gesundheitsgefahr für sie und ihr zu stillendes Kind. Es genüge schon eine sehr geringe Infektionsgefahr. Diese sei nicht durch Schutzvorkehrungen auszuschließen, weshalb stets ein Risiko bestehen bleibe. Die Berufung der Beklagten auf Hinweise und Empfehlungen zum Schutz stillender Frauen des Ad-hoc-Arbeitskreises Stillschutz sei nicht zulässig. Denn im Rahmen dieses Papiers würden die meisten Infektionskrankheiten aus nicht nachvollziehbaren Gründen nicht als mit unverantwortbaren Gefährdungen verbunden beurteilt.
Die Klägerin hat vor dem Arbeitsgericht – ohne allerdings ein Hauptsacheverfahren einzuleiten - zuletzt beantragt:
Der Beklagten wird bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache bzw. bis zum Ende der Stillzeit der Klägerin – je nachdem, welches Ereignis zuerst eintritt – untersagt, die Klägerin Oralchirurgie und zahnärztliche Tätigkeiten ausüben zu lassen.
Hilfsweise:
Der Beklagten wird bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache bzw. bis zum Ende der Stillzeit der Klägerin – je nachdem, welches Ereignis zuerst eintritt – untersagt, die Klägerin folgende Tätigkeiten ausführen zu lassen:
-
Tätigkeiten, bei denen die Klägerin mit Amalgam/Quecksilber in Berührung kommen kann, insbesondere die Vornahme von Füllungen mit diesen Materialien, die Entfernung solcher Materialien oder sonstige Behandlungen in einem Raum, in dem zuvor mit diesen Stoffen gearbeitet wurde und der vorher nicht mindestens 10 Minuten gründlich gelüftet wurde.
-
Tätigkeiten, bei denen die Klägerin mit Biostoffen der Gruppen 1, 2 oder 3 derart in Berührung kommen kann, insbesondere mit Hepatitis- C-Viren, HI-Viren und Corona-Viren (SARS-CoV-2), dass eine Übertragung nicht ausgeschlossen ist, namentlich:
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die Durchführung von Implantationen,
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die Durchführung von Implantatfreilegungen,
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die Evaluation von Kieferböden (Sinuslift intern und extern),
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die Durchführung von Alveolarkammaugementationen mit retromodularer Knochengewinnung/ Knochenblockentnahme,
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die Durchführung von Wurzelspitzenresektionen (retrograd und orthograd),
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die Durchführung von Estzisionen von Schleimhautwucherungen o.ä.,
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die Durchführung von Inzisionen, z.B. bei Abszessen,
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die Durchführung chirurgischer Parodontaltherapien,
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die Durchführung von Wurzelkanalbehandlungen,
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die Durchführung von Extraktionen sowie die Osteotomie,
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das Anbringen, Korrigieren oder Entfernen von Zahnersatz,
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die Durchführung der Parodontitistherapie,
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die Durchführung der Füllungstherapie,
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die Durchführung von Fissurenversiegelungen (prophylaktisch, erweitert sowie explorativ),
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die Durchführung von Wundkontrollen nach chirurgischen Eingriffen oder PA-Behandlungen,
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die Durchführung von Revisionen,
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die Durchführung von Kontrollen (01, PSI), insb. der Untersuchung von Zähnen, des Zahnapparates sowie der Mundschleimhaut,
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die Durchführung von Besprechungen mit Patienten zur beabsichtigten Behandlung.
Die Beklagte hat vor dem Arbeitsgericht beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Die Beklagte hat im Wesentlichen ausgeführt, es fehle schon am Verfügungsgrund. Da die Streitigkeiten seit mindestens März 2021 bestünden, sei es der Klägerin zumutbar gewesen, sogleich ein Hauptsacheverfahren einzuleiten.
Zudem verkenne die Klägerin, dass es bei stillenden Zahnärztinnen, anders als wenn diese schwanger seien, keine Regelvermutung für eine unverantwortbare Gefährdung gebe. Denn man könne im Notfall abstillen bzw. den Stillvorgang unterbrechen. Zudem genüge hier die Einhaltung der arbeitsschutzrechtlichen Bestimmungen wie zB. das Tragen einer entsprechenden Maske zur Virenabwehr oder um eine gefährdungsgerechte Beschäftigung zu gewährleisten. Sofern Arbeiten mit Amalgam - was ohnehin kaum der Fall sei – anfielen, werde die Klägerin damit nicht betraut.
Der Arbeitsplatz sei durch das Regierungspräsidium Freiburg mit dem Ergebnis überprüft worden, dass kein Beschäftigungsverbot auszusprechen sei, weil keine entsprechenden Gefährdungen bestünden. Sie sei entsprechend der Vorgaben des Ad-hoc-Arbeitskreises Stillschutz beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vorgegangen. Es gebe auch die Mustergefährdungsbeurteilung für stillende Frauen in Zahnarztpraxen in Baden-Württemberg, welche das Regierungspräsidium in Abstimmung mit der Landesärztekammer weiter ausgearbeitet habe. Nach dieser könnten im Regelfall fast alle zahnärztlichen Tätigkeiten mit Ausnahme des Legens von Amalgamfüllungen auch in der Stillzeit ausgeführt werden.
Mit Urteil vom 14. Juni 2021 hat das Arbeitsgericht der Beklagten bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache bzw. bis zum Ende der Stillzeit der Klägerin – je nachdem, welches Ereignis zuerst eintrete – untersagt, die Klägerin Tätigkeiten ausführen zu lassen, bei denen sie mit Amalgam im Rahmen des Legens (frischer) Amalgamfüllungen in Berührung kommen könne und im Übrigen den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung als unbegründet zurückgewiesen.
Es hat ausgeführt, nach § 12 Abs. 1 Satz 2 MuSchG liege eine unverantwortbare Gefährdung iSv. Satz 1 insbesondere vor, wenn die stillende Frau Tätigkeiten ausübe, bei denen sie den in Nr. 1 und 2 genannten Gefahrstoffen ausgesetzt sei. Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie erstrecke sich der Schutz vor Infektion auch auf das Stillen. Insofern seien alle Maßnahmen notwendig, die eine Infektionsmöglichkeit durch und während des Stillens ausschlössen.
Bei stillenden wie bei schwangeren Zahnärztinnen bestehe im Wesentlichen eine Vermutung einer unverantwortbaren Gefährdung. Eine genaue Prüfung müsse im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung vorgenommen werden.
Hinsichtlich der im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens vorzunehmenden summarischen Prüfung sei nicht ersichtlich, dass hier eine unverantwortbare Gefährdung bei Fortführung der Tätigkeiten als Oralchirurgin gegeben sei.
Das Regierungspräsidium Freiburg habe am 26. März und am 1. Juni 2021 unter Bezugnahme auf das Empfehlungspapier des Ad-hoc-Arbeitskreises Stillschutz erklärt, dass die Gefährdungsbeurteilung der Beklagten als vertretbar und nachvollziehbar anzusehen sei. Insoweit habe das Regierungspräsidium die Räumlichkeiten bei der Beklagten und die konkret durchgeführten Tätigkeiten ins Auge genommen. Die Bewertungen basierten auf einer breiten wissenschaftlichen Expertise, nämlich des Ad-hoc-Arbeitskreises Stillschutz (Anl. VB1 und VB4). Diese sei zudem vom LASI AG 5 der Länder einstimmig begrüßt worden, um ein bundeseinheitliches Niveau beim Vollzug des Mutterschutzgesetzes für stillende Frauen schaffen zu können. Die Kriterien seien im Rahmen der summarischen Prüfung für die Kammer nachvollziehbar und plausibel und ließen eine unverantwortbare Gefährdung der Klägerin nicht erkennen. Wissenschaftliche entgegenstehende Erkenntnisse aktuellen Standes habe die Klägerin nicht dargetan. Entscheidend sei wegen der Dynamik der Entwicklung von Gefahren und entsprechender Schutzmaßnahmen der aktuelle Stand der Wissenschaft. Dieser sei im Rahmen der durch das Arbeitsgericht vorzunehmenden summarischen Prüfung in der Mustergefährdungsbeurteilung, die das Regierungspräsidium Freiburg im Schriftsatz vom 1. Juni 2021 angesprochen habe, in vollem Umfang enthalten. Insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass diese Mustergefährdungsbeurteilung für stillende Frauen in Zahnarztpraxen von den Regierungspräsidien in Baden-Württemberg und der Landeszahnärztekammer abgestimmt und ausgearbeitet sei. Diese seien zum Ergebnis gekommen, dass lediglich das Legen von (frischen) Amalgamfüllungen nicht von einer stillenden Frau durchgeführt werden solle. Ansonsten könnten fast alle zahnärztlichen Tätigkeiten auch in der Stillzeit ausgeführt werden. Vor dem Hintergrund, dass in Baden-Württemberg das zuständige Ministerium am 9. März 2021 die Regierungspräsidien angewiesen habe, die Hinweise und Empfehlungen des Ad-hoc-Stillpapieres beim Vollzug des Mutterschutzgesetzes anzuwenden und das Regierungspräsidium Freiburg auch entsprechend vorgegangen sei, sei nicht erkennbar, weshalb der Klägerin oralchirurgische oder auch zahnärztliche Tätigkeiten grundsätzlich nicht möglich sein sollten. Die Mustergefährdungsbeurteilung sei derzeit das aktuellste Papier zu diesem Thema, das dem Arbeitsgericht bekannt sei und vom höchsten fachlichen Gremium für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik unterhalb der Ebene der Arbeits und Sozialministerkonferenz, nämlich vom LASI AG 5 einstimmig begrüßt worden sei.
Zudem sei zu berücksichtigen, dass die Empfehlungen des Ad-hoc-Arbeitskreises Stillschutz nicht nur von den Vertretern der Länder erarbeitet worden seien, sondern auch in Zusammenarbeit mit dem Robert-Koch-Institut, dem Bundesinstitut für Risikobewertung, der Nationalen Stillkommission etc. Daher sei davon auszugehen, dass diese Empfehlungen dem aktuellen wissenschaftlichen Stand entsprächen und Anwendung finden müssten.
Aufgrund dieser Erkenntnisse, die die Beklagte glaubhaft gemacht habe, sei es der Klägerin nicht gelungen, eine unverantwortbare Gefährdungssituation darzulegen und glaubhaft zu machen.
Damit sei lediglich der von der Klägerin gestellte Hilfsantrag zu einem kleinen Teil, bezogen auf die Untersagung des Legens von Amalgamfüllungen, begründet.
Gegen dieses der Klägerin am 15. Juni 2021 zugestellte Urteil wendet sich diese mit ihrer am 18. Juni 2021 eingereichten und am 8. Juli 2021 fristgerecht ausgeführten Berufung.
Die Klägerin trägt im Wesentlichen vor, das Arbeitsgericht habe die Vermutungsregelung des § 12 MuSchG verkannt. Unstreitig bestehe bei einigen ihrer Tätigkeiten die Gefahr, mit Amalgam in Berührung zu kommen (bei der Arbeit an Füllungen) und darüber hinaus ein Übertragungsrisiko mit Biostoffen der Risikogruppe 3 wie beispielsweise HIV, Hepatitis und Corona (SARS-CoV-2) bei allen zahnärztlichen und oralchirurgischen Tätigkeiten am Patienten.
Lediglich über die Höhe des Risikos bzw. der Einstufung des bestehenden Risikos als verantwortbar oder unverantwortbare Gefährdung bestehe Streit.
Deshalb habe das Arbeitsgericht eine unverantwortbare Gefährdung vermuten müssen, weshalb es ihrer Glaubhaftmachung, dass die gegebene Übertragungsmöglichkeit auch eine unverantwortbare Gefährdung darstelle, nicht bedurft habe. Vielmehr habe die Beklagte glaubhaft machen müssen, dass die Gefährdungen nicht unverantwortbar seien, was jedoch nicht gelungen sei.
Das Arbeitspapier des Ad-hoc-Arbeitskreises Stillschutz stelle keine wissenschaftliche Arbeit dar, sondern allenfalls ein Meinungsbild. Es führe auf Seite 13 zu den Biostoffen HIV und Hepatitis aus, dass Infektionen durch das Blut der stillenden Frau von Verletzungen beim Stillen und HIV zusätzlich auch durch die Muttermilch auf das Stillkind übertragen werden könnten, allerdings sei bei Einhaltung der vorgeschriebenen Arbeitsschutzmaßnahmen kein erhöhtes Risiko zu erwarten. Hiermit könne nicht glaubhaft gemacht werden, dass mit ihren Tätigkeiten keine unverantwortbaren Gefährdungen einhergingen. Das Arbeitspapier sei inhaltlich teilweise falsch. Es werde nicht ersichtlich, wie es zustande gekommen sei und wer an der Formulierung konkret mitgewirkt habe. Auf sich ergebende Widersprüche, insbesondere zwischen Angaben im Arbeitspapier (Anl. B2, S. 15) und den in den Beipackzetteln betroffener Medikamente gehe das Arbeitsgericht nicht ein. Selbst wenn es sich bei dem Papier um wissenschaftliche Erkenntnisse handle, sei es nicht geeignet, den Vortrag der Beklagten glaubhaft zu machen, weil dieser selbst nicht stimmig sei. Auf Seite 13 nehme das Papier eine Übertragungsmöglichkeit von der stillenden Mutter auf das Kind bei HIV-Infektionen an, verneine aber eine „erhöhtes“ Risiko bei Einhaltung vorgeschriebener Arbeitsschutzmaßnahmen. Damit bleibe unklar, was überhaupt auf Basis welcher wissenschaftlichen Grundlagen gesagt werden solle. Nach dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG 27. Mai 1993 – 5 C 42/89; Anl. K9) genüge bereits eine sehr geringe Infektionswahrscheinlichkeit für ein Beschäftigungsverbot, mit dem der Gefahr einer Infektion mit HIV oder Hepatitisviren vorgebeugt werden solle. Ein solches schließe das Papier aber nicht aus. Es spiele keine Rolle, dass neben Vertretern der Länder auch das Robert-Koch-Institut, das Bundesinstitut für Risikobewertung, die Nationale Stillkommission etc. an dem Papier mitgewirkt haben könnten, weil nicht kritisch hinterfragt sei, welchen konkreten Beitrag die Institutionen tatsächlich geleistet hätten. Es handle sich allenfalls um eine Meinung, nicht aber um eine wissenschaftlich fundierte Arbeit.
Die Bundeszahnärztekammer sehe eine Beschäftigung von Zahnärztinnen mit den typischen Tätigkeiten am Behandlungsstuhl sehr kritisch und befürworte diese aufgrund der gegebenen unverantwortbaren Gefährdungslage nicht. Sie verweise auf die E-Mail des Herrn M. vom 6. Juli 2021 (Anl. K17). Auch der Zahnärzteservice für Arbeitsschutz und Qualitätsmanagement – ZÄSA - sei dieser Auffassung. Sie verweise auf die E-Mail von Frau S. C., Fachärztin für Arbeitsmedizin – ZÄSA vom 19. Juli 2021 (Anl. K18). Bei der Nationalen Stillkommission, die dem Max-Planck-Institut – MRE – angeschlossen sei, kämen die Experten ebenfalls zum Ergebnis, dass das Beschäftigungsverbot für die gesamte Stillzeit zu gelten habe. Sie verweise auf die E-Mail von Frau G. S. – Nationale Stillkommission – vom 2. August 2021 (Anl. K20). Die Experten auf dem Gebiet der medizinischen Arbeitssicherheit und Mutterschutz seien sich offensichtlich einig und positionierten sich dahingehend, dass zahnärztliche Tätigkeiten am Patienten unverantwortbare Gefährdungen darstellten, die zu einem Beschäftigungsverbot führten.
Soweit sich die Beklagte auf weitere Schriftstücke diverser Behörden stütze, insbesondere auf Schreiben des Regierungspräsidiums, seien diese nicht geeignet, die nach § 12 MuSchG vermutete unverantwortliche Gefährdung zu widerlegen.
Zu Unrecht werde im Urteil ausgeführt, diese Unterlagen seien plausibel und nachvollziehbar und ließen eine unverantwortbare Gefährdung nicht erkennen. Soweit das Arbeitsgericht ausführe, die von der Beklagten vorgenommene Bewertung beruhe auf einer breiten wissenschaftlichen Expertise des Ad-hoc-Arbeitskreises Stillschutz, die vom LASI AG 5 der Länder einstimmig begrüßt worden sei, sei dies inhaltlich unzutreffend. Eine einstimmige Begrüßung liege nur insoweit vor, als ein bundeseinheitliches Vorgehen begrüßt werde. Die Beklagte habe glaubhaft machen müssen, dass seitens der LASI die Ausführungen des Ad-hoc-Arbeitskreises tatsächlich inhaltlich als Expertise einstimmig gebilligt habe. Hierzu habe es aber eines Schreibens des LASI bedurft, nicht des Regierungspräsidiums. Hinzu komme, dass andere Bundesländer dieses Papier gerade nicht als Grundlage der Bewertung nähmen, weil es auch nicht vom Ausschuss für Mutterschutz gebilligt worden sei. Der leitende Betriebsarzt der Uniklinik Freiburg verhänge in solchen Fällen stets ein Beschäftigungsverbot.
Die Gefährdungsbeurteilung der Beklagten sei nicht geeignet, deren Vortrag glaubhaft zu machen. Diese gehe im Einvernehmen mit dem Regierungspräsidium davon aus, dass keine unverantwortbaren Gefährdungen im Hinblick auf Biostoffe gegeben seien, wobei letztlich keine Einzelfallbeurteilung vorgenommen, sondern schlicht das Muster des Regierungspräsidiums verwendet worden sei, das zu Unrecht von keinen unverantwortbaren Gefährdungen ausgehe, wenn bestimmte Schutzmaßnahmen getroffen würden. Dass solche Schutzmaßnahmen getroffen würden und vollständig umgesetzt worden seien, sei in der Gefährdungsbeurteilung nicht konkret benannt oder vermerkt, sodass davon ausgegangen werden müsse, dass sie nicht erfüllt seien. Zudem stehe der Inhalt der Beurteilung gerade im Streit.
Nicht richtig sei auch, dass das Regierungspräsidium als Aufsichtsbehörde neben den Räumlichkeiten auch ihre konkret durchgeführten Tätigkeiten ins Auge genommen habe. Das sei weder konkret von der Beklagten vorgetragen, noch ergebe sich dies aus den Schreiben des Regierungspräsidiums vom 26. März und 1. Juni 2021 (Anl. VB1 und VB4). Sie sei vom Regierungspräsidium weder gefragt worden, welche Tätigkeiten sie ausübe noch habe man ihr bei der Arbeit zugesehen. Das Regierungspräsidium scheine ihre Tätigkeiten nicht einmal zu kennen, wenn es im Schreiben vom 26. März 2021 formuliere, sie sei als Zahnärztin eingestellt, es handle sich um eine normale Zahnarztpraxis mit den üblichen zahnärztlichen Aufgaben. Deshalb könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Gefährdungsbeurteilung eine Einzelfallbeurteilung sei. Zudem stütze sich das Regierungspräsidium nur auf das Arbeitspapier des Ad-hoc-Arbeitskreises, das aber weder zur Glaubhaftmachung einer nicht unverantwortbaren Gefährdung herangezogen werden könne noch inhaltlich richtig sei. Weder der Ad-hoc-Arbeitskreis noch der LASE seien zuständige Stellen, die die Gefahren einzustufen hätten. Das obliege allein dem nach dem MuSchG zuständigen Ausschuss für Mutterschutz. Dieser habe darüber aber noch nicht befunden und das Arbeitspapier des Ad-hoc-Ausschusses nicht gebilligt.
Hinsichtlich der Corona-Viren habe es das Gericht versäumt festzustellen, dass eine Infektionsmöglichkeit nicht ausgeschlossen werden könne, was zu einem Beschäftigungsverbot führen müsse. Schließlich erfolge die Tätigkeiten nahe am Patienten, der keinen Mundschutz trage, obwohl die Virenlast im Rachenraum besonders hoch sei und bei der Behandlung, insbesondere durch die Verwendung des Luftpusters, eine Verteilung der Aerosole gegeben sei, was ein hohes Ansteckungsrisiko bedeute. Eine Ansteckung bei der Tätigkeit und eine Übertragung auf das Kind könne nicht restlos ausgeschlossen werden.
Damit sei ein Beschäftigungsverbot die einzig mögliche Konsequenz.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg – Außenkammern Lörrach – abzuändern und der Beklagten bis zum Ende der Stillzeit der Klägerin zu untersagen, die Klägerin Oralchirurgie und zahnärztliche Tätigkeiten ausüben zu lassen.
Hilfsweise:
das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg – Außenkammern Lörrach – abzuändern und der Beklagten bis zum Ende der Stillzeit der Klägerin zu untersagen, die Klägerin folgende Tätigkeiten ausüben zu lassen:
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Tätigkeiten, bei denen die Klägerin mit Amalgam/Quecksilber in Berührung kommen kann, insbesondere die Vornahme von Füllungen mit diesen Materialien, die Entfernung solcher Materialien oder sonstige Behandlungen in einem Raum, in dem zuvor mit diesen Stoffen gearbeitet wurde und der vorher nicht mindestens 10 Minuten gründlich gelüftet wurde.
-
Tätigkeiten, bei denen die Klägerin mit Biostoffen der Gruppen 1, 2 oder 3 derart in Berührung kommen kann, insbesondere mit Hepatitis- C-Viren, HI-Viren und Corona-Viren (SARS-CoV-2), dass eine Übertragung nicht ausgeschlossen ist, namentlich:
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die Durchführung von Implantationen,
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die Durchführung von Implantatfreilegungen,
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die Evaluation von Kieferböden (Sinuslift intern und extern),
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die Durchführung von Alveolarkammaugementationen mit retromodularer Knochengewinnung/ Knochenblockentnahme,
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die Durchführung von Wurzelspitzenresektionen (retrograd und orthograd),
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die Durchführung von Estzisionen von Schleimhautwucherungen o.ä.,
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die Durchführung von Inzisionen, z.B. bei Abszessen,
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die Durchführung chirurgischer Parodontaltherapien,
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die Durchführung von Wurzelkanalbehandlungen,
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die Durchführung von Extraktionen sowie die Osteotomie,
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das Anbringen, Korrigieren oder Entfernen von Zahnersatz,
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die Durchführung der Parodontitistherapie,
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die Durchführung der Füllungstherapie,
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die Durchführung von Fissurenversiegelungen (prophylaktisch, erweitert sowie explorativ),
-
die Durchführung von Wundkontrollen nach chirurgischen Eingriffen oder PA-Behandlungen,
-
die Durchführung von Revisionen,
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die Durchführung von Kontrollen (01, PSI), insb. der Untersuchung von Zähnen, des Zahnapparates sowie der Mundschleimhaut,
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die Durchführung von Besprechungen mit Patienten zur beabsichtigten Behandlung.
Die Beklagte beantragt:
Die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt im Wesentlichen vor:
Sie fordere die Klägerin ausdrücklich dazu auf, eine aktuelle Stillbescheinigung vorzulegen.
Diese verkenne, dass der hier einschlägige § 12 Abs. 2 MuSchG zwei Umstände beschreibe, bei deren Vorliegen vom Vorhandensein einer unverantwortbaren Gefährdung im Sinne von § 9 MuSchG auszugehen sei, nicht aber eine allgemeingültige Vermutung beinhalte, wonach die bloße Möglichkeit, mit Biostoffen der dort beschriebenen Risikogruppen der Biostoffverordnung in Kontakt zu kommen, eine entsprechende Beweisvermutung zugunsten der stillenden Mutter nach sich ziehe.
Vielmehr habe die Klägerin darlegen und beweisen müssen, dass trotz der Gefährdungsbeurteilung unter Einbeziehung des zuständigen Regierungspräsidiums inklusive Arbeitsplatzbegehung bei Ausschluss einer Betrauung mit dem Legen von Amalgam gleichwohl eine unverantwortbare Gefährdung verbleibe.
Sie habe alles Erforderliche getan, um sicherzustellen, dass die Klägerin bei Ausübung ihrer zahnärztlichen Tätigkeit keinen unverantwortbaren Gesundheitsrisiken durch die Rohstoffe im Sinne der Biostoffverordnung ausgesetzt werde und dieser zudem Möglichkeiten zum Stillen ihres Kindes angeboten. Die Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg habe ihr bescheinigt, dass sie sich der Einschätzung der Aufsichtsbehörde anschließe und gegen die angedachte und über die Gefährdungsbeurteilung bewertete Beschäftigung keine Bedenken habe (Anl. BK1).
Die Klägerin verkenne, dass eine unverantwortbare Gefährdung als ausgeschlossen gelte, wenn der Arbeitgeber alle Vorgaben einhalte, die aller Wahrscheinlichkeit nach dazu führten, dass die Gesundheit einer schwangeren oder stillenden Frau oder ihres Kindes nicht beeinträchtigt werde, § 9 Abs. 2 Satz 3 MuSchG. Hinzu komme, dass die Klägerin, soweit ihr bekannt, vollständig gegen Covid19 geimpft sei und über einen ausreichenden Immunschutz verfüge, § 12 Abs. 2 Satz 4 MuSchG.
Das Regierungspräsidium Freiburg habe mit Schreiben vom 21. Juli 2021 auf der Grundlage des Ad-hoc-Stillpapiers, den Angaben des Robert Koch Instituts, des BMFSFJ und der Berufsgenossenschaft BGW noch einmal konkret Stellung genommen und festgestellt, dass für die Klägerin keine unverantwortbare Gefährdung durch Quecksilber oder Amalgam bestehe, da sie keinen Quecksilberdämpfen ausgesetzt werde. In den sieben Monaten ihrer Beschäftigung habe die Klägerin im Übrigen auch nur eine einzige Amalgamfüllung gelegt. Entsprechende Tätigkeiten fielen kaum an und würden von der Klägerin während der Stillzeit auch nicht ausgeführt.
Hinsichtlich etwaiger Gefährdungen durch Biostoffe, blutübertragbare Infektionskrankheiten bei Nadelstich- und Schnittverletzungen sowie durch Corvid19 vermute die Klägerin rechtlich fehlerhaft, dass eine unverantwortbare Gefährdung vermutet werden müsse, wenn ein Restrisiko, und sei es noch so gering, verbleibe. Erst wenn die stillende Mutter einem Maß von Biostoffen ausgesetzt werden könne, das die Eintrittswahrscheinlichkeit einer Gesundheitsbeeinträchtigung über eine gewisse Schwelle hinaus erhöhe, sei von einer unverantwortbaren Gefährdung iSd. § 9 Abs. 2 MuSchG auszugehen. Bei der Frage, ob diese Schwelle überschritten werde, sei zu beachten, dass seit der Novellierung des Mutterschutzgesetzes im Jahr 2018 das Schutzniveau schwangerer Frauen erheblich höher zu bewerten sei, als das, stillender Frauen. Bis heute werde regelmäßig von einem Beschäftigungsverbot für schwangere Zahnärztinnen ausgegangen, zumal diese keine Schutzausrüstung wie eine FFP2 Maske tragen dürfe, weil diese den Atemwiderstand erhöhe und damit eine Belastung der Schwangeren nach sich ziehe. Eine stillende Mutter sei aber nicht gehindert, diese zu tragen, weshalb sie vor Aerosolen und auch vor einer Ansteckung mit Covid19 geschützt sei. Bei einer stillenden Mutter bestehe dank der ergriffenen Schutzmaßnahmen nur noch ein minimales Risiko einer Infektion. Sie beziehe sich auf der Arbeitshilfe Gefährdungsbeurteilung Stillzeit für Beschäftigte stillende Frauen in zahnmedizinischen Praxen der Fachgruppen Mutterschutz der Regierungspräsidien in Baden-Württemberg (Anl. BK2), die inzwischen auf den Internetseiten der Regierungspräsidien in Baden-Württemberg „gesetzlicher Mutterschutz“ veröffentlicht seien. Der Gesetzgeber und die Regierungspräsidien hätten erkannt, dass stillende Frauen und ihre Kinder ein sehr viel geringeres Schadensrisiko hätten als Schwangere.
Natürlich müsse sie die – sehr geringen – verbleibenden Gefährdungen durch geeignete Schutzmaßnahmen soweit zu minimieren als möglich, was sie aber gewährleiste. Sie verweise auf die Gefährdungsbeurteilung.
Bei der Frage, wo die Grenze zwischen noch vertretbarer gewisser Gefährdung und unverantwortbarer Gefährdung zu ziehen sei, habe sich das Regierungspräsidium zutreffend an dem Arbeitspapier des Ad-hoc-Stillpapiers und den Empfehlungen des BNFSFJ orientiert und sei zum klaren Ergebnis gelangt, dass das Erkrankungsrisiko von Mutter oder Kind auch für blutübertragbare Krankheiten wie Hepatitis-C und HIV in der Stillzeit vorliegend verschwindend gering sei. Es sei im vorliegenden Fall zum Ergebnis gekommen, dass die Wahrscheinlichkeit, in der Stillzeit einen Patienten mit unerkannten oder nicht offen gelegter HIV- oder Hepatitis-C Infektion zu behandeln, sich dabei über eine Nadelstichverletzung selbst zu infizieren und anschließend das Kind beim Stillen anzustecken, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen und mehr als ein theoretisches denn ein reales Risiko zu bewerten sei, das jedenfalls den Bereich des allgemeinen Lebensrisikos nicht übersteige. Sie verweise auf die Stellungnahme des Regierungspräsidiums Freiburg vom 21. Juli 2021 (Anl. BK3).
Soweit die Klägerin Gegenteiliges behaupte, könne nur noch einmal darauf hingewiesen werden, dass der Gesetzgeber hinsichtlich eines Beschäftigungsverbots nicht den Ausschluss jedweden Risikos postuliere. Die Klägerin sei hierauf bereits zigfach hingewiesen worden, nehme aber ausschließlich aus wirtschaftlichem Interesse von einer Elternzeitname Abstand.
Bei der Beurteilung der Gefährdungslage sei darauf abzustellen, ob eine Gefährdung durch den Stillvorgang bestehe, bzw. ob die Laktation – Milchbildung und Abgabe – beeinträchtigt werde. Es gehe nicht um die Frage, ob die stillende Mutter arbeite oder nicht arbeite und dadurch eine unterschiedliche Wahrscheinlichkeit des Nachhausebringens einer Infektion bestehe, sondern nur darum, ob durch den Stillvorgang selbst ein erhöhtes Übertragungsrisiko bestehe bzw. die Laktation beeinträchtigt sei. Nicht entscheidend sei, ob die Mutter am Arbeitsplatz einem erhöhten Infektionsdruck ausgesetzt werde.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Niederschriften über die mündlichen Verhandlungen in erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Berufung der Klägerin ist bis auf Punkt 1 des Hilfsantrags zulässig.
1.
Die Berufung der Klägerin ist zum großen Teil statthaft (§ 64 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. b ArbGG).
Soweit die Klägerin jedoch in Punkt 1 des Hilfsantrags begehrt, der Beklagten zu untersagen, sie Tätigkeiten ausüben zu lassen, bei denen sie mit Amalgam/Quecksilber in Berührung kommen könne, fehlt ihr die Beschwer, weil sie diesbezüglich erstinstanzlich bereits rechtskräftig obsiegt hat.
2.
Im Übrigen ist die Berufung frist- und formgerecht eingelegt worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO).
II.
Die Berufung ist aber unbegründet.
Aufgrund des nur eingeschränkten Prüfungsmaßstabs im Eilverfahren hat das Arbeitsgericht die Anträge der Klägerin zu Recht abgewiesen.
Der gemäß § 940 ZPO iVm. § 62 Abs. 2 Satz 1 ArbGG zulässige Antrag ist unbegründet, ohne dass es auf das Bestehen eines Verfügungsgrunds (§§ 936, 917 Abs. 1, 918 ZPO) ankommt. Es fehlt bereits am Verfügungsanspruch (§§ 936, 916 Abs. 1 ZPO), wie es das Arbeitsgericht richtig erkannt hat.
1.
Nach § 940 ZPO sind einstweilige Verfügungen auch zum Zweck der Regelung eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, sofern diese Regelung, insbesondere bei dauernden Rechtsverhältnissen, zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Verfügung gemäß § 940 ZPO sind deshalb eine zu sichernde Rechtsposition (Verfügungsanspruch) und eine besondere Eilbedürftigkeit (Verfügungsgrund), die es erforderlich macht, zur Abwendung wesentlicher Nachteile bereits vor Klärung strittiger Rechtsfragen im Hauptsacheverfahren vorab aufgrund einer summarischen Prüfung eine vorläufige Regelung zu treffen. Sowohl Verfügungsanspruch als auch Verfügungsgrund sind glaubhaft zu machen. Ausgenommen sind Tatsachen, die keines Beweises und daher auch keine Glaubhaftmachung bedürfen, nämlich offenkundige, gesetzlich vermutete und dem Gericht durch eigene Sachkunde bekannte Tatsachen (LAG Berlin-Brandenburg 3. März 2011 – 4 SaGa 432/11). Grundsätzlich gilt dies auch für unstreitige Tatsachen. Hier ist zu beachten, dass die gegnerische Partei unter Umständen nicht genügend Zeit zur Erwiderung hatte und auch durch Zeitablauf bis zum Berufungsverfahren Änderungen möglich sind.
2.
Der betriebliche Gesundheitsschutz baut maßgeblich auf der Vermeidung bzw. Verhinderung von Gefährdungen für Mutter und Kind auf. Der Grundsatz der Risikominimierung gebietet, Gefährdungen ganz zu vermeiden und, wo dies nicht möglich ist, sie möglichst gering zu halten. Unverantwortbare Gefährdungen sind auszuschließen. Ist dies nicht möglich, ergreift der Arbeitgeber die Maßnahmen in der Reihenfolge des § 13 Abs. 1 MSchG. Eine Gefährdung im arbeitsschutzrechtlichen Sinn liegt vor, wenn eine gesundheitliche Beeinträchtigung möglich ist. Besondere Anforderungen an das Ausmaß der Gefährdung oder die Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts bestehen nicht (BAG 12. August 2008 – 9 AZR 1117/06). Eine Gefährdung ist unverantwortbar und damit vom Arbeitgeber auszuschließen, wenn die Eintrittswahrscheinlichkeit so hoch ist, dass sie wegen der Schwere des möglichen Gesundheitsschadens nicht hinnehmbar ist. Vorausgesetzt ist also eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Eintritts im Zusammenwirken mit einer erhöhten Schwere der möglichen Gesundheitsbeeinträchtigung. Die Eintrittswahrscheinlichkeit muss umso größer sein, je geringer der mögliche Gesundheitsschaden ist, während bei einem schwerwiegenden möglichen Gesundheitsschaden bereits eine geringe Eintrittswahrscheinlichkeit genügt (BVerwG 27. Mai 1993 – 5 C 42/89). § 9 Abs. 2 Satz 3 MuSchG definiert eine unverantwortbare Gefährdung unter bestimmten Voraussetzungen als ausgeschlossen. Das setzt voraus, dass etwaige einschlägige Vorgaben eingehalten werden. Nach § 10 Abs. 1 MuSchG hat der Arbeitgeber im Rahmen der Beurteilung der Arbeitsbedingungen nach § 5 ArbSchG für jede Tätigkeit die Gefährdungen nach Art, Ausmaß und Dauer zu beurteilen, denen eine stillende Frau oder ihr Kind ausgesetzt ist oder sein kann und zu ermitteln, ob eine Umgestaltung der Arbeitsbedingungen erforderlich sein oder die Fortführung der Tätigkeit der Frau an diesem Arbeitsplatz nicht möglich sein wird. § 12 MuSchG enthält eine Positivliste der Tätigkeiten, die für eine Stillende unzulässig sind. Allerdings ist der Katalog nicht so umfangreich wie in § 11 MuSchG. Denn die Gefährdungen für eine heranwachsende Leibesfrucht sind vielfältiger als die Gefährdungsmöglichkeiten beim Stillen. Sobald die Stillende dem Arbeitgeber mitteilt, dass sie stillt, muss die Prüfung erfolgen, ob eine unzulässige Tätigkeit vorliegt und wie eine eventuelle Gefährdungslage zu beseitigen ist. § 12 MuSchG bestimmt spezialgesetzlich unzulässige Tätigkeiten und Arbeitsbedingungen für stillende Frauen im Hinblick auf allgemeine Gefahrstoffe (Abs. 1), Biostoffe (Abs. 2), physikalische Einwirkungen (Abs. 3) etc. Die sich aus der Vorschrift ergebenden Verbote schließen jedoch eine Weiterbeschäftigung nicht generell aus.
3.
Unter Berücksichtigung dieser Punkte gilt im vorliegenden Fall Folgendes:
a)
Die Klägerin hat bereits nicht glaubhaft gemacht, dass sie zum Zeitpunkt der mündlichen Berufungsverhandlung – noch – stillt, obwohl sie von der Beklagten in der Berufungsbeantwortungsschrift ausdrücklich aufgefordert wurde, eine aktuelle Stillbescheinigung vorzulegen.
b)
Davon abgesehen greift § 12 Abs. 1 Satz 2 MuSchG nicht, weil die Klägerin aufgrund des erstinstanzlichen Urteils vor der Arbeit mit Amalgam/Quecksilber geschützt ist und ausweislich der Gefährdungsbeurteilung vom 18. März 2021 (Anl. 3) kein Inlay mit Flusssäure anätzen muss.
c)
§ 12 Abs. 2 MuSchG bezieht sich im Gegensatz zum Hilfsantrag der Klägerin nicht auf die Risikogruppe 1 sondern auf die Risikogruppen 2, 3 oder 4 im Sinne von § 3 Abs. 1 der Biostoffverordnung. Ausweislich des Antrags der Klägerin kann es nur um die Gruppen 2 oder 3 gehen. Entscheidend ist die Möglichkeit einer fruchtschädigenden Wirkung vgl. die Technischen Regeln für Biologische Arbeitsstoffe (TRBA). Damit sind die biologischen Grenzwerte (BGW) iSd. § 2 Abs. 9 GefStV zu berücksichtigen. Auf den Arbeitsplatz bezogen heißt dies, dass die Grenzwerte nicht überschritten werden dürfen, unabhängig, welche konkrete Person an diesem Arbeitsplatz eingesetzt ist. Die Werte sind abstrakte Werte ohne individuelle Zuordnung. Der biologische Grenzwert ist der Grenzwert für die toxikologische- arbeitsmedizinisch abgeleitete Konzentration eines Stoffes, seines Metaboliten oder eines Beanspruchungsindikator im entsprechenden biologischen Material. Er gibt an, bis zu welcher Konzentration die Gesundheit von Beschäftigten im Allgemeinen nicht beeinträchtigt wird. Die Kontaktmöglichkeit mit biologischen Gefahrstoffen vermutet eine Gefährdungslage. Nach § 11 MuSchG gilt allerdings die nach Satz 2 vermutete unverantwortbare Gefährdung als ausgeschlossen,
wenn die schwangere Frau einen ausreichenden Immunschutz hat. Diese gesetzliche Ausnahme hat der Wortlaut von § 11 MuSchG für die Stillende nach § 12 MuSchG übernommen. Dem Arbeitgeber ist dabei grundsätzlich gestattet, bestehende Immunisierungen zu berücksichtigen. Ein Gefährdungsausschluss kann dann nach § 9 Abs. 2 Satz 3 MuSchG in Betracht kommen; danach gilt eine unverantwortbare Gefährdung als ausgeschlossen, wenn der Arbeitgeber alle Vorgaben einhält, die aller Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass die Gesundheit einer stillenden Frau oder ihres Kindes nicht beeinträchtigt wird (Tillmanns/ Mutschler-Felder, MuSchG, 2. Aufl. 2018 § 12 Rn.46f).
d)
Ob hier die Beklagte die Gefährdungsbeurteilung richtig gemacht hat und das Regierungspräsidium Freiburg unter Bezugnahme auf das Empfehlungspapier des Ad-hoc-Ausschusses Stillschutz diese zu Recht als vertretbar und nachvollziehbar angesehen hat und ob wissenschaftliche Erkenntnisse dafür oder dagegen sprechen, kann im einstweiligen Verfügungsverfahren nur summarisch geprüft werden, weil die Möglichkeit der Hinzuziehung von Sachverständigen ausgeschlossen ist. Nachdem die Klägerin aber genau – nur - diesen Weg gewählt
und damit letztlich die Beweismöglichkeiten ganz erheblich eingeschränkt hat, kann die Kammer nur konzedieren, dass es für sie keine Anhaltspunkte gibt, warum die Mustergefährdungsbeurteilung für stillende Frauen in Zahnarztpraxen, die von den Regierungspräsidien in Baden-Württemberg und der Landeszahnärztekammer abgestimmt und ausgearbeitet wurde sowie die Beurteilungen der zuständigen Aufsichtsbehörde falsch sein sollen. Hierauf durfte sich die Beklagte verlassen.
e)
Folglich musste sowohl der Hauptantrag als auch der Hilfsantrag in vollem Umfang scheitern.
III.
Die Klägerin hat als unterlegene Partei die Kosten der Berufung zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO iVm. § 64 Abs. 6 ArbGG.