Kündigung des Behandlungsvertrags

 | Gericht:  Kammergericht (KG) Berlin  | Aktenzeichen: 20 U 49/07 | Entscheidung:  Urteil
Kategorie Praxisführung

Urteilstext

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 30. November 2006 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin – 6 O 62/06 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

 

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Klägerin verlangt im Berufungsverfahren vom Beklagten noch Schmerzensgeld (8.000 EUR), weil dieser nach einem siebenjährigen Behandlungsverhältnis den Arztvertrag gekündigt hat.

 

Die Klägerin leidet seit 1967 u.a. an einer Schädigung ihres linken Kieferngelenks.

 

Sie begab sich am 2. April 1997 in die Behandlung des Beklagten; auf dessen Vorschlag ließ sie sich eine Regulierungsschiene anfertigen, welche dafür sorgen sollte, dass die Klägerin den Kiefer normal und beschwerdefrei belasten und normal zubeißen kann. Der Sitz der – lebenslang zu tragenden - Schiene war alle zwei bis drei Monate zu kontrollieren und gegebenenfalls zu justieren. Die Maßnahme war erfolgreich.

 

Am 6. Dezember 2004 kündigte der Beklagte das Behandlungsverhältnis.

 

Die Klägerin hat mit der Behauptung, es gebe im Raum Berlin - Brandenburg keinen Zahnarzt, der die Schienentherapie fortsetze, und sie sei durch die Kündigung, auch wegen der drohenden Verschlimmerung des Leidens, einer erheblichen psychischen Belastung ausgesetzt, die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von Schmerzensgeld verlangt.

 

Ferner hat sie die Feststellung begehrt, dass der Beklagte zur Zahlung von Schadensersatz wegen des Behandlungsabbruchs verpflichtet sei.

 

Ihren Antrag auf Feststellung, dass die Kündigung des Beklagten unzulässig und der Beklagte verpflichtet sei, die Behandlung fortzusetzen, hat die Klägerin bereits in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 30. November 2006 zurückgenommen (Sitzungsprotokoll Bl. 72 d.A.).

 

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

 

Hiergegen hat die Klägerin teilweise, nämlich gegen die Abweisung des auf die Verurteilung zur Zahlung von Schmerzensgeld gerichteten Antrages, Berufung eingelegt.

 

Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, der Beklagte habe auf dem streitgegenständlichen Gebiet eine Monopolstellung und sei wegen daraus folgender Fürsorgepflichten an einer wirksamen Kündigung gehindert gewesen. Aufgrund der bei ihr vorliegenden besonderen Kiefergelenksverhältnisse finde sich im Raum Berlin/Brandenburg kein Zahnarzt der willens und fachlich in der Lage sei, die vom Beklagten begonnene Schienentherapie fortzusetzen.

 

Die Klägerin beantragt,

 

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Berlin vom 30.11.06 – 6 O 62/06 – zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld von 8.000 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Zustellung der Klage zu zahlen.

 

Der Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Der Beklagte macht u.a. geltend, er sei nicht der einzige Zahnarzt, der die Klägerin behandeln könne. 

 

Der Senat hat zunächst eine Auskunft der Zahnärztekammer Berlin gemäß Beweisbeschluss vom 13. Oktober 2008 (Bl.147 d.A.) eingeholt. Die Zahnärztekammer hat eine umfangreiche Liste mit Zahnärzten in Berlin, die funktionsanalytisch tätig sind, eingereicht; jeder dieser Zahnärzte sei fachlich in der Lage, die Behandlung bei der Klägerin durchzuführen (Schreiben vom 29. Oktober 2008, Bl. 151 d.A.).

 

Der Senat hat ferner Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 18. Dezember 2008 (Bl. 163 d.A.) durch Einholung eines Gutachtens der Sachverständigen Dr. P. vom 21. März 2009. Wegen der von der Sachverständigen getroffenen Feststellungen wird auf Bl. 187 bis 196 d.A. Bezug genommen.

 

Im Übrigen wird von der Darstellung tatsächlicher Feststellungen nach § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO (vgl. § 26 Nr. 5 EGZPO) abgesehen.

 

II. 1.

Die Berufung ist unbegründet. 

 

Das Landgericht zu Recht einen Schmerzensgeldanspruch der Klägerin verneint. Ein solcher besteht weder nach §§ 627 Abs. 2, Satz 2, 253 Abs. 2 BGB noch aus unerlaubter Handlung nach §§ 823, 253 Abs. 2 Abs. 2 BGB.

 

a.

Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, ist der Arztbehandlungsvertrag ein (typischer) Dienstvertrag im Sinne des § 627 Abs. 1 BGB. d.h., es werden „Dienste höherer Art“ geschuldet, die aufgrund eines besonderen Vertrauens übertragen werden (Palandt-Weidenkaff, BGB-Kommentar, 68. Auflage, § 627 Rdnr. 2 m.w.N.).

 

Ein solcher Vertrag kann daher grundsätzlich von beiden Seiten jederzeit und auch ohne dass ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 BGB vorliegt, gekündigt werden.

 

b.

Ein Schadensersatzanspruch wäre allerdings möglicherweise begründet, wenn der Beklagte der Klägerin eine lebenslange Behandlung zugesagt hätte.

 

Insoweit fehlt es aber bereits an einer entsprechenden Behauptung der Klägerin. Selbst wenn man eine solche annähme, fehlt es jedenfalls an einem ausreichend substanziierten Vortrag und darüber hinaus an einem Beweisangebot.

 

Die Klägerin hat in ihrem Schriftsatz vom 5. April 2007 (Bl. 107, 108 d.A.) insoweit lediglich angegeben,

 

„… dass zwischen den Parteien unstreitig ist, dass der Beklagte mit der Klägerin vereinbart hatte, sie lebzeitig zu behandeln, eine Schiene zu konstruieren und diese in festen Rhythmen an die jeweils veränderte Gebisssituation anzupassen.“

 

Aus dem nachfolgenden Absatz ergibt sich aber nach dem Verständnis des Senats auch deutlich, dass die Klägerin damit nicht einmal eine entsprechende Erklärung des Beklagten behaupten will, sondern sie den Umstand, dass für sie eine „der einzigartigen Gebisssituation der Klägerin angepasste Schienentherapie“ eingeleitet wurde, die lebzeitig periodisch notwendige Anpassungsarbeiten erforderte, nur dahin interpretiert , dass der Beklagte damit auch zugesagt habe, sie das ganze Leben behandeln zu wollen. Deutlich kommt dieses auf Seite 1 Abs. 2 des Schriftsatzes vom 10. Oktober 2007, Bl. 127 d.A., zum Ausdruck:

 

„Im Übrigen vermag der Unterzeichner einen Unterschied zwischen der Behauptung, dass der Beklagte mit Wissen und Wollen eine lebzeitige und turnusgemäß kontrollierbedürftige Schienentherapie begonnen hat und der Tatsache, dass er sich dazu gegenüber der Klägerin verpflichtet hat, nicht zu unterscheiden.“

 

Letztlich geht die Klägerin daher nicht über ihr erstinstanzliches Vorbringen hinaus, wonach der Beklagte die von ihm begonnene „lebenslange Therapie“ nicht „ohne weiteres abbrechen“ könne.

 

c.

Eine Schadensersatzpflicht bei Dienstverträgen „höherer Art“ im Sinne von § 627 BGB besteht auch dann, wenn die Kündigung zur „Unzeit“ erfolgt ist, d.h. wenn sich der Dienstberechtigte (hier: Patient) die von ihm benötigten Dienste nicht (mehr) anderweitig beschaffen kann, was vor allem auch dann der Fall ist, wenn der Dienstverpflichtete (hier: Zahnarzt) hinsichtlich der betreffenden zahnärztlichen Behandlung eine Art „Monopolstellung“ hat.

 

Dieses ist jedoch vorliegend ausweislich des vom Senat eingeholten Gutachtens der Sachverständigen Dr. P. vom 21. März 2009 (Bl. 187 ff. d.A.) nicht der Fall.

 

Danach hat die Klägerin aufgrund des fehlenden linken Gelenkkopfes eine seltene Störung der der Kiefergelenksfunktion, wodurch die Funktion auch des rechten Kiefergelenks beeinträchtigt wird.

 

Da die Entfernung des Gelenkkopfes heute eine völlig unübliche chirurgische Therapie bei vorliegenden Kiefergelenksbeschwerden bzw. bei Einschränkung der Mundöffnung darstellt, sind Erfahrungen bei der Behandlung derartiger Beschwerden bei Zahnärzten selten anzutreffen. Aufgrund der Grundproblematik muss also empirisch in Kooperation mit dem Patienten eine Bisslage erarbeitet werden, die eine möglichst schmerzarme oder schmerzfreie Funktion gewährleistet. Die vom Beklagten zur Schienenherstellung durchgeführten Behandlungsmaßnahmen sowie die Schienentherapie selbst stellen jedoch keine speziellen Behandlungsmaßnahmen dar, die nur er allein durchführen kann. Eine klinische Funktionsanalyse stellt die Basisdiagnostik jeder Funktionstherapie dar. Die instrumentelle Okklusionsanalyse, die der Beklagte durchgeführt hat, gehört zu Standardmaßnahmen, die im Rahmen der Ausbildung auch gelehrt werden.

 

Zusammenfassend lässt sich daher feststellen, dass die Gebisssituation der Klägerin einen funktionsanalytisch- und therapeutisch behandelnden Zahnarzt in fachlicher Hinsicht zwar vor eine gewisse Herausforderung stellt, der Beklagte insoweit aber keineswegs eine „Monopolstellung“ hat.

 

Wie die Sachverständige in ihrem Gutachten ebenfalls ausgeführt hat, handelt es sich bei Klägerin um eine dysfunktionale chronische Schmerzpatientin mit hoher Schmerzintensität (Seite 9 des Gutachtens). Aus diesem Grunde stellt sich die Frage, ob die Klägerin mit einer zahnärztlichen Behandlung allein überhaupt zufrieden stellend ärztlich versorgt werden kann. Für die hier zu treffende Entscheidung spielt diese Frage allerdings keine Rolle, so dass von weiteren Ausführungen abgesehen wird.

 

d.

Soweit die Klägerin mit Schriftsatz vom 6. Mai 2009 (Bl. 209 d. A.) die Ladung der Sachverständigen zum Termin am 4. Juni 2009 beantragt hat, war dem Antrag nicht zu entsprechen.

 

Den Ausführungen in dem Schriftsatz lässt sich in keiner Weise entnehmen, in welcher Richtung Klärungsbedarf bei der Klägerin bestanden hat, vielmehr findet sich der Antrag am Ende des Schriftsatzes ohne jegliche Erläuterung dazu.

 

Das Recht einer Partei, den Sachverständigen mündlich zu befragen, besteht zwar grundsätzlich uneingeschränkt und zwar auch dann, wenn das Gericht die schriftliche Begutachtung für ausreichend und überzeugend hält und deshalb selbst keinen Erläuterungsbedarf sieht. Allerdings muss die Partei zumindest allgemein angeben, in welcher Richtung sie durch ihre Fragen eine weitere Aufklärung herbeizuführen wünscht, auch wenn es ist nicht erforderlich ist, die Fragen schon konkret zu formulieren (BGH NJW-RR 2003, 208 [209, II.1.] unter Bezug auf BGHZ 24, 9 [14f.] = NJW 1957, 870). Dieses (eingeschränkte) Begründungserfordernis ergibt sich aus § 411 Abs. 4 ZPO und trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die Prozessbeteiligten angemessen vorbereiten können müssen.

 

e.

Soweit die Klägerin geltend macht, sie habe eine Reihe von Zahnärzten aufgesucht, es habe sich jedoch niemand bereit gefunden, sie zu behandeln, kann dieses als wahr unterstellt werden, ohne dass deswegen eine andere Entscheidung zu treffen wäre.

 

Zum einen ergibt sich angesichts der Vielzahl der funktionsanalytisch tätigen Zahnärzte in Berlin und Brandenburg (vgl. die von der Zahnärztekammer Berlin mit Schreiben vom 13. Oktober 2008, Bl. 151 d.A., eingereichte Liste) hieraus noch nicht, dass es überhaupt keinen Zahnarzt gibt, der sich in der Lage sieht, die Klägerin zu betreuen.

 

Unabhängig davon kann es nicht dem Beklagten im Sinne eines Schuldvorwurfs angelastet werden, wenn sich unter den von der Klägerin angesprochenen Zahnärzten – aus welchen Gründen auch immer - keiner bereit erklärt hat, die Behandlung der Klägerin zu übernehmen. Dass dieses - jedenfalls aus objektiver Sicht - nicht auf rein fachlichen Gründen beruhen kann, ist von der Sachverständigen Dr. P. überzeugend ausgeführt worden. Danach ist die Behandlung der Klägerin aufgrund ihrer besonderen Gebissproblematik zwar insofern „schwierig“, als der Zahnarzt in gewisser Weise „Neuland“ betritt, aber in fachlicher Hinsicht zu bewältigen. Wird gleichwohl eine Behandlung der Klägerin abgelehnt, begründet dieses Verhalten für den Beklagten keinen Kontrahierungszwang in Bezug auf die Klägerin und folglich auch keine Schadensersatzverpflichtung. Dieses könnte nur bei einer „Monopolstellung“ des Beklagten in fachlicher Hinsicht sein, was - wie ausgeführt - nicht der Fall ist.

 

2.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu klären waren, sondern die Entscheidung auf einer Tatsachenwürdigung im Einzelfall beruht und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (vgl. § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

 

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.


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