Lastenausgleich der gewerblichen Berufsgenossenschaft

 | Gericht:  Bundessozialgericht (BSG) Kassel  | Aktenzeichen: B 2 U 4/11 R | Entscheidung:  Urteil
Kategorie Sonstiges

Urteilstext

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 20. Januar 2011 und des Sozialgerichts Berlin vom 25. August 2009 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

 

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits in allen drei Instanzen.

 

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 719 346,24 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Klägerin ist Mitglied bei der beklagten BG. Sie wendet sich dagegen, einen Beitrag in Höhe von 719 346,24 Euro zum Ausgleichsanteil der Beklagten am Lastenausgleich der gewerblichen BGen für das Jahr 2007 zu zahlen.

 

Die Beklagte hatte die Klägerin seit dem Jahre 1998 nicht mehr zu einem solchen Ausgleichsanteil herangezogen. Sie erteilte der Klägerin nach einem als "Anhörung" bezeichneten Schreiben vom 18.2.2008 am 21.4.2008 den Beitragsbescheid für das Umlagejahr 2007. Darin bestimmte sie ua, die Klägerin müsse als ihren Beitrag zum Ausgleichsanteil der Beklagten am Lastenausgleich der gewerblichen BGen einen Betrag in Höhe von 719 346,24 Euro zahlen. Der Bescheid war mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen, nach der er bindend werde, wenn nicht binnen eines Monats Widerspruch erhoben werde. Die Klägerin legte am 29.4.2008 Widerspruch (nur) gegen die Regelung betreffend den Anteil am Lastenausgleich ein, den die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 11.7.2008 zurückwies, da die Klägerin als Körperschaft des öffentlichen Rechts kein gemeinnütziges Unternehmen iS des § 180 Satz 3 SGB VII (aF) sei, weil sie nicht "gemeinnützig" iS der §§ 51 ff Abgabenordnung (AO) sein könne. Eine solche steuerliche Vergünstigung stehe nur privaten Unternehmen zu.

 

Das SG Berlin hat durch Urteil vom 25.8.2009 Bescheid und Widerspruchsbescheid der Beklagten aufgehoben, soweit darin die Regelung getroffen wird, dass von der Klägerin ein Beitrag zum Lastenausgleich in Höhe von 719 346,24 Euro zu zahlen sei.

 

Das LSG Berlin-Brandenburg hat durch Urteil vom 20.1.2011 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, die Klägerin sei ein gemeinnütziges Unternehmen iS des § 180 Satz 3 SGB VII (aF), weil der Terminus der Gemeinnützigkeit nach den spezifischen Vorgaben der gesetzlichen Unfallversicherung und des SGB VII auszulegen sei. Insbesondere enthalte § 180 Satz 3 SGB VII (aF) keinen rechtlich verbindlichen Verweis auf die AO, vor allem nicht auf die §§ 51 ff AO mit ihren Regelungen über die Gemeinnützigkeit, zumal der Wortlaut des § 180 Satz 3 SGB VII (aF) gerade nicht die AO erwähne. Im Übrigen lasse sich weder aus der Entstehungsgeschichte der Norm, den Gesetzesmotiven der verschiedenen Änderungen, insbesondere auch zu der ab 5.11.2008 in Kraft getretenen Nachfolgeregelung des § 180 Abs 2 SGB VII idF des UVMG, noch aus der Entscheidung des BSG vom 13.8.2002 (B 2 U 31/01 R) ableiten, dass § 180 Satz 3 SGB VII (aF) für die Begriffsbestimmung der "Gemeinnützigkeit" zwingend an die Vorschriften der AO anknüpfe. Rein rechtstatsächlich habe die Beklagte die Klägerin trotz der seit 1997 bestehenden Rechtslage bis zum hier streitigen Jahr 2007 nicht zum Lastenausgleich veranlagt, was nach deren Angaben auf einem Computerfehler beruht habe. Letztlich besage die Handhabung einer Norm aber nichts über die Rechtmäßigkeit des Vorgehens.

 

Hingegen ergebe eine systematische Auslegung der Vorschrift, dass die Klägerin auch als Körperschaft des öffentlichen Rechts ein gemeinnütziges Unternehmen sein könne. § 180 Satz 3 SGB VII (aF) verwende den Begriff des Unternehmens, der grundsätzlich in den § 121 SGB VII und § 150 SGB VII definiert werde. Die Klägerin sei jedenfalls beitragsrechtlich zweifellos ein Unternehmen iS der §§ 121, 150 SGB VII, sodass dieser Begriff einheitlich auch für die "Nachlassmöglichkeiten" in § 180 Satz 3 SGB VII (aF) anzuwenden sei. Gesetzessystematisch spreche alles dafür, dass dem Ersten Abschnitt (Allgemeine Vorschriften) des Sechsten Kapitels (Aufbringung der Mittel) des SGB VII ein einheitlicher Unternehmensbegriff zu Grunde liege, sodass auch der Terminus "gemeinnützig" auf alle versicherten Unternehmen zu beziehen sei. Auch Sinn und Zweck des § 180 Satz 3 SGB VII (aF) geböten es, einen eigenständigen unfallversicherungsrechtlichen Begriff der Gemeinnützigkeit zu fordern. Insbesondere der Lastenausgleich zwischen den gewerblichen BGen diene zur Verwirklichung des Gedankens der Solidarität. Nach § 180 Satz 3 SGB VII (aF) sollten hiervon nur Unternehmen ausgenommen werden, die bereits in hohem Maße solidarisch handelten. In der Neufassung des § 180 Abs 2 SGB VII zum 5.11.2008 habe der Gesetzgeber dies durch die Überschrift "Unternehmen ohne Gewinnerzielungsabsicht" zum Ausdruck gebracht. Wer sich bereits solidarisch gezeigt habe und Leistungen für die Gesellschaft ohne Gewinnerzielungsabsicht erbringe, solle nicht in eine weitere Haftung aus Solidaritätsgesichtspunkten genommen werden. Dies gelte auch für die Klägerin. Es sei daher für den Begriff der Gemeinnützigkeit allgemein auf die Erfüllung von Gemeinwohlaufgaben ohne Gewinnerzielungsabsicht abzustellen, was auf die Deutsche Rentenversicherung zutreffe.

 

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision. Sie rügt eine Verletzung des § 180 Satz 3 SGB VII (aF). Die Klägerin könne nicht als gemeinnützig iS des § 180 Satz 3 SGB VII (aF) eingestuft werden. Zwar hätte es für eine unmittelbare Anwendbarkeit der §§ 51 ff AO eines ausdrücklichen Hinweises auf diese Normen bedurft, den § 180 Satz 3 SGB VII (aF) gerade nicht enthalte. Jedoch seien die §§ 51 ff AO für die Auslegung des Begriffs "gemeinnützig" entsprechend heranzuziehen. Die öffentliche Hand sei im Hoheitsbereich grundsätzlich nicht steuerpflichtig. Nur sofern der Staat außerhalb des Hoheitsbereichs als Betrieb gewerblicher Art am Wettbewerb teilnehme, unterliege er ausnahmsweise der Steuerpflicht (§ 51 Abs 1 Satz 1, 2 AO iVm § 1 Abs 1 Nr 6, § 4 Abs 2, 5 KStG). Denn nur soweit der Staat einen Betrieb gewerblicher Art unterhalte, könne er in den Genuss von Steuervergünstigungen wegen Gemeinnützigkeit iS der §§ 51 ff AO kommen. Die Gemeinnützigkeit staatlicher Unternehmen im Steuerrecht sei daher eine Rückausnahme von der Ausnahme (Steuerpflicht staatlicher Betriebe gewerblicher Art), dass der Staat nicht der Steuerpflicht unterliege. Demgegenüber stelle die Freistellung gemeinnütziger Unternehmen iS des § 180 Satz 3 SGB VII (aF) von der Teilnahme am Lastenausgleich zwischen den gewerblichen BGen gerade umgekehrt eine Ausnahme von dem Grundsatz dar, dass sämtliche bei den gewerblichen BGen organisierte Unternehmen verpflichtet seien, am Lastenausgleich teilzunehmen. Auch ergebe die Interpretation des § 180 Satz 3 SGB VII (aF) im systematischen Kontext anderer Vorschriften des SGB VII, dass gemeinnützig im Sinne dieser Vorschrift nur private Unternehmen sein könnten. Es gehe bei dieser Privilegierung vorrangig um mildtätige, kirchliche Einrichtungen, was auch durch die Neufassung des § 180 Abs 2 SGB VII durch das UVMG unterstrichen werde. Schließlich zeige auch der Zusammenhang mit den ebenfalls in § 180 SGB VII privilegierten Kleinbetrieben, dass die Klägerin mit ihren 15 000 Mitarbeitern nicht gemeint sein könne. Zudem werde in der Literatur zu § 180 SGB VII weitgehend die Auffassung vertreten, dass die Gemeinnützigkeit durch eine entsprechende Bescheinigung des Finanzamts nachzuweisen sei. Eine solche Bescheinigung könne die Klägerin aber nicht beibringen, weil sie überhaupt nicht steuerpflichtig sei. Der Gesetzgeber habe die "Systementscheidung" getroffen, die Klägerin einer gewerblichen BG zuzuordnen. So sei etwa für die Bundesagentur für Arbeit die Unfallkasse des Bundes zuständig (§ 125 Abs 1 Nr 2 SGB VII). Die Unfallträger der öffentlichen Hand sähen keinen Lastenausgleich vor. Diese Systementscheidung, die Klägerin der gewerblichen Wirtschaft zuzuordnen, werde ausgehebelt, wenn man die Klägerin dann vom Lastenausgleich der gewerblichen BGen wieder befreie. Dies widerspreche auch der "ratio" des Lastenausgleichs, der 1963 eingeführt worden sei, um gewerbliche BGen mit strukturschwachen Unternehmen zu entlasten. Der Lastenausgleich sei zugleich wesentlicher Bestandteil des die gesetzliche Unfallversicherung prägenden Solidaritätsgrundsatzes.

 

Die Höhe des Lastenausgleichs bestimme sich nach § 179 SGB VII (aF) ausschließlich nach dem Arbeitsentgelt der in dem Unternehmen Beschäftigten. §§ 176 ff SGB VII (aF) stellten neben der Umlage nach den §§ 150 ff SGB VII (aF) eine gesteigerte Solidarhaftung dar, weil bei dem Lastenausgleich die Branchenzugehörigkeit der Unternehmen und deren eigene Risikobelastetheit (Unfallgefahr) unberücksichtigt bleibe. Bei einer Freistellung der Klägerin vom Lastenausgleich gemäß §§ 176 ff SGB VII (aF) wäre dieses System insgesamt gefährdet, weil dann weitere staatliche Mitgliedsunternehmen vom Lastenausgleich freigestellt werden müssten. Dies könnte etwa für die Deutsche Bundesbank, die KfW Bankengruppe oder für die Gebühreneinzugszentrale für den öffentlichen Rundfunk (GEZ), die Industrie- und Handelskammern etc gelten. Nach Berechnungen der Beklagten müssten nach den Kriterien des LSG weitere 2002 juristische Personen des öffentlichen Rechts allein für 2007 freigestellt werden (weitere Zahlen Gutachten/Revisionsbegründung, S 37 ff). Dies hätte zur Folge, dass sich der Ausgleichsanteil der anderen BGen und der nicht gemeinnützigen, ausgleichsverpflichteten Unternehmen stark erhöhen würde. Die im Lastenausgleich zu berücksichtigende Arbeitsentgeltsumme würde sich für 2007 um nachtäglich 11,152 Milliarden Euro verringern. Mithin hätte die Rechtsansicht der Vorinstanzen erhebliche Auswirkungen auf das Solidarprinzip, weil sie - die Beklagte - aufgrund der Struktur ihrer Mitgliedsunternehmen weitgehend aus der solidarischen Haftung der gewerblichen BGen ausscheiden würde. Schließlich wäre es auch widersprüchlich, staatliche Hoheitsbetriebe im Rahmen der §§ 150 ff SGB VII (aF) ausnahmslos zu verpflichten, durch finanzielle Beiträge zur Tragung der Lasten ihrer BG beizutragen, sie aber anschließend über § 180 Satz 3 SGB VII (aF) von dem solidarischen Lastenausgleich nach §§ 176 ff SGB VII (aF) (intra-berufsgenossenschaftlicher Lastenausgleich) freizustellen. Ein solcher Systembruch hätte einer klaren gesetzlichen Regelung bedurft und sei vom Gesetzgeber nicht intendiert. § 180 Satz 3 SGB VII (aF) sei daher auf privat-gemeinnützige Einrichtungen außerhalb des staatlichen Hoheitsbereichs zu beschränken.

 

Eine Einbeziehung staatlicher Hoheitsbetriebe vertrage sich nicht mit der "ratio" der §§ 176 ff SGB VII (aF), die Finanzierbarkeit der Renten- und Entschädigungslasten durch eine solidarische Beteiligung aller gewerblichen BGen und ihrer Unternehmen sicherzustellen. Schließlich gebiete auch eine verfassungs- und unionsrechtskonforme Auslegung dieses Ergebnis.

 

Das BSG habe den hier maßgeblichen Prüfungsmaßstab des Art 3 Abs 1 GG auf die Freistellung gemeinnütziger Einrichtungen angewandt (Hinweis auf BSG vom 13.8.2002 - B 2 U 31/01 R) und die Norm des § 180 Satz 3 SGB VII (aF) gerade deshalb nicht beanstandet, weil die Freistellung gemeinnütziger Einrichtungen nur zu einer geringfügigen Mehrbelastung der anderen Mitglieder der BG führe. Demgegenüber würde die hier vorgenommene Freistellung der Klägerin aber zu einer erheblichen Mehrbelastung der anderen Unternehmen führen, die im Lichte des Art 3 GG nicht gerechtfertigt werden könne.

 

Der EuGH habe schließlich in der Rechtssache Kattner Stahlbau GmbH (Hinweis auf EuGH NJW 2009, 1325) den Lastenausgleich als tragendes Argument dafür angeführt, dass die BGen europarechtlich keine "Unternehmen" seien, die den Wettbewerbsregeln der Art 101 f und Art 106 AEUV unterlägen. § 180 Satz 3 SGB VII (aF) sei "unionsrechtskonform" so auszulegen, dass die Klägerin nicht vom Lastenausgleich freigestellt werden könne. Folglich könne der Begriff der "Gemeinnützigkeit" in § 180 Satz 3 SGB VII (aF) nur unter entsprechender Anwendung der §§ 51 ff AO ausgelegt werden. Es gehe nur um die Schaffung von Anreizen für privates und bürgerschaftliches Engagement.

 

Schließlich habe das BSG selbst in der zitierten Entscheidung aus dem Jahre 2002 zur Interpretation der Gemeinnützigkeit auf die steuerrechtlichen Vorschriften zurückgegriffen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 20. Januar 2011 sowie das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. August 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Die Klägerin beantragt,

 

die Revision zurückzuweisen.

 

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Revisionsbegründung der Beklagten sei zwar nachvollziehbar, soweit diese eine "Gefährdung der Funktionsfähigkeit des Lastenausgleichs" befürchte. Diese rein tatsächliche Auswirkungen aufzeigenden Ausführungen seien allerdings rechtlich ohne Belang.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet.

 

Zu Unrecht haben die Vorinstanzen die Regelung in dem Beitragsbescheid vom 21.4.2008 über einen "Beitrag für Fremdumlagen" der Klägerin in Höhe von 719 346,24 Euro aufgehoben. Die Klägerin war vielmehr als Mitglied der Beklagten verpflichtet, zu deren Ausgleichsanteil am Lastenausgleich unter den gewerblichen BGen gemäß §§ 176 ff SGB VII (aF) beizutragen.

 

Die Klägerin war nicht gemäß § 180 Satz 3 Regelung 2 SGB VII (aF) kraft Gesetzes vom Beitrag zu diesem Ausgleichsanteil freigestellt, weil sie kein "gemeinnütziges Unternehmen" im Sinne dieser Vorschrift ist. Zwar ist sie ein "Unternehmen" im unfallversicherungsrechtlichen Sinne des § 121 Abs 1 SGB VII. Dem Rechtsbegriff "gemeinnützig" iS des § 180 Satz 3 Regelung 2 SGB VII (aF) unterfällt sie aber nicht. Denn als Körperschaft des öffentlichen Rechts ist sie nicht nur im steuerrechtlichen Sinne, sondern auch unfallversicherungsrechtlich gemeinnützigkeitsunfähig (§ 1 Abs 1 Nr 6, § 4 Abs 5 KStG iVm § 51 Abs 1 Satz 1, 2, § 52 Abs 1 Satz 3 AO).

 

1.

Die Klage ist als isolierte Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs 1 Satz 1 SGG zulässig.

 

Sie ist statthaft, weil das Zahlungsgebot im Beitragsbescheid vom 21.4.2008 ein Verwaltungsakt iS des § 31 Satz 1 SGB X ist. Die Beklagte hat der Klägerin, einem anderen öffentlich-rechtlichen Rechtssubjekt, erklärt, sie gebiete dieser als ihrem Mitgliedsunternehmen den genannten Betrag zur Erfüllung einer bestehenden Schuld zu zahlen.

 

Die Klagefrist ist gewahrt. Allerdings war nach § 78 Abs 1 Nr 3 SGG kein Vorverfahren erforderlich. Daher war der von der Klägerin erhobene Widerspruch nicht statthaft und ging der Widerspruchsbescheid ins Leere. Deswegen war die Rechtsbehelfsbelehrung im Bescheid vom 21.4.2008 unrichtig und es lief gemäß § 66 Abs 2 SGG die Jahresfrist (so schon BSG vom 23.6.1994 - 4 RK 3/93 - SozR 3-1500 § 87 Nr 1, S 3).

 

2.

Das Zahlungsgebot der Beklagten in dem Bescheid vom 21.4.2008 war auch rechtmäßig und verletzte die Klägerin nicht in ihren Rechten.

 

a)

Ermächtigungsgrundlage für den Erlass des Zahlungsgebots war § 179 SGB VII in der im Jahre 2007 gültig gewesenen Fassung (aF) iVm § 168 Abs 1 SGB VII (aF).

 

Nach § 179 SGB VII (aF) werden die Beiträge der (Mitglieds-) Unternehmen einer BG für deren Ausgleichsanteil (§ 178 Abs 3 und 4 SGB VII <aF>) ausschließlich nach dem Arbeitsentgelt der Versicherten in den Unternehmen umgelegt. Gemäß § 168 Abs 1 SGB VII (aF) teilt der Unfallversicherungsträger den Beitragspflichtigen den von ihnen zu zahlenden Beitrag schriftlich mit. Hieraus wird deutlich, dass die BG befugt ist, gegenüber ihren Mitgliedsunternehmen deren Beitrag zum Ausgleichsanteil durch Verwaltungsakt festzustellen und die Zahlung zu gebieten.

 

Der Anwendungsbereich dieser Ermächtigungsgrundlage umfasst auch die Mitgliedsunternehmen der BG, die selbst als juristische Personen des öffentlichen Rechts mit der Durchführung von hoheitlichen Aufgaben betraut sind. Denn sie befugt die BG nicht zu Eingriffen in den Vollzug von Hoheitsaufgaben des anderen Trägers. Sie knüpft vielmehr allein an dessen Tätigkeit als Unternehmer mit grundsätzlich unfallversicherten Beschäftigten in einer Verwaltung an (vgl § 121 Abs 1 SGB VII). Die BG war deshalb am Erlass dieses Verwaltungsakts nicht etwa deswegen gehindert, weil die Klägerin eine auf bundesgesetzlicher Grundlage beruhende unterstaatliche Körperschaft des öffentlichen Rechts und Teil der mittelbaren Bundesverwaltung ist, der kraft Bundesrechts die öffentlich-rechtliche Verwaltungsaufgabe der Durchführung eines Teils der gesetzlichen Rentenversicherung im eigenen Namen übertragen ist. Denn das Zahlungsgebot greift nicht in den öffentlich-rechtlichen Aufgabenvollzug der Klägerin in der gesetzlichen Rentenversicherung ein. Sie wird nur als Unternehmerin mit der Tätigkeit des Einsatzes von Beschäftigten in die Pflicht genommen.

 

b)

Die Beklagte hat den Verwaltungsakt ferner formell rechtmäßig als verbandszuständiger Träger nach ordnungsgemäßem Verwaltungsverfahren einschließlich der gebotenen Anhörung schriftlich und somit formgerecht erlassen. Insbesondere ist sie für die Klägerin verbandszuständig, weil der Bundesgesetzgeber sie als Trägerin mittelbarer Staatsverwaltung, anders als andere solche Träger, keinem anderen Unfallversicherungsträger zugewiesen hat, sodass die Auffangzuständigkeit zur einschlägigen gewerblichen BG aus § 121 Abs 1 SGB VII eingreift.

 

c)

Der Verwaltungsakt war auch materiell rechtmäßig, sodass eine Rechtsverletzung der Klägerin durch ihn ausscheidet.

 

Die Klägerin war (und ist) Mitgliedsunternehmen der Beklagten und nach § 179 SGB VII (aF), dessen Tatbestandsvoraussetzungen, was keiner Darlegung bedarf und nicht umstritten war, erfüllt sind, grundsätzlich zu einem anteiligen Beitrag zum Ausgleichsanteil der Beklagten am Ausgleich unter den gewerblichen BGen verpflichtet. Über die Höhe der Beitragsschuld wird nicht gestritten.

 

3.

Entgegen dem LSG war die Klägerin für das Umlagejahr 2007 nicht kraft Gesetzes gemäß § 180 Satz 3 Regelung 2 SGB VII (aF) von dieser Beitragspflicht zum Ausgleichsanteil ihrer BG am Lastenausgleich der gewerblichen BGen freigestellt. Denn sie ist kein "gemeinnütziges" Unternehmen im Sinne dieser Vorschrift.

 

a)

§ 180 Satz 3 Regelung 2 SGB VII (aF) enthält mit dem Wort "gemeinnützige" eine konkludente Verweisung auf die §§ 51 ff AO, wie sich deutlich, aber nicht zwingend aus dem Wortlaut des Gesetzes, jedenfalls aber klar aus dessen historischer, systematischer und den Zweck der Freistellung beachtender Auslegung ergibt. Die Vorschrift enthält keinen eigenständigen unfallversicherungsrechtlichen Begriff der Gemeinnützigkeit. Der Deutsche Bundestag hat nie erwogen, einen solchen zu schaffen, sondern schlicht an den in §§ 51 ff AO ausgestalteten und im Wesentlichen allgemein bekannten Begriff angeknüpft. Dieser schließt ua nach § 52 Abs 1 Satz 3 AO Körperschaften des öffentlichen Rechts, also auch die Klägerin, aus dem Begriff der Gemeinnützigkeit aus. Das entsprach auch dem Zweck der Freibetragsregelung in § 180 Satz 1, 2 SGB VII (aF), kleine Mitgliedsunternehmen und nach Satz 3 aaO gemeinnützige Unternehmen, die typischerweise, wenn auch nicht immer, ähnlich geringe Arbeitsentgelte an Versicherte zu zahlen haben, von der Beteiligung an der Ausgleichslast ihrer BG auszunehmen.

 

b)

§ 180 SGB VII ist hier in der für das Umlagejahr 2007 maßgeblichen Fassung anzuwenden, da es bei der isolierten Anfechtungsklage auf Aufhebung eines Verwaltungsakts, der einen in der Vergangenheit abgeschlossenen Zustand regelt, auf das hierfür gültig gewesene Recht ankommt. Angefochten ist von der Klägerin nur die Regelung über einen "Lastenausgleichsbeitrag" für das Jahr 2007. § 180 SGB VII in der somit maßgebenden Fassung vom 24.7.2003 (BGBl I 1526), die vom 1.8.2003 bis zum Inkrafttreten des UVMG am 5.11.2008 galt, lautete: "Bei Anwendung der § 178 Abs. 3 und 4 und § 179 bleibt für jedes Unternehmen eine Jahresentgeltsumme außer Betracht, die dem Sechsfachen der Bezugsgröße des Kalenderjahres entspricht, für das der Ausgleich durchgeführt wird. Der Freibetrag wird auf volle 500 Euro aufgerundet. Außer Betracht bleiben Unternehmen nicht gewerbsmäßiger Bauarbeiten, gemeinnützige Unternehmen sowie bei der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege die Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege."

 

c)

Weder im Wortlaut dieser Vorschrift noch sonst im Text des SGB VII findet sich auch nur eine Andeutung dafür, dass das Gesetz einen vom allgemeinen Verständnis des Rechtsbegriffs der "Gemeinnützigkeit" eines Unternehmens, wie er in den §§ 51 ff AO ausgestaltet ist, abweichenden Rechtsbegriff verwendet. Entgegen dem LSG kann aus dem weiten unfallversicherungsrechtlichen Begriff des Unternehmens iS des § 121 Abs 1 SGB VII nichts dafür hergeleitet werden, dass auch der andersartige Rechtsbegriff "gemeinnützig", den das SGB VII gerade anders als den des "Unternehmens" nicht "definiert", eine bestimmte und vom allgemeinen Rechtsverständnis abweichende besondere unfallversicherungsrechtliche Bedeutung haben könnte. Das SGB VII verwendet den Rechtsbegriff "gemeinnützig" auch noch in der Vorschrift über die freiwillige Selbstversicherung von Ehrenamtsträgern "in gemeinnützigen Organisationen" nach § 6 Abs 1 Nr 3 SGB VII. Dort unterliegt keinem Zweifel, dass damit die materielle Gemeinnützigkeit iS der §§ 51 ff AO (und deren Anerkennung durch das Finanzamt) gemeint ist. Es fehlt jeder Hinweis, dass § 180 Satz 3 Regelung 2 SGB VII (aF) mit dem Ausdruck "gemeinnützige" Unternehmen einen anderen Rechtsbegriff "gemeinnützig" meint.

 

Auch unter Beachtung der anderen juristischen Auslegungsmethoden (dazu folgend unter 4.) ist es vielmehr geboten festzustellen, dass das Wort "gemeinnützig" in § 180 Satz 3 Regelung 2 SGB VII (aF) dasselbe wie in § 6 Abs 1 Nr 3 SGB VII und damit genau und nur das bedeutet, was die §§ 51 ff AO ausgestalten.

 

Aus der Gesetzgebungsgeschichte, insbesondere den Motiven und Regelungen bei der Einführung des Lastenausgleichs in das System der gesetzlichen Unfallversicherung sowie aus dem hieraus abzuleitenden Zweck des § 180 Satz 3 SGB VII (aF) folgt, dass die gesetzliche Freistellung nach § 180 Satz 3 Regelung 2 SGB VII (aF) sehr begrenzt sein sollte (sogleich unter 4. a). Sie soll nur solche (zumeist private) Unternehmen erfassen, die über §§ 51 ff AO einen Nachweis der Gemeinnützigkeit führen können (hierzu unter 4. b). Hierfür spricht auch der Regelungszusammenhang des § 180 SGB VII (aF). Zu Recht hat ferner die Beklagte in ihrer Revisionsbegründung vorgetragen, dass eine Befreiung von (staatlichen) Unternehmen von der wirtschaftlichen Bedeutung der Klägerin das System des Lastenausgleichs zwischen den gewerblichen BGen zweckwidrig insgesamt in Frage stellte, zumal § 179 SGB VII (aF) für die Umlegung des Ausgleichsanteils ausschließlich auf das Arbeitsentgelt der Versicherten in dem jeweiligen Unternehmen abstellte (hierzu unter 4. c).

 

4.

Die Entstehungsgeschichte der Freistellungsvorschrift, ihr systematischer Zusammenhang mit den anderen Regelungen des § 180 SGB VII (aF) sowie der Zweck der Freibeträge (§ 180 Satz 1 und 2 SGB VII <aF>) und der Freistellung (Satz 3 aaO) sprechen gegen die Ansicht des LSG und der Klägerin. Sie zeigen, dass die Vorschrift mit dem Wort "gemeinnützige" schlüssig auf die in den §§ 51 ff AO geregelten Voraussetzungen (und deren Anerkennung durch das Finanzamt) verweist.

 

a)

"Die Einrichtung des heute in den §§ 176 ff SGB VII normierten übergreifenden Finanzausgleichs zwischen den gewerblichen BGen stellte die einzige bedeutende Veränderung im Finanzierungssystem der gesetzlichen Unfallversicherung seit deren Einführung dar. Das grundsätzliche Prinzip der ausschließlich brancheninternen Lasttragung wird durch dieses Institut des solidarischen Ausgleichs von Spitzenbelastungen durchbrochen" (David Heldmann, Die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung, 2006, S 168; instruktiv zur Geschichte auch Ulrich Becker, Der Finanzausgleich der gesetzlichen Unfallversicherung, 2004, S 47 ff).

 

Durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz (UVNG) vom 30.4.1963 (BGBl I 241) wurde mit Wirkung zum 1.1.1963 die Rentenlast der Bergbau-BG, soweit diese Last vor dem 1.1.1953 entstanden war, der Gesamtheit der gewerblichen BGen sowie der See-BG auferlegt. Maßgeblich war Art 3 UVNG, dessen § 1 lautete:

 

"Die Rentenlast der Bergbau-Berufsgenossenschaft aus Versicherungsfällen, die sich vor dem 1. Januar 1953 ereignet haben, tragen die gewerblichen Berufsgenossenschaften und die See-Berufsgenossenschaft gemeinsam. Bei der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege bleiben die Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege außer Betracht."

 

Art 3 § 2 UVNG bestimmte:

 

"(1) Der Anteil jeder Berufsgenossenschaft an der gemeinsamen Last entspricht dem Verhältnis der Lohnsumme der Berufsgenossenschaft zu der Lohnsumme aller beteiligten Berufsgenossenschaften.

 

(2) Die Beiträge der Mitglieder einer Berufsgenossenschaft an der gemeinsamen Last (§ 1) werden ausschließlich nach dem Entgelt der Versicherten in den Unternehmen umgelegt.

 

(3) Bei der Regelung nach Absatz 1 und 2 bleibt eine Jahreslohnsumme bis 30 000 Deutsche Mark je Mitglied außer Ansatz."

 

Diese Regelungen hat das BVerfG als mit dem GG vereinbar erklärt (2 BvL 4/65 - 19.12.1967 - BVerfGE 23, 12 = SozR Nr 68 zu Art 3 GG). Flankierend bestimmte § 723 Abs 2 RVO eine Ausgleichspflicht des Bundes für Rentenneulasten der Bergbau-BG. Nach diesen Regelungen gab es lediglich eine einzige Ausnahmeregelung von der Umlegung der Lasten der Bergbau-BG, die ausschließlich an die Jahreslohnsumme (30 000 DM) anknüpfte.

 

Da hierdurch die Bergbau-BG nicht nachhaltig entlastet wurde (so Heldmann, S 169) wurde durch das Gesetz zur Verwirklichung der mehrjährigen Finanzplanung des Bundes (FinÄndG) vom 21.12.1967 (BGBl I 1259) das Ausgleichsverfahren zwischen den gewerblichen BGen neu gestaltet.

 

Art 3 UVNG enthielt nunmehr in § 1 detailliertere Regelungen über die Einstandspflicht aller gewerblichen BGen untereinander, ohne dass die Bergbau-BG noch explizit in Bezug genommen wurde.

 

§ 1 Abs 1 lautete: "1. Soweit der Rentenlastsatz einer gewerblichen Berufsgenossenschaft oder der See-Berufsgenossenschaft das Viereinhalbfache des durchschnittlichen Rentenlastsatzes der Berufsgenossenschaften oder 2. der Entschädigungslastsatz einer dieser Berufsgenossenschaften das Fünffache des durchschnittlichen Entschädigungslastsatzes der Berufsgenossenschaften übersteigt, gleichen die Berufsgenossenschaften den entsprechenden Lastenanteil untereinander aus."

 

§ 5 des Art 3 UVNG idF des FinÄndG 1967 kann als die erste Vorgängervorschrift des hier zu beurteilenden § 180 SGB VII betrachtet werden. Sie enthielt bereits eine Freibetragsregelung in ihren Sätzen 1 und 2 sowie in Satz 3 eine vollständige Freistellung für Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege, für welche die BG für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege zuständig war. Art 3 § 5 UVNG lautete:

 

"Bei der Regelung nach §§ 3 und 4 bleibt für jedes Mitglied eine Jahreslohnsumme außer Betracht, die dem Fünffachen der für die gesetzliche Rentenversicherung festgesetzten allgemeinen Bemessungsgrundlage (§ 1255 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung) des Kalenderjahres entspricht, das dem Ausgleichsjahr vorausgeht. Der Betrag ist auf 1000 Deutsche Mark nach oben abzurunden. Bei der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege bleiben außerdem die Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege außer Betracht."

 

Satz 3 dieser Norm wurde sodann mit Wirkung zum 1.1.1969 neu gefasst (Art 2 § 4 des Gesetzes vom 28.7.1969, BGBl I 956) und lautete nunmehr:

 

"Bei der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege bleiben außerdem die Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege, die gemeinnützigen privaten Krankenanstalten und andere vergleichbare private gemeinnützige Anstalten außer Betracht."

 

Art 3 UVNG hat in dieser Form bis zum Inkrafttreten des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes (UVEG) vom 7.8.1996 (BGBl I 1254) am 1.1.1997 gegolten. Die Normen des Art 3 UVNG über den Lastenausgleich ab 1967 hat das BVerfG ebenfalls als mit dem GG vereinbar eingestuft (1 BvL 17/72 - 5.3.1974 - BVerfGE 36, 383).

 

Hervorzuheben ist, dass Art 3 § 5 Satz 3 UVNG lediglich "private" Unternehmen vom Lastenausgleich ausnimmt und dies ausschließlich im Zuständigkeitsbereich der BG für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege. Nach der Rechtslage unter Geltung des Art 3 § 5 UVNG (1969 bis 1996) dürfte kein Zweifel daran bestanden haben, dass alle "öffentlich-rechtlichen" Unternehmen, die in den Zuständigkeitsbereich der Verwaltungs-BG fielen (also auch die Klägerin, die damals Bundesversicherungsanstalt für Angestellte hieß), vom Lastenausgleich der gewerblichen BGen nicht freigestellt waren.

 

Mit der Einordnung der gesetzlichen Unfallversicherung in das SGB als SGB VII idF des UVEG vom 7.8.1996 (BGBl I 1254) ab 1.1.1997 veränderte der neue § 180 Satz 4 SGB VII den vormaligen Geltungsbereich des Art 3 § 5 UVNG über die gesetzliche Freistellung vom Beitrag zum Ausgleichsanteil der BG.

 

§ 180 SGB VII lautete:

 

"§ 180 Freibeträge (1) Bei Anwendung der §§ 178 und 179 bleibt für jedes Unternehmen eine Jahresentgeltsumme außer Betracht, die dem 4000fachen des in der gesetzlichen Rentenversicherung maßgebenden aktuellen Rentenwerts des Kalenderjahres entspricht, das dem Ausgleichsjahr vorausgeht. Der Freibetrag wird auf volle 1000 Deutsche Mark aufgerundet.

Bei der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege bleiben außerdem die Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege, die gemeinnützigen privaten Krankenhäuser und andere vergleichbare private gemeinnützige Anstalten außer Betracht. Außer Betracht bleiben ferner Unternehmen nicht gewerbsmäßiger Bauarbeiten sowie gemeinnützige Unternehmen.

 

(2) Bis zu einer Angleichung des aktuellen Rentenwerts (Ost) an den aktuellen Rentenwert wird bei der Berechnung des Freibetrags ausschließlich der aktuelle Rentenwert zugrunde gelegt."

 

Hierzu wurde angemerkt, die Regelungen des Art 3 UVNG seien "nahezu unverändert" in das SGB VII übernommen worden (Heldmann, S 170). In den Materialien zum UVEG findet sich im Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 12.5.1995 (BR-Drucks 263/95) zu § 180 SGB VII lediglich folgende Begründung, S 324:

 

"Absatz 1

Die Vorschrift regelt die Freibeträge entsprechend dem geltenden Recht (Art. 3 § 5 UVNG); ergänzend werden Unternehmen nicht gewerbsmäßiger Bauarbeiten sowie gemeinnützige Unternehmen in die Regelung einbezogen."

 

Eine gesetzgeberische Reflektion des Begriffs der Gemeinnützigkeit und der Erweiterung über den Binnenbereich der BG für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege hinaus findet sich nicht. Allerdings kann dem Gesamtzusammenhang der Norm und der Gesetzesbegründung entnommen werden, dass offensichtlich keine grundlegende Reform der Regelungen über die Freistellung vom Lastenausgleich beabsichtigt war. Das wird durch den Hinweis unterstrichen, dass die Vorschrift dem bisher geltenden Recht des Art 3 § 5 UVNG entspreche. Nimmt man hinzu, dass die gemeinnützigen Unternehmen gemeinsam mit den "nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten" neu in die Norm aufgenommen werden, so kann jedenfalls ein gesetzgeberischer Wille, "Großunternehmen" wie die Klägerin nunmehr vom Lastenausgleich freizustellen (dem sie, wie ausgeführt, nach Art 3 § 5 UVNG zweifelsfrei unterlagen), nicht erschlossen werden.

 

§ 180 Satz 3 SGB VII wurde sodann durch Gesetz zur Änderung des Sozialgesetzbuches und anderer Gesetze vom 24.7.2003 (BGBl I 1526) mit Wirkung zum 1.8.2003 in die für den Rechtsstreit maßgebliche Fassung gebracht. Eine eingehendere Betrachtung oder Begründung des Begriffs der Gemeinnützigkeit durch den Gesetzgeber erfolgte wiederum nicht (zu den Hintergründen dieser Reform vgl Rockstädt, BG 2005, 145). Bis auf die redaktionelle Zusammenfassung der bisherigen Sätze 3 und 4 des § 180 SGB VII hatte sich an der Freistellung sämtlicher gemeinnütziger Unternehmen und der Unternehmen nicht gewerbsmäßiger Bauarbeiten durch die Novellierung zum 1.8.2003 nichts geändert (Rockstädt, BG 2005, 148). Eine Änderung des Normtextes wurde vielmehr erst durch das Unfallversicherungs-Modernisierungsgesetz (UVMG) vom 30.10.2008 (BGBl I 2130) mit Wirkung zum 5.11.2008 vorgenommen, also für die Zeit nach dem hier streitigen Zeitraum. § 180 SGB VII lautet nunmehr:

 

"§ 180 Freibeträge, Unternehmen ohne Gewinnerzielungsabsicht

 

(1) Bei der Anwendung des § 178 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 3 Nr. 2 bleibt für jedes Unternehmen eine Jahresentgeltsumme außer Betracht, die dem Sechsfachen der Bezugsgröße des Kalenderjahres entspricht, für das der Ausgleich durchgeführt wird. Der Freibetrag wird auf volle 500 Euro aufgerundet.

 

(2) Außer Betracht bleiben ferner die Entgeltsummen von Unternehmen nicht gewerbsmäßiger Bauarbeiten sowie von gemeinnützigen, mildtätigen und kirchlichen Einrichtungen."

 

Zur Begründung enthält der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 14.3.2008 (BR-Drucks 113/08, S 87) die folgende Aussage, die auch von den Beteiligten im Rechtsstreit aufgegriffen wurde:

 

"Absatz 2

Die Regelung bezweckt dem geltenden Recht entsprechend, förderungswürdige Unternehmen ohne Gewinnerzielungsabsicht von der Ausgleichsverpflichtung freizustellen. Die Änderungen sind redaktioneller Art. Der bisher verwendete Begriff 'gemeinnützige Unternehmen' wird der Verwaltungspraxis folgend ausdrücklich auf mildtätige und kirchliche Einrichtungen erstreckt. Einrichtungen der Wohlfahrtspflege dienen mildtätigen Zwecken. Daher werden von der Freistellungsregelung auch künftig Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege bei der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege erfasst."

 

In dem Allgemeinen Teil der Gesetzesbegründung des UVMG (BT-Drucks 16/9154, S 22) wird zunächst die Notwendigkeit einer Neuregelung des Lastenausgleichs ua damit begründet, dass die gesetzliche Unfallversicherung die Branchenstruktur der Vergangenheit konserviere und Entwicklungen wie zuletzt in der notleidenden Baubranche sich auch in anderen Zweigen der gewerblichen Wirtschaft ereignen könnten. Hinsichtlich der neugefassten Befreiungsregelung des § 180 SGB VII enthält der Allgemeine Teil des Gesetzentwurfs zum UVMG sodann folgende Aussage (S 24) :

 

"Der besonderen Interessenslage von kleinen Betrieben wird wie bisher durch eine Freibetragsregelung Rechnung getragen. Danach bleibt bei der solidarischen Lastentragung ein bestimmter Entgeltbetrag unberücksichtigt. Der Freibetrag wirkt umso stärker, je mehr die Lasten nach Entgelten und nicht nach anderen Kriterien auf die ausgleichspflichtigen Unternehmen verteilt werden. Das Gesetz sieht daher eine überwiegende Lastenverteilung nach Entgelten vor (§ 178 des Siebten Buches). Damit wird die angestrebte Entlastung für kleine Unternehmen erreicht. Gemeinnützige, mildtätige und kirchliche Einrichtungen bleiben von der Verteilung der Lasten vollständig ausgenommen. Dies entspricht dem geltenden Recht."

 

b)

Aus der Gesetzgebungsgeschichte und dem Reglungszusammenhang der verschiedenen Gestaltungsformen des Lastenausgleichs zwischen den gewerblichen BGen ist jedenfalls festzuhalten, dass § 180 Satz 3 SGB VII (jeweils) als eng auszulegende Ausnahmevorschrift entsprechend dem bisher geltenden Recht konzipiert worden ist. In Art 3 § 5 UVNG war die Freistellung ausschließlich auf bestimmte Mitglieder der BG für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege beschränkt. Die Klägerin war damals also nicht freigestellt. An dieser Rechtslage wollte keine Gesetzesänderung etwas ändern.

 

Auch die weitere Rechtsentwicklung zeigt, dass bei der Freibetragsregelung jeweils nur "Kleinbetriebe" ausgenommen werden sollten. Auch die letzte Novellierung durch das UVMG zum 5.11.2008 betont ausdrücklich den Gesichtspunkt der zu schonenden Kleinbetriebe. Hinsichtlich der Freistellungen in Satz 3 aaO wurde ausdrücklich auf den mildtätigen und karitativen Charakter der zu privilegierenden Einrichtungen abgestellt. Der Gedanke der nicht vorhandenen Arbeitsentgelte oder ihres geringen Umfangs trägt auch die Freistellung der Durchführung nicht gewerbsmäßiger Bauarbeiten.

 

Der gesamten Gesetzgebungsgeschichte kann jedenfalls zu keinem Zeitpunkt ein intentionaler Akt des Gesetzgebers entnommen werden, auch große, staatliche und unterstaatliche Verwaltungsträger von der Beitragspflicht zum Ausgleichsanteil ihrer gewerblichen BG, der sie durch Bundesgesetz zugeordnet sind, kraft Gesetzes freizustellen.

 

Der Begriff der "Gemeinnützigkeit" war dabei immer rückbezogen auf die in den §§ 51 ff AO genannten Kriterien für Gemeinnützigkeit. Besonders deutlich wird dies in den Materialien zur Neuregelung des § 180 Abs 2 SGB VII durch das UVMG zum 5.11.2008. Dort wird zumindest die Begrifflichkeit und Reihenfolge der §§ 51 ff AO übernommen, spricht § 52 AO doch von "gemeinnützigen Zwecken", während § 53 AO die "mildtätigen Zwecke" und § 54 AO die "kirchlichen Zwecke" umreißt. Anhaltspunkte für einen demgegenüber spezifisch unfallversicherungsrechtlichen Gemeinnützigkeitsbegriff, wie ihn die Vorinstanzen zu Grunde legen, können jedenfalls der Gesetzgebungsgeschichte des Lastenausgleichs zwischen den gewerblichen BGen nicht entnommen werden.

 

Der Senat hat insofern in seinem Urteil vom 13.8.2002 unter Hinweis auf die Literatur zum SGB VII auch bereits klargestellt (Urteil vom 13.8.2002 - B 2 U 31/01 R - SozR 3-2700 § 180 Nr 1 S 6), dass § 180 Satz 3 Regelung 2 SGB VII (aF) mit der beitragsrechtlichen Privilegierung der dort genannten Einrichtungen an Regelungen im Steuerrecht, namentlich an die Vorschriften der AO, anknüpft. In den §§ 51 ff AO sind die Voraussetzungen für Steuervergünstigungen für den Fall geregelt, dass eine Körperschaft (iS des KStG) ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke (steuerbegünstigte Zwecke) verfolgt.So kann einer bestimmten Körperschaft Gemeinnützigkeit zuerkannt werden, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern (§ 52 Abs 1 AO). Unter diesen Voraussetzungen ist als Förderung der Allgemeinheit ua die Förderung der Altenhilfe, des öffentlichen Gesundheitswesens und des Wohlfahrtwesens anzuerkennen (§ 52 Abs 2 Nr 2, 4 und 9 AO). Selbstlosigkeit iS des § 52 AO, aber auch iS des § 53 AO (mildtätige Zwecke) und des § 54 AO (kirchliche Zwecke) ist nach § 55 Abs 1 AO gegeben, wenn durch die betreffende Tätigkeit nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche - zB gewerbliche Zwecke oder sonstige Erwerbszwecke - verfolgt werden und die weiteren, dort unter Nr 1 bis 5 genannten Kriterien erfüllt sind. Eine Einrichtung ist nach § 66 Abs 2 AO grundsätzlich dann dem Bereich der (freien, dh nicht-staatlichen) Wohlfahrtspflege zuzurechnen, wenn sie planmäßig, "zum Wohle der Allgemeinheit und nicht des Erwerbs wegen", Sorge für Not leidende oder gefährdete Mitmenschen übernimmt. Durch die Formulierung "zum Wohle der Allgemeinheit und nicht des Erwerbs wegen" bringt das Gesetz nichts anderes als das Erfordernis der selbstlosen Förderung der Allgemeinheit zum Ausdruck (Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, 10. Aufl, § 66 AO RdNr 22). Damit gilt der Gesichtspunkt der selbstlosen Förderung der Allgemeinheit für alle gemeinnützigen, mildtätigen und kirchlichen Einrichtungen als das gemeinsame prägende Wesensmerkmal. Unter diesem Gesichtspunkt bedurfte es nach der genannten Entscheidung des Senats (Urteil vom 13.8.2002 - B 2 U 31/01 R - SozR 3-2700 § 180 Nr 1 S 6) im Rahmen des § 180 Satz 3 Regelung 2 SGB VII (aF) auch keiner Festlegung, ob der jeweilige Träger der freien Wohlfahrtspflege überwiegend gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke verfolgte.

 

Der Gesetzgeber hat mit den §§ 51 ff AO eine Besserstellung nicht-staatlicher Einrichtungen bzw Unternehmen ua im Bereich der Gesundheits- und Wohlfahrtspflege bezweckt, die aus ideellen Erwägungen ihrer Betreiber, dh ohne einen sonstigen (wirtschaftlichen) Vorteil daraus zu ziehen, als (nicht-staatlicher) Teil des öffentlichen Systems der sozialen Sicherung (Fischer, aaO RdNr 9) zum Allgemeinwohl tätig werden. Damit aber unterscheiden sich diese Einrichtungen in ihrer Zielsetzung wesentlich von nicht gemeinnützigen Unternehmen, deren Betreiber in erster Linie das Ziel verfolgen, Gewinn zu erzielen, aber gerade auch vom Staat und seinen Untergliederungen mittelbarer Staatsverwaltung, die nicht aus ideellen Motiven handeln (dürfen), sondern ihnen von Verfassung und Gesetz vorgegebene Aufgaben erfüllen müssen.

 

Demgegenüber fehlt es für einen eigenständigen unfallversicherungsrechtlichen "Gemeinnützigkeitsbegriff" an jedem Anhalt im Gesetz. Er kann nicht durch Auslegung mit anerkannten juristischen Methoden gewonnen, sondern müsste richterrechtlich postuliert werden. Dadurch würde die Grenze richterlicher Rechtsfortbildung (dazu BVerfG vom 3.11.1992 - 1 BvR 1243/88 - BVerfGE 87, 273) überschritten, zumal auch die Rechtssicherheit nicht gewahrt wird.

 

Im Gegensatz zu der gesetzlichen konkludenten Verweisung auf die §§ 51 ff AO, deren Anwendung übereinstimmend im Schrifttum gefordert wird (vgl nur Fordey in Juris-PK SGB VII, § 180 RdNr 8, der davon ausgeht, dass die Gemeinnützigkeit durch Vorlage einer Finanzamtsbescheinigung nachzuweisen ist; ähnlich weitgehend Höller in Hauck/Noftz, K § 180 RdNr 5 ff, Stand VII/09; Platz in Lauterbach, UV, § 180 RdNr 3, Stand Januar 2009) und die auch dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung entspricht, hätte eine Anwendung des gesetzesfreien "Gemeinnützigkeitsbegriffs" des LSG eine weitgehende Rechtsunsicherheit zur Folge. Nach dem LSG (Urteil S 11) solle "allgemein auf die Erfüllung von Gemeinwohlaufgaben ohne Gewinnerzielungsabsicht" abgestellt werden. Dabei wird schon nicht beachtet, dass staatliche und unterstaatliche Verwaltungsträger, soweit sie, wie die Klägerin, hoheitliche Verwaltung verrichten müssen, weder Gewinnerzielung betreiben noch ideelle Ziele verfolgen dürfen, sondern die Gesetze nach deren Zielen durchführen müssen.

 

Die Beklagte zeigt in ihrer Revisionsschrift zudem auf, dass mit einem so weit gefassten "Begriff der Gemeinnützigkeit" zahlreiche weitere "Unternehmen" möglicherweise freigestellt sein könnten. Dann müsste jeweils erst im Wege einer richterrechtlichen Kasuistik geklärt werden, welche Mitgliedsunternehmen der Beklagten freigestellt wären. Dies zeigt bereits, dass eine derartige Erweiterung der Freistellungen dem parlamentarischen Gesetzgeber vorbehalten ist, der die Freistellungen für "gemeinnützige Unternehmen" aber - wie unter a) aufgezeigt - zu keiner Zeit erweitern wollte.

 

c)

Zutreffend hat die Revision insofern auch darauf hingewiesen, dass die Teilnahme der Klägerin am Lastenausgleich der gewerblichen BGen notwendige Folge der gesetzgeberischen Grundentscheidung ist, die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung - wie auch zahlreiche weitere öffentlich-rechtliche Träger - dem Zuständigkeitsbereich der Beklagten zuzuordnen. Dass diese Entscheidung anders hätte getroffen werden können, zeigt etwa der Fall der Bundesagentur für Arbeit, die gemäß § 125 Abs 1 Nr 2 SGB VII der Unfallkasse des Bundes zugeordnet wurde und damit nicht am Ausgleich der Lasten zwischen den gewerblichen BGen beteiligt wird. Die Klägerin ist als Unternehmen iS des § 121 Abs 1 SGB VII Mitglied der Beklagten geworden, ohne dass für diese Zuständigkeitsentscheidung Ausnahmen oder Sonderregelungen für öffentlich-rechtliche Körperschaften ersichtlich wären. Der Unternehmensbegriff iS des § 121 SGB VII ist - was auch die Vorinstanzen so gesehen haben - für alle potentiell betroffenen Unternehmen inhaltsgleich. Es ist von daher auch nicht begründbar, im Rahmen der §§ 176 ff SGB VII (aF) bei dem Lastenausgleich der gewerblichen BGen einen neuen, weiteren Sonderbegriff des oder für öffentlich-rechtliche Unternehmen zu fordern. Vielmehr ist die Teilnahme am Lastenausgleich notwendige und logische Folge der Aufnahme der Klägerin gerade in eine "gewerbliche" BG. Der Lastenausgleich knüpft dabei in allen seinen historischen Ausprägungen jeweils (mehr oder minder) an die Summe der Arbeitsentgelte des jeweiligen Unternehmens an, sodass die Freistellung eines Unternehmens von der Größe der Klägerin (mit 15 000 Beschäftigten im streitigen Zeitraum) erhebliche finanzielle Folgen hätte.

 

Es erscheint zumindest nachvollziehbar, wenn die Beklagte vorträgt, dass sie als BG vollständig aus dem Lastenausgleich ausscheiden würde, wenn die Gehaltssummen aller der Klägerin vergleichbaren Mitglieds-Unternehmen der Beklagten aus der Berechnung des Lastenausgleichs auszuscheiden hätten. Wie ausgeführt, sollten historisch vom Lastenausgleich ausgenommen werden jeweils nur Kleinbetriebe oder die Unternehmen nicht gewerbsmäßiger Bauarbeiten, sodass schon die strukturelle Größe der Klägerin dagegen spricht, sie als freigestelltes "gemeinnütziges" Unternehmen einzuordnen.

 

Insofern verfängt auch der Hinweis der Beklagten, dass das Solidarsystem des Lastenausgleichs unter den gewerblichen BGen ein wesentlicher Gesichtspunkt für den EuGH war, die Träger der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung nicht als Unternehmen im Sinne des europäischen Wettbewerbsrechts (Art 81 und 82 EG <aF>) zu qualifizieren (vgl EuGH vom 5.3.2009 - C-350/07 - Slg 2009, I-1513 - Kattner Stahlbau GmbH). Dem System des Lastenausgleichs zwischen den gewerblichen BGen kommt damit durchaus die Bedeutung eines "Strukturprinzips" zu, dessen weitgehende Einschränkung durch eine Herausnahme aller öffentlich-rechtlichen Träger im Sinne der Kriterien des LSG einer eindeutigen gesetzlichen Regelung bedurft hätte.

 

5.

Die Klage konnte schließlich auch unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung keinen Erfolg haben. Das Rechtsinstitut der Verwirkung ist als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB), der als Teil des Rechtsstaatsprinzips der Art 20, 28 Abs 1 Satz 1 GG unmittelbar auch im öffentlichen Recht und damit auch für das Sozialversicherungsrecht gilt. Sie ist daher auch bei den Forderungen von Beiträgen zur Sozialversicherung anerkannt (vgl zuletzt BSG vom 27.7.2011 - B 12 R 16/09 R; BSG vom 1.7.2010 - B 13 R 67/09 R - SozR 4-2400 § 24 Nr 5 RdNr 30; Urteil des Senats vom 10.8.1999 - B 2 U 30/98 R - SozR 3-2400 § 4 Nr 5). Die Verwirkung setzt als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen hat (Zeitmoment). Ferner müssen weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen (Umstandsmoment). Solche, die Verwirkung auslösenden "besonderen Umstände" liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde.

 

Zwar hat die Beklagte hier - wie die oben dargestellte Rechtsgeschichte (unter 2.a) belegt - seit Inkrafttreten des Lastenausgleichs durch das UVNG ab dem Jahre 1963 die Möglichkeit gehabt, die Klägerin bzw deren Namens-Rechtsvorgänger zum Lastenausgleich heranzuziehen. Dass dies seit 1998 unterblieben ist, erfüllt möglicherweise das Zeitmoment, aber schon nicht das Umstandsmoment. Denn das LSG hat nichts dafür festgestellt, dass die Beklagte "besondere Umstände" verwirklicht hat. Das bloße Nichtausüben eines Rechts ohne jedes weitere, zusätzliches Vertrauen begründende Handeln reicht hierfür nicht aus.

 

6.

Die Heranziehung der Klägerin zum Beitrag zum Ausgleichsanteil ihrer BG zum Lastenausgleich der gewerblichen BGen ist verfassungsgemäß.

 

Die Beteiligten selbst haben keine verfassungsrechtlichen Bedenken erhoben. Das BVerfG (s oben 2.a: 19.12.1967 - 2 BvL 4/65 - BVerfGE 23, 12; 5.3.1974 - 1 BvL 17/72 - BVerfGE 36, 383) und das BSG haben die Regelungen des Lastenausgleichs in der gesetzlichen Unfallversicherung mehrfach (insbesondere auch der §§ 176 ff SGB VII nach dem 1.1.1997) in ihrer materiellen Wirkung für die zum Ausgleich herangezogenen Unternehmen verfassungsrechtlich gebilligt (BSG Urteil vom 8.5.2007 - B 2 U 14/06 R - BSGE 98, 229 = SozR 4-2700 § 153 Nr 2; 20.3.2007 - B 2 U 9/06 R - UV-Recht Aktuell 2007,1065; 9.5.2006 - B 2 U 34/05 R - BG 2007, 102; 5.7.2005 - B 2 U 32/03 R - BSGE 95, 47 = SozR 4-2700 § 157 Nr 2; vgl auch das mehrfach zitierte Urteil vom 13.8.2002 - B 2 U 31/01 R - SozR 3-2700 § 180 Nr 1 S 6). Es besteht keine Veranlassung, für die hier im Streit stehende Rechtslage im Jahre 2007 von dieser Rechtsprechung abzuweichen.

 

Unstreitig und von der Klägerin nicht angegriffen ist schließlich auch die Höhe der Beitragsforderung in dem Bescheid vom 21.4.2008 mit 719 346,24 Euro festgestellt worden.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 193 Abs 4, 197a Abs 1 iVm § 183 SGG und § 154 Abs 1 VwGO.

 

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 52 Abs 3, § 47 Abs 1 GKG.


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