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Keine neuen AVB durch Tarifwechsel

 | Gericht:  Amtsgericht (AG) Düsseldorf  | Aktenzeichen: 25 C 4391/12 | Entscheidung:  Beschluss
Kategorie Gebühren

Hinweis- und Terminbeschluss


Zwischen der Klägerin und der Beklagten besteht seit dem 01.04.1985 ein privater Krankenversicherungsvertrag unter der Vers.-Nr. … Die Tochter der Klägerin, Frau …, ist seit dem 01.12.1989 im Vertrag der Klägerin mitversichert. Zum 01.08.2010 wechselt die Tochter der Klägerin wegen des Eintritts der gesetzlichen Krankversicherungspflicht vom Tarif … in den Tarif …

1.
Die Parteien streiten unter anderem über die im streitgegenständlichen Versicherungsfall maßgeblichen AVB. Die Beklagte ist der Auffassung, es gelten die AVB zum Zeitpunkt der Vertragsänderung am 01.08.2010. Die Klägerin geht davon aus, es seien die AVB zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses am 01.04.1985 anzuwenden.

Für den vorliegenden Rechtsstreit gelten die AVB zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zwischen der Klägerin und der Rechtsvorgängerin der Beklagten am 01.04.1985. Da die Beklagte andere Bedingungen aus dieser Zeit nicht vorgelegt hat, wendet das Gericht die AVB 1981 an, welche die Klägerin als Anlage K59 mit Schriftsatz vom 04.11.2013 zur Gerichtsakte gereicht hat.

Die Tochter der Klägerin hat den Versicherungsvertrag ihrer Mutter mit denjenigen AVB übernommen, die auch im Vertrag der Mutter Geltung hatten. Die ursprünglich vereinbarten AVB gelten dauerhaft, sofern sie nicht mit dem schriftlichen Einverständnis des Versicherungsnehmers oder aufgrund von gesetzlichen Änderungen geändert werden. Die ursprünglich vereinbarten AVB gelten dabei auch für Personen, die später in den Versicherungsvertrag aufgenommen werden, es sei denn etwas anderes ist ausdrücklich (schriftlich) vereinbart. Durch die Vereinbarung des Tarifs 740 im Jahr 2010 wurden andere AVB nicht wirksam vereinbart. Derartiges hat die diesbezüglich darlegungs- und beweisbelastete Beklagte nicht substantiiert vorgetragen. Eine nachträgliche Änderung der ursprünglich mit der Klägerin vereinbarten AVB ist nicht erfolgt. Richtig ist zwar, dass das Versicherungsverhältnis sich durch einen Tarifwechsel nach Maßgabe des neuen Tarifs fortsetzt. Dies führt jedoch nicht dazu, dass dem Vertragsverhältnis nunmehr neue AVB zu Grunde liegen würden. Denn bei einem Tarifwechsel nach § 178 f WG wird kein neuer Versicherungsvertrag abgeschlossen, sondern der bisherige nach Maßgabe des neuen Tarife fortgesetzt (BVerwG, Urteil vom 05. März 1999 - 1 A 1/97). Insofern ist zu unterscheiden zwischen den „Tarifbedingungen" und den „Allgemeinen Versicherungsbedingungen".

Für laufende Verträge können die AVB grundsätzlich nur mit Zustimmung des Versicherungsnehmers geändert werden. Eine konkludente Zustimmung zu einer Änderung kann nur dann angenommen werden, wenn die Änderung für den Versicherungsnehmer vorteilhaft ist, was vorliegend nicht der Fall ist (vgl. LG Düsseldorf, Urt. v. 26.11.2015 - 9 S 46/14; AG Düsseldorf, 25 C 6132/12; LG Münster, Urt. v. 03.04.2012- 115 0 66/09). Die AVB 1981 enthalten unter § 4 II (3) b) den Begriff „Kieferorthopädie“ während die AVB 2009 unter § 3 (6) das Begriffspaar „Kieferorthopädische Leistungen" enthält. Insofern weist die Klägerin zutreffend darauf hin, dass sich beide Begriffe nicht entsprechen, sondern das Begriffspaar „kieferorthopädische Leistungen" - vor allem im Abrechnungsfall - weitergehend ist als der Begriff „Kieferorthopädie". Der durchschnittlich aufgeklärte Versicherungsnehmer verbindet mit dem Begriff „Kieferorthopädie" eine kieferorthopädische Behandlung, in erster Linie wahrscheinlich eine Behandlung von Fehlstellungen von Kiefern und Zähnen, wobei ein Großteil der Versicherungsnehmer - wohl auch aus eigener Erfahrung - insbesondere z. B. an eine Zahnspange denken wird. Das Begriffspaar „kieferorthopädische Leistungen" entspricht der Überschrift des Abschnitts G des Leistungsverzeichnisses für zahnärztliche Leistungen der Anlage zur GOZ. Davon umfasst sind alle kieferorthopädischen Leistungen, auch solche, die nicht zwingend und/oder unmittelbar im Zusammenhang mit einer kieferorthopädischen Behandlung stehen und auch außerhalb einer solchen zur Anwendung gelangen können, wie beispielsweise die Gebührenziffern 6000, 6010, 6020 und 6190 GOZ. Leistungen nach diesen Gebührenziffern unterliegen, wenn sie nicht im Rahmen einer kieferorthopädischen Behandlung abgerechnet werden, nach den AVB 1981 nicht der eingeschränkten Erstattung von 50 %, während sie nach den AVB 2009 - auch außerhalb einer kieferorthopädischen Behandlung - als „kieferorthopidische Leistungen" gemäß Abschnitt G des Leistungsverzeichnisses der GOZ stets nur mit eingeschränktem Erstattungssatz von 50 % abgerechnet werden können. Dies benachteiligt den Versicherungsnehmer, da sein Erstattungsanspruch nach den AVB 2009 eingeschränkt ist.

Neue AVB werden nicht ohne Weiteres Bestandteil des geänderten oder neuen Vertrages, sondern lediglich nach allgemeinen Grundsätzen des Vertragsrechts:

„Soll ein Vertrag auf geänderte AVB umgestellt werden, so bedarf es der - zumindest konkludent erklärten - Zustimmung des VN. Sind die neuen AVB für den VN eindeutig vorteilhaft, so liegt in seinem Schweigen eine konkludente Annahme des Änderungsangebots (LG Düsseldorf r+s 1999, 377). Werden AVB zugunsten des VN geändert, so kann den VR die Pflicht treffen, den VN auf die Möglichkeit hinzuweisen, diese zu vereinbaren (siehe §6 Rn. 50). Eine konkludente Zustimmung zu Änderungen, die dem VN auch Nachteile bringen, liegt dagegen weder im Schweigen des VN noch darin, dass er seinen Fortsetzungswillen durch Prämienzahlung bekundet (LG Berlin r+s 2001, 80; Schirmer ZVersWiss 1986, 539; Bartmuß S, 150 ff.; Präve r+s 1998, 445). Darin kommt nämlich das Einverständnis gerade mit der Änderung nicht zum Ausdruck. Dies gilt auch dann, wenn der VN ausdr. auf die Änderungen und das Erfordernis seines Einverständnisses hingewiesen wurde (a. A. Seybold VersR 1989, 1231, 1234; Buchholz-Schuster NVersZ 2000, 207, 208; Wolf/Lindacher/Pfeiffer AGB-Recht, § 305 Rn. 105). Schließlich stellt kein vernünftiger VN die Prämienzahlung ein, um seinen Protest gegen die Geltung geänderter AVB zum Ausdruck zu bringen."

(Prölss/Martin, VVG, 29. Auflage 2015, Einleitung Rn. 39 - 41)

Soweit die Beklagte vorträgt, der Klägerin seien am 09.07.2010 mit Stellung des Änderungsantrages neue AVB ausgehändigt worden, führte dies nicht zu einer Änderung der zu Grunde liegenden Vertragsbedingungen. Durch die Aushändigung alleine werden neue, geänderte AVB nicht Bestandteil des Versicherungsvertrages. Der Versicherer muss den Versicherungsnehmer gemäß § 7 VVG ausdrücklich schriftlich auf geänderte Bedingungen hinweisen. Der Versicherungsnehmer muss der Änderung schriftlich zustimmen. Dieses Hinweiserfordernis besteht auch dann, wenn im Zusammenhang mit der Umgestaltung des bisherigen Versicherungsvertrages ein Versicherungsschein mit geänderten Versicherungsbedingungen ausgehändigt wird (OLG Hamm, Urteil vom 09. Mai 1996 - 6 U 217/95 zu AKB im Rahmen der Kaskoversicherung).

Die Beklagte hat nicht nachgewiesen, dass die Klägerin auf die Nachteile der neuen AVB und das Erfordernis Ihres Einverständnisses hingewiesen wurde. Auch hat die Beklagte nicht nachgewiesen, dass sich die Klägerin mit einer derartigen Änderung ausdrücklich einverstanden erklärt hat.

Sofern die Beklagte weiter vorträgt, der Zugang der neuen AVB sei dadurch nachgewiesen, dass die Versicherungsnehmerin den Empfang der selbigen bestätigt habe, überwindet dies nicht das Erfordernis des schriftlichen Einverständnisses des Versicherungsnehmers.

Nach den damit maßgeblichen AVB 1981 unterliegt die Zahnbehandlung (§ 4 II (3) a) AVB) im Tarif 740 der 75 %-igen Erstattung, während Zahnersatz und Kieferorthopädie (§ 4 II (3) b) AVB) der 50 %-igen Erstattung unterliegen.

2.
Das Gericht schließt sich im Übrigen nach eigener Würdigung der bundesweit zahlreich ergangenen Rechtsprechungan, wonach die Gebührenvereinbarungen des Herrn Dr … wirksam sind. Für das Gericht ist nicht ersichtlich, dass die Vereinbarungen wegen eines Verstoßes gegen §§ 134, 138 BGB oder gegen AGB Vorschriften unwirksam sind. Möchte die Beklagte ihre Erstattungspflicht begrenzen, so muss sie dies durch entsprechend angepasste und mit dem Versicherungsnehmer vereinbarte AVB tun.

3.
Es wird anheimgestellt, den Anspruch zur Vermeidung weiterer Kosten und zeitlicher Verzögerungen anzuerkennen.

4.
Es wird Gütetermin und Verhandlungstermin bestimmt auf Mittwoch, 19.10.2016, 10:00 Uhr, 2. Etage, ...


Ausdruck Urteil - PDF