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Kopftuchverbot am Arbeitsplatz

 | Gericht:  Europäischer Gerichtshof (EuGH)  | Aktenzeichen: C-804/18 und C-341/19, C-804/18, C-341/19 | Entscheidung:  Urteil
Kategorie:  Arbeitsrecht

Urteilstext

Tenor

1. Art. 1 und Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sind dahin auszulegen, dass eine interne Regel eines Unternehmens, die den Arbeitnehmern das Tragen jedes sichtbaren Zeichens politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz verbietet, gegenüber Arbeitnehmern, die aufgrund religiöser Gebote bestimmte Bekleidungsregeln befolgen, keine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung im Sinne dieser Richtlinie darstellt, sofern diese Regel allgemein und unterschiedslos angewandt wird.

2. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78 ist dahin auszulegen, dass eine mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung, die sich aus einer internen Regel eines Unternehmens ergibt, die den Arbeitnehmern das Tragen jedes sichtbaren Zeichens politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz verbietet, mit dem Willen des Arbeitgebers gerechtfertigt werden kann, eine Politik politischer, weltanschaulicher und religiöser Neutralität gegenüber seinen Kunden oder Nutzern zu verfolgen, sofern erstens diese Politik einem wirklichen Bedürfnis des Arbeitgebers entspricht, das der Arbeitgeber unter Berücksichtigung insbesondere der berechtigten Erwartungen dieser Kunden oder Nutzer und der nachteiligen Konsequenzen, die der Arbeitgeber angesichts der Art seiner Tätigkeit oder des Umfelds, in dem sie ausgeübt wird, ohne eine solche Politik zu tragen hätte, nachzuweisen hat, zweitens die Ungleichbehandlung geeignet ist, die ordnungsgemäße Anwendung des Neutralitätsgebots zu gewährleisten, was voraussetzt, dass diese Politik konsequent und systematisch befolgt wird, und drittens das Verbot auf das beschränkt ist, was im Hinblick auf den tatsächlichen Umfang und die tatsächliche Schwere der nachteiligen Konsequenzen, denen der Arbeitgeber durch ein solches Verbot zu entgehen sucht, unbedingt erforderlich ist.

3. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie 2000/78 ist dahin auszulegen, dass eine mittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, die sich aus einer internen Regel eines Unternehmens ergibt, die es verbietet, am Arbeitsplatz sichtbare Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen zu tragen, um eine Neutralitätspolitik in diesem Unternehmen sicherzustellen, nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn dieses Verbot jede sichtbare Ausdrucksform politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen umfasst. Ein auf das Tragen auffälliger großflächiger Zeichen beschränktes Verbot kann eine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung darstellen, die jedenfalls auf der Grundlage dieser Vorschrift nicht gerechtfertigt sein kann.

4. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78 ist dahin auszulegen, dass nationale Vorschriften, die die Religionsfreiheit schützen, bei der Prüfung der Frage, ob eine mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung angemessen ist, als günstigere Vorschriften im Sinne von Art. 8 Abs. 1 dieser Richtlinie berücksichtigt werden dürfen.

Gründe

Urteil

Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a und b, Art. 4 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16) sowie der Art. 10 und 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

Das Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache C-​804/18 ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen IX und ihrem Arbeitgeber, dem WABE e. V. (im Folgenden: WABE), einem in Deutschland eingetragenen Verein, der eine große Anzahl von Kindertagesstätten betreibt, wegen der Freistellung von IX nach ihrer Weigerung, sich an das von WABE aufgestellte Verbot zu halten, wonach die Mitarbeiter am Arbeitsplatz keine sichtbaren Zeichen ihrer politischen, weltanschaulichen oder religiösen Überzeugungen tragen dürfen, wenn sie Kontakt mit den Eltern oder deren Kindern haben.

Das Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache C-​341/19 ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der MH Müller Handels GmbH (im Folgenden: MH), einer Gesellschaft, die in Deutschland eine Kette von Drogerien betreibt, und ihrer Angestellten MJ über die Rechtmäßigkeit der MJ von MH erteilten Weisung, am Arbeitsplatz keine auffälligen großflächigen Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Art zu tragen.

 Rechtlicher Rahmen

Richtlinie 2000/78

In den Erwägungsgründen 1, 4, 11 und 12 der Richtlinie 2000/78 heißt es:

„(1) Nach Artikel 6 Absatz 2 [EUV] beruht die Europäische Union auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit; diese Grundsätze sind allen Mitgliedstaaten gemeinsam. Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der [am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten] Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des [Unions]rechts ergeben.

...

(4) Die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz und der Schutz vor Diskriminierung ist ein allgemeines Menschenrecht; dieses Recht wurde in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, im VN-​Übereinkommen zur Beseitigung aller Formen der Diskriminierung von Frauen, im Internationalen Pakt der VN über bürgerliche und politische Rechte, im Internationalen Pakt der VN über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten anerkannt, die von allen Mitgliedstaaten unterzeichnet wurden. Das Übereinkommen 111 der Internationalen Arbeitsorganisation untersagt Diskriminierungen in Beschäftigung und Beruf.

...

(11) Diskriminierungen wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung können die Verwirklichung der im [AEU]-​Vertrag festgelegten Ziele unterminieren, insbesondere die Erreichung eines hohen Beschäftigungsniveaus und eines hohen Maßes an sozialem Schutz, die Hebung des Lebensstandards und der Lebensqualität, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt, die Solidarität sowie die Freizügigkeit.

(12) Daher sollte jede unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in den von der Richtlinie abgedeckten Bereichen [unions]weit untersagt werden. ...“

Art. 1 dieser Richtlinie bestimmt:

„Zweck dieser Richtlinie ist die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten.“

Art. 2 der Richtlinie sieht vor:

„(1) Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet ,Gleichbehandlungsgrundsatz‘, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe geben darf.

(2) Im Sinne des Absatzes 1

a) liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde;

b) liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung, einer bestimmten Behinderung, eines bestimmten Alters oder mit einer bestimmten sexuellen Ausrichtung gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn:

i) diese Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt, und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich, …

...

(5) Diese Richtlinie berührt nicht die im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Maßnahmen, die in einer demokratischen Gesellschaft für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit, die Verteidigung der Ordnung und die Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.“

Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:

„Im Rahmen der auf die [Union] übertragenen Zuständigkeiten gilt diese Richtlinie für alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen, einschließlich öffentlicher Stellen, in Bezug auf

...

c) die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Entlassungsbedingungen und des Arbeitsentgelts;

...“

 Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 lautet:

„Die Mitgliedstaaten können Vorschriften einführen oder beibehalten, die im Hinblick auf die Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes günstiger als die in dieser Richtlinie vorgesehenen Vorschriften sind.”

 Deutsches Recht 

 Grundgesetz

 Art. 4 Abs. 1 und 2 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (BGBl. 1949 I S. 1, im Folgenden: GG) bestimmt:

„(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“

 Art. 6 Abs. 2 GG sieht vor:

„Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“

 Art. 7 Abs. 1 bis 3 GG lautet:

„(1) Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.

(2) Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen.

(3) Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.“

  Art. 12 GG bestimmt:

„(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.

...“

 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

  Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz vom 14. August 2006 (BGBl. 2006 I S. 1897, im Folgenden: AGG) soll die Richtlinie 2000/78 in deutsches Recht umsetzen.

  § 1 AGG, in dem das Ziel dieses Gesetzes bestimmt wird, lautet:

„Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.“

§ 2 Abs. 1 AGG bestimmt:

„Benachteiligungen aus einem in § 1 genannten Grund sind nach Maßgabe dieses Gesetzes unzulässig in Bezug auf:

1. die Bedingungen, einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, für den Zugang zu unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, sowie für den beruflichen Aufstieg,

2. die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingungen, insbesondere in individual- und kollektivrechtlichen Vereinbarungen und Maßnahmen bei der Durchführung und Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses sowie beim beruflichen Aufstieg,

...

§ 3 Abs. 1 und 2 AGG sieht vor:

„(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.“

  § 7 Abs. 1 bis 3 AGG bestimmt:

„(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.

(2) Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des Absatzes 1 verstoßen, sind unwirksam.

(3) Eine Benachteiligung nach Absatz 1 durch Arbeitgeber oder Beschäftigte ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten.“

§ 8 Abs. 1 AGG lautet:

„Eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 genannten Grundes ist zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.“

§ 15 AGG sieht vor:

„(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

(3) Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.“

Bürgerliches Gesetzbuch

Nach § 134 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist „[e]in Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ... nichtig, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt“.

Gewerbeordnung

§ 106 der Gewerbeordnung (im Folgenden: GewO) bestimmt:

„Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Dies gilt auch hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Bei der Ausübung des Ermessens hat der Arbeitgeber auch auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

Rechtssache C-​804/18

WABE betreibt eine große Anzahl von Kindertagesstätten in Deutschland, die mehr als 600 Arbeitnehmer beschäftigen und etwa 3 500 Kinder aufnehmen. Der Verein erklärt, überparteilich und überkonfessionell zu sein.

Aus dem Vorabentscheidungsersuchen in dieser Rechtssache geht hervor, dass WABE in seiner täglichen Arbeit der im März 2012 von der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration der Stadt Hamburg (Deutschland) veröffentlichten Hamburger Bildungsempfehlung für die Bildung und Erziehung von Kindern in Tageseinrichtungen folgt und diese uneingeschränkt teilt. In diesen Empfehlungen heißt es u. a., dass „[a]lle Kindertageseinrichtungen ... die Aufgabe [haben], grundsätzliche ethische Fragen sowie religiöse und andere Weltanschauungen als Teil der Lebenswelt aufzugreifen und verständlich zu machen. Kitas geben daher Raum dafür, dass Kinder sich mit den Sinnfragen nach Freude und Leid, Gesundheit und Krankheit, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, Schuld und Versagen, Frieden und Streit und mit der Frage nach Gott auseinandersetzen. Sie unterstützen die Kinder darin, Empfindungen und Überzeugungen zu diesen Fragen einzubringen. Die Möglichkeit zu einer neugierigen, forschenden Auseinandersetzung mit diesen Fragen führt zur Beschäftigung mit Inhalten und Traditionen der in der Kindergruppe vertretenen religiösen und kulturellen Orientierungen. Auf diese Weise entwickeln sich Wertschätzung und Respekt gegenüber anderen Religionen, Kulturen und Weltanschauungen. Diese Auseinandersetzung stärkt das Kind in seinem Selbstverständnis und im Erleben einer funktionierenden Gesellschaft. Hierzu gehört auch, die Kinder religiös verwurzelte Feste im Jahresablauf erleben und aktiv gestalten zu lassen. In der Begegnung mit anderen Religionen erfahren Kinder unterschiedliche Formen der Besinnlichkeit, des Glaubens und der Spiritualität.“

IX ist Heilerziehungspflegerin und seit dem Jahr 2014 bei WABE beschäftigt. Sie entschied sich Anfang 2016, das islamische Kopftuch zu tragen. Vom 15. Oktober 2016 bis 30. Mai 2018 war sie in Elternzeit.

Im März 2018 erließ WABE die „Dienstanweisung zur Einhaltung des Neutralitätsgebots“, die in seinen Einrichtungen zur Anwendung kommen sollte. Von dieser Dienstanweisung nahm IX am 31. Mai 2018 Kenntnis. Laut dieser Dienstanweisung „ist [WABE] überkonfessionell und begrüßt ausdrücklich die Religions- und Kulturvielfalt. Um eine individuelle und freie Entwicklung der Kinder im Hinblick auf Religion, Weltanschauung und Politik zu gewährleisten, sind die Mitarbeiter ... dazu angehalten, das geltende Neutralitätsgebot gegenüber Eltern, Kindern und anderen Dritten strikt einzuhalten. [WABE] verfolgt diesen gegenüber eine Politik der politischen, weltanschaulichen und religiösen Neutralität.“ Für die Beschäftigten von WABE in der Unternehmenszentrale gelten die Vorgaben des Neutralitätsgebots – mit Ausnahme der pädagogischen Fachberatung – nicht, da diese keinen Kundenkontakt haben. In diesem Zusammenhang dienen die nachfolgenden Regelungen „als Grundsätze für die konkrete Einhaltung des Neutralitätsgebots am Arbeitsplatz.

–Die Mitarbeiter geben am Arbeitsplatz keine politischen, weltanschaulichen oder religiösen äußeren Bekundungen gegenüber Eltern, Kindern und Dritten ab.

–Die Mitarbeiter tragen gegenüber Eltern, Kindern und Dritten am Arbeitsplatz keine sichtbaren Zeichen ihrer politischen, weltanschaulichen oder religiösen Überzeugungen.

–Die Mitarbeiter bringen am Arbeitsplatz keine sich daraus ergebenden Riten gegenüber Eltern, Kindern und Dritten zum Ausdruck.“

 Im „Informationsblatt zum Neutralitätsgebot“ von WABE heißt es zu der Frage, ob christliches Kreuz, muslimisches Kopftuch oder jüdische Kippa getragen werden dürfen: „Nein, da die Kinder hinsichtlich einer Religion nicht von den Pädagogen beeinflusst werden sollen, ist dies nicht gestattet. Die bewusste Wahl einer religiös oder weltanschaulich bestimmten Kleidung steht im Widerspruch zum Neutralitätsgebot.“

Am 1. Juni 2018 erschien IX an ihrem Arbeitsplatz mit einem islamischen Kopftuch. Da sie es ablehnte, dieses Kopftuch abzunehmen, wurde sie von der Leiterin der Einrichtung vorerst von der Arbeit freigestellt.

Am 4. Juni 2018 erschien IX erneut mit einem islamischen Kopftuch bekleidet an ihrem Arbeitsplatz. Ihr wurde eine auf dasselbe Datum datierte Abmahnung übergeben, mit der sie für das Tragen des Kopftuchs am 1. Juni 2018 abgemahnt und mit Hinweis auf das Neutralitätsgebot aufgefordert wurde, ihre Arbeit zukünftig ohne Kopftuch zu verrichten. Da sich IX erneut weigerte, dieses Kopftuch abzulegen, wurde sie nach Hause geschickt und vorerst freigestellt. Sie erhielt eine weitere Abmahnung vom selben Tage.

Im gleichen Zeitraum erwirkte WABE im Fall einer Mitarbeiterin, die ein Kreuz als Halskette trug, dass diese ihre Kette ablegte.

IX erhob beim vorlegenden Gericht Klage mit dem Antrag, WABE zu verurteilen, die Abmahnungen wegen des Tragens des islamischen Kopftuchs aus ihrer Personalakte zu entfernen. Zur Begründung ihrer Klage macht sie erstens geltend, dass sich das Verbot des sichtbaren Tragens von Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Art trotz seines allgemeinen Charakters unmittelbar auf das Tragen des islamischen Kopftuchs richte und daher eine unmittelbare Diskriminierung darstelle, zweitens, dass dieses Verbot ausschließlich Frauen betreffe und daher auch im Hinblick auf das Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts zu prüfen sei, und drittens, dass dieses Verbot überproportional häufig Frauen mit Migrationshintergrund betreffe, so dass es auch eine Diskriminierung wegen der ethnischen Herkunft darstellen könne. Außerdem habe das Bundesverfassungsgericht (Deutschland) entschieden, dass das Verbot, das islamische Kopftuch in einer Kinderbetreuungseinrichtung zu tragen, einen schwerwiegenden Eingriff in die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit darstelle und, um zulässig zu sein, an eine belegte und konkrete Gefahr anknüpfen müsse. Schließlich stehe auch das Urteil vom 14. März 2017, G4S Secure Solutions (C-​157/15, EU:C:2017:203), dem Antrag auf Entfernung der Abmahnungen nicht entgegen. In diesem Urteil habe der Gerichtshof nämlich lediglich unionsrechtliche Mindeststandards gesetzt, so dass der in Deutschland erreichte Diskriminierungsschutz durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 4 Abs. 1 GG und durch § 8 AGG nicht gesenkt werden müsse.

WABE beantragt beim vorlegenden Gericht, die Klage abzuweisen. Zur Begründung trägt er u. a. vor, dass die interne Regelung, die das sichtbare Tragen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Symbole verbiete, mit § 106 Satz 1 GewO in Verbindung mit § 7 Abs. 1 bis 3 AGG in Einklang stehe und dass diese nationalen Vorschriften unionsrechtskonform auszulegen seien. Nach dem Urteil vom 14. März 2017, G4S Secure Solutions (C-​157/15, EU:C:2017:203), könne ein privater Arbeitgeber eine Neutralitätspolitik innerhalb des Unternehmens durchsetzen, solange er diese Politik kohärent und systematisch verfolge und auf diejenigen Arbeitnehmer beschränke, die im Kontakt zu Kunden stünden. Eine mittelbare Diskriminierung liege nicht vor, wenn die betreffende Vorschrift durch ein rechtmäßiges Ziel, wie beispielsweise den Willen des Arbeitgebers, im Rahmen der Kundenkontakte eine Politik der Neutralität zu verfolgen, sachlich gerechtfertigt sei und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich seien. Dies sei hier der Fall. Im Übrigen könne IX nicht auf eine Stelle versetzt werden, die keinen Kontakt mit Kindern und Eltern beinhalte, da eine solche Stelle nicht ihren Fähigkeiten und Qualifikationen entspräche. Mit seinem Urteil vom 14. März 2017, G4S Secure Solutions (C-​157/15, EU:C:2017:203), habe der Gerichtshof die Gewichtung der Grundrechte nach der Charta im Fall eines arbeitgeberseitigen Neutralitätsgebots abschließend vorgenommen. Da § 3 Abs. 2 AGG der Durchführung von Unionsrecht diene, sei eine andere Gewichtung der Religionsfreiheit – wie die durch das Bundesverfassungsgericht vorgenommene – durch deutsche Gerichte nicht möglich, ohne dass gegen den Vorrang des Unionsrechts und den Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung verstoßen werde. Im Übrigen sei, selbst wenn für die Einschränkung der Religionsfreiheit das Vorliegen einer konkreten Gefahr oder eines konkreten wirtschaftlichen Nachteils dargetan werden müsste, dieser Nachweis im vorliegenden Fall erbracht, da sich aus den Einträgen der Klägerin des Ausgangsverfahrens auf ihrem privaten Profil bei einem sozialen Netzwerk ergebe, dass sie mit ihrem Verhalten Dritte gezielt und bewusst beeinflussen möchte.

In Anbetracht dieser Argumente ist das vorlegende Gericht der Ansicht, dass IX im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 unmittelbar wegen der Religion diskriminiert worden sein könnte, weil die ungünstige Behandlung, die sie erfahren habe, nämlich die Abmahnung, an das geschützte Merkmal der Religion anknüpfe.

Für den Fall, dass keine unmittelbare Diskriminierung vorliege, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob eine Neutralitätspolitik eines Unternehmens eine mittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder, da das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verbot in der weit überwiegenden Zahl der Fälle Frauen betreffe, eine mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts darstellen könne. In diesem Zusammenhang fragt es sich, ob eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion und/oder des Geschlechts durch eine Neutralitätspolitik gerechtfertigt sein könne, die festgelegt worden sei, um die Wünsche von Kunden zu berücksichtigen. Im Übrigen möchte das vorlegende Gericht im Fall einer mittelbaren Ungleichbehandlung wegen der Religion klären, ob es bei der Prüfung der Angemessenheit einer solchen Ungleichbehandlung die in Art. 4 Abs. 1 GG vorgesehenen Voraussetzungen als günstigere Bestimmung im Sinne von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 berücksichtigen könne.

Vor diesem Hintergrund hat das Arbeitsgericht Hamburg (Deutschland) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Benachteiligt eine einseitige Weisung des Arbeitgebers, die das Tragen jedes sichtbaren Zeichens politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen verbietet, Beschäftigte, die aufgrund religiöser Bedeckungsgebote bestimmte Bekleidungsregeln befolgen, im Sinne von Art. 2 Abs. 1 und 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 unmittelbar wegen ihrer Religion?

2. Benachteiligt eine einseitige Weisung des Arbeitgebers, die das Tragen jedes sichtbaren Zeichens politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen verbietet, eine Arbeitnehmerin, die wegen ihres muslimischen Glaubens ein Kopftuch trägt, im Sinne von Art. 2 Abs. 1 und 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78 mittelbar wegen der Religion und/oder wegen des Geschlechts?

Insbesondere:

a) Kann nach der Richtlinie 2000/78 eine mittelbare Benachteiligung wegen der Religion und/oder wegen des Geschlechts auch dann mit dem subjektiven Wunsch des Arbeitgebers, eine Politik politischer, weltanschaulicher und religiöser Neutralität zu verfolgen, gerechtfertigt werden, wenn der Arbeitgeber damit den subjektiven Wünschen seiner Kund*innen entsprechen möchte?

b) Stehen die Richtlinie 2000/78 und/oder das Grundrecht der unternehmerischen Freiheit nach Art. 16 der Charta angesichts Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 einer nationalen Regelung entgegen, nach der zum Schutz des Grundrechts der Religionsfreiheit ein Verbot religiöser Bekleidung nicht schon aufgrund einer abstrakten Eignung zur Gefährdung der Neutralität des Arbeitgebers, sondern nur aufgrund einer hinreichend konkreten Gefahr, insbesondere eines konkret drohenden wirtschaftlichen Nachteils für den Arbeitgeber oder einen betroffenen Dritten gerechtfertigt werden kann?

Rechtssache C-​341/19

MJ ist seit 2002 als Verkaufsberaterin und Kassiererin bei einer der Filialen von MH beschäftigt. Seit 2014 trägt sie ein islamisches Kopftuch. Da sie der Aufforderung von MH, das Kopftuch an ihrem Arbeitsplatz abzulegen, nicht nachkam, wurde ihr eine andere Stelle zugewiesen, die es ihr erlaubte, das Kopftuch zu tragen. Im Juni 2016 forderte MH sie erneut auf, das Kopftuch abzulegen. Nachdem MJ sich weigerte, dieser Aufforderung nachzukommen, wurde sie nach Hause geschickt. Im Juli 2016 erhielt sie von MH die Weisung, ohne auffällige großflächige Zeichen religiöser, politischer oder weltanschaulicher Überzeugungen an ihrem Arbeitsplatz zu erscheinen.

MJ erhob vor den nationalen Gerichten Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der fraglichen Weisung sowie auf Ersatz des erlittenen Schadens. Zur Begründung ihrer Klage berief sich MJ auf ihre durch das Grundgesetz geschützte Religionsfreiheit und machte dabei geltend, dass der von MH angestrebten Neutralitätspolitik kein unbedingter Vorrang vor der Religionsfreiheit zukomme und einer Verhältnismäßigkeitsprüfung unterzogen werden müsse. MH machte geltend, dass seit Juli 2016 für alle ihre Verkaufsfilialen die Regel gelte, dass das Tragen auffälliger großflächiger Zeichen religiöser, politischer und sonstiger weltanschaulicher Zeichen am Arbeitsplatz verboten sei (im Folgenden: interne Leitlinie). Ziel dieser Leitlinie sei es, innerhalb des Unternehmens Neutralität zu wahren und damit Konflikte zwischen Beschäftigten zu vermeiden. Solche Konflikte, die auf die unterschiedlichen Religionen und Kulturen im Unternehmen zurückzuführen seien, habe es in der Vergangenheit schon mehrfach gegeben.

Nachdem die vorinstanzlichen Gerichte der Klage von MJ stattgegeben hatten, legte MH Revision zum Bundesarbeitsgericht (Deutschland) ein; dabei brachte sie ebenfalls vor, dass sich aus dem Urteil vom 14. März 2017, G4S Secure Solutions (C-​157/15, EU:C:2017:203), ergebe, dass es für die wirksame Anwendung eines Bekundungsverbots nicht erforderlich sei, den Eintritt eines konkreten wirtschaftlichen Nachteils oder das Ausbleiben von Kunden darzutun. So habe der Gerichtshof der durch Art. 16 der Charta geschützten unternehmerischen Freiheit größeres Gewicht beigemessen als der Religionsfreiheit. Ein abweichendes Ergebnis könne durch nationale Grundrechte nicht gerechtfertigt werden.

Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass es, um den bei ihm anhängigen Rechtsstreit entscheiden zu können, die Rechtmäßigkeit der von MH an MJ gerichteten Weisung und der internen Leitlinie im Hinblick auf die Schranken des Weisungsrechts des Arbeitgebers nach § 106 Satz 1 GewO prüfen müsse. So führt das vorlegende Gericht aus, es werde erstens prüfen müssen, ob diese Weisung und die ihr zugrunde liegende interne Leitlinie eine Ungleichbehandlung im Sinne von § 3 AGG darstellten und diese Ungleichbehandlung zu einer unzulässigen Benachteiligung führe. Wahre diese Weisung die rechtlichen Rahmenbedingungen, sei weiter erforderlich, dass sie billigem Ermessen entspreche, was nach Ansicht des vorlegenden Gerichts eine Abwägung der wechselseitigen Interessen u. a. nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte verlange. In die Abwägung seien alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen.

Im vorliegenden Fall ist das vorlegende Gericht der Auffassung, dass mit der internen Leitlinie von MH, die den Charakter einer allgemeinen Regel habe, eine mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion im Sinne von § 3 Abs. 2 AGG und Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78 verbunden sei. MJ werde nämlich in besonderer Weise gegenüber anderen Beschäftigten wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes diskriminiert, da Agnostiker ihre Überzeugung systematisch seltener nach außen durch spezifische Bekleidung, Schmuckstücke oder Aufkleber ausdrückten als Menschen, die einen bestimmten Glauben oder eine bestimmte Weltanschauung verfolgten. Um festzustellen, ob diese Ungleichbehandlung eine unzulässige mittelbare Diskriminierung im Sinne von § 3 Abs. 2 AGG darstelle, sei jedoch noch die Frage zu beantworten, ob nur ein vollständiges Verbot, das jede sichtbare Ausdrucksform der politischen, weltanschaulichen oder religiösen Überzeugungen erfasse, geeignet sei, das mit einer innerhalb des Unternehmens verfolgten Neutralitätspolitik verfolgte Ziel zu erreichen, oder ob – wie im Ausgangsverfahren – auch ein auf auffällige großflächige Zeichen beschränktes Verbot dafür genügte, solange es in kohärenter und systematischer Weise durchgesetzt werde. In der Rechtsprechung des Gerichtshofs, insbesondere in den Urteilen vom 14. März 2017, G4S Secure Solutions (C-​157/15, EU:C:2017:203), sowie vom 14. März 2017, Bougnaoui und ADDH (C-​188/15, EU:C:2017:204), werde diese Frage jedoch nicht beantwortet.

Sollte die letztgenannte Einschränkung als ausreichend angesehen werden, stelle sich die Frage, ob das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verbot, das erforderlich erscheine, im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie 2000/78 angemessen sei. Das vorlegende Gericht fragt sich insoweit, ob im Rahmen der Prüfung der Angemessenheit dieses Verbots eine Abwägung der in Art. 16 der Charta einerseits und in Art. 10 der Charta andererseits verankerten Rechte vorzunehmen ist oder ob diese Abwägung erst zum Zeitpunkt der Anwendung der allgemeinen Regel im Einzelfall, beispielsweise bei einer Weisung an den Arbeitnehmer oder bei Ausspruch einer Kündigung, zu erfolgen habe. Falls der Schluss gezogen werden sollte, dass die widerstreitenden Rechte, die sich aus der Charta und der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) ergeben, im Rahmen der Prüfung der Angemessenheit des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verbots im engeren Sinn keine Berücksichtigung finden können, stelle sich die weitere Frage, ob nationales Recht von Verfassungsrang, insbesondere die durch Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG geschützte Glaubens- und Bekenntnisfreiheit, eine günstigere Regelung im Sinne von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 darstellen könne.

Schließlich sei noch zu prüfen, ob das Unionsrecht – im vorliegenden Fall Art. 16 der Charta – die Möglichkeit ausschließe, die durch das nationale Recht geschützten Grundrechte im Rahmen der Prüfung der Gültigkeit einer Weisung eines Arbeitgebers zu berücksichtigen. Insbesondere stelle sich die Frage, ob sich ein Einzelner, wie beispielsweise ein Arbeitgeber, im Rahmen eines ausschließlich zwischen Privaten geführten Rechtsstreits auf Art. 16 der Charta berufen könne.

Unter diesen Umständen hat das Bundesarbeitsgericht (Deutschland) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Kann eine festgestellte mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78 aufgrund einer internen Regel eines privaten Unternehmens nur dann angemessen sein, wenn nach dieser Regel das Tragen jeglicher sichtbarer und nicht nur das Tragen auffälliger großflächiger Zeichen religiöser, politischer und sonstiger weltanschaulicher Überzeugungen verboten ist?

2. Sofern die erste Frage verneint wird:

a) Ist Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen, dass die Rechte aus Art. 10 der Charta und Art. 9 EMRK in der Prüfung berücksichtigt werden dürfen, ob eine festgestellte mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion aufgrund einer internen Regel eines privaten Unternehmens angemessen ist, die das Tragen auffälliger großflächiger Zeichen religiöser, politischer und sonstiger weltanschaulicher Überzeugungen verbietet?

b) Ist Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen, dass nationale Regelungen von Verfassungsrang, die die Religionsfreiheit schützen, als günstigere Vorschriften im Sinne von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 in der Prüfung berücksichtigt werden dürfen, ob eine festgestellte mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion aufgrund einer internen Regel eines privaten Unternehmens angemessen ist, die das Tragen auffälliger großflächiger Zeichen religiöser, politischer und sonstiger weltanschaulicher Überzeugungen verbietet?

3. Sofern die zweite Frage Buchst. a und die zweite Frage Buchst. b verneint werden:

Müssen nationale Regelungen von Verfassungsrang, die die Religionsfreiheit schützen, in der Prüfung einer Weisung aufgrund einer internen Regel eines privaten Unternehmens, die das Tragen auffälliger großflächiger Zeichen religiöser, politischer und sonstiger weltanschaulicher Überzeugungen verbietet, wegen primären Unionsrechts unangewendet bleiben, auch wenn primäres Unionsrecht, wie zum Beispiel Art. 16 der Charta, einzelstaatliche Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten anerkennt?

Zu den Vorlagefragen  

Zur ersten Frage in der Rechtssache C-​804/18

 Mit seiner ersten Frage in der Rechtssache C-​804/18 möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 1 und Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen sind, dass eine interne Regel eines Unternehmens, die den Arbeitnehmern das Tragen jedes sichtbaren Zeichens politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz verbietet, gegenüber Arbeitnehmern, die aufgrund religiöser Gebote bestimmte Bekleidungsregeln befolgen, eine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung im Sinne dieser Richtlinie darstellt.

Um diese Frage zu beantworten ist daran zu erinnern, dass nach Art. 1 der Richtlinie 2000/78 deren Zweck in der Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten besteht. Nach Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie „bedeutet ‚Gleichbehandlungsgrundsatz‘, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe geben darf“. Nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie liegt eine unmittelbare Diskriminierung im Sinne von deren Art. 2 Abs. 1 vor, wenn eine Person wegen eines der in Art. 1 der Richtlinie genannten Gründe, zu denen die Religion oder die Weltanschauung gehören, in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.

Zum Begriff „Religion“ im Sinne von Art. 1 der Richtlinie 2000/78 hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass er dahin auszulegen ist, dass er sowohl das forum internum, d. h. die Tatsache, religiöse Überzeugungen zu haben, als auch das forum externum, d. h. die öffentliche Äußerung des religiösen Glaubens, umfasst (Urteil vom 14. März 2017, G4S Secure Solutions, C-​157/15, EU:C:2017:203, Rn. 28), wobei diese Auslegung derjenigen des gleichen Begriffs in Art. 10 Abs. 1 der Charta entspricht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Dezember 2020, Centraal Israëlitisch Consistorie van België u. a., C-​336/19, EU:C:2020:1031, Rn. 52).

Das Tragen von Zeichen oder Kleidung zur Bekundung der eigenen Religion oder Überzeugung fällt unter die „Gedanken-​, Gewissens- und Religionsfreiheit“, die durch Art. 10 der Charta geschützt ist. Es ist nicht die Sache des Gerichtshofs, eine Beurteilung des Inhalts der religiösen Gebote selbst vorzunehmen.

In diesem Zusammenhang ist hinzuzufügen, dass in Art. 1 der Richtlinie 2000/78 die Religion wie auch die Weltanschauung gleichermaßen angeführt wird, in Übereinstimmung mit Art. 19 AEUV, wonach der Unionsgesetzgeber Vorkehrungen treffen kann, um Diskriminierungen aus Gründen u. a. „der Religion oder der Weltanschauung“ zu bekämpfen, oder mit Art. 21 der Charta, der unter den verschiedenen in dieser Vorschrift aufgeführten Diskriminierungsgründen die „Religion oder [die] Weltanschauung“ nennt. Daraus folgt, dass für die Zwecke der Anwendung der Richtlinie 2000/78 die Begriffe „Religion“ und „Weltanschauung“ die zwei Seiten ein und desselben Diskriminierungsgrundes sind. Wie aus Art. 21 der Charta hervorgeht, ist der Diskriminierungsgrund der Religion oder der Weltanschauung von dem Grund der „politischen oder sonstigen Anschauung“ zu unterscheiden und umfasst somit sowohl religiöse als auch weltanschauliche oder spirituelle Überzeugungen.

Hinzuzufügen ist auch, dass das in Art. 10 Abs. 1 der Charta verankerte Recht auf Gewissens- und Religionsfreiheit, das integraler Bestandteil des für die Auslegung der Richtlinie 2000/78 maßgeblichen Kontexts ist, dem in Art. 9 EMRK garantierten Recht entspricht und nach Art. 52 Abs. 3 der Charta die gleiche Bedeutung und Tragweite hat wie dieses (Urteil vom 14. März 2017, G4S Secure Solutions, C-​157/15, EU:C:2017:203, Rn. 27). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) stellt das in Art. 9 EMRK verankerte Recht auf Gedanken-​, Gewissens- und Religionsfreiheit „einen der Grundpfeiler einer ‚demokratischen Gesellschaft‘ im Sinne [dieser Konvention] dar und bildet „in seiner religiösen Dimension eines der lebenswichtigen Elemente, die die Identität der Gläubigen und ihre Lebensauffassung mitformen“, sowie „ein wertvolles Gut für Atheisten, Agnostiker, Skeptiker und Gleichgültige“, und trägt bei zum „Pluralismus, der – im Lauf der Jahrhunderte teuer erkämpft – für die demokratische Gesellschaft von wesentlicher Bedeutung ist“ (EGMR, 15. Februar 2001, Dahlab/Schweiz, CE:ECHR:2001:0215DEC004239398).

Im Übrigen ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass mit der Bezugnahme auf – zum einen – die Diskriminierung „wegen“ eines der in Art. 1 der Richtlinie 2000/78 genannten Gründe und – zum anderen – eine weniger günstige Behandlung „wegen“ eines dieser Gründe sowie mit den Begrifflichkeiten „andere Person“ und „andere Personen“ der Wortlaut und der Kontext von Art. 2 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie nicht den Schluss zulassen, dass mit Blick auf den in ihrem Art. 1 genannten geschützten Grund der Religion oder der Weltanschauung das von der Richtlinie vorgesehene Diskriminierungsverbot allein auf Ungleichbehandlungen beschränkt wäre, die zwischen Personen, die einer Religion oder Weltanschauung anhängen, und Personen, die nicht einer Religion oder Weltanschauung anhängen, bestehen. Aus dem Ausdruck „wegen“ ergibt sich demgegenüber, dass eine Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung im Sinne der Richtlinie 2000/78 nur dann festgestellt werden kann, wenn die fragliche weniger günstige Behandlung oder besondere Benachteiligung in Abhängigkeit von der Religion oder der Weltanschauung erfahren wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Januar 2021, Szpital Kliniczny im. dra J. Babińskiego Samodzielny Publiczny Zakład Opieki Zdrowotnej w Krakowie, C-​16/19, EU:C:2021:64, Rn. 29).

Im Übrigen spricht das mit der Richtlinie 2000/78 verfolgte Ziel dafür, deren Art. 2 Abs. 1 und 2 dahin auszulegen, dass sie den Kreis der Personen, gegenüber denen ein Vergleich zur Feststellung einer Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung im Sinne dieser Richtlinie vorgenommen werden kann, nicht auf Personen beschränkt, die nicht einer bestimmten Religion oder Weltanschauung anhängen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Januar 2021, Szpital Kliniczny im. dra J. Babińskiego Samodzielny Publiczny Zakład Opieki Zdrowotnej w Krakowie, C-​16/19, EU:C:2021:64, Rn. 31).

Wie sich aus Rn. 44 des vorliegenden Urteils ergibt, soll die Richtlinie 2000/78 nämlich nach ihrem Art. 1 und ausweislich sowohl ihres Titels und ihrer Erwägungsgründe als auch ihres Inhalts und ihrer Zielsetzung einen allgemeinen Rahmen zur Bekämpfung der Diskriminierung u. a. wegen der Religion oder der Weltanschauung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten schaffen, indem sie jeder Person einen wirksamen Schutz vor Diskriminierungen u. a. aus diesem Grund bietet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Januar 2021, Szpital Kliniczny im. dra J. Babińskiego Samodzielny Publiczny Zakład Opieki Zdrowotnej w Krakowie, C-​16/19, EU:C:2021:64, Rn. 32).

Was insbesondere die Frage betrifft, ob eine interne Regel eines privaten Unternehmens, die das Tragen sichtbarer Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz verbietet, eine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 begründet, hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass eine solche Regel keine unmittelbare Diskriminierung darstellt, da sie unterschiedslos für jede Bekundung solcher Überzeugungen gilt und alle Arbeitnehmer des Unternehmens gleichbehandelt, indem ihnen allgemein und undifferenziert u. a. vorgeschrieben wird, sich neutral zu kleiden, was das Tragen solcher Zeichen ausschließt (Urteil vom 14. März 2017, G4S Secure Solutions, C-​157/15, EU:C:2017:203, Rn. 30 und 32). Da nämlich jede Person eine Religion oder eine Weltanschauung haben kann, begründet eine solche Regel, sofern sie allgemein und unterschiedslos angewandt wird, keine Ungleichbehandlung, die auf einem Kriterium beruht, das untrennbar mit der Religion oder der Weltanschauung verbunden ist (vgl. entsprechend zur Diskriminierung wegen einer Behinderung Urteil vom 26. Januar 2021, Szpital Kliniczny im. dra J. Babińskiego Samodzielny Publiczny Zakład Opieki Zdrowotnej w Krakowie, C-​16/19, EU:C:2021:64, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Diese Feststellung wird, wie der Generalanwalt in Nr. 54 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, nicht durch die Erwägung in Frage gestellt, dass einige Arbeitnehmer religiöse Gebote befolgen, die eine bestimmte Bekleidung vorschreiben. Die Anwendung einer internen Regel wie der in Rn. 52 des vorliegenden Urteils genannten kann zwar solchen Arbeitnehmern besondere Unannehmlichkeiten bereiten, doch ändert dies nichts an der in dieser Randnummer getroffenen Feststellung, dass diese Regel, die Ausdruck einer Politik der politischen, weltanschaulichen und religiösen Neutralität des Arbeitgebers ist, grundsätzlich keine Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern einführt, die auf einem untrennbar mit der Religion oder der Weltanschauung verbundenen Kriterium im Sinne von Art. 1 der Richtlinie 2000/78 beruht.

Da sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ergibt, dass WABE auch im Fall einer Arbeitnehmerin, die ein religiöses Kreuz trug, verlangt und erwirkt hat, dass sie dieses Zeichen ablegt, scheint die im Ausgangsverfahren in Rede stehende interne Regel prima facie ohne jede Differenzierung gegenüber allen anderen Arbeitnehmern von WABE auf IX angewandt worden zu sein, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass IX eine unmittelbar auf ihren religiösen Überzeugungen beruhende Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 erfahren hat. Es ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, die erforderlichen Tatsachenwürdigungen vorzunehmen und festzustellen, ob die von WABE erlassene interne Regelung allgemein und unterschiedslos auf alle Arbeitnehmer dieses Unternehmens angewandt wurde.

Nach alledem ist auf die erste Frage in der Rechtssache C-​804/18 zu antworten, dass Art. 1 und Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen sind, dass eine interne Regel eines Unternehmens, die den Arbeitnehmern das Tragen jedes sichtbaren Zeichens politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz verbietet, gegenüber Arbeitnehmern, die aufgrund religiöser Gebote bestimmte Bekleidungsregeln befolgen, keine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung im Sinne dieser Richtlinie darstellt, sofern diese Regel allgemein und unterschiedslos angewandt wird.

Zur zweiten Frage  Buchst. a in der Rechtssache C-​804/18

Mit seiner zweiten Frage Buchst. a möchte das vorlegende Gericht in der Rechtssache C-​804/18 wissen, ob Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen ist, dass eine mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion und/oder des Geschlechts, die sich aus einer internen Regel eines Unternehmens ergibt, die den Arbeitnehmern das Tragen jedes sichtbaren Zeichens politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz verbietet, mit dem Willen des Arbeitgebers gerechtfertigt werden kann, eine Politik politischer, weltanschaulicher und religiöser Neutralität gegenüber seinen Kunden oder Nutzern zu verfolgen, um deren berechtigten Erwartungen Rechnung zu tragen.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass diese Frage auf der Feststellung des vorlegenden Gerichts beruht, dass die im Ausgangsverfahren in der Rechtssache C-​804/18 in Rede stehende interne Regel, die das Tragen sichtbarer Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen verbietet, wenn die Arbeitnehmer von WABE mit Eltern oder Kindern in Kontakt stehen, effektiv einige Religionen mehr als andere treffe und sich eher an Frauen als an Männer richte.

Vorab ist zu dem in dieser Frage angesprochenen Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung wegen des Geschlechts festzustellen, dass dieser Diskriminierungsgrund, wie der Generalanwalt in Nr. 59 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78, des einzigen in dieser Frage herangezogenen Unionsrechtsakts, fällt. Das Vorliegen einer solchen Diskriminierung braucht daher nicht geprüft zu werden.

Was die Frage der mittelbar auf der Religion oder der Weltanschauung beruhenden Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78 betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass eine solche Ungleichbehandlung vorliegt, wenn die dem Anschein nach neutrale Verpflichtung, die eine Regel enthält, tatsächlich dazu führt, dass Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung in besonderer Weise benachteiligt werden (Urteil vom 14. März 2017, G4S Secure Solutions, C-​157/15, EU:C:2017:203, Rn. 34). Es ist zwar Sache des vorlegenden Gerichts, dies zu prüfen, doch ist darauf hinzuweisen, dass die in der Rechtssache C-​804/18 in Rede stehende Regel nach dessen Feststellungen statistisch fast ausschließlich weibliche Arbeitnehmer betrifft, die aufgrund ihres muslimischen Glaubens ein Kopftuch tragen, so dass der Gerichtshof von der Prämisse ausgeht, dass diese Regelung eine mittelbar auf der Religion beruhende Ungleichbehandlung darstellt.

Zu der Frage, ob eine mittelbar auf der Religion beruhende Ungleichbehandlung mit dem Willen des Arbeitgebers gerechtfertigt werden kann, eine Politik politischer, weltanschaulicher und religiöser Neutralität zu verfolgen, um den Erwartungen seiner Kunden oder Nutzer Rechnung zu tragen, ist festzustellen, dass nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie 2000/78 eine solche Ungleichbehandlung verboten ist, es sei denn, die Vorschriften, Kriterien oder Verfahren, aus denen sie sich ergibt, sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels sind angemessen und erforderlich. Eine Ungleichbehandlung wie die in Frage 2 Buchst. a in der Rechtssache C-​804/18 angesprochene führt daher nicht zu einer mittelbaren Diskriminierung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78, wenn sie durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. März 2017, Bougnaoui und ADDH, C-​188/15, EU:C:2017:204, Rn. 33).

Was die Begriffe des rechtmäßigen Ziels und der Angemessenheit und Erforderlichkeit der zu seiner Erreichung eingesetzten Mittel anbelangt, so ist klarzustellen, dass diese eng auszulegen sind (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 16. Juli 2015, CHEZ Razpredelenie Bulgaria, C-​83/14, EU:C:2015:480, Rn. 112).

Die Richtlinie 2000/78 konkretisiert nämlich in dem von ihr erfassten Bereich das nunmehr in Art. 21 der Charta niedergelegte allgemeine Diskriminierungsverbot (Urteil vom 26. Januar 2021, Szpital Kliniczny im. dra J. Babińskiego Samodzielny Publiczny Zakład Opieki Zdrowotnej w Krakowie, C-​16/19, EU:C:2021:64, Rn. 33). Im vierten Erwägungsgrund dieser Richtlinie wird darauf hingewiesen, dass die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz und der Schutz vor Diskriminierung ein in mehreren internationalen Übereinkünften anerkanntes allgemeines Menschenrecht ist, und aus den Erwägungsgründen 11 und 12 der Richtlinie geht hervor, dass der Unionsgesetzgeber davon ausgehen wollte, dass zum einen Diskriminierungen wegen u. a. der Religion oder der Weltanschauung die Verwirklichung der im AEU-​Vertrag festgelegten Ziele unterminieren können, insbesondere die Erreichung eines hohen Beschäftigungsniveaus und eines hohen Maßes an sozialem Schutz, die Hebung des Lebensstandards und der Lebensqualität, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt, die Solidarität sowie das Ziel der Weiterentwicklung der Europäischen Union zu einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, und zum anderen jede unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung in den von der Richtlinie abgedeckten Bereichen in der Union untersagt werden sollte.

Was insoweit die Voraussetzung des Vorliegens eines rechtmäßigen Ziels angeht, so kann der Wille eines Arbeitgebers, im Verhältnis zu den öffentlichen und privaten Kunden eine Politik der politischen, weltanschaulichen oder religiösen Neutralität zum Ausdruck zu bringen, als rechtmäßig angesehen werden. Der Wunsch eines Arbeitgebers, den Kunden ein Bild der Neutralität zu vermitteln, gehört zur unternehmerischen Freiheit, die in Art. 16 der Charta anerkannt ist, und ist grundsätzlich rechtmäßig, insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber bei der Verfolgung dieses Ziels nur die Arbeitnehmer einbezieht, die mit seinen Kunden in Kontakt treten sollen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. März 2017, G4S Secure Solutions, C-​157/15, EU:C:2017:203, Rn. 37 und 38).

Allerdings reicht der bloße Wille eines Arbeitgebers, eine Neutralitätspolitik zu betreiben, für sich genommen nicht aus, um eine mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung sachlich zu rechtfertigen, da eine sachliche Rechtfertigung nur bei Vorliegen eines wirklichen Bedürfnisses dieses Arbeitgebers festgestellt werden kann, das er nachzuweisen hat.

Unter diesen Umständen können für den Nachweis einer sachlichen Rechtfertigung und mithin eines wirklichen Bedürfnisses des Arbeitgebers als Erstes insbesondere die Rechte und berechtigten Erwartungen der Kunden oder der Nutzer berücksichtigt werden. Dies gilt beispielsweise für das in Art. 14 der Charta anerkannte Recht der Eltern, die Erziehung und den Unterricht ihrer Kinder entsprechend ihren eigenen religiösen, weltanschaulichen und erzieherischen Überzeugungen sicherzustellen, und für ihren Wunsch, dass ihre Kinder von Personen beaufsichtigt werden, die im Kontakt mit den Kindern nicht ihre Religion oder Weltanschauung zum Ausdruck bringen, um insbesondere eine „individuelle und freie Entwicklung der Kinder im Hinblick auf Religion, Weltanschauung und Politik zu gewährleisten“, wie es in der Dienstanweisung von WABE vorgesehen ist.

Solche Situationen sind hingegen u. a. zu unterscheiden von zum einen der Rechtssache, in der das Urteil vom 14. März 2017, Bougnaoui und ADDH (C-​188/15, EU:C:2017:204), ergangen ist, in der die Kündigung einer Arbeitnehmerin infolge einer Beschwerde eines Kunden erfolgt war und in der es keine interne Regel des Unternehmens gab, die das Tragen jeglichen sichtbaren Zeichens politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen verboten hätte, sowie zum anderen der Rechtssache, in der das Urteil vom 10. Juli 2008, Feryn (C-​54/07, EU:C:2008:397), ergangen ist, die eine unmittelbare Diskriminierung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft betraf, die ihren Ursprung angeblich in diskriminierenden Forderungen der Kunden hatte.

Als Zweites ist es für die Beurteilung, ob ein wirkliches Bedürfnis des Arbeitgebers im Sinne von Rn. 64 des vorliegenden Urteils besteht, von besonderer Bedeutung, dass der Arbeitgeber nachgewiesen hat, dass ohne eine solche Politik der politischen, weltanschaulichen und religiösen Neutralität seine in Art. 16 der Charta anerkannte unternehmerische Freiheit beeinträchtigt würde, da er angesichts der Art seiner Tätigkeit oder des Umfelds, in dem diese ausgeübt wird, nachteilige Konsequenzen zu tragen hätte.

Wie in Rn. 60 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, muss eine interne Regel wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, um nicht als mittelbare Diskriminierung eingestuft zu werden, ferner zur Gewährleistung der ordnungsgemäßen Anwendung der Neutralitätspolitik des Arbeitgebers geeignet sein, was voraussetzt, dass diese Politik tatsächlich in kohärenter und systematischer Weise verfolgt wird, und muss das Verbot, jedes sichtbare Zeichen politischer, weltanschaulicher und religiöser Überzeugungen zu tragen, das diese Regel mit sich bringt, auf das unbedingt Erforderliche beschränkt sein (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. März 2017, G4S Secure Solutions, C-​157/15, EU:C:2017:203, Rn. 40 und 42).

Das letztgenannte Erfordernis setzt insbesondere die Prüfung voraus, ob eine Beschränkung der in Art. 10 Abs. 1 der Charta garantierten Gedanken-​, Gewissens- und Religionsfreiheit, wie die, die mit dem für einen Arbeitnehmer geltenden Verbot einhergeht, an seinem Arbeitsplatz ein Gebot zu befolgen, das es ihm vorschreibt, ein sichtbares Zeichen seiner religiösen Überzeugungen zu tragen, im Hinblick auf die nachteiligen Konsequenzen, denen der Arbeitgeber durch dieses Verbot zu entgehen sucht, als unbedingt erforderlich erscheint.

In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist auf die zweite Frage Buchst. a in der Rechtssache C-​804/18 zu antworten, dass Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen ist, dass eine mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung, die sich aus einer internen Regel eines Unternehmens ergibt, die den Arbeitnehmern das Tragen jedes sichtbaren Zeichens politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz verbietet, mit dem Willen des Arbeitgebers gerechtfertigt werden kann, eine Politik politischer, weltanschaulicher und religiöser Neutralität gegenüber seinen Kunden oder Nutzern zu verfolgen, sofern erstens diese Politik einem wirklichen Bedürfnis des Arbeitgebers entspricht, das dieser unter Berücksichtigung insbesondere der berechtigten Erwartungen dieser Kunden oder Nutzer und der nachteiligen Konsequenzen, die der Arbeitgeber angesichts der Art seiner Tätigkeit oder des Umfelds, in dem sie ausgeübt wird, ohne eine solche Politik zu tragen hätte, nachzuweisen hat, zweitens die Ungleichbehandlung geeignet ist, die ordnungsgemäße Anwendung dieser Neutralitätspolitik zu gewährleisten, was voraussetzt, dass diese Politik konsequent und systematisch befolgt wird, und drittens das Verbot auf das beschränkt ist, was im Hinblick auf den tatsächlichen Umfang und die tatsächliche Schwere der nachteiligen Konsequenzen, denen der Arbeitgeber durch ein solches Verbot zu entgehen sucht, unbedingt erforderlich ist.

Zur ersten Frage in der Rechtssache C-​341/19

Mit seiner ersten Frage in der Rechtssache C-​341/19 möchte das vorlegende Gericht in dieser Rechtssache wissen, ob Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen ist, dass eine mittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, die sich aus einer internen Regel eines Unternehmens ergibt, die es verbietet, am Arbeitsplatz sichtbare Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen zu tragen, um eine Neutralitätspolitik in diesem Unternehmen sicherzustellen, nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn ein solches Verbot jede sichtbare Ausdrucksform politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen umfasst, oder ob ein auf auffällige großflächige Zeichen beschränktes Verbot genügt, sofern es in kohärenter und systematischer Weise durchgesetzt wird.

Hierzu ist zunächst festzustellen, dass diese Frage zwar auf der Prämisse des Vorliegens einer mittelbaren Diskriminierung beruht, dass aber, wie insbesondere die Europäische Kommission in ihren in der Rechtssache C-​341/19 eingereichten Erklärungen geltend gemacht hat, eine interne Regel eines Unternehmens, die, wie die in dieser Rechtssache in Rede stehende, nur das Tragen auffälliger großflächiger Zeichen verbietet, geeignet ist, Personen, die religiösen oder weltanschaulichen Strömungen anhängen, die das Tragen eines großen Kleidungsstücks oder Zeichens, wie beispielsweise einer Kopfbedeckung, vorsehen, stärker zu beeinträchtigen.

Wie in Rn. 52 des vorliegenden Urteils ausgeführt, ist eine Ungleichbehandlung, die sich aus einer Vorschrift oder einer Praxis ergibt, die auf einem Kriterium beruht, das mit dem geschützten Grund – hier der Religion oder der Weltanschauung – untrennbar verbunden ist, als unmittelbar auf diesen Grund gestützt anzusehen. So wird in den Fällen, in denen das Kriterium des Tragens auffälliger großflächiger Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen mit einer oder mehreren bestimmten Religion(en) oder Weltanschauung(en) untrennbar verbunden ist, das von einem Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern auf der Grundlage eines solchen Kriteriums auferlegte Verbot, diese Zeichen zu tragen, zur Folge haben, dass einige Arbeitnehmer wegen ihrer Religion oder Weltanschauung weniger günstig behandelt werden als andere, so dass eine unmittelbare Diskriminierung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 wird festgestellt werden können.

Für den Fall, dass eine solche unmittelbare Diskriminierung gleichwohl nicht festgestellt werden sollte, ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i dieser Richtlinie eine Ungleichbehandlung wie die vom vorlegenden Gericht angeführte, dann, wenn erwiesen wäre, dass sie tatsächlich zu einer besonderen Benachteiligung der Personen führt, die einer bestimmten Religion oder Weltanschauung anhängen, wie bereits in Rn. 60 des vorliegenden Urteils ausgeführt, eine mittelbare Diskriminierung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b dieser Richtlinie darstellen würde, es sei denn, sie wäre durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels wären angemessen und erforderlich.

Hierzu ist festzustellen, dass aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervorgeht, dass die in Rede stehende Maßnahme soziale Konflikte innerhalb des Unternehmens vermeiden soll, insbesondere angesichts der in der Vergangenheit im Zusammenhang mit politischen, weltanschaulichen oder religiösen Überzeugungen aufgetretenen Spannungen.

Wie in Rn. 63 des vorliegenden Urteils festgestellt worden ist, kann eine Neutralitätspolitik ein rechtmäßiges Ziel im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie 2000/78 darstellen. Um festzustellen, ob diese Politik eine Ungleichbehandlung, die mittelbar auf der Religion oder Weltanschauung beruht, sachlich rechtfertigen kann, ist, wie sich aus Rn. 64 des vorliegenden Urteils ergibt, zu prüfen, ob sie einem wirklichen Bedürfnis des Unternehmens entspricht. Hierzu ist festzustellen, dass sowohl die Verhinderung sozialer Konflikte als auch ein neutrales Auftreten des Arbeitgebers gegenüber den Kunden einem wirklichen Bedürfnis des Arbeitgebers entsprechen können, das er nachzuweisen hat. Im Einklang mit den Ausführungen in den Rn. 68 und 69 des vorliegenden Urteils ist allerdings weiter zu prüfen, ob die interne Regel, nach der das Tragen jedes auffälligen großflächigen Zeichens politischer, weltanschaulicher und religiöser Überzeugungen verboten ist, geeignet ist, das verfolgte Ziel zu erreichen, und ob sich dieses Verbot auf das unbedingt Erforderliche beschränkt.

Insoweit ist klarzustellen, dass eine Politik der Neutralität im Unternehmen wie die in der ersten Frage in der Rechtssache C-​341/19 angesprochene nur dann wirksam verfolgt werden kann, wenn überhaupt keine sichtbaren Bekundungen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen erlaubt sind, wenn die Arbeitnehmer mit Kunden oder untereinander in Kontakt stehen, da das Tragen jedes noch so kleinen Zeichens die Eignung der Maßnahme zur Erreichung des angeblich verfolgten Ziels beeinträchtigt und damit die Kohärenz dieser Politik der Neutralität selbst in Frage stellt.

Nach alledem ist auf die erste Frage in der Rechtssache C-​341/19 zu antworten, dass Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen ist, dass eine mittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, die sich aus einer internen Regel eines Unternehmens ergibt, die es verbietet, am Arbeitsplatz sichtbare Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen zu tragen, um eine Neutralitätspolitik in diesem Unternehmen sicherzustellen, nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn dieses Verbot jede sichtbare Ausdrucksform politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen umfasst. Ein auf das Tragen auffälliger großflächiger Zeichen beschränktes Verbot kann eine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung darstellen, die jedenfalls auf der Grundlage dieser Vorschrift nicht gerechtfertigt sein kann.

Zur zweiten Frage  Buchst. b in der Rechtssache C-​804/18 und zur zweiten Frage  Buchst. b in der Rechtssache C-​341/19

Mit der zweiten Frage Buchst. b in der Rechtssache C-​804/18, die der zweiten Frage Buchst. b in der Rechtssache C-​341/19 entspricht, die zusammen zu prüfen sind, möchte das Arbeitsgericht Hamburg (Deutschland) wissen, ob Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen ist, dass nationale verfassungsrechtliche Vorschriften, die die Religionsfreiheit schützen, bei der Prüfung der Frage, ob eine mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung angemessen ist, als günstigere Vorschriften im Sinne von Art. 8 Abs. 1 dieser Richtlinie berücksichtigt werden dürfen.

Diese Frage geht auf die auch vom Bundesarbeitsgericht in der Rechtssache C-​341/19 aufgeworfene Frage zurück, ob im Rahmen der Prüfung der Angemessenheit einer internen Regel eines Unternehmens wie der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden eine Abwägung der widerstreitenden Rechte und Freiheiten – insbesondere der Art. 14 und 16 der Charta einerseits und Art. 10 der Charta andererseits – vorzunehmen ist, oder ob diese Abwägung erst bei der Anwendung der besagten internen Regel im Einzelfall, beispielsweise bei einer Weisung an einen Arbeitnehmer oder bei seiner Kündigung, zu erfolgen hat. Sollte der Schluss gezogen werden, dass die widerstreitenden Rechte aus der Charta nicht im Rahmen der Angemessenheitsprüfung berücksichtigt werden können, würde sich sodann die Frage stellen, ob eine nationale Vorschrift mit Verfassungsrang wie beispielsweise Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, der die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit schützt, als eine günstigere Regelung im Sinne von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 angesehen werden kann.

Was als Erstes die Frage betrifft, ob im Rahmen der Prüfung der Angemessenheit im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie 2000/78 der zur Sicherstellung der Anwendung einer Politik der politischen, weltanschaulichen und religiösen Neutralität getroffenen Maßnahme die verschiedenen in Rede stehenden Rechte und Freiheiten zu berücksichtigen sind, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass, wie der Gerichtshof bei der Auslegung des Begriffs „Religion“ im Sinne von Art. 1 der Richtlinie 2000/78 festgestellt hat, der Unionsgesetzgeber im ersten Erwägungsgrund dieser Richtlinie auf die Grundrechte Bezug genommen hat, wie sie in der EMRK gewährleistet sind. Die EMRK sieht in ihrem Art. 9 vor, dass jede Person das Recht auf Gedanken-​, Gewissens- und Religionsfreiheit hat, wobei dieses Recht u. a. die Freiheit umfasst, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht oder Praktizieren von Bräuchen und Riten zu bekennen. Der Unionsgesetzgeber hat im ersten Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/78 außerdem auf die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Unionsrechts Bezug genommen. Zu den Rechten, die sich aus diesen gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen ergeben und die in der Charta bekräftigt wurden, gehört das in Art. 10 Abs. 1 der Charta verankerte Recht auf Gewissens- und Religionsfreiheit. Es umfasst nach dieser Bestimmung die Freiheit, die Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht, Bräuche und Riten zu bekennen. Wie sich aus den Erläuterungen zur Charta der Grundrechte (ABl. 2007, C 303, S. 17) ergibt, entspricht das in Art. 10 Abs. 1 der Charta garantierte Recht dem in Art. 9 EMRK garantierten Recht, und nach Art. 52 Abs. 3 der Charta hat es die gleiche Bedeutung und die gleiche Tragweite wie dieses (Urteil vom 14. März 2017, G4S Secure Solutions, C-​157/15, EU:C:2017:203, Rn. 26 und 27).

Mithin sind bei der Prüfung, ob die Beschränkung, die sich aus einer Maßnahme zur Gewährleistung einer Politik der politischen, weltanschaulichen und religiösen Neutralität ergibt, im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie 2000/78 angemessen ist, die verschiedenen in Rede stehenden Rechte und Freiheiten zu berücksichtigen.

 Sodann hat der Gerichtshof im Rahmen der Prüfung der Erforderlichkeit eines Verbots, das dem in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden ähnlich war, bereits entschieden, dass es Sache der nationalen Gerichte ist, in Anbetracht aller sich aus den betreffenden Akten ergebenden Umstände den beiderseitigen Interessen Rechnung zu tragen und die Beschränkungen „der in Rede stehenden Freiheiten auf das unbedingt Erforderliche“ zu begrenzen (Urteil vom 14. März 2017, G4S Secure Solutions, C-​157/15, EU:C:2017:203, Rn. 43). Da es in der Rechtssache, in der jenes Urteil ergangen ist, nur um die in Art. 16 der Charta anerkannte unternehmerische Freiheit ging, ist festzustellen, dass die andere Freiheit, auf die der Gerichtshof in dem Urteil Bezug genommen hat, die in dessen Rn. 39 angesprochene Gedanken-​, Gewissens- und Religionsfreiheit war.

Schließlich ist festzustellen, dass diese Auslegung der Richtlinie 2000/78 mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs in Einklang steht, da sie es erlaubt, zu gewährleisten, dass dann, wenn mehrere in den Verträgen verankerte Grundrechte und Grundsätze in Rede stehen, wie beispielsweise im vorliegenden Fall zum einen der in Art. 21 der Charta verankerte Grundsatz der Nichtdiskriminierung und das in Art. 10 der Charta verankerte Recht auf Gedanken-​, Gewissens- und Religionsfreiheit sowie zum anderen das in Art. 14 Abs. 3 der Charta anerkannte Recht der Eltern, die Erziehung und den Unterricht ihrer Kinder entsprechend ihren eigenen religiösen, weltanschaulichen und erzieherischen Überzeugungen sicherzustellen, und die in Art. 16 der Charta anerkannte unternehmerische Freiheit, bei der Beurteilung der Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit die mit dem Schutz der verschiedenen Rechte und Grundsätze verbundenen Anforderungen miteinander in Einklang gebracht werden und dass zwischen ihnen ein angemessenes Gleichgewicht besteht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Dezember 2020, Centraal Israëlitisch Consistorie van België u. a., C-​336/19, EU:C:2020:1031, Rn. 65 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Zu den in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vorschriften des nationalen Rechts, insbesondere Art. 4 Abs. 1 GG, und der sich aus ihnen ergebenden Anforderung, dass es in einer Situation wie der in diesen Rechtssachen in Rede stehenden dem Arbeitnehmer obliegt, nicht nur nachzuweisen, dass er ein rechtmäßiges Ziel verfolgt, das eine mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung rechtfertigen kann, sondern auch zu belegen, dass zum Zeitpunkt der Einführung der fraglichen internen Regel eine hinreichend konkrete Gefahr der Beeinträchtigung dieses Ziels bestand oder gegenwärtig besteht, wie beispielsweise die Gefahr konkreter Unruhe innerhalb des Unternehmens oder die konkrete Gefahr von Ertragseinbußen, ist festzustellen, dass sich eine solche Anforderung in den durch Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie 2000/78 festgelegten Rahmen in Bezug auf die Rechtfertigung einer mittelbaren Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung fügt.

Was als Zweites die Frage betrifft, ob eine nationale Vorschrift über die Religions- und Gewissensfreiheit als eine für den Schutz des Gleichbehandlungsgrundsatzes günstigere nationale Vorschrift im Sinne von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 angesehen werden kann, ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2000/78, wie sich aus ihrem Titel ergibt, einen allgemeinen Rahmen für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf festlegt, der den Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Vielfalt der von diesen verfolgten Ansätze in Bezug auf den Platz, den sie in ihrem Inneren der Religion oder den Überzeugungen einräumen, einen Wertungsspielraum lässt. Der den Mitgliedstaaten damit zuerkannte Wertungsspielraum bei fehlendem Konsens auf Unionsebene muss jedoch mit einer Kontrolle einhergehen, die Sache des Unionsrichters ist und die insbesondere darin besteht, zu prüfen, ob die auf nationaler Ebene getroffenen Maßnahmen grundsätzlich gerechtfertigt sind und ob sie verhältnismäßig sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Dezember 2020, Centraal Israëlitisch Consistorie van België u. a., C-​336/19, EU:C:2020:1031, Rn. 67).

Im Übrigen zeigt der so geschaffene Rahmen, dass der Unionsgesetzgeber in der Richtlinie 2000/78 nicht selbst den erforderlichen Einklang zwischen der Gedanken-​, der Weltanschauungs- und der Religionsfreiheit und den rechtmäßigen Zielen, die zur Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i dieser Richtlinie geltend gemacht werden können, hergestellt hat, sondern es den Mitgliedstaaten und ihren Gerichten überlassen hat, diesen Einklang herzustellen (vgl. entsprechend Urteil vom 17. Dezember 2020, Centraal Israëlitisch Consistorie van België u. a., C-​336/19, EU:C:2020:1031, Rn. 47).

Folglich erlaubt es die Richtlinie 2000/78, dem jeweiligen Kontext der einzelnen Mitgliedstaaten Rechnung zu tragen und jedem Mitgliedstaat im Rahmen des notwendigen Ausgleichs der verschiedenen in Rede stehenden Rechte und Interessen einen Wertungsspielraum einzuräumen, um ein gerechtes Gleichgewicht zwischen diesen zu gewährleisten.

Daraus folgt, dass im Rahmen der Prüfung, ob eine Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung vorliegt, die nationalen Vorschriften, die die Gedanken-​, Weltanschauungs- und Religionsfreiheit als Wert schützen, dem die modernen demokratischen Gesellschaften seit vielen Jahren eine verstärkte Bedeutung beimessen, als Vorschriften, die im Hinblick auf die Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Sinne von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 günstiger sind, berücksichtigt werden dürfen. So würden beispielsweise nationale Vorschriften, die an die Rechtfertigung einer mittelbar auf der Religion oder der Weltanschauung beruhenden Ungleichbehandlung höhere Anforderungen knüpfen als Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie 2000/78, in den Anwendungsbereich der in Art. 8 Abs. 1 eröffneten Möglichkeit fallen.

Nach alledem ist auf die zweite Frage Buchst. b in der Rechtssache C-​804/18 und die zweite Frage Buchst. b in der Rechtssache C-​341/19 zu antworten, dass Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen ist, dass nationale Vorschriften, die die Religionsfreiheit schützen, bei der Prüfung der Frage, ob eine mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung angemessen ist, als günstigere Vorschriften im Sinne von Art. 8 Abs. 1 dieser Richtlinie berücksichtigt werden dürfen.

Zur zweiten Frage  Buchst. a und zur dritten Frage in der Rechtssache C-​341/19

In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage in der Rechtssache C-​341/19 brauchen die zweite Frage Buchst. a und die dritte Frage in dieser Rechtssache nicht beantwortet zu werden.

Kosten

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.


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