Urteilstext
Tenor
1.
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 16. März 2021 - 8 Sa 206/20 - wird zurückgewiesen.
2.
Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Vergütung nach dem Mindestlohngesetz für die Zeit eines Vorpraktikums
vor Aufnahme eines Medizinstudiums.
Die Klägerin beabsichtigte, sich an der staatlich anerkannten privaten Universität Witten/ Herdecke um einen Studienplatz im Fach Humanmedizin zu bewerben. Nach § 3 Ziff. 2 der Studienordnung der Universität Witten/Herdecke für den Modellstudiengang Medizin idF vom 26. April 2018 (iF Studienordnung) ist Zugangsvoraussetzung zu diesem Studiengang ua. ein sechsmonatiger Krankenpflegedienst. Vor diesem Hintergrund wandte sich die Klägerin an die Beklagte, die in T ein Krankenhaus betreibt, um dort ein Praktikum durchzuführen. Vor dessen Beginn legte sie der Beklagten auf deren Aufforderung einen Nachweis der Universität über die Erforderlichkeit eines sechsmonatigen Pflichtpraktikums vor. Auf Grundlage einer mündlichen Vereinbarung absolvierte die Klägerin sodann in der Zeit vom 20. Mai bis zum 29. November 2019 ein Praktikum auf der Krankenpflegestation der Beklagten. Die Zahlung einer Vergütung wurde nicht vereinbart. In der Zeit vom 18. bis zum 20. September 2019 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt, was sie durch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung belegte. Während der Zeit des Praktikums gewährte die Beklagte der Klägerin keinen Urlaub.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Zahlung von Vergütung für geleistete Arbeit für die Zeit vom 20. Mai bis zum 17. September und vom 23. September bis zum 29. November 2019 sowie von Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für die Zeit vom 18. bis zum 20. September 2019 und Urlaubsabgeltung für anteilige zehn Tage auf Basis des gesetzlichen Mindestlohns von - damals - 9,19 Euro brutto verlangt. Sie habe im Rahmen einer 5-Tage-Woche täglich 7,45 Stunden Arbeit geleistet, die sich von der Vor-/Nachbereitung der Mahlzeiten und Hilfestellung bei der Einnahme durch die Patienten über die Begleitung der Patienten zu Untersuchungen, dem Aufräumen und Säubern der Zimmer und Betten, Botengängen im Krankenhaus, dem Aktensortieren, der Unterstützung der Krankenschwestern bei der Körperhygiene der Patienten bis hin zum Vorbereiten von OP-Betten erstreckt habe. Ein Vorpraktikum vor Aufnahme eines Studiums sei kein Pflichtpraktikum iSd. Mindestlohngesetzes, daher greife die gesetzliche Ausnahme von der Vergütungspflicht nicht ein.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 10.269,85 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. Januar 2020 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Zahlungsklage weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist, soweit zulässig, unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zutreffend die Berufung der Klägerin gegen das die Klage abweisende Urteil des Arbeitsgerichts zurückgewiesen. Die Klage auf Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns ist unbegründet.
I.
Die Revision der Klägerin ist in Bezug auf die geforderte Zahlung von Urlaubsabgeltung iHv. 684,66 Euro brutto nebst Zinsen unzulässig. Hierauf wurde die Klägerin gemäß § 139 Abs. 3 ZPO in der mündlichen Verhandlung vom Senatsvorsitzenden hingewiesen. Zur ordnungsgemäßen Begründung der Revision müssen gemäß § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO die Revisionsgründe angegeben werden (zu den Anforderungen an die Revisionsbegründung BAG 5. August 2021 - 5 AZR 121/21 - Rn. 11). Bei mehreren Streitgegenständen muss der Revisionsführer für jeden eine Begründung geben. Fehlt sie zu einem Streitgegenstand, ist das Rechtsmittel insoweit unzulässig (st. Rspr., zB BAG 14. Juli 2021 - 10 AZR 135/19 - Rn. 11). Bei dem Anspruch auf Urlaubsabgeltung handelt es sich um einen von der Vergütungsforderung zu trennenden, weiteren Streitgegenstand (zum Streitgegenstandsbegriff BAG 30. Januar 2019 - 5 AZR 43/18 - Rn. 19, BAGE 165, 205). Das Landesarbeitsgericht hat die Klage insoweit abgewiesen. Damit hat sich die Revisionsbegründung nicht auseinandergesetzt.
II.
Die im Übrigen zulässige Revision ist unbegründet. Die Klägerin hat weder Anspruch auf Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns für jede tatsächlich geleistete Arbeitsstunde noch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall iHd. gesetzlichen Mindestlohns.
1.
Die Klägerin hat in der Zeit vom 20. Mai bis zum 17. September und vom 23. September bis zum 29. November 2019 keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns nach § 1 Abs. 1 iVm. Abs. 2 iVm. § 22 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 MiLoG. Sie unterfällt nicht dem persönlichen Anwendungsbereich des Mindestlohngesetzes, weil sie ihr Praktikum verpflichtend aufgrund einer hochschulrechtlichen Bestimmung geleistet hat (§ 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 MiLoG). Um eine solche handelt es sich bei § 3 Ziff. 2 der Studienordnung der Universität Witten/Herdecke. Zwar hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerhaft nicht festgestellt, ob diese Universität eine staatlich anerkannte private Hochschule ist, weshalb es die Klage mit der gegebenen Begründung nicht abweisen durfte. Die Entscheidung selbst stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar, so dass die Revision insoweit als unbegründet zurückzuweisen ist (§ 561 ZPO).
a)
Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 MiLoG erstreckt sich der persönliche Anwendungsbereich des Mindestlohngesetzes auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die Klägerin war jedoch nicht Arbeitnehmerin im Sinne dieser Bestimmung. Nach dem maßgeblichen nationalen allgemeinen Arbeitnehmerbegriff ist Arbeitnehmer, wer durch den Arbeitsvertrag im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist, § 611a Abs. 1 BGB (näher BAG 18. November 2020 - 5 AZR 103/20 - Rn. 17). Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die Klägerin in dieser Art und Weise für die Beklagte Leistungen erbracht hat. Zwischen den Parteien ist vielmehr unstreitig, dass die Klägerin nicht im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses tätig geworden ist.
b)
Erweitert wird der persönliche Anwendungsbereich durch § 22 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 MiLoG, indem Praktikantinnen und Praktikanten iSd. § 26 BBiG im Wege einer gesetzlichen Fiktion den Arbeitnehmern gleichgestellt werden. Damit will der Gesetzgeber der Schwierigkeit einer Unterscheidung von echtem Praktikum und missbräuchlichem Scheinpraktikum begegnen (vgl. BAG 30. Januar 2019 - 5 AZR 556/17 - Rn. 9, BAGE 165,200). Die gesetzliche Fiktion greift nicht ein, wenn einer der in § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis Nr. 4 MiLoG geregelten Ausnahmetatbestände vorliegt.
c)
Die Klägerin war bei der Beklagten zwar als Praktikantin iSd. § 22 Abs. 1 Satz 2 MiLoG tätig, jedoch unterliegt sie der Ausnahmeregelung des § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 MiLoG, weil es sich bei dem Vorpraktikum um ein Pflichtpraktikum aufgrund einer hochschulrechtlichen Bestimmung handelte.
aa)
Die Klägerin war Praktikantin iSv. § 22 Abs. 1 Satz 3 MiLoG.
(1)
§ 22 Abs. 1 Satz 3 MiLoG enthält für das Mindestlohngesetz eine Legaldefinition des Praktikanten, die sich an die Empfehlung des Rates der Europäischen Union vom 10. März 2014 zu einem Qualitätsrahmen für Praktika anlehnt (BT-Drs. 18/2010 (neu) S. 24; BAG 18. November 2020 - 5 AZR 103/20 - Rn. 20). Für die Einordnung als Praktikantin oder Praktikant iSd. Mindestlohngesetzes ist diese Legaldefinition maßgeblich, auch wenn § 22 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 MiLoG von „Praktikantinnen und Praktikanten im Sinne des § 26 des Berufsbildungsgesetzes“ spricht, denn die Begriffsbestimmung in Satz 3 der Norm wurde nach dem in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers aus Gründen der Rechtsklarheit aufgenommen (vgl. BTDrs. 18/2010 (neu) S. 24). Dagegen enthält § 26 BBiG, der Regelungen für „andere Vertragsverhältnisse“ trifft, keine eigenständige Definition des Praktikums, sondern setzt ein bestimmtes Begriffsverständnis voraus.
(2)
Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 3 MiLoG ist unabhängig von der Bezeichnung des Rechtsverhältnisses Praktikant, wer sich nach der tatsächlichen Ausgestaltung und Durchführung des Vertragsverhältnisses für eine begrenzte Dauer zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Erfahrungen einer bestimmten betrieblichen Tätigkeit zur Vorbereitung auf eine berufliche Tätigkeit unterzieht, ohne dass es sich dabei um eine Berufsausbildung iSd. Berufsbildungsgesetzes oder um eine damit vergleichbare praktische Ausbildung handelt. Für die rechtliche Bewertung eines Sachverhalts als Praktikum ist dabei die Gesamtwürdigung aller maßgebenden Umstände des Einzelfalls, nicht die formelle Bezeichnung entscheidend (vgl. BAG 29. April 2015 - 9 AZR 78/14 - Rn. 18).
(3)
Das auf sechs Monate zeitlich begrenzte Praktikum der Klägerin auf der Krankenpflegestation der Beklagten war keine mit einer Berufsausbildung iSd. Berufsbildungsgesetzes vergleichbare praktische Ausbildung. Es handelte sich gemäß § 22 Abs. 1 Satz 3 Mi- LoG um ein Praktikum iSd. Mindestlohngesetzes.
(a)
§ 22 Abs. 1 Satz 3 MiLoG unterscheidet zwischen Praktikanten, die Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn haben, wenn nicht einer der in § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis Nr. 4 MiLoG aufgeführten Ausnahmetatbestände vorliegt, und Personen, die sich einer Berufsausbildung iSd. Berufsbildungsgesetzes oder einer damit vergleichbaren Ausbildung unterziehen, in der ein solcher Anspruch nicht besteht. Charakteristikum des Berufsausbildungsverhältnisses ist nach § 1 Abs. 3 BBiG, dass es die berufliche Handlungsfähigkeit in einem geordneten Ausbildungsgang vermittelt und den Erwerb der erforderlichen Berufserfahrungen ermöglicht. Demgegenüber ist für das Praktikum kennzeichnend, dass keine systematisch geregelte umfassende fachliche Ausbildung angestrebt wird. Die Systematik der Ausbildung ist entscheidendes Abgrenzungskriterium zwischen der Berufsausbildung sowie einer damit vergleichbaren praktischen Ausbildung auf der einen Seite und dem Praktikum auf der anderen Seite (vgl. BAG 18. November 2020 - 5 AZR 103/20 - Rn. 27).
(b)
Gemessen daran ist das von der Klägerin geleistete Praktikum keine mit der Berufsausbildung vergleichbare praktische Ausbildung iSv. § 22 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 Alt. 2 Mi- LoG. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig. Ein zugrunde liegendes didaktisches Konzept im genannten Sinne hat die Klägerin nicht aufgezeigt.
bb)
Der Mindestlohnanspruch ist jedoch ausgeschlossen, weil es sich bei dem von der Klägerin geleisteten Vorpraktikum um ein aufgrund einer hochschulrechtlichen Bestimmung verpflichtendes Praktikum iSv. § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 MiLoG gehandelt hat.
(1)
Pflichtpraktika iSv. § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 MiLoG sind von der Pflicht zur Zahlung einer Vergütung iHd. gesetzlichen Mindestlohns ausgenommen (zur Gesetzgebungskompetenz des Bundes vgl. BeckOK ArbR/Greiner Stand 1. Dezember 2021 MiLoG § 22 Rn. 25.1). Mit dieser Regelung will der Gesetzgeber sicherstellen, dass für obligatorische Praxisphasen im Rahmen von Ausbildungen im weiteren Sinn hinreichende Kapazitäten an Praktikumsplätzen vorhanden sind. Darüber hinaus geht der Gesetzgeber davon aus, dass ein Missbrauch von Praktikanten als billige Hilfskräfte nicht zu befürchten ist, wenn das Praktikum auf Grundlage der in der Norm genannten Bestimmungen absolviert wird (vgl. Riechert/Nimmerjahn MiLoG 2. Aufl. § 22 Rn. 51).
(2)
Das von der Klägerin geleistete Vorpraktikum war ein Pflichtpraktikum iSv. § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 MiLoG, weil es obligatorisch aufgrund der hochschulrechtlichen Bestimmung des § 3 Ziff. 2 der Studienordnung zu leisten war.
(a)
Vorpraktika werden von der Ausnahmeregelung des § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 MiLoG erfasst. Im Gesetzgebungsverfahren ist an die Stelle des Begriffs Studienordnung der umfassend zu verstehende Begriff der hochschulrechtlichen Bestimmung getreten. Nachdem aus den Gesetzesmaterialien klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers, den die Gerichte zu respektieren haben (BVerfG 6. Juni 2018 - 1 BvL 7/14 -, - 1 BvR 1375/14 - Rn. 73, BVerfGE 149, 126; BAG 13. Oktober 2021 - 5 AZR 211/21 - Rn. 19), fallen unter diesen Begriff neben Studien- und Prüfungsordnungen auch Zulassungsordnungen, die die Absolvierung eines Praktikums als Voraussetzung zur Aufnahme eines bestimmten Studiums verpflichtend vorschreiben (BT-Drs. 18/2010 (neu) S. 24; vgl. auch ErfK/Franzen 22. Aufl. MiLoG § 22 Rn. 10; HK-MiLoG/Schubert/Jerchel 2. Aufl. § 22 Rn. 32; Pötters in Thüsing MiLoG/AEntG 2. Aufl. § 22 MiLoG Rn. 22). Aufgrund dieser klaren gesetzlichen Begriffsbestimmung und Zielsetzung im Mindestlohngesetz ist die zu dem in § 26 BBiG vorausgesetzten Praktikumsbegriff ergangene Rechtsprechung im vorliegenden Fall nicht relevant. Einer Heranziehung steht im Übrigen entgegen, dass diese Entscheidungen Sachverhalte betreffen, in denen der Praktikant zum Zeitpunkt der Ableistung des Praktikums bereits als Student an einer (Fach)Hochschule immatrikuliert war (vgl. BAG 18. November 2008 - 3 AZR 192/07 - Rn. 18; 3. September 1998 - 8 AZR 14/97 - zu B III der Gründe; 19. Juni 1974 - 4 AZR 436/73 - BAGE 26, 198; zum Streitstand: ErfK/Schlachter 22. Aufl. BBiG § 26 Rn. 4; Taubert BBiG 3. Aufl. § 26 Rn. 17; Benecke in Benecke/HergenröderBBiG 2. Aufl. § 26 Rn. 13; ErfK/Franzen aaO). Die Klägerin war dagegen noch nicht als Studentin eingeschrieben.
(b)
§ 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 MiLoG verlangt, dass das Pflichtpraktikum aufgrund einer der dort genannten Bestimmungen erbracht wird. Dies setzt eine entsprechende Vereinbarung zwischen Praktikumsgeber und Praktikant, eine aus der Ausbildungsbestimmung folgende objektive Verpflichtung des Praktikanten zur Durchführung des Praktikums sowie eine der Ausbildungsbestimmung entsprechende tatsächliche Durchführung des Praktikums voraus (vgl. Riechert/Nimmerjahn MiLoG 2. Aufl. § 22 Rn. 56). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.
(aa)
Die Klägerin und die Beklagte haben jedenfalls konkludent vereinbart, das Praktikum als Pflichtpraktikum durchzuführen. Eine gesetzlich vorgegebene Notwendigkeit, den Vertrag schriftlich niederzulegen besteht nicht. Nach § 26 BBiG kann auf die an sich nach § 11 Abs. 1 Satz 1 BBiG obligatorische Vertragsniederschrift verzichtet werden. Unbeachtlich ist, dass die Klägerin nicht das gewünschte Studium an der Universität Witten/ Herdecke aufgenommen hat. Maßgeblich ist der Zeitpunkt des Abschlusses der Praktikumsvereinbarung. Spätere Willensänderungen des Praktikanten sind nach allgemeinen vertragsrechtlichen Grundsätzen unbeachtlich (vgl. Riechert/Nimmerjahn MiLoG 2. Aufl. § 22 Rn. 57).
(bb)
Das von der Klägerin geleistete Vorpraktikum ist aufgrund der hochschulrechtlichen Bestimmung des § 3 Ziff. 2 der Studienordnung objektiv verpflichtend. Diese Bestimmung kann der Senat seiner Entscheidung zugrunde legen, auch wenn das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerhaft nicht festgestellt hat, dass die private Universität Witten/ Herdecke eine staatlich anerkannte private Hochschule ist, weshalb es die Klage mit der gegebenen Begründung nicht abweisen durfte. Die staatliche Anerkennung ist jedoch eine offenkundige Tatsache. Daher kann das Berufungsurteil im Ergebnis Bestand haben (§ 561 ZPO).
(aaa)
Es kann dahinstehen, ob von § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 MiLoG nur Praktika erfasst werden, die durch öffentlich-rechtliche Vorschriften vorgeschrieben sind (hierzu: BeckOK ArbR/Greiner Stand 1. Dezember 2021 MiLoG § 22 Rn. 24 f.; ErfK/Franzen 22. Aufl. MiLoG § 22 Rn. 9; NK-GA/Forst § 22 MiLoG Rn. 12), weil die Universität Witten/Herdecke eine staatlich anerkannte Universität ist. Dies hat zur Folge, dass die von dieser normativ geregelten Zugangsvoraussetzungen zum Studium im Geltungsbereich des § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 MiLoG öffentlich-rechtlichen Regelungen gleichzustellen sind. Dieser Bestimmung liegt zugrunde, dass ein missbräuchlicher Einsatz von Praktikanten ausgeschlossen wird, wenn das Praktikum auf Grundlage einer (hoch)schulrechtlichen oder anderweitig abstrakt-generellen Anordnung geleistet wird. Auch im Fall einer staatlichen Anerkennung der Hochschule ist sichergestellt, dass die von dieser erlassene Studienordnung dieses Regelungsziel erreicht. Hierfür bietet § 70 Hochschulrahmengesetz (HRG) iVm. landesrechtlichen Vorschriften der Hochschulgesetze - vorliegend §§ 72 ff. des Gesetzes über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen (HG NRW) - ausreichend Gewähr. Darüber hinaus besteht im Streitfall schon deshalb keine Missbrauchsgefahr, weil die Pflicht zur Durchführung eines Praktikums von einem Dritten - der Universität - auferlegt wird, der außerhalb des Vertragsverhältnisses zwischen Praktikant und Praktikumsgeber steht. Die Hochschule als Normgeber der Zulassungsordnung zieht aus dieser von ihr gesetzten Norm keinen wirtschaftlichen Vorteil.
(bbb)
Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerhaft nicht die erforderlichen Feststellungen zur staatlichen Anerkennung der privaten Universität getroffen. Der Senat kann seiner Entscheidung diese Tatsache nach gerichtlichem Hinweis an die Klägerin vom 14. Dezember 2021 dennoch zugrunde legen, denn die staatliche Anerkennung der privaten Universität ist eine offenkundige Tatsache. Diese kann in Anwendung des § 291 ZPO auch noch in der Revisionsinstanz Eingang in den Prozess finden.
(aaaa)
Grundsätzlich bildet der Schluss der mündlichen Verhandlung in zweiter Instanz bezüglich des tatsächlichen Vorbringens der Parteien die Entscheidungsgrundlage für das Revisionsgericht. Allerdings ist § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO einschränkend dahin auszulegen, dass in bestimmtem Umfang auch Tatsachen, die sich erst während der Revisionsinstanz ereignen, in die Urteilsfindung einfließen können, soweit sie unstreitig sind oder ihr Vorliegen in der Revisionsinstanz ohnehin von Amts wegen zu beachten ist und schützenswerte Belange der Gegenseite nicht entgegenstehen (vgl. BAG 22. Mai 2012 - 1 AZR 94/11 - Rn. 25). Der Gedanke der Konzentration der Revisionsinstanz auf die rechtliche Bewertung eines festgestellten Sachverhalts verliert nämlich an Gewicht, wenn die Berücksichtigung von neuen tatsächlichen Umständen keine nennenswerte Mehrarbeit verursacht und die Belange des Prozessgegners gewahrt bleiben. Dann kann es aus prozessökonomischen Gründen nicht zu verantworten sein, die vom Tatsachenausschluss betroffene Partei auf einen weiteren, ggf. durch mehrere Instanzen zu führenden Prozess zu verweisen. In einem solchen Fall ist vielmehr durch die Zulassung neuen Vorbringens im Revisionsverfahren eine rasche und endgültige Streitbereinigung herbeizuführen (vgl. BGH 2. März 2017 - I ZR 273/14 - Rn. 44; 14. Oktober 2009 - XII ZR 146/08 - Rn. 27).
(bbbb)
Bei der schon vor Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz vorhandenen Tatsache der staatlichen Anerkennung der privaten Universität Witten/Herdecke handelt es sich um eine offenkundige Tatsache in Form einer allgemeinkundigen Tatsache, dh. einer solchen, die in einem größeren oder kleineren Bezirk einer beliebig großen Menge von Personen bekannt ist oder wahrnehmbar war und über die man sich aus zuverlässigen Quellen ohne besondere Fachkunde unterrichten kann, wie etwa die in den Medien berichteten Ereignisse der Zeitgeschichte oder Inhalte des allgemein zugänglichen Internets (vgl. BGH 7. Mai 2020 - IX ZB 84/19 - Rn. 15; Musielak/Voit/Huber ZPO 18. Aufl. § 291 Rn. 1). In der Bevölkerung ist die staatliche Anerkennung der privaten Universität Witten/Herdecke allgemein bekannt, Medizinstudenten legen dort Examen ab, die sie zum Praktizieren als Arzt in Deutschland berechtigen. Die Universität selbst weist auf ihrer Homepage auf die unbefristete staatliche Anerkennung durch das Wissenschaftsministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hin. Zur staatlichen Anerkennung hat die Beklagte in der Revisionsinstanz vorgetragen, womit die offenkundige Tatsache in den Prozess eingeführt worden ist (zur Erforderlichkeit dessen vgl. Zöller/Greger ZPO 34. Aufl. § 291 Rn. 3). Daher kann der Senat die Offenkundigkeit selbst bejahen; er ist nicht verpflichtet, zur Feststellung dieser Tatsache die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Im Übrigen hat die Klägerin die staatliche Anerkennung mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2021 in der Revision unstreitig gestellt.
(cc)
Das Praktikum ist auch tatsächlich entsprechend der Bestimmung in § 3 Ziff. 2 Studienordnung durchgeführt worden. Darin wird ein Krankenpflegedienst von sechs Monaten Dauer gefordert. Unter dem Begriff der Krankenpflege wird allgemein die Gesamtheit aller Maßnahmen, die zur Pflege und Betreuung Kranker nötig sind, verstanden (vgl. Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache 3. Aufl. Stichwort „Krankenpflege“). Dem entsprechen die von der Klägerin vorgetragenen Tätigkeiten während ihres Praktikums.
(3)
Rechtsfehlerfrei ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, dass die systematische Auslegung des § 22 Abs. 1 Satz 2 MiLoG der Zuordnung des Vorpraktikums zu Nr. 1 der Bestimmung nicht entgegensteht. Das Vorpraktikum kann und muss von dem in § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 MiLoG geregelten Orientierungspraktikum abgegrenzt werden. Vom persönlichen Anwendungsbereich des Mindestlohngesetzes ausgenommen sind nach dieser Bestimmung Praktikanten, die ein Praktikum von bis zu drei Monaten zur Orientierung für eine Berufsausbildung oder für die Aufnahme eines Studiums leisten. Die von der Revision vertretene Auslegung, wonach sich die Voraussetzung der Orientierung ausschließlich auf die Berufsausbildung, nicht dagegen auf die Aufnahme eines Studiums bezieht, scheitert bereits am Wortlaut der Norm. Das Berufungsgericht hat insoweit zutreffend angenommen, dass das Wort Orientierung gleichsam vor die Klammer gezogen wurde und sich auf beide darauffolgenden Alternativen bezieht (vgl. dazu pars pro toto Riechert/Nimmerjahn MiLoG 2. Aufl. § 22 Rn. 77 ff.). Die Klägerin hat das Praktikum bei der Beklagten jedoch nicht zur Orientierung für die Aufnahme eines Studiums geleistet (§ 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 MiLoG), sondern um die Zugangsvoraussetzungen für ein Studium der Humanmedizin an der Universität Witten/Herdecke zu erfüllen (§ 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 MiLoG). Die zeitliche Obergrenze der Praktikumsdauer von drei Monaten für die in § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 MiLoG geregelte Ausnahme von der Mindestlohnpflicht für Orientierungspraktika ist daher im vorliegenden Fall nicht von Belang.
2.
Die zulässige Klage auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für die Zeit vom 18. Bis zum 20. September 2019 ist ebenfalls unbegründet. Da die Klägerin nicht unter den persönlichen Anwendungsbereich des Mindestlohngesetzes fällt, hat sie auch keinen Anspruch nach § 3 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 4 Abs. 1 EFZG auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall iHd. gesetzlichen Mindestlohns.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Linck/Biebl/Volk/Schad/Mattausch