Kontakt

Schadensersatzanspruch wegen Amalgam

 | Gericht:  Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt  | Aktenzeichen: 3 U 30/00 | Entscheidung:  Urteil
Kategorie Schadenersatzrecht

Urteilstext

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 14. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 13.01.2000 wird zurückgewiesen.

 

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

 

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 8.800,00 € abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet; die Sicherheitsleistung kann auch durch selbstschuldnerische Bürgschaft eines als Soll und Steuerbürge zugelassenen deutschen Kreditinstituts erbracht werden.

 

Die Beschwer der Klägerin beträgt 53.787,91, €

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

Die am 30.10.1964 geborene Klägerin nimmt die Beklagte als Herstellerin des Zahnfüllstoffs Amalgam "standalloy F auf Schadensersatz in Anspruch.

 

Die Klägerin hat vorgetragen, der Zahnarzt Dr. H. habe bei ihr in der Zeit vom 01.12.1984 bis 05.12.1989 mehrere Zahnfüllungen mit dem oben genannten Zahnamalgam gelegt, und dadurch sei bei ihr eine chronische Quecksilbervergiftung ausgelöst worden, die wiederum eine Multiple Sklerose Erkrankung und Unfruchtbarkeit verursacht habe. Die Klägerin hat sich dabei insbesondere auf die ärztlichen Feststellungen eines Dr. B. bezogen.

 

Die Klägerin hat beantragt,

 

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 39.000,00 DM als Schadenersatz für Verdienstausfall in der Zeit bis Ende 1995 nebst Zinsen ab Klageerhebung in Höhe von 2,5 % über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bank, zumindest in Höhe von 4 % zu zahlen;

 

2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin entstandene Arztkosten in Höhe von 7.000,00 DM zzgl. Zinsen ab Klageerhebung in Höhe von 2,5 % über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bank, zumindest in Höhe von 4 % zu zahlen;

 

3. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 4.200,00 DM zzgl. Zinsen ab Klageerhebung in Höhe von 2,5 % über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bank, zumindest in Höhe von 4, % als Schadenersatz für Fahrtkosten zu den behandelnden Ärzten an die Klägerin zu erstatten,

 

4. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens aber 50.000,00 DM zzgl. Zinsen ab Klageerhebung in Höhe von 2,5 % über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bank, zumindest in Höhe von 4 % zu zahlen;

 

5. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Schadenersatz zu leisten und Schmerzensgeld zu zahlen auch für künftige Schäden und Leiden, die der Klägerin infolge der Amalgamverwendung entstehen werden.

 

Die Beklagte hat beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Sie hat vorgetragen, der oben genannte Zahnfüllstoff habe bei bestimmungsgemäßem Gebrauch keine gesundheitsschädlichen Wirkungen die nach den Erkenntnissen der zahnmedizinischen Wissenschaft über ein vertretbares Maß hinausgingen. Sie hat bestritten, dass bei der Klägerin von ihr hergestellte Zahnfüllungen gelegt worden und für die von der Klägerin geklagten Gesundheitsschäden verantwortlich seien. Außerdem hat sie sich auf Verjährung berufen.

 

Das Landgericht hat nach schriftlicher Vernehmung des Zeugen Dr. H. (Bl. 8, 71, 472, 476 d. A.) und Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen Dr. R. (Bl. 509 d. A.) nebst dessen mündlicher Erläuterung (Bl. 576 d. A.) die Klage abgewiesen; der geltend gemachte Anspruch bestehe nicht, da die Klägerin nicht bewiesen habe, dass die von ihr genannten Gesundheitsschäden auf der Anwendung des von der Beklagten hergestellten Zahnamalgams beruhten. Bei Behandlungsbeginn durch Dr. H. sei bei der Klägerin bereits Amalgam eines unbekannten Herstellers vorhanden gewesen, das für den geltend gemachten Schaden ebenfalls ursächlich sein könne. Zudem sei gemäß dem Sachverständigen Dr. R. ein Kausalzusammenhang zwischen den Amalgam Füllungen und den behaupteten Gesundheitsschäden bereits aus toxikologisch pharmakologischer Sicht nicht zu bejahen. Für die Einholung weiterer Gutachten bestehe keine Veranlassung. Im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt des landgerichtlichen Urteils (Bl. 610 ff. d. A.).

 

Gegen dieses ihr am 24.01.2000 zugestellte Urteil hat die Klägerin fristgemäß Berufung eingelegt und diese fristgemäß begründet.

 

Die Klägerin verfolgt ihre erstinstanzlichen Klageanträge vollumfänglich weiter. Sie trägt vor, das Landgericht sei den umfassenden weiteren erstinstanzlichen Beweisanträgen der Klägerin zur Gesundheitsschädlichkeit von Amalgam Füllungen zu Unrecht nicht nachgegangen. Die Einholung des Gutachtens des Sachverständigen Dr. R. sei unzureichend. Dieser habe einseitig nur die Amalgam befürwortende Literatur berücksichtigt und sich nicht mit den wissenschaftlichen Gegenmeinungen auseinandergesetzt. Die vom Sachverständigen Dr. R. herangezogenen MAK BAT Werte seien auf die Normalbevölkerung in keiner Weise anwendbar. In zahlreichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen werde ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Amalgam Füllungen und Multipler Sklerose sowie Unfruchtbarkeit bejaht. Das Landgericht habe zudem die Beweisanforderungen bei der Haftung von Arzneimittelherstellern verkannt. Dafür reiche die Möglichkeit des Ursachenzusammenhanges aus. Der plausible Schädigungszusammenhang ergebe sich vorliegend daraus, dass der Klägerin kurz vor dem Ausbruch der Krankheit von dem Zeugen Dr. H. acht Amalgam Füllungen gelegt worden seien. Wegen der in der wissenschaftlichen Literatur bekannten Schädigungszusammenhänge sei eine Beweislastumkehr anzunehmen, zumindest aber bestünden Beweiserleichterungen zu Gunsten der Klägerin.

 

Was die bereits vor der Behandlung durch Dr. H. im Mund der Klägerin vorhandenen Amalgam-Füllungen betreffe, so seien diese zum Teil durch Dr. H. ausgetauscht worden, so dass das Zahnamalgam im Mund der Klägerin ganz überwiegend von Dr. H. stamme. Zwar seien die klägerischen Beschwerden nicht zeitnah nach der Behandlung durch Dr. H. aufgetreten, es sei aber gerade eine Besonderheit bei der Amalgamschädigung, dass diese erst über einen längeren Zeitraum entstehe.

 

Die Klägerin beantragt,

 

das landgerichtliche Urteil abzuändern und

 

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 39.000,00 DM als Schadenersatz für Verdienstausfall in der Zeit bis Ende 1995 nebst Zinsen ab Klageerhebung. in Höhe von 2,5 % über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bank, zumindest in Höhe von 4 % zu zahlen;

 

2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin entstandene Arztkosten in Höhe von 7.000,00 DM zzgl. Zinsen ab Klageerhebung in Höhe von 2,5 % über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bank, zumindest in Höhe von 4 % zu zahlen;

 

3. die Beklagte, zu verurteilen, an die Klägerin 4.200,00 DM zzgl. Zinsen ab Klageerhebung in Höhe von 2,5 % über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bank, zumindest in Höhe von 4 % als Schadenersatz für Fahrtkosten zu den behandelnden Ärzten an die Klägerin zu erstatten,

 

4. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen. Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens aber 50.000,00 DM zzgl. Zinsen ab Klageerhebung in Höhe von 2,5 % über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bank, zumindest in Höhe von 4 %.zu zahlen,

 

5. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Schadenersatz zu leisten und Schmerzensgeld zu zahlen auch für künftige Schäden und Leiden, die der Klägerin infolge der Amalgamverwendung entstehen werden.

 

Die Beklagte beantragt

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Die Beweislast für die abstrakte und konkrete Kausalität liege bei der Klägerin. Nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft gingen von der Verwendung von Amalgam keine Gesundheitsgefahren aus, wobei vorliegend von dem Kenntnisstand 1985 bis 1989 auszugehen sei. Ausnahmen seien nur bekannt bei bestimmten Allergien und individuellen Unverträglichkeiten. Die Klägerin stütze sich auf pseudowissenschaftliche Artikel. Sie sei dem "amalgam sensitiven" Personenkreis zuzuordnen, bei dem ohne auffällige Quecksilberwerte eine psychologische Bereitschaft bestehe, sämtliche Beschwerden dem Wirkstoff Amalgam zuzuordnen.

 

Der Senat hat am 18.01.2001 einen Beweisbeschluss auf Einholung zweier medizinischer Sachverständigengutachten verkündet (Bl. 786 d. A.).

 

In der Folgezeit hat die Beklagte beide Sachverständige wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Mit Beschluss vom 03.04.2001 hat der Senat die Ablehnung des Sachverständigen Prof. Doz. Dr. med. A. für unbegründet erklärt (Bl. 813 d. A.). Die dagegen gerichtete Beschwerde ist zurückgenommen worden, nachdem dieser Sachverständige die Erstattung des Gutachtens abgelehnt hatte. Mit Beschluss vom 11.06.2001 ist anstelle des Sachverständigen Prof. Dr. med. A. Herr Prof. Dr. W. zum neuen Sachverständigen bestimmt worden (Bl. 835 d. A.). Letzterer hat am 07.03.2002 sein Gutachten erstellt (siehe Aktendeckel). In der Folgezeit hat die Sachverständige Frau Prof. Dr. G. erklären lassen, sie befinde sich mittlerweile in Ruhestand und erstelle keine Gutachten mehr (Bl. 858 d. A.). Anschließend hat die Klägerin erklärt, sie beantrage, dass anstelle von Frau Prof. Dr. G. ein anderer Sachverständiger benannt werde, sie schlage dafür den Deutschen Berufsverband der Umweltmediziner vor. Dem hat die Beklagte widersprochen mit dem Hinweis, bei diesem Verband handele es sich um eine Vereinigung von Ärzten, die der Verwendung von Dental Amalgam grundsätzlich kritisch gegenüberstehe. Gemäß Beweisbeschluss vom 20.02.2003 (Bl. 889 d. A.) ist der Sachverständige Prof. Dr. W. auch zum Gutachter bestellt worden, soweit nach dem Beweisbeschluss vom 18.01.2001 die Verursachung der Infertilität durch Amalgam begutachtet werden sollte; wegen der mündlichen Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. W. wird. auf Blatt 889 ff. d. A. Bezug genommen.

 

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.

 

Der geltend gemachte Anspruch aus §§ 84, 91 AMG, 823 Abs. 1, 847 BGB besteht nicht.

 

Sowohl im Rahmen von § 823 Abs. 1 BGB, als auch nach § 84 AMG müssten die geltend gemachten Gesundheitsverletzungen der Klägerin Multiple Sklerose und weibliche Infertilität durch ein von der Beklagten in Verkehr gebrachtes Produkt verursacht worden sein. Die Beweislast dafür liegt bei der Klägerin (vgl. Rehmann, AMG, 1999, § 84, Rn. 1). Dabei ist darauf hinzuweisen, dass es vorliegend nicht allgemein um die Frage einer möglichen Gesundheitsverletzung durch die Verwendung von Amalgam geht, auch nicht allgemein darum, ob es mögliche Zusammenhänge zwischen Amalgam und Multipler Sklerose bzw. weiblicher Unfruchtbarkeit gibt; vielmehr geht es vorliegend allein um die Frage, ob die Klägerin bezüglich der für ihre Person behaupteten Erkrankungen nachweisen kann, dass diese durch das von der Beklagten hergestellte Amalgam verursacht worden sind. Diesbezüglich fehlt aber wie nachfolgend dargelegt werden wird bereits der Ansatz eines Beweises, sodass sich die Frage etwaiger Beweiserleichterungen vorliegend überhaupt nicht stellt.

 

Es ist unbestritten, dass im Mund der Klägerin bereits vor der Behandlung durch Dr. H. in sieben Zähnen Amalgam Füllungen vorhanden waren, deren Hersteller unbekannt ist und deren etwaige gesundheitsschädliche Folgen nicht der Beklagten angelastet werden können. Da die Klägerin behauptet, nicht nur das von der Beklagten hergestellte Amalgam sei gesundheitsschädlich, sondern jegliches Amalgam, müsste die Klägerin zunächst einmal beweisen, dass die von ihr geltend gemachten Gesundheitsschäden zumindest mitursächlich auf dem von der Beklagten hergestellten Amalgam beruhen und nicht schon auf dem vor der Behandlung durch Dr. H. bereits vorhandenen Amalgam. Bereits dieser Beweis ist aber nicht geführt. Die Klägerin legt nicht dar, von welcher näheren Beschaffenheit die sieben früheren Amalgam Füllungen waren und wie lange diese in ihrem Mund vorhanden waren, bis Dr. H. sie entfernt hat.

 

Die Klägerin räumt im Übrigen ein, dass zwischen der Behandlung durch Dr. H. und ihrer Erkrankung kein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang bestanden hat, welcher dafür sprechen könnte, dass die von der Beklagten hergestellten Produkte die Ursache für die klägerischen Gesundheitsschäden sein müssen. Die Klägerin räumt auch ein, dass die Entfernung der von der Beklagten hergestellten Füllungen zwar zu einer kurzfristigen Erleichterung ihrer Beschwerden geführt haben, sich ihr Gesundheitszustand jedoch nach kurzer Zeit wieder drastisch verschlechtert hat. Wenn die Klägerin in diesem Zusammenhang auf die schädliche Wirkung von Amalgam, in längeren Zeiträumen hinweist, so spricht dies aber gerade dafür, dass die sieben früheren Amalgam Füllungen und nicht die von der Beklagten hergestellten für die geltend gemachten Gesundheitsschäden ursächlich sind. Dies hat im Übrigen auch das vom Senat eingeholte Gutachten des Sachverständigen W. ergeben (dort Seite 9), wonach den sieben früheren Amalgam Füllungen eine erheblich größere Bedeutung beizumessen wäre für den Fall, dass man überhaupt von einer gesundheitsschädlichen Wirkung von Amalgam ausgehe. 

 

Nach alldem ist bereits unklar, weshalb etwaige vorliegende Gesundheitsschäden der Klägerin gerade durch das von der Beklagten hergestellte Amalgam und nicht durch die früheren sieben Amalgam Füllungen eines anderen Herstellers verursacht worden sein sollen. 

 

Darüber hinaus scheitert die der Klägerin obliegende Beweisführung zusätzlich daran, dass die Klägerin bezüglich ihrer Person nur völlig unzureichendes Datenmaterial darlegen kann, so dass seriöse wissenschaftliche Aussagen über die Ursache der ihr festgestellte Multiple Sklerose-Erkrankung und, Unfruchtbarkeit nicht getroffen werden können.

 

Der Sachverständige Prof. Dr. W. hat insoweit von der Klägerin nicht angegriffen - festgestellt, es fehle schon an aussagekräftigen Darlegungen über den Verlauf der bei der Klägerin festgestellten Multiplen Sklerose-Erkrankung. Insbesondere trat bei der Klägerin bereits 1982 - erhebliche Zeit vor der Behandlung durch Dr. H. - ein sogenanntes "Schleiersehen" auf, was sich gemäß dem Sachverständigen Prof. Dr. W. im Nachhinein bereits als Vorbote bzw. Ausprägung der späteren Multiplen Sklerose-Erkrankung darstellt. Der Sachverständige W. hat zudem bemängelt, dass bezüglich der inneren Quecksilberdisposition der Klägerin nur völlig unzureichende, zudem schlecht dokumentierte Daten vorgelegt worden seien. Insbesondere sei der von Herrn Dr. B. genannte Gehalt. von 4,6 mg Quecksilber/dL im Vollblut der Klägerin völlig unrealistisch; es müsse sich dabei um einen Übertragungsfehler handeln, da die Klägerin bei einem solchen Wert nicht mehr lebensfähig gewesen sei. Ohne spezifische Kenntnisse über die damalige innere Quecksilberdisposition speziell der Klägerin kann aber, wie sich aus dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. W. nachvollziehbar ergibt, keine verlässliche Aussage dazu getroffen werden, ob die bei der Klägerin aufgetretene Multiple Sklerose Erkrankung ihre Ursache in der Verwendung von Amalgam hat oder aber auf andere Ursachen zurückzuführen ist, von denen es gemäß dem Sachverständigen Prof. Dr. W. sehr viele denkbare gibt. Der von der Klägerin geltend gemachten angeblichen Quecksilbervergiftung durch Amalgam könnte nur dann ernsthaft nachgegangen werden, wenn spezifische und seriöse Daten über die damalige Quecksilberdisposition der Klägerin vorlägen.

 

Der Gesichtspunkt des unzureichenden Datenmaterials betreffend die Person der Klägerin gilt in gleichem Maße für die zusätzlich geltend gemachte Unfruchtbarkeit. Diesbezüglich hat der Sachverständige Prof. Dr. W. ausgeführt, hinsichtlich der Klägerin fehlten jegliche spezifische Untersuchungsergebnisse bezüglich der Infertilitäts-Problematik. Die von Dr. B. allein aufgrund der Basalkurve gestellte Diagnose einer Quecksilbervergiftung als Ursache für die Unfruchtbarkeit sei "verantwortungslos, nicht nachvollziehbar und völlig unsubstanziiert'; zumindest hätte die Möglichkeit des Vorliegens hormoneller Störungen durch entsprechende spezifische Untersuchungen (Hormonspiegel, Blutuntersuchungen) abgeklärt werden müssen. Eine Quecksilberexposition als Ursache wäre erst dann ernsthaft zu diskutieren, wenn durch diagnostische Maßnahmen das Vorliegen anderer Erkrankungen bei der Klägerin ausgeschlossen und gleichzeitig der Nachweis erbracht worden wäre, dass bei der Klägerin eine Quecksilberbelastung in toxikologisch relevanter Höhe vorgelegen habe.

 

Die Klägerin hat anschließend ausdrücklich darauf hingewiesen, ihr lägen spezifische Laborbefunde aus der Vergangenheit bedauerlicherweise nicht vor; ein nachträglicher Nachweis der tatsächlichen Schwerbelastungswerte bei der Klägerin könne nicht geführt werden.

 

Nach alldem kann die Klägerin nicht ausschließen, dass Schadensursache die früheren Amalgam Füllungen waren; mangels ausreichenden Datenmaterials sind seriöse Aussagen über die Ursache der bei der Klägerin aufgetretenen Multiplen Sklerose Erkrankung und ihrer Unfruchtbarkeit nicht möglich.

 

Darüber hinaus hat die Klägerin aber auch nicht beweisen können, dass nach dem Stand der Wissenschaft die Verwendung von Amalgam im menschlichen Körper generell mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zur Entstehung von Multipler Sklerose und Unfruchtbarkeit führt; nur dann aber könnte sich überhaupt die Frage stellen, ob der Klägerin trotz der fehlenden personenbezogenen Daten und der Problematik einer früheren anderweitigen Amalgamverwendung möglicherweise Beweiserleichterungen zugute kommen könnten.

 

Was die Frage eines möglichen Kausalzusammenhanges zwischen der Verwendung von Amalgam und Multipler Sklerose betrifft, so lassen sich diesbezügliche verlässliche Aussagen schon deshalb nicht treffen da gemäß den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. W. - die insoweit von der Klägerin auch nicht angegriffen worden sind - gesicherte Aussagen über Ursache und Verlauf der Multiplen Sklerose Erkrankung nicht möglich sind. Nach gegenwärtigem Kenntnisstand ist danach die Ursache von Multipler Sklerose nach wie vor nicht geklärt; bei dieser Erkrankung des zentralen Nervensystems spielten genetisch prädisponierende Momente zusammen mit äußeren Risikofaktoren eine wesentliche Rolle, über letztere bestehe noch keine Klarheit, es würden die verschiedensten Einflussmöglichkeiten als Risikofaktoren diskutiert. Man gehe heute davon aus, dass die Krankheit durch Einflüsse im Jugendalter oder im jugendlichen Erwachsenenalter mittels Infektionen mit Mikroorganismen zu Stande komme; bei einer bestehenden Erkrankung könne der Einfluss von Schadstoffen verschlimmernd wirken, wobei die Konzentration der Schadstoffbelastung eine wichtige Rolle spiele. Ein derartiger Schadstoff könne eine amalgambedingte Quecksilberbelastung sein; daneben kämen aber auch zahlreiche andere Schadstoffe, zum Beispiel Blei und Kadmium, in Betracht.

 

Bereits im Hinblick auf diese Feststellungen, wonach die Ursache der Multiplen Sklerose Erkrankung noch weitgehend ungeklärt ist, eine Schadstoffbelastung nur eine von vielen Verursachungsmöglichkeiten darstellt und Quecksilber wiederum nur einen von vielen als Ursache in Betracht kommenden Schadstoffen darstellt, verbietet sich nach Überzeugung des Senats die Aussage, die Verwendung von Amalgam sei die wahrscheinliche Ursache der Multiplen Sklerose. Darüber hinaus hat der erstinstanzliche Sachverständige Dr. R. einen Zusammenhang zwischen der Verwendung von Amalgam und der Multiplen Sklerose verneint. Der zweitinstanzliche Sachverständige Prof. Dr. W. hat die Feststellungen des Sachverständige Dr. R. ausdrücklich bestätigt und ergänzt. Der Sachverständige Prof. Dr. W. ist ausführlich auf die seit Mitte der siebziger Jahre entstandene "Amalgam Kontroverse" eingegangen; er hat ausgeführt, diese könne auch zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht als gelöst bezeichnet werden. Er selbst sei weder dem "Lager" der Amalgam Befürworter, noch dem der Amalgam Gegner zuzuordnen.

 

Angesichts der gesamten neueren Erkenntnislage werde die Existenz eines Amalgam Problems aus toxikologischer Sicht jedoch zunehmend in Frage gestellt; daher stelle das Gutachten des Dr. R. wissenschaftlich gesicherte Sachverhalte dar. Ein möglicher Zusammenhang von Multipler Sklerose und Quecksilberfreisetzungen aus Amalgam sei erstmals 1983 von Ingalls wissenschaftlich diskutiert worden; in der Folgezeit habe dies nicht konsistent bestätigt werden können. Ein solcher Kausalzusammenhang sei allenfalls eine mögliche Hypothese; er sei aufgrund der gegenwärtigen Datenlage als unwahrscheinlich anzusehen; den von der Klägerin in Bezug. genommenen anders lautenden Äußerungen müsse aus toxikologischer Sicht eindeutig widersprochen werden.

 

Der Sachverständige, den der Senat mündlich angehört hat, hat einen überzeugenden und kompetenten Eindruck gemacht. Nach alldem besteht zu. einer weiteren Begutachtung betreffend die Frage eines möglichen Kausalzusammenhangs von Amalgam und Multipler Sklerose keine Veranlassung. Der Senat darf nämlich bei seiner Beweiswürdigung nicht auf wissenschaftliche Einzelmeinungen abstellen, sondern er muss das wissenschaftliche Gesamtspektrum berücksichtigen.

 

Danach kann aber im Hinblick auf die überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Dr. R. und Prof. Dr. W. keinesfalls davon ausgegangen werden, dass sich aus wissenschaftlicher Sicht ein Kausalzusammenhang von Amalgam und Multipler Sklerose so sehr aufdrängt, dass die oben genannten gegen die Klägerin sprechenden Umstände vernachlässigt werden könnten; vielmehr bestehen für einen derartigen Kausalzusammenhang nach derzeitigem wissenschaftlichen Stand allenfalls Vermutungen im Sinne einer ungesicherten Hypothese.

 

Was die Frage eines möglichen Kausalzusammenhangs zwischen der Verwendung von Amalgam und weiblicher Unfruchtbarkeit betrifft, so hat der erstinstanzliche Sachverständige Dr. R. auch einen solchen verneint. Nachdem die Klägerin. diesbezüglich in der Berufungsinstanz substantiierte Einwendungen vorgetragen hat, hat der Senat mit Beweisbeschluss vom 18.01.2001 Frau Prof. Dr. G. mit der Erstattung eines Gutachtens zu diesem Komplex, beauftragt. Nach dem Letztere hat erklären lassen, sie erstatte keine Gutachten mehr, hat der Senat den Sachverständigen Prof. Dr. W. auch zu diesem Sachkomplex beauftragt. Letzteres erfolgte, weil sich aus Seite 35 ff. seines schriftlichen Gutachtens vom 07.03.2002 ergab, dass der Sachverständige Prof. Dr. W. als Toxikologe auch für die Frage einer möglichen Verursachung von weiblicher Infertilität, durch amalgambedingte Quecksilberbelastungen kompetent erschien. Dies hat sich durch die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen im Termin vom 20.02.2003 in vollem Umfang bestätigt. Der Sachverständige hat dargelegt, die Belastung durch Quecksilber oder andere Schwermetalle könne möglicherweise zu weiblicher Unfruchtbarkeit führen, das hänge jedoch von der Dosis ab; bei den vorliegend in Betracht kommenden Werten sei ein Kausalzusammenhang eher unwahrscheinlich oder sogar auszuschließen. Im Übrigen sei der Dosis Wirkung Zusammenhang noch nicht vollständig erforscht; es fehle an Referenzwerten, die ein allgemeingültiges Untersuchungsergebnis gewährleisten könnten. Im Übrigen sei es so, dass der überwiegende Teil von weiblichen Infertilitätsstörungen im gynäkologischen Bereich liege; der verbleibende, restliche Teil sei den so genannten Umweltnoxen zuzuschreiben, wobei allerdings die Belastung mit Schwermetallen nur einen Teilbereich ausmache. Bei den Schwermetallen sei als möglicher Verursachungsfaktor außer Amalgam auch noch Blei und Kadmium zu berücksichtigen. Außerdem gebe es im Umweltnoxenbereich noch weitere mögliche Ursachen von Unfruchtbarkeit.

 

Der Senat hält diese Ausführungen für nachvollziehbar und überzeugend. Geht man aber davon aus, dass die Ursachen weiblicher Unfruchtbarkeit in erster Linie im gynäkologischen Bereich liegen - der vorliegend in keiner Weise abgeklärt worden ist -, dass daneben zahlreiche Umweltnoxen als Ursache in Betracht kommen, dass die Schwermetalle nur einen Teil der Umweltnoxen ausmachen und dass Quecksilber wiederum nur eines von zahlreichen Schwermetallen ist, so verbietet schon allein diese Deduktion die Aussage, eine Verursachung von weiblicher Infertilität müsse mit erheblicher Wahrscheinlichkeit auf der Verwendung von Amalgam beruhen. Diesen Schluss kann der Senat selbst ziehen nachdem der Sachverständige Prof. Dr. W. überzeugend die vielfachen möglichen Ursachen von weiblicher Infertilität dargelegt hat. Soweit ersichtlich stellt die Klägerin aber diese Vielzahl von in Betracht kommenden Ursachen nicht in Abrede. Insbesondere ist von der Klägerin nicht substantiiert dargelegt worden, weshalb die von ihr beantragte Einholung eines Gutachtens durch einen vom Berufsverband der Deutschen Umweltmediziner vorzuschlagenden Sachverständigen, hilfsweise durch den Sachverständigen Dr. med. M., ergeben soll, dass unter den sämtlichen von Prof. Dr. W. genannten Infertilitätsursachen speziell das Amalgam die wahrscheinlichste Ursache sein soll. Auch wenn, was die Kläger in behauptet, die Verwendung von Amalgam schon im Niedrigdosisbereich möglicherweise zu weiblicher Unfruchtbarkeit führen kann, so reicht dies vorliegend zur Beweisführung angesichts des oben genannten völligen Fehlens von personenbezogenen Daten zur Unfruchtbarkeit speziell der Klägerin nicht aus.

 

Nach alldem war die Berufung ohne weitere Beweiserhebungen zurückzuweisen.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

 

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.


Ausdruck Urteil - PDF