Urteilstext
Tenor
Auf die Berufungen des Klägers und des Beklagten zu 4 werden das am 29. November 2013 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld und das Verfahren aufgehoben und die Sache zur weiteren Verhandlung - auch über die Kosten des Berufungsverfahrens - zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der am ........20... geborene Kläger macht Schmerzensgeld- und im Wege des Feststellungsbegehrens Schadensersatzansprüche wegen einer behaupteten ärztlichen Fehlbehandlung anlässlich seiner Geburt geltend.
Die Kindesmutter geb. am ........19..., hatte bereits in der Vergangenheit aufgrund eines pathologischen CTG`s mittels Sectio entbinden müssen. Während ihrer dritten Schwangerschaft mit dem Kläger wurde sie vom Beklagten zu 4 betreut. Als voraussichtlichen Geburtstermin hatte er den 08.08.2005 errechnet. Die Kindesmutter stellte sich bei ihm 08.08., 09.08. und 10.08.2005 vor. Als der Beklagte zu 4 am 10.08.2005 am Vormitttag etwa gegen 11.20 Uhr ein CTG anfertigte, brach er dies vorzeitig ab und gab der Kindesmutter einen Überweisungsschein für die Geburtsklinik mit dem Hinweis : "Gravidität über dem Termin" und "Oligohydramnie bei Gravidität".
Am Abend desselben Tages begab sich die Kindesmutter sodann in das Krankenhaus der Beklagten zu 1, weil sie das Gefühl hatte, dass die Kindsbewegungen abgenommen hatten. Aufgrund der Befunde eines ab 19.11 Uhr durchgeführten CTG`s sowie mehrfacher erfolgloser Weckversuche und Seitenwechsel der Mutter wurde die Beklagte zu 2 als diensthabende Ärztin um 19.40 Uhr verständigt, die Blut entnahm und eine Dopplersonographie durchführte sowie einen vaginalen Befund erhob. Ein erneutes CTG wurde ab 20.25 Uhr durchgeführt. Etwa 20 Minuten nach Abschluss der erfolgten Dopplersonographie wurde die Beklagte zu 3 als zuständige Oberärztin informiert, die einen Oxytocin-Belastungstest und eine Vorbereitung der Kindesmutter für eine Sectio anordnete. Der Belastungstest wurde um 21.10 Uhr durchgeführt.
Als schließlich das CTG um 21.42 Uhr eine silente fetale Herzfrequenz zeigte, wurde nach Eintreffen der Beklagten zu 3 um 21.45 Uhr im Kreißsaal gegen 22.17 Uhr eine Sectio vorgenommen. Der Kläger zeigte sich in einem reduzierten Zustand und wurde intubiert. In diesem Zustand wurde er sodann notfallmäßig in die Kinderklinik des Evangelischen Krankenhauses in C/C überwiesen.
Da der Kläger nach seiner Behauptung unter einer schwerwiegenden geistigen und körperlichen Störung wie fokaler Epilepsie, Mikrozephalie, schwerer psychomotorischer Retardierung und zentralen Sehminderung leidet, hat er von den Beklagten ein Schmerzensgeld von 350.000 EUR, eine monatliche Schmerzensgeldrente von 300 EUR sowie die Feststellung der weitergehenden Ersatzverpflichtung für sämtliche materiellen Schäden verlangt.
Zur Begründung hat er ausgeführt, dass der Beklagte zu 4 seine Mutter am 10.08.2005 nicht in ausreichender Weise und nicht eindringlich genug unter Hinweis auf die besondere Dringlichkeit ins Krankenhaus eingewiesen habe, obwohl das angefertigte CTG, was der Beklagte nur viel zu kurz durchgeführt habe, erkennbare Auffälligkeiten gezeigt habe. Insoweit habe er dies aber auf dem Einweisungsschein nicht vermerkt. Letztlich habe das Versäumnis zu der mehrstündigen Sauerstoffunterversorgung geführt und die erheblichen Schädigungen verursacht.
Auch die Beklagten zu 1-3 hätten durch das Zuwarten ab 17.30 Uhr, dem Eintreffen der Kindesmutter in der Klinik, viel zu lange gewartet, obwohl schon um 19.11 Uhr ein pathologisches CTG vorgelegen habe. Schon aufgrund der bekannten Probleme einer früheren Schwangerschaft mit pathologischen CTG sei man verpflichtet gewesen, umgehend eine Sectio durchzuführen.
Der Kläger hat sodann mit Schriftsatz vom 05.11.2010. eingegangen beim Landgericht am 08.11.2010, die Klage auf den Beklagten zu 4 erweitert und für diese Klage mit Schriftsatz vom 23.11.2010, eingegangen am 24.11.2010, Prozesskostenhilfe beantragt. Mit gerichtlicher Verfügung vom 07.12.2010 hat das Gericht verfügt, dass eine einfache Abschrift des Schriftsatzes vom 05.11.2010 u.a. an den Beklagten zu 4 übersandt werden sollte, und zwar zur Stellungnahme zum Prozesskostenhilfeantrag. Tatsächlich ist dem Beklagten zu 4 lediglich ein Schriftsatz gleichen Datums übersandt worden, der sich über eine Stellungnahme zu einem gerichtlich eingeholten Gutachten verhielt. Dementsprechend ist eine erneute Übersendung des Prozesskostenhilfegesuchs mit gerichtlicher Verfügung vom 17.01.2011 erfolgt. Der Schriftsatz ist dem Anwalt des Beklagten zu 4 wenige Tage später zugegangen. Unter dem 11.03.2011 ist dem Kläger für die Klageerweiterung -ohne eine erneute Einreichung einer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse- Prozesskostenhilfe bewilligt worden, nachdem er bereits mit Schriftsatz vom 18.11.2010 darauf hingewiesen hatte, dass sich an den vorliegenden Verhältnissen nichts geändert habe.
Das Landgericht hat als sachverständigen Gynäkologen Prof. Dr. Dr. U beraten lassen, der sein schriftliches Gutachten zweimal erläutert hat. Im Zuge der Klageerweiterung auf den Beklagten zu 4, hat Prof. Dr. Dr. U nochmals ein schriftliches Gutachten erstattet und dies erneut mündlich erläutert. Darüber hinaus hat das Landgericht ein neonatologisches schriftliches Gutachten von Prof. Dr. T und Dr. I eingeholt, das Dr. I auch mündlich erläutert hat. Danach hat das Landgericht weiter Beweis über die eingetretenen Folgen beim Kläger durch Einholung eines zusätzlichen mündlichen Gutachtens durch Dr. I erhoben. Drei Tage vor der letzten mündlichen Verhandlung hat der Kläger nochmals ein Privatgutachten von Prof. Dr. S vorgelegt, mit dem er die Ergebnisse des geburtshilflichen Gutachtens angegriffen hat.
Das Landgericht hat aufgrund der Gutachten von Prof. Dr. Dr. U einen Anspruch gegen den Beklagten zu 4 wegen des Schmerzensgeldanspruchs sowie des Feststellungsantrags für begründet angesehen. Insoweit habe ein grober Behandlungsfehler vorgelegen, weil der Beklagte zu 4 nicht in ausreichender Weise dafür gesorgt habe, dass sich die Kindesmutter aufgrund des suspekten CTG`s sofort ins Krankenhaus begeben habe, wobei er auf dem Einweisungsschein das Vorliegen eines solche auffälligen CTG`s auch nicht vermerkt habe.
Im Hinblick auf die Beklagten zu 1- 3 sei es noch vertretbar gewesen, einen Versuch einer natürlichen Geburt zu unternehmen statt sofort eine Sectio vorzunehmen.
Insoweit hat das Landgericht das vor dem letzten Termin vorgelegte Privatgutachten als verspätet zurückgewiesen.
Dagegen richten sich die Berufungen des Klägers sowie des Beklagten zu 4.
Der Kläger trägt vor:
Das Landgericht habe verfahrensfehlerhaft das Privatgutachten von Prof. Dr. S nicht zugelassen. Die gesetzte Frist aus dem Jahr 2008 zur Stellungnahme zum schriftlichen Gutachten von Prof. Dr. Dr. U könne denklogisch gar nicht mehr das Gutachten aus dem Jahr 2013 erfasst haben. Tatsächlich habe der Kläger innerhalb der gesetzten Frist vom 07.04.2008 eine Ladung des Sachverständigen zur nachmaligen Anhörung beantragt, die auch erfolgt sei, ebenso wie die zweite Anhörung vom 08.05.2012. Der Kläger habe dann erst kurz vor dem Termin das Privatgutachten vorlegen können, das er vorher nicht selbst habe finanzieren können. Eine grobe Nachlässigkeit könne man daraus nicht entnehmen.
Zudem hätte sich dem Landgericht aufdrängen müssen, dass die Ausführungen von Prof. Dr. Dr. U widersprüchlich gewesen seien. Insoweit hätten sich schon unabhängig von den Ausführungen des Privatgutachters, dem sich nunmehr auch ein weiterer Gutachter, nämlich Prof. Dr. L, angeschlossen habe, weitere Aufklärung und Ermittlungen aufdrängen müssen. Nach Meinung beider Privatgutachter habe von Anfang an ein pathologischer Zustand bestanden, der ein sofortiges Handeln im Krankenhaus der Beklagten zu 1 erforderlich gemacht hätte. In dem Fall wäre die Geburt mindestens zwei Stunden eher erfolgt. Eine vaginale Entbindung bei geburtunreifem Zustand sei in Kürze nicht zu erwarten gewesen, so dass eine Sectio erforderlich gewesen sei.
Der Kläger beantragt,
das Verfahren gemäß § 538 Abs. 2 ZPO an das Gericht des ersten Rechtzuges, hier das Landgericht Bielefeld, zurückzuverweisen;
hilfsweise,
unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung die Beklagten zu 1 bis 3 gesamtschuldnerisch mit dem Beklagten zu 4 zu verurteilen, an ihn ein angemessenes, in das gerichtliche Ermessen gestelltes Schmerzensgeld nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 10.08.2005 zu zahlen;
festzustellen, dass die Beklagten zu 1 bis 3 gesamtschuldnerisch mit dem Beklagten zu 4 verpflichtet sind, ihm sämtlichen materiellen Schaden zu ersetzen, der durch die fehlerhafte ambulante Schwangerschaftsvorsorge am 10.08.2005 durch den Beklagten zu 4, die fehlerhafte Geburtsleitung und postpartale Versorgung am 10.08.2005 bei der Beklagten zu 1 verursacht worden ist oder noch verursacht wird, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen oder übergegangen sind.
Die Beklagten zu 1 bis 3 beantragen,
die gegnerische Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen das angefochtene Urteil.
Der Beklagte zu 4 beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Bielefeld zurückzuverweisen;
hilfsweise,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage gegen ihn abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte zu 4 macht geltend:
Der Anspruch sei verjährt. Die Kindeseltern hätten von möglichen Versäumnissen rechtzeitig Kenntnis gehabt, zumindest sei ihnen nur infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben, dass dem Beklagten zu 4 möglicherweise am 10.08.2005 ein Fehler unterlaufen und er für die Verzögerung der Geburt mitverantwortlich sei; sie hätten nämlich schon im Oktober 2007 im Prozesskostenhilfe - und Klageverfahren darauf hingewiesen, dass das CTG eine sofortige Einweisung erforderlich gemacht hätte. Dementsprechend sei Verjährung zum 31.12.2010 eingetreten. Eine rechtzeitige Hemmung sei nicht erfolgt, weil dem Beklagten im Rahmen des Prozesskostenhilfe -Verfahrens lediglich eine Stellungnahme des Klägers zum Gutachten Dr. I zugesandt worden sei, nicht aber die Klageerweiterung. Dies sei auf Nachfrage des damaligen Anwaltes durch die zuständige Richterin so veranlasst worden. Tatsächlich habe der Beklagte erst im Januar 2011 die Klageerweiterung zur Stellungnahme im Prozesskostenhilfe -Verfahren erhalten, also nach Ablauf der Verjährungsfrist. Ein Zugang erst am 20.01.2011 sei nicht mehr als demnächst anzusehen, wobei auch nicht feststellbar sei, dass überhaupt ein entsprechendes Prozesskostenhilfe -Formular vorgelegen habe.
Es habe auch kein Behandlungsfehler vorgelegen; denn in der Dokumentation sei vermerkt, dass ein suspektes CTG vorgelegen habe mit der Notwendigkeit der Einweisung ins Krankenhaus. Bei Nachfrage durch die Klinikärzte wären die erforderlichen Auskünfte möglich gewesen. Die nachbehandelnden Klinikärzte hätten sich von der Dringlichkeit auch selbst überzeugen können und müssen.
Der Beklagte habe der Kindesmutter mitgeteilt, dass sie sofort ins Krankenhaus müsse und er ihr auch ein Taxi bestellten würde. Dies habe er unter Beweisantritt erstinstanzlich vorgetragen. Nichts anderes habe man auch aus der protokollierten Darstellung entnehmen können. Er habe dies damals auch dem anwesenden Kindesvater gesagt. Nach Risikohinweisen, wie sie später der Sachverständige Prof. Dr. Dr. U angegeben habe, sei er in der Verhandlung gar nicht befragt worden. Wenn man ihn gefragt hätte, dann hätte er darauf hingewiesen, dass er nicht nur am 08. und 09.08.2005, sondern insbesondere am 10.08.2005 unter Zuhilfenahme der Zeugin N ausdrücklich auf eine drohende Schädigung des Kindes hingewiesen habe.
Es sei auch nicht richtig, dass die Ärzte im Klinikum irgendetwas vermisst hätten; denn sie hätten aufgrund der Angaben in der Überweisung genügend Anlass zum Handeln gehabt. Darüber hinaus wisse er aus der langjährigen Erfahrung, dass sich die Ärzte nicht auf Vorbefunde verlassen würden. Sie hätten ja auch ein eigenes CTG gemacht und von der Mutter um die abnehmenden Kindsbewegungen gewusst, so dass sie selbst hätten handeln müssen. Tatsächlich aber hätten sie im Verfahren noch angegeben, dass sie auch nicht anders vorgegangen wären, wenn sie das suspekte CTG gehabt hätten.
Die Ausführungen des Sachverständige Prof. Dr. Dr. U seien auch in sich widersprüchlich. Während er beim Bekl. zu 4 eine besondere Eilbedürftigkeit angenommen habe, habe er das verzögernde Verhalten bei den Bekl. zu 1-3 für noch nachvollziehbar gehalten. Insoweit habe er beide CTG`s gleich bewertet. Wenn er aber selbst nach den erhobenen Doppler-Werten ein weiteres Zuwarten für vertretbar gehalten habe, dann könne das Verhalten des Beklagten zu 4 nicht fehlerhaft und schon gar nicht grob fehlerhaft gewesen sein. Es sei zudem nicht davon auszugehen, dass eine frühere Noteinweisung zu einer sofortigen Sectio geführt hätte, weil die erhobenen Werte vorher nicht schlechter gewesen wären.
Ein Befunderhebungsfehler liege nicht vor; denn der Beklagte zu 4 habe das CTG vorzeitig abbrechen dürfen und auch keine Doppler-Untersuchung vornehmen müssen, weil er eine sofortige Krankenhauseinweisung befürwortet habe. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass eine frühere Doppleruntersuchung ein anderes Ergebnis erbracht hätte, weil ja die spätere Untersuchung nach Auffassung des Sachverständigen eine vaginale Entbindung zuließ.
Es fehle daher an einer nachgewiesenen Kausalität, weil der Sachverständige Dr. I nicht habe feststellen können, ob der Kläger sich bei einer früheren Entbindung besser gestanden hätte. Insoweit seien dem Sachverständigen auch falsche Fragen gestellt worden, die zudem gar nicht alle beantwortet worden seien. Im Übrigen handle es sich um Sekundärschäden, für die ein anderes Beweismaß gelte.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils sowie die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze verwiesen.
II.
Die Berufungen sind begründet.
Antragsgemäß war das angefochtene Urteil wegen zahlreicher wesentlicher Verfahrensfehler gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO aufzuheben und das Verfahren an das Landgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
A. Berufung des Klägers
Das Verfahren des Landgerichtes verletzt in mehrfacher Hinsicht den Anspruch des Klägers auf Gewährung des rechtlichen Gehörs und seinen Anspruch auf ein faires Verfahren und "Waffengleichheit" im Arzthaftungsprozess, weil es das Privatgutachten von Prof. Dr. S als verspätet zurückgewiesen hat.
Es war schon fehlerhaft, dass eine Zurückweisung gemäß § 296 Abs. 1 ZPO erfolgt ist, weil die mit Verfügung vom 07.04.2008 gesetzte Frist ersichtlich nicht mehr für den Zeitraum im Jahr 2013 gelten konnte, nachdem der Sachverständige Prof. Dr. Dr. U aufgrund der fristgerecht erhobenen Einwände nachfolgend noch mehrfach mündlich angehört worden ist. Es bedarf keiner weiteren Ausführungen, dass eine im Jahr 2013 vorgelegtes Privatgutachten nicht mit einer im Jahr 2008 gesetzten Frist gem. §§ 411 Abs. 2 S. 2, 296 Abs. 1 ZPO zurückgewiesen werden kann. Die im Jahr 2008 gesetzte Frist war keine "hierfür gesetzte Frist" i. S. d. §§ 411 Abs. 2 S. 2, 296 Abs. 1 ZPO.
Auch die Zurückweisung gemäß §§ 296 Abs. 2, 282 Abs. 2 ZPO ist fehlerhaft.
Im Zivilprozess hat ein Richter grundsätzlich für ein faires Verfahren zu sorgen. Dazu gehört vor allem auch eine dementsprechende Handhabung des Beweises. Das gilt in besonderem Maße für den Arzthaftungsprozess, in dem es typischerweise ein Informationsgefälle zwischen der ärztlichen Seite und dem Patienten gibt, das soweit als möglich auszugleichen ist. Dazu gehört es dann auch, einer medizinisch nicht sachkundigen Partei Gelegenheit zu geben, unter Zuhilfenahme eines weiteren Mediziners über schwierige medizinische Fragen nach Vorliegen eines Gutachtens nochmals Stellung zu nehmen. Andernfalls wäre sie in den meisten Fällen nicht in der Lage, dem Sachverständigen etwaige abweichende medizinische Lehrmeinungen vorzuhalten, auf mögliche Lücken der Begutachtung hinzuweisen und etwaige Widersprüche im Gutachten aufzuzeigen (Grundsätze seit: BVerfG VersR 1979, 907, 911, BGH VersR 1982, 168; VersR 1984, 661f; VersR 1988, 914).
Dabei ist dem Privatgutachten dieselbe Aufmerksamkeit zu schenken wie dem gerichtlich bestellten Sachverständigen (BGH VersR 2001, 525; VersR 2009, 1406).
Vor diesem Hintergrund war es nicht gerechtfertigt, dem Kläger die Chance zu nehmen, den gerichtlichen Sachverständigen mit den Einwänden des Privatgutachters zu konfrontieren, zumal sich dem Landgericht der vorhandene Widerspruch hätte aufdrängen müssen, dass zwar gegenüber dem Beklagten zu 4 eine ungeheure Dringlichkeit zur Klinikeinweisung geltend gemacht, der Klinik selbst jedoch über mehrere Stunden eine nur vage Möglichkeit einer vaginalen Entbindung erlaubt wurde, und das bei gleicher Problematik eines höchst auffälligen CTG`s. Es ist auch sehr fraglich, ob man dem Kläger einen schwerwiegenden Vorwurf machen durfte, dem Landgericht nicht rechtzeitig mitgeteilt zu haben, dass noch ein Privatgutachten vorgelegt würde. In jedem Fall war das Landgericht aber aufgrund der zuvor genannten Gründe gehalten, das Verfahren fortzuführen, um nicht gegen das Gebot eines fairen Verfahrens zu verstoßen.
B. Berufung des Beklagten zu 4
Auch bezüglich des Beklagten zu 4 liegen in mehrfacher Hinsicht wesentliche Verfahrensmängel vor, die eine antragsgemäße Zurückverweisung begründen.
Nach Ansicht des Senats war es fehlerhaft, dem Beweisantritt bezüglich des Hinweises des Beklagten zu 4 an die Kindesmutter sowie auch an den Vater, dass die Kindesmutter "möglichst bald" ins Krankenhaus müsse, wobei auch das Angebot gemacht worden sein soll, aus der Praxis heraus ein Taxi zu bestellen, nicht nachzugehen; denn allein dem Umstand, dass direkt aus der Praxis heraus das Krankenhaus aufgesucht werden sollte, war die besondere Dringlichkeit zu entnehmen, nachdem schon nach Behauptung des Beklagten zu 4 - unter Beweisantritt - an den Tagen zuvor eine Krankenhauseinweisung unter Hinweis auf die bestehende Gefahr für das Kind angeraten worden war. Das Landgericht durfte die Angaben des Beklagten zu 4, die er in der mündlichen Verhandlung vor den Ausführungen des Sachverständigen gemacht hatte, im Hinblick auf die schriftlich erfolgten Ausführungen nicht ohne weitere Nachfrage als nicht ausreichend ansehen und sodann von einer weiteren Beweisaufnahme absehen. Damit ist das rechtliche Gehör des Beklagten zu 4 erheblich beschnitten worden.
Es kommt entscheidend hinzu, dass hier zu einem sehr schwierigen medizinischen Problem ein rein mündliches Sachverständigengutachten durch Dr. I eingeholt worden ist, wobei die Beurteilungssituation noch besonders dadurch erschwert worden ist, dass erforderliche Krankenunterlagen nicht mehr auffindbar sind. In solch einer schwierigen Materie ein mündliches Gutachten einzuholen, das letztlich nur von einem medizinischen Fachmann sofort nachvollzogen werden kann, aber kaum von den weiteren Verfahrensbeteiligten einschließlich der Anwälte und des Gerichts, ist ein schwerer Verstoß gegen das Gebot eines fairen Verfahrens (vgl. BGH VwR 1984,661). Es kommt noch hinzu, dass der Sachverständige gar nicht in der Lage war, die Fragen vollständig zu beantworten. Diesbezüglich konnte er z.B. die Frage zur Mikrozephalie ad hoc gar nicht beurteilen, hielt dies aber für aufklärbar.
Vor diesem Hintergrund war das Verfahren antragsgemäß an das Landgericht zurückzuverweisen, weil noch eine umfangreiche Beweisaufnahme zu erfolgen hat. Neben der Beweisaufnahme durch Zeugen muss sich der Sachverständige Prof. Dr. Dr. U mit nunmehr zwei Privatgutachten auseinandersetzen, wobei sich möglicherweise die Einholung eines weiteren Gutachtens als notwendig erweisen kann. Darüber hinaus wäre ein schriftliches Gutachten durch den Neonatologen einzuholen, wobei die an ihn gerichteten Fragen sowie deren Formulierungen letztlich von der Beweislast abhängen. Sollten grobe Fehler oder Befunderhebungsfehler vorliegen, so wäre die Beweislast hinsichtlich der eingetretenen Folgen, bei denen es sich entgegen der Auffassung des Beklagten zu 4 nicht um Sekundärfolgen handelt, auf der Medizinerseite.
Hinsichtlich des Beklagten zu 4 konnte von einer Zurückverweisung auch nicht im Hinblick auf eine eingetretene Verjährung abgesehen werden; denn eine solche ist nicht erfolgt. Unabhängig davon, ob der Kläger tatsächlich bereits im Jahr 2007 ausreichende Kenntnis von einem Fehlverhalten des Beklagten zu 4 hatte, so dass eine Verjährung mit Schluss des Jahre 2010 eingetreten wäre, lag hier eine rechtzeitige Hemmung durch Einreichung des Prozesskostenhilfegesuchs gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB vor. Tatsächlich hatte die zuständige Richterin nach der Aktenlage bereits mit Verfügung vom 07.12.2010 eine Übersendung des Schriftsatzes in einfacher Abschrift zur Stellungnahme zum Prozesskostenhilfegesuch an den Beklagten zu 4 verfügt, wobei es angesichts zweier Schriftsätze mit gleich lautendem Datum zu einer falschen Übersendung gekommen ist. Im Übrigen wäre auch die Übermittlung zu Ende Januar 2011 noch immer als "demnächst" i.S.v. § 167 ZPO - die Vorschrift wird entsprechend angewandt - anzusehen, weil die Dauer der Verzögerung unerheblich ist, wenn sie vom Gericht und nicht vom Kläger veranlasst wurde (BGHZ 103, 20, 28; NJW 2003, 2830, 2831; 2006, 3206, 3207).
Die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Einer Zulassung der Revision bedurfte es nicht, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist, § 543 Abs. 2 ZPO.