Kontakt

Schadensersatzanspruch einer Beihilfestelle bei Ausstellung von Rezepten ohne vorherige Untersuchung des Patienten

 | Gericht:  Oberlandesgericht (OLG) Köln  | Aktenzeichen: I-5 U 39/20, 5 U 39/20 | Entscheidung:  Urteil
Kategorie Schadenersatzrecht , Sonstiges

Urteilstext

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 29.01.2020 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 25 O 52/19 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

Das vorliegende Urteil und die angefochtene Entscheidung sind vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die Klägerin - A, Beihilfekasse - zahlte an die als städtische Beamtin beihilfeberechtigte B (im Folgenden: die Patientin) zwischen Mai 2008 und November 2013 rund 2 Millionen Euro aus. Dem lag zu Grunde, dass die Patientin sich von dem Beklagten, ihrem Hausarzt, Rezepte über das Medikament Gamunex hatte ausstellen lassen. Bei dem Medikament handelt es sich um ein unverändertes menschliches Immunglobulin G (IgG), welches durch einen Arzt intravenös verabreicht werden muss. Eine Einzeldosis von 200 ml des Medikamentes hat einen Abgabepreis von ca. 26.000 EUR. Frau B hatte, nachdem sie die ersten fünf Rezepte tatsächlich eingelöst hatte, in der Folgezeit jeweils den Stempel der Apotheke gefälscht und das so präparierte Rezept bei der Klägerin zur Erstattung eingereicht. Die Klägerin zahlte die Erstattungsbeträge auf das Konto der Patientin, diese verbrauchte das Geld für sich. Dieses Vorgehen praktizierte sie über Jahre.

Der Beklagte stellte die Rezepte aus, ohne die Patientin zuvor zu untersuchen, auch verkürzte er das Verschreibungsintervall im Laufe der Zeit ohne eine vorherige Untersuchung der Patientin. Als Grundlage für die Verschreibung des Mittels "Gamunex" lag dem Beklagten ein noch an seinen Praxisvorgänger gerichteter Arztbrief des Hämatologen Dr. C vom 24.04.1990 (Sonderheft "Ablichtungen KU" zu 44 Ds 34 Js 40/16-101/18 AG Kerpen) sowie ein weiteres Schreiben auf dem Briefpapier dieses Arztes vom 07.01.2008 (Sonderheft "Ablichtungen KU" zu 44 Ds 34 Js 40/16-101/18 AG Kerpen) vor. Letzteres bezeichnete die Staatsanwaltschaft Köln im Ermittlungsverfahren 34 Js 40/16 als Fälschung. Der Beklagte verabreichte das Medikament zu keinem Zeitpunkt selbst. Er stellte keine Überweisungen an einen Facharzt aus und erhielt keine Befundberichte oder Laborergebnisse von einem Facharzt.

Die Patientin wurde nach Entdeckung der Taten im Verfahren 42 Ls 971 Js 1844/13- 37/14 AG Kerpen zu zwei Jahren Freiheitsstrafe, ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt. Ein gegen den Beklagten gerichtetes Strafverfahren 44 Ds 34 Js 40/16- 101/18 AG Kerpen wurde nach § 153 a StPO nach Erfüllung der Zahlungsauflage endgültig eingestellt.

Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Erstattung aller ihrerseits an die Patientin ausgekehrten offenstehenden Beträge in Anspruch.

Die Klägerin hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, sie habe einen Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 278 StGB sowie § 263 StGB. Zudem sei sie in den Schutzbereich des Behandlungsvertrages einbezogen. Sie ist weiterhin der Ansicht, Privatrezepte seien Gesundheitszeugnisse im Sinne des § 278 StGB.

Sie hat dem Beklagten in der ersten Instanz vorgeworfen, die Verordnung des Medikaments sei nicht indiziert gewesen und hat die Ansicht vertreten, der Beklagte habe wider besseres Wissen gehandelt. Jedenfalls sei ihm Betrugsvorsatz zu unterstellen. Sie macht mit der Klage den an die Patientin gezahlten Betrag abzüglich der realisierten Erstattungen von insgesamt 2.000.544,38 EUR, Vollstreckungskosten von 35.132,19 EUR und entgangenen Zinsgewinn in Höhe von 37.938,19 EUR geltend.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

1)
den Beklagten zu verurteilen, an sie Schadensersatz in Höhe von 2.035.676,57 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.10.2018 zu zahlen,

2)
den Beklagten zu verurteilen, an sie weiteren Schadensersatz in Höhe von 37.938,19 EUR zu zahlen, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (01.04.2019),

3)
den Beklagten zu verurteilen, ihr Kosten für die außergerichtliche Rechtsverfolgung in Höhe von 11.491,71 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.10.2018 zu erstatten.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Klage nach Maßgabe der Klageerwiderung vom 27.05.2019 (Bl. 43) entgegengetreten. Er ist der Ansicht, ein Privatrezept sei kein Gesundheitszeugnis und die Klägerin keine Behörde im Sinne des § 278 StGB. Er habe zudem nicht wider besseres Wissen gehandelt, da die Patientin - insoweit unstreitig - an einer Autoimmunkrankheit erkrankt ist, die von dem Facharzt Dr. C bereits im Jahr 1990 diagnostiziert wurde.

Der Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben.

Wegen der Einzelheiten des streitigen Vorbringens der Parteien und der tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil (Bl. 172 ff d.A.) Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Vertragliche Ansprüche der Klägerin gegen den Beklagten bestünden nicht, insbesondere sei die Klägerin nicht in die Schutzwirkung des Behandlungsvertrages miteinbezogen.

Das Landgericht hat weiter festgestellt, dass kein Anspruch der Klägerin aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 278 StGB bestehe. Es sei zweifelhaft, ob das Rezept ein Gesundheitszeugnis im Sine des § 278 StGB darstelle, jedenfalls habe der Beklagte aber nicht wider besseres Wissen gehandelt, da er von der Behandlung durch einen anderen Arzt und einer lebenslang bestehenden Autoimmunerkrankung ausgegangen sei. Es bestünden darüber hinaus Bedenken, ob § 278 StGB in diesem Fall als Schutzgesetz des § 823 Abs. 2 BGB gesehen werden könne, da der Schaden der Klägerin hauptsächlich durch das kriminelle Verhalten der Patientin entstanden sei. Weiterhin hat das Landgericht festgestellt, dass kein Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB gegeben sei, da dem Beklagten kein Betrugsvorsatz nachzuweisen sei. Es sei zudem nicht ersichtlich, dass der Beklagte von den Taten der Patientin Kenntnis hatte. Aus denselben Gründen hat das Landgericht einen Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 StGB sowie § 826 BGB abgelehnt. Auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil wird verwiesen.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, mit der sie ihre erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgt.

Sie ist der Ansicht, für die Erfüllung des subjektiven Tatbestandes des § 278 StGB genüge bedingter Vorsatz hinsichtlich der Unrichtigkeit des Gesundheitszeugnisses. Dieses sei unrichtig, weil die maßgeblichen Leitlinien zur Rezeptierung nicht eingehalten worden seien und die Patientin das Medikament objektiv nicht benötigt habe. Diesbezüglich habe der Beklagte auch Vorsatz gehabt. Die Klägerin ist der Ansicht, der Beklagte habe die Patientin bei jeder Verordnung des Medikaments untersuchen müssen, um kein unrichtiges Gesundheitszeugnis auszustellen.

Die Klägerin ist weiter der Ansicht, bei den Privatrezepten handele es sich um Gesundheitszeugnisse im Sinne des § 278 StGB, da die Verordnung eines Medikaments die ärztliche Anordnung beinhalte, dass die Darreichung des Medikaments medizinisch indiziert sei und somit nach ärztlicher Feststellung für den im Rezept genannten Patienten zur Verfügung gestellt und finanziert werden solle. Insbesondere sei auf den Rezepten sogar eine Diagnose, nämlich "AK- Mangelsyndrom", vermerkt, also eine Aussage über den Gesundheitszustand getroffen.

Die Klägerin meint, § 278 StGB sei ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, da dieser neben der Richtigkeit von Gesundheitszeugnissen auch das Vermögen von Kostenträgern schütze.

Die Klägerin ist weiterhin der Ansicht, dass § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB erfüllt sei. Der Beklagte habe die Klägerin dahingehend getäuscht, die Patientin untersucht zu haben und daraufhin die Notwendigkeit der Behandlung mit Gamunex festgestellt zu haben. Es liege jedenfalls bedingter Vorsatz vor, da der Beklagte entgegen der Leitlinie keine Untersuchung vornahm.

Schließlich ist die Klägerin der Ansicht, sie sei in den Schutzbereich des Behandlungsvertrages miteinbezogen, sodass ihr hieraus ein Schadensersatz-anspruch zustehe.

Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe der Berufungserwiderung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Die Akte 44 Ds 34 Js 40/16-101/18 AG Kerpen lag vor und war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

II.
Die Berufung ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 611, 280, 328 BGB oder § 823 II BGB i.V.m. §§ 263, 266 oder 278 StGB.

I.
Der Klägerin stehen keine vertraglichen Ansprüche gegen den Beklagten zu.

Die Klägerin ist nicht Partei des zwischen dem Beklagten und der Frau B bestehenden Behandlungsvertrages gemäß § 611 BGB. Dieser entwickelt auch keine Schutzwirkung für die Klägerin als Beihilfestelle.

Grundsätzlich können durch den auf eine Heilbehandlung gerichteten Vertrag Schutzpflichten des Arztes nicht nur in Bezug auf Körper und Gesundheit, sondern auch hinsichtlich des Vermögens eines Patienten begründet werden (NJW 1983, 1371; BGHZ 102, 106; BGHZ 106, 153). Auch kann in besonderen Fällen ein Dritter mit seinem Vermögen in den Schutzbereich des Vertrages einbezogen sein, wie dies z. B. bei Pflichtverletzungen des Arztes im Rahmen der geburtshilflichen Beratung und Betreuung in Bezug auf daraus erwachsene Unterhaltslasten desjenigen Elternteils der Fall ist, der nicht selbst Vertragspartner des Arztes ist (BGHZ 76, 259; BGH NJW 1994, 788). Stets ist, um vertragliche Schadensersatzansprüche des Dritten bejahen zu können, jedoch erforderlich, dass der Vertrag nach seinem Inhalt und Zweck gerade auch auf den Schutz der geltend gemachten Interessen dieses Dritten angelegt ist. In dieser Hinsicht sind nach der ständigen Rechtsprechung des BGH strenge Anforderungen zu stellen, um eine Ausuferung derartiger Schadensersatzansprüche Dritter in einem für den Vertragsschuldner nicht mehr kalkulierbaren Umfang zu vermeiden und eine Grenze zu halten, jenseits deren der Schutz außenstehender Personen auf das Recht der unerlaubten Handlungen beschränkt bleiben muss (BGHZ 51, 91; BGHZ 61, 227; BGHZ 69, 82; BGHZ 70, 327; BGH, NJW 1976, 1843; BGH NJW 1994, 2417). Bei Anlegung dieses strengen Maßstabes kann eine generelle Einbeziehung von Beihilfestellen und kostentragenden Krankenkassen in den Schutzbereich des Behandlungsvertrages nicht angenommen werden. Der Behandlungsvertrag selbst ist seinem Zweck nach auf die medizinische Behandlung unter Wahrung des Facharztstandes zum Wohle der Gesundheit des Patienten gerichtet, und dient damit nicht in erster Linie den Belangen der Kostenträger. Im Falle von gesetzlich Versicherten können sich Pflichten des Arztes gegenüber Krankenkassen aus sozialrechtlichen Normen ergeben (vgl. KG Hinweisbeschluss v. 6.4.2020 - 20 U 53/19, BeckRS 2020, 14428). Eine solche Normierung eventueller weitergehender Pflichten gibt es für die unterschiedlichen Kostenträger der behandelten Privatpatienten nicht. Für den Behandler würde daher die Einbeziehung dieser unterschiedlichen Dritten in den Schutzbereich des Vertrages eine unkalkulierbare Erweiterung des Vertragsinhaltes bedeuten. Auch die in § 630c Abs. 3 BGB normierte, auch vor Einführung des Patientenrechtegesetzes bereits bestehende, Pflicht des Arztes zur wirtschaftlichen Information dient dem Schutz des Patienten vor ungeahnten finanziellen Belastungen, ist hingegen nicht eine Verpflichtung gegenüber den als Kostenträgern in Betracht kommenden Dritten. Im Ergebnis kommt daher eine vertragliche Anspruchsgrundlage nicht in Betracht.

II.
Auch deliktische Ansprüche gegen den Beklagten stehen der Klägerin nicht zu.

1.
§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 278 StGB

Zutreffend hat das Landgericht einen Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. mit einem Verstoß gegen § 278 StGB verneint.

a.
§ 278 StGB, das Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse, ist kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB.

Der Bundesgerichtshof hat in seiner neuen Entscheidung vom 25.05.2020 (VI ZR 252 / 19) zum Schutzgesetzcharakter folgendes ausgeführt: "Eine Rechtsnorm ist ein Schutzgesetz iSd § 823 Absatz 2 BGB, wenn sie zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen. Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt und Zweck des Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zugunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mitgewollt hat. Es genügt, dass die Norm auch das Interesse des Einzelnen schützen soll, mag sie auch in erster Linie dasjenige der Allgemeinheit im Auge haben. Nicht ausreichend ist aber, dass der Individualschutz durch Befolgung der Norm nur als ihr Reflex objektiv erreicht wird; er muss vielmehr im Aufgabenbereich der Norm liegen. Außerdem muss die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruchs sinnvoll und im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheinen, wobei in umfassender Würdigung des gesamten Regelungszusammenhangs, in den die Norm gestellt ist, zu prüfen ist, ob es in der Tendenz des Gesetzgebers liegen konnte, an die Verletzung des geschützten Interesses die deliktische Einstandspflicht des dagegen Verstoßenden mit allen damit zugunsten des Geschädigten gegebenen Haftungs- und Beweiserleichterungen zu knüpfen (stRspr, vgl. nur BGH NJW 2019, 3003 Rn. 12; BGH NJW 2020, 1514 Rn. 34 mwN). Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Absatz 2 BGB setzt schließlich weiter voraus, dass sich im konkreten Schaden die Gefahr verwirklicht hat, vor der die betreffende Norm schützen sollte. Der eingetretene Schaden muss also in den sachlichen Schutzbereich der Norm fallen. Weiter muss der konkret Geschädigte vom persönlichen Schutzbereich der verletzten Norm erfasst sein und zum Kreis derjenigen Personen gehören, deren Schutz die verletzte Norm bezweckt (BGH a.a.O.)".

Nach dieser Maßgabe stellt sich § 278 StGB nicht als Schutzgesetz dar. Systematisch im Strafgesetzbuch eingeordnet ist § 278 StGB im 23. Abschnitt "Urkundenfälschung". Schutzgut der Urkundsdelikte ist nach herrschender Auffassung die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs (Schönke/Schröder/Heine/Schuster StGB § 267 Rn. 1-1b mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof im Urteil vom 03.02.1987 (NJW 1987,1818) für die Urkundenfälschung gemäß § 267 StGB ausgeführt, dass es sich insoweit nicht um ein Schutzgesetz handele, da es nur reflexhaft dem Schutz von Vermögensinteressen diene. Denn § 267 StGB bewirke neben dem Schutz einer Vielzahl anderer Interessen auch einen Vermögensschutz, indem er dazu beitrage, den Gebrauch gefälschter Urkunden und damit in vielen Fällen auch den Eintritt von Vermögensschäden zu verhindern. Allerdings werde dieser Schutz nur dadurch bewirkt, dass es sich bei der Urkundenfälschung um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handele, das bereits das Vorfeld der Urkundenbenutzung kriminalisiere. Bei dem Schutz, den diese Interessen dadurch in der frühen Phase ihrer Gefährdung erführen, könne es sich aber nur um einen Reflex handeln, der durch die Befolgung der Norm zwar objektiv erreicht werden könne, aber nicht in ihrem spezifischen Aufgabenbereich liege.

Diese überzeugende Argumentation, die soweit ersichtlich nur in einem kleinen Teil der Literatur angefochten wird, ansonsten aber in der Rechtsprechung unbestritten ist, lässt sich auf § 278 StGB übertragen. Bei dem Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse handelt es sich um eine Sonderform der Urkundenfälschung in Form eines Spezialfalles der schriftlichen Lüge (vergleiche z.B. Lackner/Kühl StGB 29. Aufl. 2018 § 278 Rn. 1). Wie auch bei der Urkundenfälschung ist das Ausstellen des Gesundheitszeugnisses für sich genommen nicht geeignet, einen Vermögensschaden in irgendeiner Form hervorzurufen. Hinzukommen muss denknotwendig immer ein Gebrauchmachen von dem Gesundheitszeugnis zur Untermauerung einer Täuschung, um sodann einen Vermögensvorteil von einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft zu erhalten. Ziel der Vorschrift in erster Linie ist daher, die Vorbereitung der Erlangung eines Vermögensvorteils durch Kriminalisierung zu verhindern, der tatsächliche Vermögensschutz wird durch andere Strafvorschriften (§§ 263, 266 StGB) erreicht. Tatsächlich sind jedoch auch Gesundheitszeugnisse zur Vorlage bei Behörden denkbar, die in keinem Falle zu einem Vermögensvorteil führen können: So dürfte z.B. die nichtzutreffende Bescheinigung eines Arztes, ein Patient könne aus gesundheitlichen Gründen eine Schutzmaske nicht tragen, ohne weiteres § 278 StGB erfüllen, dennoch keinerlei Vermögensschaden bewirken können.

b.
Die vom Beklagten erstellten Rezepte stellen auch keine Gesundheitszeugnisse im Sinne des § 278 StGB dar.

Gesundheitszeugnisse sind Erklärungen über die jetzige, frühere oder voraussichtliche künftige Gesundheit eines Menschen (Lackner/Kühl StGB § 277 Rn. 1; Fischer StGB, 67. Auflage 2020, § 277 Rn. 3). Ob Rezepte grundsätzlich als solche Erklärung über einen Gesundheitszustand einzuordnen sind, ist bisher obergerichtlich nicht entschieden.

aa.
Das Landgericht Köln hat in dem hier zugrunde liegenden Strafverfahren in seinem die amtsgerichtliche Nichteröffnung aufhebenden Beschluss vom 07.07.2016, 105 Qs 165/16, Rezepte als Gesundheitszeugnisse angenommen. Dies wird damit begründet, dass das Rezept auch eine Anweisung an die Beihilfestelle sei, die für das verschriebene Medikament entstandenen Kosten zu erstatten, ohne dass für diese eine eigene medizinische Prüfungsmöglichkeit bestehe. Somit enthalte ein Rezept gesundheitsrelevante Daten, die für die Entscheidung der Beihilfestelle von Bedeutung sind. Dieser Beschluss wird in der Kommentarliteratur unterschiedlich eingeordnet. Während bei Lackner/Kühl die Entscheidung wohl zustimmend aufgenommen wird (§ 278 Rn. 2 am Ende), wird die Auffassung bei Schönke/Schröder/Heine Schuster, StGB § 278 Rn. 4 sowie Fischer StGB, 67. Auflage 2020, § 278 Rn. 5 nicht geteilt und mit dem Vermerk "zweifelhaft" versehen. Der Bundesgerichtshof hat im Urteil vom 2.11.2010 - 1 StR 579/09, BeckRS 2011, 1481 - eine (nichtärztliche) Angeklagte, die Rezepte über Betäubungsmittel ausstellte und die Unterschrift des Arztes fälschte, wegen Urkundenfälschung gemäß § 267, nicht aber wegen Fälschung von Gesundheitszeugnissen gemäß § 277 StGB bestraft, was darauf schließen lässt, dass der BGH insoweit die Qualität des Gesundheitszeugnisses nicht bejaht hat, da ansonsten die § 267 StGB verdrängende Spezialnorm des § 277 StGB hätte angenommen werden müssen.

bb.
Nach Auffassung des Senats ist das Tatbestandsmerkmal "Gesundheitszeugnis" bei bloßen Rezepten nicht erfüllt. Rezepte geben in der Regel keine Auskunft über den Gesundheitszustand eines Patienten, sie dienen jedenfalls nicht dem Nachweis einer bestimmten medizinischen Diagnose (so auch Schönke/Schröder/Heine Schuster, StGB § 278 Rn. 4). Insbesondere Rezepte, die ein breit anzuwendendes Medikament verschreiben, wie z.B. Kortison oder Ibuprofen, lassen auch keinen Rückschluss darauf zu, an welcher Erkrankung der Patient leidet.

Die Argumentation des Landgerichts Köln, dass das Rezept eine Anweisung an die Beihilfestelle sei, überzeugt nicht. Zum einen ist es dem Patienten überlassen, ob er das Rezept überhaupt an die Beihilfestelle weiterreicht, zum anderen wäre die Beihilfestelle zur Erstattung nicht verpflichtet, ohne dass zuvor die Apotheke relevante Daten, wie den Kaufpreis, die PZN-Nummer, das Kaufdatum und den Apothekenstempel hinzufügt.

Soweit im konkreten Fall die Rezepte hier eine Diagnose enthielten, ändert dies nichts an dieser Einschätzung. Denn weder war der Aufdruck der Diagnose verpflichtend zur Einreichung des Rezeptes bei der Beihilfe, noch sollte mit dem Rezept die Diagnose gegenüber einer anderen Behörde bewiesen werden.

c.
Es kann hier offenbleiben, ob die vom Beklagten ausgestellten Rezepte objektiv unrichtig im Sinne des §§ 278 StGB waren. Zwar kann ein Gesundheitszeugnis bereits dann unrichtig sein, wenn eine erforderliche Untersuchung nicht stattgefunden hat (BGH, Urteil vom 08.11.2006, NStZ-RR 07, 343 f.), es ist jedoch innerhalb der herrschenden Meinung anerkannt, dass der Begriff der ärztlichen Untersuchung nicht in jedem Fall eine körperliche Untersuchung oder persönliche Befragung des Patienten voraussetzt. Es gibt Krankheitsfälle, in denen es sich entweder nach der Art der Erkrankung oder der seelischen Verfassung des Patienten für den gewissenhaften Arzt verbietet, eine körperliche Untersuchung oder eine persönliche Befragung des Patienten vorzunehmen. In solchen Fällen genügt der Arzt der ihm obliegenden Sorgfaltspflicht auch im Rahmen des § 278 StGB, wenn er vor der Ausstellung des Gesundheitszeugnisses sich auf andere Weise zuverlässig über den Gesundheitszustand des Patienten unterrichtet (OLG Frankfurt, Beschluss vom 11. Januar 2006 - 1 Ss 24/05 -, juris Rn. 24). Wenn die Diagnose auf Grund objektiver Diagnosegrundlagen getroffen wurde, ist sie nicht unrichtig, wenn eine von mehreren erforderlichen Untersuchungen unterlassen wurde (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 22. Dezember 1981 - 1 Ss 62/80 -, juris 2. Orientierungssatz). Im vorliegenden Fall ist zwar unstreitig, dass bei der Patientin ein Immundefekt- Syndrom in Form eines Antikörpermangelsyndroms für IgA und IgG vorlag, welches durch Dr. C im Jahr 1990 festgestellt wurde. Ob diese lebenslang bestehende Krankheit allerdings in der rezeptierten Form behandlungsbedürftig war, steht ohne sachverständige Klärung nicht fest.

d.
Ein Anspruch aus §§ 823 Abs. 2 BGB, 278 StGB scheitert schließlich auch daran, dass die Klägerin nicht beweisen kann, dass der Beklagte mit direktem Vorsatz ein unrichtiges Rezept ausstellen wollte. Die Einlassung des Beklagten, sich auf die Diagnose des Antikörpermangelsyndroms sowie die Durchführung der Therapie und des Monitorings durch den Facharzt Dr. C verlassen zu haben, ist nicht widerlegt.

Entgegen der Ansicht der Klägerin reicht bedingter Vorsatz nicht für die Erfüllung des subjektiven Tatbestandes von § 278 StGB aus. Es ist vielmehr so, dass hinsichtlich der Unrichtigkeit Handeln wider besseres Wissen, also direkter Vorsatz, gefordert ist (OLG Frankfurt, Beschluss vom 11. Januar 2006 - 1 Ss 24/05 -, juris Rn. 21; Fischer StGB, 67. Auflage 2020, § 278 Rn. 7; Leipold/Tsambikakis/Zöller, Anwaltskommentar StGB, 3. Aufl. 2020, § 278 Rn.5). Eventualvorsatz ist lediglich ausreichend, wenn niemals eine Untersuchung des Krankheitsbildes bei der Patientin stattgefunden hat (vgl. Leipold/Tsambikakis/ Zöller, Anwaltskommentar StGB, 3. Aufl. 2020, § 278 Rn.5). Die bloße Wiedergabe einer Diagnose, die durch einen anderen Arzt gestellt wurde, fällt noch nicht unter § 278 StGB (vgl. BGH, Urteil vom 29. Januar 1957 - 1 StR 333/56 -, BGHSt 10, 157-161 Rn. 9).

Dies alles führt dazu, dass Anhaltspunkte in der Argumentation der Klägerin, die den Schluss auf ärztliche Behandlungsfehler durchaus ermöglichen könnten, hingegen zum Beweis des direkten Vorsatzes nicht ausreichen.

Soweit die Klägerin argumentiert, der Beklagte wisse, dass er die Patientin nicht untersucht und nicht deren Talwerte kontrolliert habe, obwohl dies den zu Grunde zu legenden Leitlinien entsprochen habe, belegt dies nicht, dass der Beklagte die Rezepte wider besseres Wissen über ihre Notwendigkeit ausgestellt hätte. Dem Beklagten lag ein Bericht über eine ausführliche Untersuchung der Patientin im Jahr 1990 wegen derselben - lebenslang bestehenden - Erkrankung durch einen anderen Arzt zur Diagnosestellung vor; auf die Diagnose des Facharztes Dr. C durfte sich der Beklagte grundsätzlich verlassen. Dass das weitere Schreiben des Dr. C vom 7.1.2008, von dessen Unechtheit die Staatsanwaltschaft ausgeht, für den Beklagten ebenso als Fälschung erkannt worden ist, was der Beklagte in Abrede nimmt, kann die Klägerin nicht beweisen. Ebenso wenig steht fest, dass der Beklagte wusste, dass eine Verabreichung des Medikamentes und die Kontrolle durch einen Facharzt tatsächlich nicht erfolgt ist. Stellte der Beklagte die Rezepte aber im Vertrauen auf die andernorts gestellte Diagnose und durch Kollegen erfolgende Kontrolle auf, so lag darin keine Rezeptierung eines Medikamentes wider besseres Wissen um dessen Unnötigkeit.

2.
§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB

Die Klägerin hat keine Ansprüche gegen den Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB. Eine eigene Täuschung des Beklagten gegenüber der Beihilfestelle der A ist nicht erfolgt. Eine solche ergibt sich nicht bereits, wie die Klägerin meint, aus der Ausstellung der Rezepte ohne vorherige Untersuchung, denn der Beklagte hat die Rezepte nicht der Klägerin vorgelegt. Eine Haftung könnte sich daher nur aus der Stellung als Mittäter oder Gehilfe der Patientin B ergeben. Dies würde voraussetzen, dass der Beklagte wusste und wollte, dass die Patientin nicht eingelöste Rezepte verfälschte und bei der Klägerin einreichte, um den Beihilfeanteil des Medikamentenpreises für sich zu erhalten und zu verbrauchen. Dies hat die Klägerin zwar behauptet, aber nicht bewiesen. Aus dem Geständnis der Patientin im Strafverfahren 42 Ls-971 Js 1844/13-37/14 (Anlage K5 zur Klageschrift) ergibt sich derartiges nicht, vielmehr hat die Patientin erklärt, die Rezepte stets telefonisch ohne Arztkontakt "bestellt" zu haben. Noch weniger steht fest, dass der Beklagte die Rezepte in der Absicht, der Zeugin einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, ausgestellt hätte.

3.
§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 StGB

Das Landgericht hat zu Recht festgestellt, dass ein Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 StGB nicht besteht.

a.
Ärzte haben keine Vermögensbetreuungspflicht hinsichtlich des Vermögens privater Versicherer oder der Beihilfekasse. Eine Vermögensbetreuungspflicht erfordert, dass der Täter in einer Beziehung zum (potenziell) Geschädigten steht, die eine besondere Verantwortung für dessen materielle Güter mit sich bringt. Den Täter muss eine inhaltlich herausgehobene Pflicht zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen treffen, die über für jedermann geltende Sorgfalts- und Rücksichtnahmepflichten und insbesondere über die allgemeine Pflicht, auf die Vermögensinteressen des Vertragspartners Rücksicht zu nehmen, ebenso hinausgeht wie über einen bloßen Bezug zu fremden Vermögensinteressen oder eine rein tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit auf materielle Güter anderer (BGH NJW 2016, 3253). Eine solche Vermögensbetreuungspflicht hat der BGH zwar im Beschluss vom 16.8.2016 - 4 StR 163/16 - (NJW 2016, 3253) unter Berücksichtigung der im "Vertragsarztbeschluss" des Großen Strafsenats vom 29.03.2012 (BGHSt 57,202 ff) niedergelegten Grundsätze im Verhältnis eines Vertragsarztes zur Krankenkasse angenommen. Im vorliegenden Fall besteht jedoch - anders als bei einem Arzt, der mit der Kassenzulassung Verpflichtungen gegenüber den Krankenkassen übernimmt - keine direkte Beziehung zwischen Beklagten und Klägerin. Vielmehr ist es, wie oben bereits dar- gelegt, stets von einem Handeln des Patienten abhängig, ob Rezepte oder sonstige Verordnungen des Arztes in Kosten für den Beihilfeträger resultieren. Die notwendige enge Verbindung zwischen den Parteien, die für die Annahme einer Vermögensbetreuungspflicht erforderlich wäre, besteht hier nicht.

b.
Im Übrigen gelingt auch hinsichtlich einer Untreue der Klägerin der Nachweis des Vorsatzes beim Beklagten nicht: Ein Vermögensnachteil bei der Klägerin entstand nur, indem die Zeugin die Rezepte nicht einlöste, sondern verfälschte und sich unberechtigt Geld auszahlen ließ. Dass der Beklagte dies wusste und wollte, ist nicht bewiesen.

4.
§ 826 BGB

Das Landgericht hat zutreffend einen Anspruch aus § 826 BGB abgelehnt, da es auch hier an dem Nachweis der vorsätzlichen Schadenszufügung fehlt.

5.
Mangels Hauptanspruches kann die Klägerin auch keine Zinsen und keine Erstattung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangen.

III.
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Streitwert wird auf 2.073.614,76 EUR festgesetzt.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO). Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Wenn auch bisher nicht obergerichtlich entschiedene Rechtsfragen Gegenstand dieses Urteils sind, so beruht die Entscheidung letztlich ausschließlich auf Erwägungen zum Einzelfall.


Ausdruck Urteil - PDF