Kündigung - Praxisvertretung - Arbeitnehmereigenschaft - Rechtswegzuständigkeit

 | Gericht:  Landesarbeitsgericht (LAG) Köln  | Aktenzeichen: 9 Ta 18/22 | Entscheidung:  Beschluss
Kategorie Arbeitsrecht

Beschlusstext

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Köln
vom 03.12.2021 - 19 Ca 3335/21 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Gründe

I.
Die Beklagte ist Fachärztin für Dermatologie, Allergologie und Phlebologie mit Vertragsarztsitz in K . Der Kläger hatte die Facharztausbildung zum Arzt für Haut-und Geschlechtskrankheiten beendet. Veranlasst durch eine Erkrankung der Beklagten schlossen die Parteien unter dem 12./13.04.2021 einen Praxisvertretungsvertrag. Danach sollte der Kläger die Beklagte auf deren Rechnung in ihrer Praxis im Zeitraum vom 12.04.2021 bis 30.06.2021 zu einem Stundensatz von 100,00 EUR und einer Prämie in Höhe von 50% des erbrachten oder verordneten IGEL-Umsatzes vertreten. Der Kläger sollte ausdrücklich nicht als angestellter Arzt, sondern "freiberuflich" tätig werden und selbst die Steuern und Sozialbeiträge abführen. Als "Arbeitszeiten" waren im Vertrag Montag, Dienstag, Donnerstag von 8.30 bis 18.00 und Mittwoch von 8.30 bis 17.00 Uhr, jeweils mit einer Unterbrechung zwischen 13.00 und 14.00 Uhr, festgelegt. Der Freitag war frei. Für "eventuelle Streitigkeiten" aus dem Vertrag vereinbarten die Parteien den ordentlichen Rechtsweg.

Mit Schreiben vom 19.05.2021 kündigte die Beklagte den Vertrag zum 10.06.2021 sowie mit einem Schreiben ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 25.05.2021 außerordentlich. Zudem erteilte die Beklagte dem Kläger ein Hausverbot.

Der Kläger ist der Ansicht, er sei Arbeitnehmer der Beklagten gewesen. Mit seiner am 11.06.2021 bei dem Arbeitsgericht Köln anhängig gemachten und der Beklagten am 22.06.2021 zugestellten Klage begehrt er

– die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien aus dem "Praxisvertretungsvertrag" vom 12./13.04.2021 nicht durch die fristlose Kündigung der Beklagten zum 25.05.2021 beendet worden ist und auch nicht durch andere Kündigungstatbestände vor dem 10.06.2021 sein Ende gefunden hat,

– die Zahlung von 15.275,00 EUR für reguläre ärztliche Leistungen und IGEL-Leistungen für den Zeitraum bis zum 10.06.2021,

– Auskunft über die Ausführungen der von ihm geplanten IGEL-Leistungen im Zeitraum vom 26.05. bis 11.06.2021 sowie

– nach Auskunftserteilung die Zahlung von 50 % des von der Beklagten vereinnahmten Honorars aus diesen IGEL-Leistungen.

Die Beklagte rügt die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen und vertritt die Ansicht, dass der Kläger als freier Dienstleister tätig geworden sei. Schon die Formulierungen im Praxisvertretungsvertrag sowie auch die Abrechnungen des Klägers würden gegen eine abhängige Beschäftigung sprechen. Weil die Anstellung eines Mitarbeiters gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung anders als eine Praxisvertretung genehmigungspflichtig gewesen wäre, hätten die Parteien keine abhängige Beschäftigung vornehmen können. Der Kläger habe auch keinerlei Behandlungen nach ihrer Weisung durchführen müssen. Zu Anweisungen sei sie mangels eigener Anwesenheit gar nicht in der Lage gewesen. Direkt am 12.04.2021 habe der Kläger die Arbeitszeiten in der Praxis und die der Mitarbeiter geändert, Möbel umgeräumt und IGEL-Verträge und -Rezepte nach eigener Entscheidung ausgegeben bzw. abgeschlossen. Er habe nach freiem Gutdünken Weisungen an das Personal erteilt. Trotz des von ihr erteilten Hausverbots habe er sich mittels der Polizei Zugang zu der Praxis mit der Begründung verschafft, er sei nicht Angestellter, sondern Praxisvertreter.

Das Arbeitsgericht hat mit seinem Beschluss vom 03.12.2021 den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für eröffnet erklärt und zur Begründung ausgeführt, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestanden habe. Daran ändere nichts, dass die Parteien formal einen sogenannten "Praxisvertretungsvertrag" geschlossen und darin ausdrücklich ein Angestelltenverhältnis ausgeschlossen hätten. Denn das Vertragsverhältnis der Parteien sei nicht als freies Dienstverhältnis gelebt worden. Der Kläger sei in den Praxisbetrieb vollständig eingebunden gewesen. Wegen der im Praxisvertretungsvertrag ausdrücklich festgelegten Arbeitszeiten habe er weder andere unternehmerische Tätigkeiten verrichten noch selbst bestimmen können, wann er Patienten behandelt oder Abrechnungsaufgaben erledigt. Ein für einen selbstständigen Mitarbeiter charakteristisches unternehmerisches Risiko habe der Kläger nicht getragen. Ob er als Facharzt die Behandlung der Patienten selbst organisieren und ohne weitere Weisung habe durchführen dürfen, könne dahinstehen. Bei einer hochqualifizierten Tätigkeit wie der eines Facharztes sei es auch im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses typisch, dass Weisungen im Hinblick auf die fachliche Tätigkeit weder erforderlich noch angemessen seien.

Gegen den ihr ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 04.01.2022 zugestellten Beschluss hatte die Beklagte bereits mit Schriftsatz vom 17.12.2021, der am selben Tag bei dem Arbeitsgericht eingegangen war, sofortige Beschwerde eingelegt, der das Arbeitsgericht mit Beschluss der Vorsitzenden vom 07.02.2022 nicht abgeholfen hat.

Die Beklagte rügt, dass das Arbeitsgericht im Rahmen des Gütetermins zwar betont habe, wie hoch die Anforderungen für den Kläger im vorliegenden Fall seien, um die von ihm behauptete Arbeitnehmerschaft zu belegen, dass sich von dieser Ansicht im angegriffenen Beschluss aber nichts wiederfinden lasse. Vielmehr nehme das Gericht in sehr allgemeiner Form auf die Arbeitszeiten des Klägers Bezug. Es sei jedoch klar, dass eine Praxisvertretung nur funktionierten könne, wenn die üblichen Öffnungszeiten der Praxis eingehalten würden. Gleichwohl habe der Kläger die Arbeitszeiten eigenmächtig geändert. Der Kläger habe auch sonst keinen Weisungen unterlegen, sondern sich als Chef gegenüber den Mitarbeitern geriert.

Der Kläger verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts und behauptet, er habe sich an die im Vertrag angegebenen Arbeitszeiten und die Anweisungen der Beklagten halten sowie auf die Infrastruktur der Praxis zurückgreifen müssen. Er habe überhaupt keinen Einfluss auf die Arbeitszeit und die Arbeitsabläufe in der Praxis und nicht einmal einen Schlüssel für die Praxis und Zugang zu allen Räumlichkeiten gehabt. Demgemäß habe er auch nicht die Arbeitszeit der Mitarbeiter geändert. Termine habe er mit Patienten nicht eigenständig vereinbaren können. Die Terminverwaltung habe der Beklagten und einer angestellten Arzthelferin oblegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses, die im Beschwerdeverfahren gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

II.
Die nach § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde der Beklagten ist unbegründet.

1. 
Die Beschwerdekammer ist an einer Entscheidung in der Sache nicht deswegen gehindert, weil das Arbeitsgericht keine ordnungsgemäße Nichtabhilfeentscheidung getroffen hat. Der Beschluss der Vorsitzenden vom 07.02.2022 genügt zwar nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Nichtabhilfeentscheidung, da es sich bei der Entscheidung über die Abhilfe um eine erneute Entscheidung in der Sache handelt, die nach § 17a GVG, § 48 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG stets durch einen Beschluss der vollbesetzten Kammer zu treffen ist (BAG, Beschluss vom 17. September 2014 - 10 AZB 4/14 -, Rn. 6, juris; LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 07. Dezember 2015 - 3 Ta 21/15 -, Rn. 21, juris; LAG Köln, Beschluss vom 18. Mai 2021 - 9 Ta 61/21 -, Rn. 9, juris). Das Fehlen einer ordnungsgemäßen Abhilfeentscheidung hindert das Beschwerdegericht jedoch nicht an einer Sachentscheidung. Soweit teilweise vertreten wird, dass wegen der Betroffenheit der Frage des gesetzlichen Richters das Verfahren zur erneuten Entscheidung über die Abhilfe an das Arbeitsgericht zurückverwiesen werden müsse (etwa Schwab/Weth, 6. Aufl. 2022, § 78 ArbGG Rn. 45; LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 25. Januar 2007 - 11 Ta 10/07 -, Rn. 7, juris), folgt die Kammer dem nicht. Denn der Sinn des Abhilfeverfahrens nach § 78 Abs. 1 ArbGG, § 572 Abs. 1 S. 1 ZPO besteht darin, dem Ausgangsgericht aus Gründen der Prozessökonomie Gelegenheit zur Selbstkorrektur zu geben. Die ordnungsgemäße Durchführung des Abhilfeverfahrens ist hingegen nicht Verfahrensvoraussetzung für das Beschwerdeverfahren oder für die Beschwerdeentscheidung selbst (LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. Dezember 2016 - 6 Ta 1797/16 -, Rn. 26, juris; LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 07. Dezember 2015 - 3 Ta 21/15 -, Rn. 23, juris; LAG Hamm, Beschluss vom 08. September 2011 - 2 Ta 738/10 -, Rn. 21, juris). Zudem würde einer Zurückverweisung im Beschwerdeverfahren nach § 17a Abs. 4 GVG der das arbeitsgerichtliche Verfahren prägende Beschleunigungsgrundsatz entgegen stehen. Dieser Grundsatz hat in § 68 ArbGG, wonach die Zurückverweisung einer Rechtssache im Berufungsverfahren an das Arbeitsgericht wegen eines Mangels im Verfahren ausgeschlossen ist, eine spezielle Ausgestaltung erfahren und schließt im vorgeschalteten Rechtswegbestimmungsverfahren nach § 17a GVG - in verfassungsrechtlich auch unter dem Gesichtspunkt des gesetzlichen Richters unbedenklicher Weise (vgl. VGH NRW, Beschluss vom 27. April 2021 - 157/20.VB-1 -, zu II. 1 a) cc der Gründe; VGH NRW, Beschluss vom 12. Mai 2020 - 24.20.VB-2 -, Rn. 21, juris) - eine Zurückverweisung aus der Beschwerdeinstanz an das Arbeitsgericht aus. Denn das Rechtswegbestimmungsverfahren darf nicht durch Zurückverweisungen von zweiter zu erster Instanz verzögert werden (BAG, Beschluss vom 17. September 2014 - 10 AZB 4/14 -, Rn. 11; BAG, Beschluss vom 17. Februar 2003 - 5 AZB 37/02 -, Rn. 17, juris; LAG Köln, Beschluss vom 18. Mai 2021 - 9 Ta 61/21 -, Rn. 10, juris).

2. 
Die sofortige Beschwerde der Beklagten ist unbegründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen bejaht.

a) 
Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist nicht bereits deswegen ausgeschlossen, weil die Parteien in ihrem Vertrag den ordentlichen Rechtsweg vereinbart haben. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist, abgesehen von dem in § 2 Abs. 4 ArbGG geregelten Sonderfall, in §§ 2 bis 5 ArbGG zwingend festgelegt. Dies hat die Folge, dass eine Vereinbarung über den Rechtsweg unzulässig ist, soweit die Rechtswegzuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen danach eröffnet ist (BAG, Beschluss vom 03. November 2020 - 9 AZB 47/20 -, Rn. 29, juris).

3. 
Das ist hier der Fall. Die Zulässigkeit des vom Kläger eingeschlagenen Rechtswegs ergibt sich im vorliegenden Fall aus § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a und b ArbGG. Denn der Kläger war Arbeitnehmer der Beklagten.

a) 
Arbeitnehmer sind nach § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG Arbeiter und Angestellte sowie die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten. Die Arbeitnehmereigenschaft eines Klägers setzt nach § 611a Abs. 1 BGB voraus, dass er im Dienste der beklagten Partei zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet war. Dies ist aufgrund einer Gesamtbetrachtung aller Umstände festzustellen (BAG, Beschluss vom 22. November 2016 - 9 AZB 41/16 -, Rn. 17, juris). Dabei ist es weder erforderlich, dass alle den Typus "Arbeitsvertrag" kennzeichnenden Merkmale vorliegen, noch gibt es ein Einzelmerkmal, das aus der Vielzahl möglicher Merkmale unverzichtbar vorliegen muss, damit man von persönlicher Abhängigkeit sprechen kann. Dogmatischer Ausgangspunkt ist insoweit nicht ein tatbestandlich scharf umrissener Arbeitnehmerbegriff, sondern eine typologische Bestimmung des Arbeitnehmers (HWK/Thüsing, 9. Aufl. 2020, § 611a BGB, Rn. 46).

b) 
Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass der Kläger nach der Vereinbarung der Parteien nicht als angestellter Arzt, sondern "freiberuflich" tätig werden und selbst die Steuern und Sozialbeiträge abführen sollte. Denn zwingende gesetzliche Regelungen für Arbeitsverhältnisse können nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht dadurch abbedungen werden, dass die Parteien ihrem Arbeitsverhältnis eine andere Bezeichnung geben. Widersprechen sich Vereinbarung und tatsächliche Durchführung, ist letztere maßgebend, weil sich aus der praktischen Handhabung der Vertragsbeziehungen am ehesten Rückschlüsse darauf ziehen lassen, von welchen Rechten und Pflichten die Vertragspartner ausgegangen sind, was sie also wirklich gewollt haben (BAG, Urteil vom17. Januar 2017 - 9 AZR 76/16 -, BAGE 158, 6-18, Rn. 14; BAG, Urteil vom 14. Juni 2016 - 9 AZR 305/15 -, BAGE 155, 264-279, Rn. 15; BSG, Urteil vom 04. Juni 2019 - B 12 R 11/18 R -, BSGE 128, 191-205, SozR 4-2400 § 7 Nr. 42, Rn. 24).

c) 
Inwieweit sich aus der praktischen Handhabung der Vertragsbeziehungen eine persönliche Abhängigkeit ergibt, hängt zunächst wesentlich von der Eigenart der Tätigkeit, von dem rechtlichen Umfeld, in dem die Tätigkeit erfolgt, sowie in gewissem Maße von der Verkehrsanschauung ab.

aa) 
Für die arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Einordnung einer Praxisvertretung bietet das (Kassen-) Arztrecht allerdings wenig Anhaltspunkte. § 32 Abs. 1 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) bestimmt, dass ein Vertragsarzt die vertragsärztliche Tätigkeit persönlich in freier Praxis auszuüben hat und sich bei Krankheit, Urlaub oder Teilnahme an ärztlicher Fortbildung oder an einer Wehrübung sich innerhalb von zwölf Monaten bis zur Dauer von drei Monaten vertreten lassen kann. Diese Vertretung ist durch einen anderen Vertragsarzt oder durch einen Arzt zulässig, der die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Ärzte-ZV für die Eintragung in das Arztregister der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung erfüllt. Der Praxisvertreter muss daher nicht zwingend selbst ein Vertragsarzt sein. Vielmehr können auch Privatärzte, Ärzte im Ruhestand, Honorarärzte oder angestellte Ärzte eine Praxisvertretung übernehmen. Auch § 14 des Bundesmantelvertrags-Ärzte (BMV-Ä) trifft keine Aussagen zur arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Stellung von Vertretungsärzten, sondern konkretisiert die Pflichten des Vertretenen bei Einsatz und Überwachung von Vertretungsärzten.

bb) 
Ebenso wenig lässt sich eine feste Verkehrsanschauung hinsichtlich des arbeitsrechtlichen Status von Vertretungsärzten feststellen. Das traditionelle Bild von der Tätigkeit eines Honorararztes, wie es auch den Parteien bei Abschluss ihres Vertrages vorschwebte, war noch weitgehend von der älteren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts geprägt, wonach es zur Bejahung einer selbstständigen Tätigkeit des Vertreters ausreichte, dass er keinen Beschränkungen unterlag, die über die Verpflichtung zur Benutzung der Praxisräume, zur Einhaltung der Sprechstunden und zur Abrechnung im Namen des Praxisinhabers hinausgingen (vgl. BSG, Urteil vom 27. Mai 1959 - 3 RK 18/55 -, BSGE 10, 41, Rn. 16). Eine solche generelle Einordnung der honorarärztlichen Tätigkeit ist heute aber selbst nach Einschätzung der Ärzteschaft nicht mehr angezeigt (Honorarärztliche Tätigkeit in Deutschland - Positionsbestimmung der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, 2011, S. 27 f.).

cc) 
Die Rechtsprechung hat vielmehr im Rahmen zahlreicher Einzelfallentscheidungen Kriterien zur Annahme einer selbstständigen Tätigkeit im Gesundheitswesen herausgearbeitet. Wichtige Gesichtspunkte sind danach: die freie Zeiteinteilung, der Einsatz eigener Betriebsmittel, eigene Angestellte, das Tragen von unternehmerischem Risiko, sowie die Möglichkeit, aus den erzielten Honoraren eine eigene Altersversorgung aufzubauen (Halbe, Deutsches Ärzteblatt 2021, 1376, 1377).

d) 
Bezogen auf den vorliegenden Fall sind folgende Feststellungen zu treffen, die bei der gebotenen Gesamtbetrachtung für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses sprechen:

aa) 
Gemäß den vertraglichen Vereinbarungen war der Kläger nicht berechtigt, seine Arbeitszeiten frei einzuteilen. Sie waren ihm detailliert einschließlich der Lage und Dauer der Pausen für insgesamt vier Arbeitstage/Woche vorgegeben. Dies bedeutet zwar, dass die Beklagte die Arbeitspflicht des Klägers nicht in Ausübung eines Weisungsrechts in zeitlicher Hinsicht weiter hätte konkretisieren dürfen (zu diesem Gesichtspunkt LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 07. August 2020 - 12 Sa 13/20 -, Rn. 81, juris). Wichtiger ist jedoch, dass auch der Kläger aufgrund der Vereinbarung nicht mehr im Sinne des § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB berechtigt war, seine Arbeitszeit zu bestimmen.

bb) 
Von Bedeutung ist zudem, dass der Kläger aufgrund der vertraglich festgelegten Arbeitszeiten faktisch nicht die Möglichkeit hatte, in beachtlichem Umfang für weitere Auftraggeber tätig zu sein und dementsprechend werbend am Markt aufzutreten. Das aber wäre ein typisches Merkmal für eine selbstständige Tätigkeit (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2021 - B 12 R 1/21 R -, Rn. 30, juris ; BSG, Urteil vom 18. November 2015 - B 12 KR 16/13 R -, BSGE 120, 99-113, SozR 4-2400 § 7 Nr 25, Rn. 28). Für weitere ärztliche oder sonstige berufliche Tätigkeiten hätten dem Kläger nur der Freitag und das Wochenende zur Verfügung gestanden.

cc) 
Dass der Kläger innerhalb der vereinbarten Arbeitszeiten aufgrund der Abwesenheit der Beklagten seinen medizinischen Auftrag nach eigenem Ermessen gestalten konnte, im Wesentlichen keinen Einzelanweisungen der Beklagten unterlag und IGEL-Verträge und -Rezepte nach eigener Entscheidung ausgegeben bzw. abgeschlossen hatte, liegt an der Eigenart der ärztlichen Praxisvertretung und spricht nicht gegen das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses. Denn Ärzte handeln bei medizinischen Heilbehandlungen und Therapien grundsätzlich frei und eigenverantwortlich. Hieraus kann nicht auf eine selbstständige Tätigkeit geschlossen werden. Insbesondere bei Hochqualifizierten oder Spezialisten kann das Weisungsrecht aufs Stärkste eingeschränkt sein (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2021 - B 12 R 1/21 R -, Rn. 21, juris).

dd) 
Von Bedeutung ist hingegen, dass der Kläger über keine eigenen Betriebsmittel verfügte, sondern die Einrichtungen und Betriebsmittel der Praxis nutzte. Auch wenn dies nicht zwingend eine abhängige Beschäftigung begründet (BSG, Urteil vom 04. Juni 2019 - B 12 R 11/18 R -, BSGE 128, 191-205, SozR 4-2400 § 7 Nr 42, Rn. 25) und der Kläger nach dem Vortrag der Beklagten die Arbeitszeiten der Mitarbeiter geändert, Möbel umgeräumt und sich als "Chef" geriert hat, ist doch festzustellen, dass der Kläger in die Arbeitsabläufe der Praxis voll eingegliedert war. Er arbeitete arbeitsteilig mit dem von der Beklagten angestellten Praxispersonal zusammen, war auf dessen Hilfestellung zwingend angewiesen und musste diesem fachliche Weisungen erteilen. Die Tätigkeit des Klägers war damit von der Praxis der Beklagten geprägt, in deren Dienst er seine Arbeit verrichtete. Seine Arbeitsleistung war insoweit fremdbestimmt, weil sie sich als funktionsgerechte, dienende Teilhabe am Arbeitsprozess darstellte (vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2021 - B 12 R 1/21 R -, Rn. 21, juris).

ee) 
Dass die Parteien keine Regelungen zu Entgeltfortzahlung und Urlaub getroffen haben, ändert an der Unselbstständigkeit der klägerischen Tätigkeit nichts. Denn entsprechende Ansprüche wären die Rechtsfolge einer unselbstständigen Beschäftigung als Arbeitnehmer und könnten nicht umgekehrt den Status des Klägers als Freiberufler begründen (vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2021 - B 12 R 1/21 R -, Rn. 28 - 29, juris).

ff) 
Gleiches gilt für den Umstand, dass der Kläger eine eigene Berufshaftpflichtversicherung abschließen musste. Diese Verpflichtung wurzelt nicht in der Selbständigkeit einer ärztlichen Tätigkeit, sondern ist berufsrechtlicher Natur. Ärzte sind seit jeher verpflichtet, sich hinreichend gegen Haftpflichtansprüche im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit zu versichern (vgl. etwa § 21 der Berufsordnung für die nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte - BO). Ohnehin handelt es sich bei der Berufshaftpflichtversicherung nur um einen Aspekt, der die ärztliche Tätigkeit nicht entscheidend prägt (BSG, Urteil vom 07. Juni 2019 - B 12 R 6/18 R -, BSGE 128, 205-219, SozR 4-2400 § 7 Nr 44, Rn. 31).

gg) 
Entscheidend für ein Arbeitsverhältnis spricht schließlich, dass der Kläger kein nennenswertes unternehmerisches Risiko trug, wie es für Selbstständige typisch ist (dazu Freckmann, DB 2013, 459, 460). Zu einer erforderlichen eigenverantwortlichen Gestaltung der ärztlichen Tätigkeit gehört es nämlich, dass der Arzt ein wirtschaftliches Risiko trägt. Es muss maßgebend von seiner Arbeitskraft abhängen, in welchem Umfang seine freiberufliche Tätigkeit Einkünfte erbringt (BSG, Urteil vom 23. Juni 2010- B 6 KA 7/09 R -, BSGE 106, 222-239, SozR 4-5520 § 32 Nr 4, Rn. 38). Der Kläger hingegen erhielt seine Vergütung von der Beklagten. Eine Abrechnung gegenüber den behandelten Patienten oder deren Kostenträgern nahm nicht er, sondern ausschließlich die Beklagte vor (zu diesen Gesichtspunkten BSG, Urteil vom 19. Oktober 2021 - B 12 R 1/21 R -, Rn. 23, juris). Dass der Kläger hälftig an den sog. IGEL-Leistungen beteiligt war, fällt demgegenüber nicht ins Gewicht. Denn gesetzlich Krankenversicherte haben einen Anspruch auf Leistungen zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten. Die notwendigen medizinischen Aufgaben erfüllen Vertragsärzte damit bereits im Rahmen ihres Versorgungsauftrags. Bei den IGEL-Leistungen handelt es sich hingegen oftmals um Leistungen, deren Nutzen (noch) nicht ausreichend belegt ist und die daher in der ärztlichen Versorgung nicht im Vordergrund stehen. Die Beteiligung an den IGEL-Leistungen bot dem Kläger daher keine wirkliche Chance, durch unternehmerisches Geschick und verantwortungsvolle Patientenbetreuung seine Arbeit so effizient zu gestalten, dass sie das Verhältnis von Aufwand und Ertrag zu seinen Gunsten entscheidend hätte entscheidend hätte beeinflussen können (zu diesem Kriterium BSG, Urteil vom 19. Oktober 2021 - B 12 R 1/21 R -, Rn. 27, juris). Erst recht hätten die hälftigen IGEL-Honorare nicht ausgereicht, eine eigene auskömmliche Altersversorgung aufzubauen.

III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Danach sind der Beklagten die Kosten des Verfahrens deswegen aufzuerlegen, weil ihre sofortige Beschwerde erfolglos geblieben ist.

IV.
Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.


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