Urteilstext
Tenor
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger eine Beihilfe zur Gebührenziffer 2210 in der hier streitigen Rechnung vom 10.06.2013 auch insoweit zu gewähren, wie das berechnete Honorar den Schwellenwert überschreitet. Der Bescheid vom 01.08.2013 und der Widerspruchsbescheid vom 18.11.2013 werden aufgehoben, soweit sie dieser Verpflichtung entgegenstehen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens zu 6/10, die Beklagte zu 4/10.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand
Der Kläger begehrt eine weitere Beihilfe zu seiner Zahnarztrechnung, auch insoweit, als der Zahnarzt bei der Honorarberechnung den Schwellenwert überschritten und eine klinische Funktionsanalyse berechnet hat.
Bei dem Kläger handelt es sich um einen Beamten des Landes Niedersachsen mit einem Beihilfebemessungssatz von 70 v. H.
Der Kläger war in der Zeit vom 09. April bis 06. Juni 2013 in zahnärztlicher Behandlung. Sein Zahnarzt berechnete ihn dafür mit Rechnung vom 10.06.2013 unter anderem:
Datum | Zahn | GOZ | Beschreibung | Faktor | Anzahl | Betrag (EUR) |
---|---|---|---|---|---|---|
23.05.13 | 26 | 8000 | klinische Funktionsanalyse einschl. Dokumentation | 1 | 1 | 28,12 |
8010 | Registrieren der gelenkbezüglichen Zentrallage des Unterkiefers, auch Stützstifregistrierung, je Registrat | 2,30 | 1 | 23,28 | ||
8020 | Arbiträre Scharnierachsenbestimmung | 2,30 | 1 | 38,81 | ||
8080 | Diagnostische Maßnahmen | 2,30 | 1 | 32,34 | ||
30.05.13 | 26 | 2210 | Versorgung eines Zahnes durch eine Vollkrone (Hohlkehl- oder Stufenpräparation) überdurchschnittlicher Zeitaufwand u. Schwierigkeitsgrad, da weit subgingiv. Präparation, Einfassung des sichtbaren oberen palt. Wurzelbereichs | 3,00 | 1 | 283,12 |
In einer Ergänzung vom 22.08.2013 führte der Zahnarzt aus:
„ Präparation Zahn 26: Präparation einer zirkulären Stufe zur Aufnahme einer Keramikkrone. Dabei wurde aufgrund eines Defektes in der palatinalen Wurzel diese mit in die Präparation einbezogen. Aufgrund des naheliegenden Wurzelkanals ist dies ein zeitaufwändiger und schwieriger Vorgang, da nicht zuviel und dennoch ausreichend Substanz abgetragen werden muss.“
Der Kläger beantragte hierfür eine Beihilfe. Mit Bescheid vom 01.08.2013 bewilligte ihm die Beklagte Beihilfen zu verschiedenen seiner Aufwendungen, lehnte aber eine Beihilfe hinsichtlich der funktionsanalytischen und funktionstherapeutischen Maßnahmen ab. Auch soweit der Schwellenwert bei der GOZ-Ziff. 2210 überschritten wurde, versagte die Beklagte eine Beihilfe.
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und reichte einen „Klinischen Funktionsstatus mit Beiblatt (Bl. 16 und 17 Beiakte A) ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 18.11.2013, zugestellt am 22.11.2013, wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.
Der Kläger hat am 11.12.2013 Klage erhoben.
Er trägt vor: der Zahnarzt habe die Schwellenwertüberschreitung hinreichend und nachvollziehbar begründet. Daraus ergebe sich ein überdurchschnittlicher Aufwand. Auch bestehe ein Anspruch auf Beihilfe für die erbrachten funktionsanalytischen und funktionstherapeutischen Leistungen, wie sich aus dem klinischen Funktionsstatus ergebe.
Mit Schriftsatz vom 15.04.2014 übersandte der Kläger eine weitere Stellungnahme seines Zahnarztes vom 27.03.2014. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf Bl. 36 der Gerichtsakte Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Beihilfefestsetzungsbescheides vom 1. August 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. November 2013 zu verpflichten, ihm, dem Kläger auf seinen Beihilfeantrag vom 26. Juli 2013 eine weitere Beihilfe in Höhe von EUR 112,34 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie tritt der Klage entgegen.
Alle Beteiligten haben sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung und mit einer Entscheidung des Berichterstatters anstelle der Kammer einverstanden erklärt.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
m Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung gemäß § 87a Abs. 2 und 3 VwGO durch den Berichterstatter und nach § 101 Abs. 2 VwGO weiterhin ohne mündliche Verhandlung.
Die zulässige Klage ist zum Teil begründet. Der Kläger hat zwar keinen Anspruch auf eine weitergehende Beihilfe hinsichtlich der GOZ-Ziffern 8010, 8020 und 8080 (funktionsanalytische und funktionstherapeutische Maßnahmen), wohl aber auf eine Beihilfe hinsichtlich der GOZ-Ziff. 2210 auch insoweit, als hier der Schwellenwert überschritten wurde.
Gemäß § 9 Abs. 5 NBhVO sind Aufwendungen für ambulante funktionsanalytische und ambulante funktionstherapeutische Leistungen nur bei Vorliegen einer der folgenden Indikationen oder Maßnahmen beihilfefähig:
1.
Kiefergelenk- oder Muskelerkrankung,
2.
Zahnfleischerkrankung, die eine systematische Parodontalbehandlung erfordert,
3.
Behandlung mit Aufbissbehelfen mit adjustierten Oberflächen nach den Nummern 7010 und 7020 des Gebührenverzeichnisses der Gebührenordnung für Zahnärzte,
4.
umfangreiche kieferorthopädische Maßnahme einschließlich kieferorthopädisch-kieferchirurgischer Operation und
5.
umfangreiche Gebisssanierung.
Nach dem vorgelegten „Beiblatt zum Klinischen Funktionsstatus“ hat der Zahnarzt beim Kläger aber als Grund der funktionsanalytischen Maßnahme lediglich „ungleichmäßige Belastungsverhältnisse in Zusammenhang mit Zahn-/Kieferfehlstellung“ angegeben. Die Voraussetzungen des § 9 Abs. 5 NBhVO liegen nach alledem nicht vor.
Der Kläger hat allerdings einen Anspruch auf eine Beihilfe hinsichtlich der GOZ-Ziff. 2210, soweit der Zahnarzt mehr als das 2,3fache des einfachen Gebührensatzes berechnet hat.
Nach der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts in Lüneburg (vgl. Urt. vom 13.11.2012 - 5 LC 222/11 -), der das Gericht folgt, folgt aus der Auslegung des ärztlichen Gebührenrechts durch die Zivilgerichte für die Abrechnung der Ärzte nach dem 2,3-fachen Schwellenwert (vgl. BGH, Urteil vom 8. November 2007 - III ZR 54/07 -, BGHZ 174, 101 und juris), dass der Arzt den Schwellenwert des 2,3-fachen Gebührenwertes dann überschreiten kann, wenn er überdurchschnittliche Schwierigkeiten, einen überdurchschnittlichen Zeitaufwand der Leistungen oder überdurchschnittlich schwierige Umstände der Ausführung schriftlich begründet (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 5.4.2011 - a. a. O -). Im Hinblick darauf trifft die von der Beklagten vertretene Auffassung nicht zu, dass Behandlungen, die überdurchschnittlich aufwändig oder schwierig, aber eben noch nicht durch ungewöhnliche Besonderheiten gekennzeichnet seien, zwar die volle Ausschöpfung des Schwellenwertes von 2,3 Gebühren rechtfertigten, nicht aber seine Überschreitung.
Allerdings muss die Begründung überdurchschnittlicher Schwierigkeiten gleichwohl die in § 5 Abs. 2 Satz 4 letzter Halbsatz GOZ a. F. genannten Besonderheiten der in Satz 1 genannten Bemessungskriterien aufzeigen. Die Überschreitung des 2,3-fachen Gebührensatzes setzt danach voraus, dass Besonderheiten gerade bei der Behandlung des betreffenden Patienten, abweichend von der großen Mehrzahl der Behandlungsfälle, aufgetreten sind. Dem Ausnahmecharakter des Überschreitens des Schwellenwertes widerspräche es, wenn schon eine vom Arzt allgemein oder häufig, jedenfalls nicht nur bei einzelnen Patienten wegen in ihrer Person liegender Schwierigkeiten, angewandte Verfahrensweise bei der Ausführung einer im Gebührenverzeichnis beschriebenen Leistung als eine das Überschreiten des Schwellenwertes rechtfertigende Besonderheit angesehen würde (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 5.4.2011 - a. a. O., Rn. 30 -). Das folgt aus dem Verhältnis der "in der Regel" einzuhaltenden Spanne zwischen dem einfachen Gebührensatz und dem Schwellenwert einerseits zu einer zulässigen Überschreitung dieses Wertes wegen Besonderheiten der Bemessungskriterien andererseits (§ 5 Abs. 2 Satz 4 GOZ) sowie aus der Anordnung einer schriftlichen Begründung des Überschreitens des Schwellenwertes, die auf Verlangen näher zu erläutern ist (§ 10 Abs. 3 Sätze 1 und 2 GOZ). Für eine nähere Erläuterung ist sinnvoll nur Raum, wenn Besonderheiten gerade des vorliegenden Einzelfalles darzustellen sind; könnte schon eine bestimmte, vom Einzelfall unabhängige Art der Ausführung der im Gebührenverzeichnis beschriebenen Leistung das Überschreiten des Schwellenwertes rechtfertigen, so wäre dies mit einem kurzen Hinweis auf die angewandte Ausführungsart abschließend dargelegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.2.1994 - BVerwG 2 C 10.92 -, BVerwGE 95, 117, juris Rn. 21; Urteil vom 30.5.1996 - BVerwG 2 C 10.95 -, juris Rn. 24; Nds. OVG, Beschluss vom 12.8.2009 - 5 LA 368/08 -, juris; Urteil vom 5.4.2011, a. a. O., sowie OVG, Urt. v. 13.11.2012, a. a. O.).
Nach dem Zweck der Pflicht zur schriftlichen Begründung, dem Patienten eine lediglich grobe Handhabe zur Einschätzung der Berechtigung des geltend gemachten Gebühren-anspruchs zu geben, sind allerdings keine überzogenen Anforderungen an eine ausreichende Begründung zu stellen (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 5.4.2011, a. a. O., Rn. 31). Die Begründung muss jedoch das Vorliegen solcher Umstände nachvollziehbar machen, die nach dem materiellen Gebührenrecht eine Überschreitung des Schwellenwertes rechtfertigen können (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 12.8.2009, a. a. O. unter Hinweis auf OVG Münster, Beschluss vom 20.10.2004 - 6 A 215/02 -, juris Rn. 12; VGH Mannheim, Urteil vom 7.6.1994 - 4 S 1666/91 -, juris Rn. 28). Einer ausführlichen ärztlichen Stellungnahme, deren Anfertigung möglicherweise mehr Zeit in Anspruch nimmt als die abzurechnende Behandlung, bedarf es dabei nicht. In der Regel wird es genügen, stichwortartig das Vorliegen von Umständen, die das Überschreiten des Schwellenwertes rechtfertigen können, nachvollziehbar zu machen (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 12.8.2009, a. a. O.; VGH Mannheim, Urteil vom 7.6.1994, a. a. O., Rn. 28). O., Rn. 28).
Nach diesen und den von dem Bundesgerichtshof entwickelten Maßstäben ist die in der Rechnung vom 10.06.2013 ursprünglich alleinige Begründung zwar nicht geeignet, überdurchschnittliche Schwierigkeiten und damit eine Überschreitung des 2,3-fachen Schwellenwertes zu begründen. Dass die Präparation für die Einlagefüllung die Gingivagrenze erreicht oder auch darunter liegt, ist nicht außer-gewöhnlich. In aller Regel liegt - worauf die Beklagte zutreffend hingewiesen hat - der Kronenrand unterhalb des Zahnfleisches. Denn die Zahnkrone soll weitgehend in den Boden der Zahnfleischtasche gelegt werden. „Weit subgingival“ beschreibt die Lage der zu präparierenden Stelle hingegen nur pauschal und lässt ohne nähere Ausführungen nicht erkennen, ob die Präparation hier so tief unter Gingivaniveau erfolgt ist, dass daraus überdurchschnittliche Schwierigkeiten erwachsen sind (vgl. zu diesen Fragen auch OVG, Urt. 13.11.2012, a.a.O. und Nds. OVG, Beschluss vom 14.12.2010 - 5 LA 237/10 -, juris Rn. 19). Denn der Begriff „weit“ ist insoweit nicht besonders aussagekräftig.
Allerdings hat der Zahnarzt des Klägers unter dem 27.03.2014 seine bisherige Begründung ergänzt. Zusammen mit der zuvor schon gegebenen Begründung lassen sich in diesem Fall nunmehr patientenbezogene Besonderheiten feststellen, die über dem Durchschnitt liegen und damit auch ein Überschreiten des Schwellenwertes rechtfertigen. Nach der unbestrittenen Darstellung des Zahnarztes war der klägerische Zahn 26 bereits mit einer weit unter das Zahnfleisch reichenden Goldkrone versorgt. Auf der palatinalen Seite war die Zahnwurzel danach aufgrund einer Gingivalrezession schon sichtbar und oberflächlich abgetragen, so dass sie bei der Neuversorgung mit einbezogen werden musste. Es ist nachvollziehbar, dass die eine erhöhte Aufmerksamkeit und einen erhöhten Zeitaufwand für den Zahnarzt bedeutet, zumal im Fall des Klägers des Zahnnervs nur einen Millimeter entfernt war. Diese Begründung lässt eine Überschreitung des Schwellenwertes und den Ansatz eines Faktors von 3,0 zu. Das berechnete Honorar ist insoweit nach alledem noch angemessen.
Gründe für die Zulassung der Berufung gem. §§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO sind nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.