Haftung eines Vertragsarztes für Rezeptfälschungen einer Mitarbeiterin

 | Gericht:  Sozialgericht (SG) Schwerin  | Aktenzeichen: S KA 15/20 | Entscheidung:  Urteil
Kategorie Arbeitsrecht , Sonstiges

Beschlusstext

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Gerichtskosten sowie die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beklagten und des Beigeladenen zu 2. Im Übrigen sind keine Kosten zu erstatten.

Der Streitwert wird endgültig auf 67.904,76 € festgesetzt.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin einen Anspruch auf Festsetzung eines Regresses gegen den Beigeladenen zu 2. in Höhe von 67.904,76 € wegen fehlerhafter Arzneimittelverordnungen hat.

Die Klägerin beantragte am 17.12.2015 bei der Gemeinsamen Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen M-V die Regressfestsetzung wegen eines sonstigen Schadens gem. § 106 SGB V i.V.m. § 44 Arzt-/Ersatzkassenvertrag (EKV-Ä) sowie § 30 der Prüfvereinbarung betreffend den Beigeladenen zu 2. Zur Begründung verwies sie auf beigefügte Ablichtungen von Rezeptvordrucken über die Verordnung von Genotropin Goquick 12 mg/ml FER 5 St (Genotropin®) aus den Abrechnungsquartalen III/2012 bis III/2013, mit denen ihre Versicherten tatsächlich nicht versorgt worden sind.

Der am 25.01.x geborene Beigeladene zu 2. ist niedergelassener Facharzt für Innere Medizin und Endokrinologe mit Praxissitz im Ärztehaus in der F-Straße in A-Stadt. Diese Praxis hatte er mit dem ursprünglichen Praxissitz im F-weg in A-Stadt, dem Patientenstamm und den damaligen Praxisangestellten D. und S. (geb. x) im Januar 2011 von dem Arzt K. übernommen. Die Angestellte S. war seit Oktober 2010 bei dem Praxisvorgänger K. angestellt. Am 19.08.2013 wandte sich der Beigeladene zu 2. mit einer Internetstrafanzeige an die Polizei und berichtete über ihm von der Beigeladenen zu 1. angezeigte Auffälligkeiten in seinen Verordnungen für das Medikament Genotropin®. Genotropin® enthält den Wirkstoff Somatropin, ist rezept- und apothekenpflichtig, muss im Kühlschrank gelagert werden und wird als knochen- und muskelförderndes Wachstumshormon häufig Kindern verordnet. Gleichzeitig wird dieses leistungsfördernde Wachstumshormon in der Bodybuilder-Szene auf dem Schwarzmarkt gehandelt (Schwarzmarktwert für 3,3 mg zwischen 35 € und 70 €). Der Beigeladene zu 2. zeigte an, dass dieses Medikament nach den Abrechnungsinformationen in der Zeit von September 2012 bis Juli 2013 über seine Betriebsstättennummer verordnet, geliefert und abgerechnet worden sei, jedoch tatsächlich nicht von ihm verordnet worden wäre, obwohl er es grundsätzlich verordnen könne. Er verdächtige seine Mitarbeiterin S., die er sogleich nach Kenntnis der Umstände fristlos am 13.09.2013 entlassen habe. Das daraufhin eingeleitete Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft A-Stadt (Az: x) richtete sich gegen S. und B. (geb. x), die bis zum 05.09.2013 als pharmazeutisch-kaufmännische Angestellte in der Zentral-Apotheke in A-Stadt tätig war. Diese Apotheke wurde von dem Apotheker H. geleitet.

Im Ergebnis des Strafverfahrens wurde S. am 29.10.2018 (rechtskräftig am 06.11.2018) vom Landgericht A-Stadt, Große Strafkammer (Az.) zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren (ausgesetzt zur Bewährung) wegen gemeinschaftlichen Betruges in Tateinheit mit gemeinschaftlichem vorsätzlichen Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen Medikamenten in 63 Fällen in dem Zeitraum von September 2012 bis August 2013 verurteilt. Nach den Urteilsgründen hätten S. und B. im Ergebnis der Beweisaufnahme und den Feststellungen der Strafkammer einen im August 2012 gemeinsam gefassten Tatplan verfolgt. Sie seien miteinander befreundet gewesen. S. habe am Computer der Praxis des Beigeladenen zu 2. teilweise vorhandene oder anderweitig besorgte Patientenstammdaten sowie die Medikamente Genotropin® und Testosteron in ein Rezeptformular eingetragen, das Rezept ausgedruckt und die Rezepte mit der leicht zu fälschenden Unterschrift des Beigeladenen zu 2. versehen, soweit sie hierfür nicht vorhandene Blankorezepte für den Ausdruck verwendet habe. Um die Erstellung der Rezepte zu verschleiern, habe sie anschließend die Medikamenten- und Patientenstammdaten gelöscht, was jedoch nicht in allen Fällen gelungen sei. Zwischen dem 19.08.2012 und 15.08.2013 habe sie auf diese Weise insgesamt 165 Rezepte, davon 101 Rezepte für Genotropin® und 64 Rezepte für Testosteron, erstellt. Diese Rezepte habe sie B. übergeben, die daraufhin die Bestellung der rezeptierten Medikamente von ihrem Arbeitsplatz in der Zentral-Apotheke bei dem Medikamentengroßhändler A. an 63 Tagen in dem Zeitraum vom 13.09.2012 und 16.08.2013 während der Arbeitszeit vorgenommen habe. Hierfür habe sie die ihr von S. ausgehändigten Rezepte in das Abrechnungssystem der Zentral-Apotheke eingegeben und es mit Abgabepreis und Abgabemenge sowie ihrem Bearbeitungskürzel bedruckt. Die Medikamente seien später über den Abrechnungsdienstleister AvP der Zentral-Apotheke den jeweiligen Krankenkassen mit dem im Rezept ausgewiesenen Betrag in Rechnung gestellt und von den Krankenkassen bezahlt worden. Die wenige Stunden nach der Bestellung an die Zentral-Apotheke gelieferten Medikamente habe B. entgegengenommen und unbemerkt beiseite geschafft. Das Genotropin habe sie an S. weitergegeben, die es für ca. 300 € je Packung (insgesamt etwa 30.300 €) an unbekannt gebliebene Dritte auf dem Schwarzmarkt verkauft habe. Die Erlöse seien für den Lebensunterhalt ausgegeben worden.

Für die Genotropin®- Packungen wurde ein Gesamtverkaufswert von 365.233,88 € fällig (für das Testosteron 5.479,06 €).

Auf die Klägerin entfiel hieraus ein Betrag von 79.870 € (Brutto) bzw. 67.904,76 € (Netto) aus 22 Genotropin®-Rezepten.

Konkret handelte es sich für die Klägerin um folgende Genotropin® Verordnungen:

VO-Datum Preis Versicherten-Nr. Patient

Brutto Netto Name/Vorname

30.08.2012 3.417,09 € 2.976,40 €

10.09.2012 3.645,73 € 3.092,01 €

23.10.2012 3.532,42 € 3.076,67 €

07.01.2013 3.646,03 € 3.092,61 €

08.01.2013 3.646,03 € 3.092,61 €

14.01.2013 3.646,03 € 3.092,61 €

28.01.2013 3.646,03 € 3.092,61 €

01.02.2013 3.646,03 € 3.092,61 €

01.03.2013 3.646,03 € 3.092,61 €

06.03.2013 3.646,03 € 3.092,61 €

03.04.2013 3.646,03 € 3.092,61 €

18.04.2013 3.646,03 € 3.092,61 €

03.05.2013 3.646,03€ 3.092,61 €

06.05.2013 3.646,03 € 3.092,61 €

22.04.2013 3.646,03 € 3.092,61 €

22.05.2013 3.646,03 € 3.092,61 €

04.06.2013 3.646,03 € 3.092,61 €

04.06.2013 3.646,03 € 3.092,61 €

13.06.2013 3.646,03 € 3.092,61 €

13.06.2013 3.646,03 € 3.092,61 €

13.06.2013 3.646,03 € 3.092,61 €

30.07.2013 3.646,22 € 3.092,70 €

Sämtliche Originalrezepte wurden zunächst sichergestellt. Eine zufällige Auswahl von 40 Rezepten wurde auf staatsanwaltschaftliche Anordnung daktyloskopisch, nicht jedoch auf ihre Echtheit untersucht. Ablichtungen der Rezepte sind ergänzend dem „Sonderheft Selbstleseverfahren“ zu dem Strafverfahren zu entnehmen. Die sie betreffenden Originalverordnungen wurden der Klägerin unter dem 31.03.2021 von der Staatsanwaltschaft zurückgesandt.

S. gestand ihre Tatbeteiligung erst am Ende der strafrechtlichen Beweisaufnahme mit einer schriftlichen Erklärung ein, die als Anlage 7 zum Protokoll der mündlichen Verhandlung der Großen Strafkammer vom 26.10.2018 genommen wurde. Darin räumte sie sämtliche mit der Anklageschrift erhobenen Tatvorwürfe vollumfänglich ein. Nach ihrer Erklärung hätte sie sich nicht dazu hinreißen lassen sollen, Rezepte zu fälschen und diese dann B. zu geben. Es sei in diesem Moment so einfach gewesen und habe ihr keinerlei Schwierigkeiten bereitet, die unterzeichneten Blankorezepte zu verwenden. Insoweit müsse sie ihrem ehemaligen Arbeitgeber widersprechen.

Die weitere Angestellte des Beigeladenen zu 2. D. hatte zu dem Umgang mit Rezepten in der Arztpraxis in ihrer Aussage gegenüber der Polizei am 26.09.2013 erklärt, dass es die Aufgabe des Praxispersonals sei, den Arzt in seiner Tätigkeit zu unterstützen auch in administrativen Aufgaben und in der EDV-Anwendung. In der Praxis habe es eine sog. „Insellösung“ gegeben, was heiße, dass das Computersystem in sich geschlossen und mit einem Passwort gesichert sei, das die Mitarbeiterinnen und der Arzt kennen würden. Nach Eingabe des Passwortes gebe es keine Schranken in der Systemanwendung. Das System könne jederzeit hochgefahren und Daten eingegeben werden. Alle Mitarbeiter hätten einen Praxisschlüssel. Ein Betreten der Praxisräume sei ihnen auch außerhalb der Arbeitszeit erlaubt.

Weiter erläuterte sie im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren den Umgang mit Rezepten in der Arztpraxis. Mit den zwei verschiedenen Rezeptarten werde unterschiedlich umgegangen. Die eine Rezeptart (für Betäubungsmittel (BtM)) sei nummeriert und werde eingeschlossen. Den Schlüssel hierfür habe nur der Beigeladene zu 2. Wenn er aufgeschlossen habe, bestände auch für die Mitarbeiter Zugang. Die anderen Rezepte befänden sich sowohl im Empfangsraum als auch in den Sprechzimmern. Für die Auffüllung der dortigen Bestände seien die Mitarbeiterinnen zuständig und hätten deshalb immer Zugriff.

Rezepte würden auf drei Arten in der Praxis ausgestellt. Im ersten Fall bekomme der Patient ein Rezept von dem Arzt unterschrieben ausgehändigt und gehe damit zum Empfangsraum. Dort werde das Rezept dann mit den entsprechenden Daten und verordneten Medikamenten von den Praxisangestellten bedruckt und ausgegeben. Im zweiten Fall handele es sich um die Verordnung von Sprechstundenbedarf (ohne BtM-Rezepte). Damit würde das bestellt, was der Arzt während der Sprechstunde verabreiche, verbinde etc. Im dritten Fall gehe es um „Blankorezepte“. In der Regel würden keine Rezepte blanko unterschrieben bevorratet. Es komme manchmal vor, dass Patienten ein von ihnen benötigtes Medikament telefonisch bestellten. Dann würden zwei oder drei oder ggf. auch mal mehrere Rezepte auf den Tresen gelegt. Der Arzt unterschreibe diese Rezepte, anschließend würden sie bedruckt werden. Die Medikamente könnten bei Verordnungswiederholung der Patientenakte entnommen werden. Es sei ihr aufgefallen, dass manche Patienten das Medikament nicht erhalten hätten. Dann sei das Blankorezept unterschrieben in die Schublade gelegt worden und habe als „Reserve“ gedient, wenn z.B. der Drucker nicht funktioniert habe und ein Ersatzrezeptvordruck benötigt worden sei. Aufbewahrt wurden die leeren Rezeptblöcke nach dem polizeilichen Abschlussbericht in einem Schrank in der Praxis und der Praxisstempel in einer Schublade.

Der Beigeladene zu 2. bestritt in seinen Aussagen eine Vorratshaltung an Blankorezepten in seiner Praxis. Er fülle ein Rezept in der EDV aus und reiche den Patienten ein unterschriebenes Blankorezept aus. Die Rezepte seien nicht durchnummeriert. Es könne vorkommen, dass der Drucker ein Formular „fresse“ und deshalb ein erneuter Ausdruck nötig werde, was aber nicht die Regel sei.

In den Urteilsgründen der Großen Strafkammer (Az.) wurden diese Einlassungen dahingehend gewertet, dass S. die Rezepte generiere, anschließend versucht habe die Daten wieder zu löschen, was die Auswertung des Praxiscomputers ergeben habe. Die Praxis-EDV sei einfach zu bedienen. Patientendaten könnten mittels Krankenkassenkarte oder händisch eingegeben werden. Das einzutragende Medikament könne durch Anklicken aus einer vorgegebenen Medikamentenliste eingefügt, Daten könnten überdies auch wieder gelöscht werden, solange die automatische Zwischenspeicherung nicht erfolgt sei. Das Löschen von Daten sei im Korrekturfall auch erforderlich. Davon, dass die Unterschrift des Beigeladenen zu 2. leicht zu fälschen sei, habe sich die Kammer anhand einer Unterschriftenprobe, die er in der Hauptverhandlung abgegeben habe, überzeugen können. Nicht sicher auszuschließen sei, dass es in der Praxis des Beigeladenen zu 2. unterschriebene Blankorezepte gegeben habe, obwohl das vom Beigeladenen zu 2. und der Angestellten D. verneint worden wäre. S. sei jedoch im Rahmen ihrer geständigen Einlassung dabeigeblieben, dass sie vom Beigeladenen zu 2. unterzeichnete Blankorezepte verwendet habe. Nähere Feststellungen hätten sich hierzu nicht treffen lassen.

Neben der Klägerin wandten sich weitere 5 Krankenkassen (Knappschaft, AOK Nordwest, DAK, BKK Landesverband (BKK vor Ort) und BKK Landesverband (BKK Essanelle Ost) mit einem entsprechenden Antrag auf Regressfestsetzung gegen den Beigeladenen zu 2. an die Gemeinsame Prüfungsstelle.

Daneben forderten die Klägerin gemeinsam mit den Krankenkassen DAK-Gesundheit und KKH unter dem 10.06.2016 mit der beim Sozialgericht A-Stadt erhobenen Leistungsklage den Schadensbetrag, die Klägerin in Höhe von 67.904,76 €, von dem Apotheker H. (S 8 KR X) in gleicher Angelegenheit, weil dieser für das Verhalten seiner Angestellten B. hafte und selbst gegen den Arzneiversorgungsvertrag verstoßen habe. Dieser Rechtsstreit endete am 08.09.2021 mit einem Vergleich, wonach der Apotheker der Klägerin die Hälfte ihrer Klagforderung (33.952,38 €) nebst Zinsen (i.H.v. 5 % über dem Basissatz seit 16.04.2014) schuldet und die Klägerin an der weitergehenden Forderung nicht festhält.

Nach zwischenzeitlichem Ruhen des Prüfverfahrens für die Dauer des Strafverfahrens lehnte die Gemeinsame Prüfungsstelle den Antrag der Klägerin und die Anträge der weiteren 5 Krankenkassen in gleicher Sache mit dem Bescheid vom 11.07.2019 mit der Begründung ab, dass dem Beigeladenen zu 2. keine schuldhafte Pflichtverletzung nachzuweisen sei.

Den Widerspruch wies der Beklagte mit dem Beschluss vom 20.11.2019 (ausgefertigt unter dem 05.05.2020) und der Begründung zurück, dass die grundsätzlich beweisbelastete Klägerin als Geschädigte nicht nachgewiesen habe, dass der Beigeladene zu 2. entweder persönlich oder durch Haftung im Rahmen der Erfüllungsgehilfenschaft schuldhaft gehandelt habe. Es sei nicht zu ermitteln gewesen, dass der Beigeladene zu 2. unterschriebene Blankorezepte in einer Schublade gelagert und deshalb rechtswidrig gehandelt habe. Eine schuldhafte Pflichtverletzung oder eine schuldhafte Verletzung seiner Sorgfaltspflicht (§ 37 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) sei nicht nachzuweisen. Für den von seiner ehemaligen Praxisangestellten verursachten Schaden der Krankenkasse könne der Beigeladene zu 2. nicht in Anspruch genommen werden. Die Haftungsregeln der §§ 280, 278 BGB fänden keine Anwendung.

Hiergegen richtet sich die am 02.06.2020 erhobene Klage.

Die Klägerin hält daran fest, dass dem Beigeladenen zu 2. das deliktische Verhalten seiner ehemaligen Praxisangestellten als eigener schuldhafter Pflichtverstoß zuzurechnen sei und er deshalb auch für den Schaden der Krankenkassen über das Regressverfahren einzustehen habe. Für sie bestände keine Möglichkeit, Vertragsärzte direkt zivilgerichtlich in Anspruch zu nehmen, sondern nur das Regressverfahren über die Prüfgremien, weshalb das Sozialgericht zuständig sei. Die anzuwendende Rechtsgrundlage für den Regress orientiere sich an den relevanten Abrechnungsquartalen III/2012 bis III/2013, weshalb der BMV-Ä, der erst ab 01.10.2013 in Kraft getreten ist, nicht anzuwenden wäre, sondern der bis dahin geltende EKV-Ä. Zudem habe sie erst am 26.08.2013 durch die Information der Beigeladenen zu 1. Kenntnis von den Vorfällen gehabt.

Der Beigeladene zu 2. habe schuldhaft gegen die Pflicht verstoßen, erforderliche Vordrucke und Stempel so sorgfältig aufzubewahren, dass eine missbräuchliche Verwendung durch seine ehemalige Praxisangestellte S. ausgeschlossen habe werden können. Mit einer sichereren Verwahrung von Stempel und Vordrucken wäre eine Fälschung durch seine ehemalige Angestellte verhindert worden. Er habe einen ungeschützten Zugriff seiner Angestellten auf Stempel und Rezeptblock auch außerhalb der Dienstzeiten zugelassen. Der Arzt sei verpflichtet, dass Inverkehrbringen von aus seinem Verordnungsblock stammenden gefälschten Rezepten zu verhindern, denn die Krankenkassen müssten darauf vertrauen können, dass nur solche Verordnungen die Arztpraxis verlassen würden, die medizinisch indiziert und ordnungsgemäß ausgestellt seien. Dieses folge aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot, für das der Arzt Sachwalter sei.

Der Beigeladene zu 2. habe überdies schuldhaft gegen das Verbot der Ausstellung von Blankoverordnungen verstoßen. Das Ausstellen von Blankorezepten sei eine übliche Vorgehensweise in seiner Praxis gewesen und sei deshalb ein schuldhaftes Verhalten. Ein Verstoß gegen § 15 BMV-Ä sei darin zu sehen, dass der Beigeladene zu 2. Verordnungen nicht selbst ausgestellt habe. Es sei für den objektiven Pflichtverstoß unerheblich, ob der das Rezept ausstellende Arzt die Patienten gekannt habe oder nicht. Die Rezepte entstammten seinem Rezeptblock, hätten seinen Arztstempel getragen und erweckten den Anschein, von ihm höchstpersönlich unterschrieben worden zu sein.

Zudem sei dem Beigeladenen zu 2. gem. § 278 BGB (Haftung für Erfüllungsgehilfen) das deliktische Handeln seiner ehemaligen Praxisangestellten S. zuzurechnen. § 278 BGB finde auch im Vertragsverhältnis zwischen Arzt und Krankenkasse über das Wirtschaftlichkeitsgebot Anwendung. Der Arzt bediene sich gefahrerhöhend seiner Angestellten u.a. bei der Erstellung von Rezepten und nutze dabei Erfüllungsgehilfen. Es bestehe deshalb ein sachlicher Zusammenhang zwischen der Tätigkeit der ehemaligen Angestellten S. und deren Handeln im Rahmen ihres Aufgabenbereichs. S. habe auch bei der deliktischen Erstellung der Rezepte in sachlichem und fachlichen Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit unter Zugriff auf die zur Verfügung gestellte Praxissoftware, Rezeptblöcke, Arztstempel des Beigeladenen zu 2. und Nutzung der bei ihm vorhandenen Versichertendaten gehandelt. Dieses Handeln seiner ehemaligen Angestellten sei nur unter Ausnutzung der Praxismittel (Kartenlesegerät, Praxissoftware, Verordnungsblock, Praxisstempel) möglich gewesen. Es komme deshalb auch nicht darauf an, dass er Kenntnis von dem deliktischen Handeln seiner Angestellten gehabt habe.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Gemeinsamen Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen Mecklenburg-Vorpommern vom 11.07.2019 in der Form des Widerspruchsbescheides des Gemeinsamen Beschwerdeausschusses der Ärzte und Krankenkassen Mecklenburg-Vorpommern vom 05.05.2020 Az: x aufzuheben und ihrem Antrag vom 17.12.2015 auf Feststellung eines sonstigen Schadens stattzugeben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen

und verweist auf die angefochtene Entscheidung.

Der Beigeladene zu 2. sei ebenfalls Opfer. Er sei nicht bereichert. Bereichert sei allenfalls die Apotheke. Ein Verschulden des Arztes sei im Fall einer Regressfestsetzung gem. § 106 SGB V keine Voraussetzung. Geltend gemachte Schadensersatzansprüche müssten gegen „sonstige Schäden“ abgegrenzt werden, für deren Verursachung der Arzt nur dann einzustehen habe, soweit ihn auch ein Verschulden treffe. Ein solches Verschulden liege jedoch nicht vor. Der Beigeladene zu 2. habe den Vorfall selbst zur Anzeige gebracht und auch darauf hingewiesen, dass Verordnungen auf Patienten ausgestellt seien, die teilweise gar nicht in seiner Behandlung gewesen wären. Bereits dadurch habe er seine Sorgfalt zum Ausdruck gebracht. Im Übrigen sei das Sozialgericht nicht für die Abklärung zivilgerichtlicher Schadensersatzansprüche zuständig, die die Klägerin verfolge.

Die Beigeladene zu 1. stellt keinen Antrag.

Sie verweist ebenfalls auf die angefochtene Entscheidung.

Die von der Klägerin angeführte Anspruchsgrundlage im EKV-Ä sei außer Kraft. Ab dem 01.10.2013 gelte der BMV-Ä, der keinerlei Regelungen über die Haftung für Erfüllungs- oder Verrichtungsgehilfen enthalte. Als sozialrechtliche Anspruchsgrundlage komme nur die Feststellung eines sonstigen Schadens durch die Prüfgremien in Betracht. Nach § 48 BMV-Ä müsse durch den Vertragsarzt aber ein Schaden verursacht sein, woran es hier fehle. Es sei geklärt, dass der Beigeladene zu 2. die Verordnungen nicht selbst ausgestellt habe, sondern diese von seiner strafbar handelnden Praxisangestellten mit hoher krimineller Energie ohne sein Wissen ausgestellt und seine Unterschrift gefälscht worden seien. Es sei üblicher Praxisablauf, dass der gesetzlich Krankenversicherte in einer Arztpraxis vom Praxispersonal angenommen, vom Personal seine Versichertenkarte in dem Kartenlesegerät eingelesen, bei etwaiger Arzneiverordnung das entsprechende Muster ausgedruckt, mit dem Arztstempel versehen und dem Arzt zur Unterzeichnung vorgelegt werde.

Der Beigeladene zu 2. habe auch seine Sorgfaltspflichten im Hinblick auf die Aufbewahrung von Arztstempel und Rezeptblöcken eingehalten, was bereits sein Umgang mit BtM-Rezepten belege. Hier habe es sich aber nicht um BtM-Rezepte gehandelt. Auch mit einer unterstellten weitergehenden Aufsicht sei das strafbare Handeln der Angestellten aufgrund ihrer hohen kriminellen Energie nicht zu vermeiden gewesen. Eine Vermeidung des Rezeptmissbrauchs komme nur in Betracht, wenn die Praxisangestellten völlig aus der Berührung mit Rezepten herausgelöst und sämtlicher Arbeitsanfall mit den Rezepten (Eingabe der Patientendaten, Ausdruck, Unterschrift, ggf. Stempel) komplett durch den Arzt übernommen würde. Dieses mache eine Umstrukturierung des Praxisablaufs in sämtlichen Arztpraxen erforderlich und müsse zwangsläufig mit einer Absenkung von Behandlungszahlen der Ärzte einhergehen, was wiederum in eine Unterversorgung führe. Die dem Arzt abzuverlangende Sorgfaltspflicht müsse sich an den Praxismöglichkeiten orientieren. Hieran könnten deshalb auch keine den Praxisalltag verhindernden Anforderungen gestellt werden.

Ein vorsätzliches Handeln des Beigeladenen zu 2. lasse sich erst Recht nicht feststellen. Für das strafbare Handeln seiner Angestellten hafte dieser nicht, weil die ehemalige Mitarbeiterin S. lediglich bei Gelegenheit ihrer Angestelltentätigkeit in der Praxis gehandelt habe. Eine Zurechnung über die Erfüllungsgehilfenschaft scheide deshalb ebenfalls aus.

Der Beigeladene zu 2. tritt dem geltend gemachten Anspruch entgegen und beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er müsse sich das vorsätzlich unerlaubte Handeln seiner ehemaligen Praxisangestellten nicht zurechnen lassen. Er habe nur für solche Pflichtverletzungen einzustehen, die in einem inneren sachlichen Zusammenhang mit dem der Mitarbeiterin zugewiesenen Wirkungskreis ständen. Nicht ausreichend sei insbesondere, wenn die Mitarbeiterin nur bei Gelegenheit der Erfüllung der Verbindlichkeit gehandelt habe. Erforderlich wäre, dass das Fehlverhalten in Ausübung der konkreten Hilfstätigkeit erfolgt sei. Das sei vorliegend jedoch nicht der Fall. Die Möglichkeit des Zugriffs auf einen Verordnungsblock und einen Praxisstempel sei nicht ausreichend, um einen inneren Zusammenhang zu begründen. Da das betrügerische Verhalten der ehemaligen Angestellten u.a. darin begründet gewesen sei, dass sie Medikamentenverordnungen gefälscht habe, denen keine Behandlungen zugrunde gelegen hätten, sei eine Übertragung von Hilfstätigkeiten in Bezug auf die entsprechend konkrete Handlung ausgeschlossen. S. habe selbstständig gehandelt, was sich auch in ihrer Haftung widerspiegeln müsse.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten sowie der zum Verfahren beigezogenen Akten (Strafverfahren 176 Js x, ; Gerichtsakten S 8 KR x, S 8 KR x und S 8 KR x) Bezug genommen, der Gegenstand der Entscheidung ist.

Entscheidungsgründe

Die Kammer entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG).

Soweit die Klage zulässig ist, ist sie unbegründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 20.11.2019 ist rechtmäßig und verletzt die Rechte der Klägerin nicht. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung eines sonstigen Schadens gegen den Beigeladenen zu 2. im Wege des Regressverfahrens.

1. 
Die Klage richtet sich unzulässigerweise auch gegen den Bescheid der Prüfungsstelle. Eine Klage gegen den Bescheid der Prüfungsstelle ist außer in den Fällen des § 106c Abs. 3 S. 6 SGB V unzulässig (vgl. Schmidt im MKLS, 13. Aufl. 2020, SGG § 95 beckonline Rn. 2b m.w.N.). Zulässig ist nur die gegen den Bescheid des Beklagten vom 20.11.2019 gerichtete kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage. In vertragsärztlichen Streitigkeiten/Regressverfahren ist Klagegegenstand grundsätzlich allein der vom Beschwerdeausschuss erlassene Verwaltungsakt.

2. 
Der Bescheid des Beklagten ist formell-rechtmäßig.


Der Beklagte ist für die Feststellung eines sonstigen Schadens wegen fehlerhafter Arzneimittelverordnungen zuständig.


Die Zuständigkeit der Prüfgremien, die eine direkte Klage der Krankenkassen gegen den Arzt sperrt, erfasst alle Arten von Verordnungsfehlern. Deren Sanktionierung ist insgesamt in den §§ 47 BMV-Ä, 106 SGB V und 48 BMV-Ä geregelt und damit umfassend dem Verfahren vor den Prüfgremien zugewiesen. Fehler des Arztes bei der Verordnung von Arznei- oder Heilmitteln, die nicht schon Gegenstand der Wirtschaftlichkeitsprüfung im engeren Sinne sind (§ 106 SGB V), werden ausnahmslos von der Kompetenz der Prüfgremien zur Feststellung sonstiger Schäden gemäß § 48 Abs. 1 BMV-Ä erfasst. Diese Regelung betrifft, ohne zwischen formalen und inhaltlichen Fehlern zu unterscheiden, generalisierend die "unzulässige Verordnung von Leistungen" (BSG v. 20.03.2013, B 6 KA 17/12, juris Rn. 18).

Für die Abgrenzung der Rechtsgrundlagen ist nach dem geltend gemachten Verordnungsfehler zu unterscheiden. Wenn geltend gemacht wird, dass die Verordnung selbst in ihrer inhaltlichen Ausrichtung fehlerhaft gewesen ist (z.B. fragwürdiger Off-Label-Use) ist der Anwendungsbereich des § 106 SGB V eröffnet. Wenn hingegen (nur) geltend gemacht wird, dass die Art und Weise der Ausstellung der Verordnung fehlerhaft gewesen sei, steht ein "sonstiger Schaden" in Frage, der im Verfahren gemäß § 48 BMV-Ä geltend zu machen ist (BSG a.a.O. juris Rn. 19).

In diesem Verfahren ist ausschließlich die fehlerhafte Art und Weise der ausgestellten 22 Genotropinverordnungen/-rezepte gegenständlich, nicht deren Inhalt. In Betracht kommt deshalb nur die Geltendmachung eines sonstigen Schadens. Auf die Feststellung eines sonstigen Schadens gem. § 44 EKV-Ä und § 30 der Prüfvereinbarung für die Abrechnungsquartale III/2012 bis III/2013 war auch der Antrag der Klägerin gerichtet.

3. 
Der Bescheid des Beklagten ist auch materiell-rechtmäßig.

Während sich die formelle Rechtmäßigkeit nach der im Entscheidungszeitpunkt geltenden Rechtslage richtet, beurteilt sich die materielle Rechtmäßigkeit von Regressfestsetzungen nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nach dem im jeweiligen Prüfungszeitraum geltenden Recht (BSG v. 22.10.2014, B 6 KA 8/14 R, juris Rn. 30, 32).

Die Schadensfeststellung nach § 44 EKV-Ä setzt eine verschuldete Pflichtverletzung des Vertragsarztes voraus.

Nach § 44 EKV-Ä wird der sonstige, durch einen Vertragsarzt verursachte Schaden, der einer Ersatzkasse aus der unzulässigen Verordnung von Leistungen, die aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen oder aus der fehlerhaften Ausstellung von Bescheinigungen entsteht, durch die Prüfungseinrichtungen nach § 106 SGB V festgestellt (Abs. 1). Diese Regelung stimmt mit dem ab 01.10.2013 anschließend in Kraft getretenen und die Ersatzkassen ab dem Zeitpunkt umfassenden § 48 BMV-Ä (Fassung bis 31.03.2020) überein. Nach § 30 der Prüfvereinbarung zwischen der KVMV und LV der KK M-V vom 11.07.2008 (die auch für den streitigen Zeitraum Geltung hatte) können die Krankenkassen die Feststellung eines sonstigen Schadens beantragen, den der Vertragsarzt infolge schuldhafter Verletzung vertragsärztlicher Pflichten verursacht hat (z.B. durch die unrichtige Ausstellung von Bescheinigungen), soweit dies nicht durch die Bundesmantelverträge anderweitig geregelt ist. Ausgenommen von der Feststellung eines sonstigen Schadens sind Erstattungsansprüche der Krankenkassen wegen sachlich-rechnerischer Unrichtigkeiten der Honorarabrechnungen oder aus unerlaubten Handlungen des Vertragsarztes. Der Antrag zur Prüfung ist zu begründen und muss den betroffenen Vertragsarzt, den Prüfungsgegenstand und das (die) zu prüfende(n) Quartal(e) bezeichnen. Er ist mit den erforderlichen Unterlagen bei der gemeinsamen Prüfungsstelle einzureichen.

Nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 128 SGG) steht für das Gericht fest, dass dem Beigeladenen zu 2. keine nachweisbare Pflichtverletzung vorzuwerfen ist und er darüber hinaus auch nicht für das Verhalten seiner ehemaligen Praxisangestellten haftet.

Keine der von der Klägerin geltend gemachten drei schadensbegründenden Anknüpfungshandlungen des Beigeladenen zu 2. stellen eine Pflichtverletzung dar, denn den Beigeladenen zu 2. trifft nicht der Vorwurf der pflichtwidrigen Ausstellung und Nichtverwahrung von sog. Blankorezepten (a). Der Arzt hat seine Aufbewahrungspflicht aus § 22 Abs. 4 EKV-Ä (entspr. § 37 Abs. 4 BMV-Ä) für Rezeptvordrucke und Arztstempel nicht verletzt (b) und er haftet auch nicht für die vorsätzlich unerlaubten Handlungen seiner ehemaligen Praxisangestellten S., wie sie vom LG A-Stadt im Strafverfahren festgestellt wurden (c).

Das Gericht kann zur Feststellung, ob der Arzt ein Delikt begangen und er damit seine vertragsärztlichen Pflichten verletzt hat, bestandskräftige Entscheidungen anderer Gerichte und auch die Ergebnisse staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen verwerten (Hessisches LSG v. 24.07.2019, L 4 KA 24/17 juris Rn. 45 m.w.N u.a. BSG v. 02.04.2014, B 6 KA 58/13 B juris Rn. 17). Aufgrund der umfangreichen Beweiserhebung im Strafverfahren und den dortigen Feststellungen sieht sich die Kammer nicht dazu veranlasst, eine weitergehende Beweisaufnahme durchzuführen.

a) 
Die Ausstellung von Blankorezepten, d.h. nur vom Arzt unterschriebenen aber ansonsten nicht ausgefüllten Rezeptvordrucken, und deren unkontrollierte Aufbewahrung in den Praxisräumen stellt einen gröblichen Pflichtenverstoß des Vertragsarztes dar (u.a. Zulassungsentziehungsverfahren SG Hamburg v. 22.11.1979, 3 KA 27/79; LSG Rheinland-Pfalz v. 06.04.2006, L 5 KA 60/05, juris). Dies folgt aus dem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen ärztlichem Behandlungs- und Verordnungsverhalten.

Nach § 14 Abs. 1 EKV-Ä (§ 15 Abs. 1 S. 1 BMV-Ä) hat der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Arzt die Pflicht, die vertragsärztliche Tätigkeit persönlich auszuüben. Das Gebot der persönlichen Leistungserbringung dient der Sicherung der hohen Qualität der vertragsärztlichen Versorgung und ist materielle Voraussetzung für jede ärztliche Tätigkeit in der vertragsärztlichen Versorgung (BSG v. 21.03.2018, B 6 KA 47/16 R, juris Rn. 20). Es gehört zum Verantwortungsbereich des Arztes, dass die Krankenkasse mit Verordnungskosten nur für korrekte Verordnungen belastet wird. Dazu gehört bei einer Erstverordnung, dass ihr eine ärztliche Behandlung zugrunde gelegen hat. Zudem stellt auch die Verordnung über die Verschreibungspflicht von Arzneimitteln (AMVV) klar, dass die Verschreibung "die eigenhändige Unterschrift der verschreibenden Person" enthalten muss (§ 2 Abs. 1 Nr. 10 (AMVV) (BSG v. 20.03.2013, B 6 KA 17/12 R, juris Rn. 40 und 43 m.w.N.). Es besteht ein Zusammenhang zwischen der Behandlung einerseits und der Rezeptausstellung andererseits. Letztere folgt dem Behandlungsgeschehen. Nur wenn der Vertragsarzt sich persönlich vom Krankheitszustand des Patienten überzeugt hat, dürfen Verordnungen ausgestellt werden (§ 13 Abs. 3 EKV-Ä bzw. § 15 Abs. 2 BMV-Ä). Aus diesem Grund bestimmt auch § 2 Abs. 1 Nr. 10 AMVV, dass die Verschreibung die eigenständige Unterschrift der verschreibenden Person enthalten muss (SG München v. 16.03.2022, S 38 KA 300/19, juris Rn. 57).

Im vorliegenden Fall ist aber nicht feststellbar, dass die streitigen Verordnungen, auf die die Klägerin ihren Schadensersatzanspruch stützt, als Blankorezepte ausgestellt worden waren. Die Beweislast liegt bei der Klägerin.

Hier liegt im Hinblick auf den Vorwurf der schadensverursachenden Vorratshaltung von Blankorezepten eine non-liquet-Situation vor. Es ist trotz Ausschöpfung aller Erkenntnisquellen bei teilweise widerstreitenden Angaben der am Strafverfahren Beteiligten nicht aufzuklären, ob und in welchem Umfang in der Praxis des Beigeladenen zu 2. Blankorezeptformulare zirkulierten und bevorratet wurden.

Es ist anhand der Einlassung der Praxisangestellten D. am 26.09.2013 insbesondere hinsichtlich der dritten von ihr beschriebenen Art der Ausstellung von Rezepten in der Praxis nicht gänzlich auszuschließen, dass es solche Blankorezepte in der Arztpraxis gegeben hat, wenngleich sie ausdrücklich erwähnte, dass „in der Regel“ keine Rezepte blanko unterschrieben vorgehalten würden. Der Beigeladene zu 2. hat sowohl in seiner Einlassung gegenüber der Polizei am 23.09.2013 als auch nach den Feststellungen der Großen Strafkammer durchgehend bestritten, dass es in seiner Praxis eine Vorratshaltung an blanko unterschriebenen Rezepten gegeben habe. Die ehemalige Praxisangestellte S. hat in ihrer geständigen Einlassung in der Hauptverhandlung des Strafverfahrens auf den Gebrauch von vorhandenen Blankorezepten verwiesen und ihrem damaligen Arbeitgeber insoweit widersprochen. Gleichwohl ist diese geständige Einlassung der ehemaligen Praxisangestellten S. (Anlage 7 zum Hauptverhandlungsprotokoll vom 26.10.2018) am Ende der strafrechtlichen Hauptverhandlung ersichtlich interessengeleitet und deshalb dahingehend als nicht belastbar zu bewerten. Ihr war nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme im Strafverfahren klar, dass sie eine Verurteilung mit Freiheitsstrafe zu erwarten hatte und gestand – so auch die Strafkammer in den Urteilsgründen zur Strafzumessung – „in letzter Minute“ zur Abwendung einer Gefängnisstrafe. Sie wollte sich mit ihrer geständigen Einlassung die Möglichkeit der Strafaussetzung zur Bewährung erhalten, weshalb sie einerseits anführte, „wie einfach“ und ohne „Schwierigkeiten“ es für sie war, vorhandene Blankorezepte zu nutzen und damit versuchte zu suggerieren, dass es faktisch günstige Gelegenheiten und ein Zutun Dritter für ihre Taten gab und sie wollte sich damit andererseits auch möglichst einfach dem Vorwurf einer sich straferhöhend auswirkenden Urkundenfälschung entziehen. Wegen Urkundenfälschung ist S. strafrechtlich auch nicht verurteilt worden, weil die Strafkammer zuvor eine Beschränkung der Verfolgung gem. § 154a Abs. 2 StPO vorgenommen hatte (Beschluss vom 24.10.2018). Zudem hat sich die Strafkammer durch eine Unterschriftenprobe des Beigeladenen zu 2. in der Hauptverhandlung davon überzeugt, dass seine Unterschrift leicht zu fälschen ist. Davon, dass es sich um eine leicht zu fälschende Unterschrift handelt, ist auch die Kammer durch Inaugenscheinnahme der hier in Rede stehenden Rezeptablichtungen überzeugt. Auf ihre Echtheit sind die 40 zufällig ausgewählten daktyloskopisch geprüften Rezepte nicht untersucht worden. Unwahrscheinlich erscheint es darüber hinaus, dass eine so hohe Anzahl an Blankorezepten (insgesamt 101 Genotropinrezepte) vorrätig gehalten worden sein soll. Ebenso wie für die Strafkammer bestehen deshalb auch für die Kammer keine weiteren Feststellungsmöglichkeiten hinsichtlich des Einsatzes und des Umfangs von Blankorezepten. Es ist darum nicht zweifelsfrei belegt, dass der Beigeladene zu 2. Blankorezepte in seiner Praxis vorrätig gehalten hatte, die für den hier geltend gemachten Schaden ursächlich gewesen sind.

b) 
Nach § 22 Abs. 4 EKV-Ä sind die zur Durchführung der vertragsärztlichen Versorgung erforderlichen Vordrucke und Stempel sorgfältig aufzubewahren. Der Vertragsarzt haftet für die schuldhafte Verletzung seiner Sorgfaltspflicht. Andererseits sind nach § 14 Abs. 1 S. 3 EKV-Ä persönliche Leistungen des Arztes auch Hilfeleistungen nichtärztlicher Mitarbeiter, die der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Arzt anordnet und fachlich überwacht, wenn der nichtärztliche Mitarbeiter zur Erbringung der jeweiligen Hilfeleistung qualifiziert ist.

Eine Verletzung seiner Verpflichtung zur sorgfältigen Aufbewahrung von Rezeptvordrucken und Arztstempel vermag die Kammer unter Berücksichtigung der üblichen und zulässigen arbeitsteiligen Leistungserbringung in einer Arztpraxis nicht zu erkennen.

Der Arzt ist grundsätzlich nicht dazu verpflichtet, sämtliche Leistungen der vertragsärztlichen Versorgung eigenhändig vorzunehmen. Die Durchführung routinemäßiger, einfacher Tätigkeiten durch ärztliches Personal ist üblich und dann als eine ärztliche und persönlich erbrachte Leistung anzusehen, wenn sie unter Überwachung und Kontrolle des Arztes geschieht (SG Dortmund v. 01.09.1992, S 9 KA 38/92, juris). Die Vor- und Zuarbeit sowie einfache Tätigkeiten kann der Vertragsarzt auf Angestellte übertragen, die er sorgfältig auszuwählen und im Übrigen auch im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses zu kontrollieren hat. Die Angestellte D. hat ihren Aufgabenbereich als Praxisangestellte beschrieben. Zu den Aufgaben der medizinischen Praxisangestellten gehörte danach u.a. der erste Patientenkontakt, die Patientenbetreuung, die Unterstützung des Arztes in administrativen Tätigkeiten unter Nutzung der EDV. Die vorhandene „Insellösung“ für das EDV-System lässt einen Zugriff des Arztes und der Praxisangestellten unter Nutzung eines Passwortes zu. Daneben ist die Vor- bzw. Nachbereitung eines Rezeptes Aufgabe des Praxispersonals, wie auch das Auffüllen von Vordrucken im Empfangsraum (am Tresen) und den Sprechzimmern. Der Beigeladene zu 2. bestätigt in seiner polizeilichen Aussage, dass seine Mitarbeiter einen Schlüssel und ungehinderten Zutritt zu den Praxisräumen und der passwortgeschützten EDV hatten. Einen Tresor gibt es nicht. Nur die BtM-Rezepte werden weggeschlossen und sind nummeriert. Die leeren nicht nummerierten Rezeptformulare befinden sich in einem unverschlossenen Schrank in den Praxisräumen. Auch auf den Arztstempel hatten die Praxisangestellten Zugriff. Insgesamt hatte das Praxispersonal deshalb jederzeit Zugriff auf den Rezeptblock bzw. den Arztstempel sowie auch auf die Computertechnik in der Praxis. Die polizeilichen Ermittlungen haben ergeben, dass ein Zugriff auf die EDV von „außen“, also von unberechtigten Dritten, über die hier verwandte „Insellösung“ ausgeschlossen ist. An jedem Arbeitstag wird ein Backup gestartet. Für jeden Tag der Woche gibt es eine Festplatte. Sowohl die Software als auch die Hardware der Arztpraxis werden von einem Praxiscomputerfachunternehmen (IT im Gesundheitswesen) betreut.

Die Notwendigkeit der Zuarbeit des Praxispersonals erfordert die Gewährleistung des Zugriffs auf Verordnungsblock und Arztstempel.

Weder das Aufbewahren eines leeren Rezeptblocks in einem verschlossenen Schrank in der Praxis bzw. im Fall der Auffüllung am Tresen und in den Sprechzimmern noch das Aufbewahren des Arztstempels in einer Schublade bzw. einem Fach noch die regelmäßig gesicherte und fachbetreute EDV-Technik lassen den Rückschluss auf ein sorgfaltswidriges Verhalten des Beigeladenen zu 2. zu. Hierdurch hat der Beigeladene zu 2. dem Missbrauch auch keinen Vorschub geleistet.

Die von der Klägerin zum Vorschubleisten herangezogene Kommentierung zur MBO-Ärzte von Spickhoff/Scholz (4. Aufl. 2022, MBO-Ä 1997 § 7 beckonline Rn. 23) unter Verweis auf die Entscheidung des Bayerischen LSG vom 02.04.2013 (L 12 KA 12/13 B ER) führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Ein Vorschubleisten wird dort dann angenommen, wenn der Arzt dazu beiträgt, dass für einen Rezeptmissbrauch günstige Bedingungen bestehen. Von Vorschubleisten wird dort insbesondere dann ausgegangen, wenn der Arzt berufswidrig die Kontrolle über die Medikamentengabe und Einnahme aus der Hand gibt. Im vorliegenden Fall hatte der Beigeladene zu 2. keinen eigenen Beitrag geleistet, der Anhaltspunkt dafür sein könnte, dass er die Kontrolle über die Verordnung oder Einnahme von Medikamenten berufswidrig aus der Hand gegeben hätte. Er hatte keine Kenntnis über und auch keinen Anteil an der Ausstellung der Genotropinrezepte.

Der Zugang zu Rezeptblock, Arztstempel und Praxis-EDV war ausschließlich Praxismitarbeitern vorbehalten. Vor dem Zugriff unberechtigter Dritter von außen bestand ein ausreichender Schutz. Zur Vor- und Nachbereitung der Rezeptausstellung, insbesondere z.B. hinsichtlich des Einlesens der Gesundheitskarte und des Aushändigens des Rezepts, kann sich der Arzt zulässigerweise seines Hilfspersonals bedienen, weil nicht für jeden Schritt im Verordnungsvorgang Eigenhändigkeit des Arztes vorgesehen ist. Damit aus einem Rezeptvordruck eine Verordnung über ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel wird, das die Apotheke zulässigerweise ausgeben und anschließend abrechnen kann, ist gem. § 2 Abs. 1 Nr. 10 AMVV die eigenhändige Unterschrift der verschreibenden Person oder bei Verschreibungen in elektronischer Form deren qualifizierte elektronische Signatur erforderlich. Ohne eine solche Unterschrift oder Signatur kann und darf die Apotheke das ausgewiesene Medikament nicht herausgeben und hierfür besteht auch keine Abrechnungsmöglichkeit (SG München v. 16.03.2022, S 38 KA 300/19, juris Rn. 57; BSG v. 20.03.2013, B 6 KA 17/12 R juris Rn. 44 und Hessisches LSG v. 18.10.2018, L 8 KR 282/17, juris Rn. 41). Eine Missbrauchsgefahr hinsichtlich der Rezepte ergibt sich deshalb nicht bereits aus einem leeren Rezeptformular, sondern sie entsteht erst mit der Unterschrift des verordnenden Arztes auf dem Rezept, das dann den Anschein der Echtheit erweckt. Dass der Beigeladene zu 2. sorgfältig mit den Vordrucken, dem Stempel und der Technik umging, belegt sein Umgang mit BtM-Rezepten, die nummeriert und von ihm verschlossen aufbewahrt wurden. Seine Technik ist gegen den Zugriff von außen gesichert und fachbetreut. Seine Sorgfalt im Umgang mit rezeptierten Medikamenten brachte der Beigeladene zu 2. auch dadurch zum Ausdruck, dass er sofort nach Kenntnis über Unregelmäßigkeiten in den von seiner Praxis ausgestellten Verordnungen Anzeige erstattete und nachvollzog, welche Verordnungen falsch ausgestellt waren, sowie die Polizei und Staatsanwaltschaft in ihren Ermittlungen unterstützte und damit auch erheblich zur Verurteilung der Tatbeteiligten beitrug.


Dem Praxispersonal ist Zugang zu Rezeptformularen, Arztstempel und Computertechnik zu gewähren, weil die Nutzung in ihren Aufgabenbereich fällt und der zulässigen Unterstützung der ärztlichen Tätigkeit dient. Für die vorgesehene vertragsärztliche Versorgung ist es auch unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots weder vorgesehen noch gerechtfertigt, unbeschriebene Rezeptvordrucke für verschreibungspflichtige Medikamente (einschließlich Arztstempel) dem Zugriff des den Arzt unterstützenden Praxispersonals zu entziehen. Dass ein vollständiger Entzug des Zugangs zu Rezeptvordrucken oder Arztstempel einen Missbrauch verhindern könnte, ist überdies schon deshalb zweifelhaft, weil der technischen Unterstützung abseits des Einsatzes von Formularvordrucken und Stempeln zukünftig immer größere Bedeutung zukommt.

c)
Der Beigeladene zu 2. muss sich auch nicht das deliktische Verhalten seiner Arzthelferin zurechnen lassen.

Die Kammer lässt es offen, ob eine Erfüllungsgehilfenhaftung gem. § 278 BGB, die eine vertragliche Beziehung zwischen Krankenkasse und Vertragsarzt voraussetzen würde, in dem Beziehungsgeflecht des Regressverfahrens überhaupt analog Anwendung finden kann (zu den Besonderheiten der Rechtsbeziehungen der Beteiligten im Regressverfahren: BSG v. 05.05.2010, B 6 KA 5/09 R juris Rn. 44 und BSG v. 20.03.2013, B 6 KA 17/12 R juris Rn. 14, 21 m.w.N.).

Ungeachtet dessen liegen jedenfalls die Voraussetzungen für eine Erfüllungsgehilfenhaftung des Beigeladenen zu 2. nicht vor.

Die Vorschrift des § 278 BGB begründet eine Haftung des Schuldners für seine Hilfspersonen, indem ihm schuldhafte Pflichtverletzungen von Erfüllungsgehilfen und gesetzlichen Vertretern zugerechnet werden. Die Regelung beruht auf dem Gedanken, dass der Schuldner für seinen Geschäfts- und Gefahrenkreis gegenüber dem Gläubiger verantwortlich ist. Wenn er in diesen Pflichtenkreis Hilfspersonen einschaltet, soll er auch das mit dieser Arbeitsteilung verbundene Risiko tragen, dass der Gehilfe schuldhaft Pflichten verletzt.

Die Frage, ob jemand im Pflichtenkreis des Schuldners tätig ist, ist nicht abstrakt zu beurteilen. Maßgeblich ist, ob die konkrete Pflicht, deren Verletzung der Hilfsperson vorgeworfen wird, in den Pflichtenkreis des Schuldners gehört. Voraussetzung für die Erfüllungsgehilfenhaftung ist, dass ein innerer und sachlicher Zusammenhang mit dem übertragenen Wirkungskreis besteht, der dem Gehilfen zugewiesen ist. Zudem darf die Hilfsperson nicht nur bei Gelegenheit der Erfüllung einer Verbindlichkeit gehandelt haben, sondern das Fehlverhalten muss in Ausübung der ihr übertragenen Hilfstätigkeit erfolgt sein (dazu Seichter in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl., § 278 BGB (Stand: 01.02.2023), juris Rn. 1, 24 u. 48). Diese Voraussetzung ist insbesondere dann zu prüfen, wenn es sich bei dem Fehlverhalten um eine vorsätzliche unerlaubte Handlung wie im vorliegenden Fall handelt. Nur wenn die vorsätzlich unerlaubte Handlung innerhalb der übertragenen Hilfstätigkeit erfolgt ist, haftet der Schuldner über die Erfüllungsgehilfenschaft.

Das Verhalten einer Hilfsperson muss für die Annahme einer Erfüllungsgehilfenhaftung in einem „ursächlichen“ und „inneren“ Zusammenhang mit der Erfüllung der Pflichten stehen, die dem Schuldner aufgrund des Schuldverhältnisses obliegen (BGHZ 114, 270; BGH NJW 1997, 2236ff; 2001, 3190). Das zum Schadensersatz verpflichtende Verhalten der Hilfsperson darf nicht so weit außerhalb des Aufgabengebiets liegen, dass der innere Zusammenhang mit den ihr übertragenen Geschäften nicht mehr zu erkennen ist (BGH NJW-RR 2012, 1316; NJW 1963, 2166, 2167), denn der Schuldner haftet für Erfüllungsgehilfen nur im Rahmen eines bestehenden Schuldverhältnisses (dazu Ulber in: Erman BGB, Kommentar, § 278 Verantwortlichkeit des Schuldners für Dritte, juris Rn. 43).

Davon sind auch der BGH in seiner von der Klägerin zitierten Entscheidung aus dem Jahr 1965 (Ib ZR 108/63, insbesondere juris Rn. 20) als auch das OLG Nürnberg in einer Entscheidung vom 19.04.2017 (4 U 2292/16, juris Rn. 24) ausgegangen. Die Gerichte stellten im konkreten Fall fest, dass das Unterstellen von Kundenfahrzeugen in einer Zentralgarage/Hotelgarage und die Verwahrung von Fahrzeugschlüsseln der Kunden eine Nebenpflicht aus dem Beherbergungsvertrag zwischen Hotelbetreiber und Gast darstellte, zu deren Erfüllung der Hotelbetreiber sich seines Personals („Hotelburschen“) bediente, was dann seine Haftung begründete, wenn diese die Fahrzeuge zu einer „Schwarzfahrt“ nutzten.

Diese Fallgestaltung ist mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar, weil – bezogen auf die streitgegenständlichen Rezepte – der Beigeladene zu 2. zu keinem Zeitpunkt die Behandlung dieser Patienten und die Verordnung von Medikamenten auf die Arzthelferin übertragen hatte. Es gab gar keinen Behandlungsfall, aus dem Pflichten des Arztes gegenüber der Krankenkasse herrühren könnten, zu deren Erfüllung der Arzt die Arzthelferin einsetzte.

Soweit der BGH in einer anderen Entscheidung (v. 13.05.1997 - XI ZR 84/96 -, juris Rn. 20) zur Frage eines Mitverschuldens des Kunden bei Einlösung eines verfälschten Schecks durch dessen Angestellte ausgeführt hat, dass die Verfälschung des Schecks als solche keine Pflichtverletzung des Kunden darstellen kann, trifft das auch auf den Arzt zu, der selbst eine Pflichtverletzung gegenüber der Krankenkasse durch Verfälschung der Verordnung nicht begehen kann. Wenn der BGH dann weitere mögliche Pflichten (dort die aus dem Scheckvertrag sich ergebende Nebenpflicht zur sicheren Aufbewahrung des vom Kunden ausgestellten Schecks) geprüft hat, die in zurechenbarer Weise durch die Angestellte verletzt worden seien, hat die Kammer bereits unter a) und b) die im Zusammenhang mit der Arzneimittelverordnung für den Vertragsarzt bestehenden Sorgfaltspflichten geprüft und eine Verletzung durch den Beigeladenen zu 2. verneint. Der vorliegende Fall unterscheidet sich von dem des Bankkunden, der einen Scheck ausgestellt hatte, auch ganz wesentlich dadurch, dass der Beigeladene zu 2. keinerlei Schadensverursachungsbeitrag durch die Ausstellung der streitgegenständlichen Rezepte geleistet hatte.

Auch die von der Klägerin bemühte Rechtsprechung zur Vermögensbetreuungspflicht des Arztes gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen (BGH v. 16.08.2016, 4 StR 163/16) hat in dem vom BGH entschiedenen Fall vorausgesetzt, dass der Arzt überhaupt durch Einzelverordnungen tätig wurde. In dem Moment wurde er als „Sachwalter“ der Kassenfinanzen angesehen.

Die Arzthelferin S. war nicht losgelöst von jeglichem konkreten Arzt-Patientenkontakt befugt, Behandlungsfälle quasi zu erfinden und hierzu Verordnungen auf Patienten der Arztpraxis auszustellen und mit dem Namen des Arztes zu unterschreiben. Zurechnungsrelevante Hilfstätigkeiten der Arzthelferin, weil sich der Beigeladene zu 2. zur Erfüllung seiner Behandlungs- und Abrechnungspflichten ihrer bediente, konnten sich immer nur auf einen konkreten von dem Arzt behandelten Versicherten beziehen. Nur in diesem Rahmen konnte die Arzthelferin in Ausübung der ihr übertragenen Hilfstätigkeiten tätig werden und dann ggf. dem Arzt obliegende Vertragspflichten verletzen. Darum ging es hier erkennbar nicht.

Das strafrechtliche Handeln der ehemaligen Praxisangestellten des Beigeladenen zu 2. ist als sog. Mitarbeiterexzess einzuordnen. Ein Mitarbeiterexzess wird angenommen, wenn Arbeitnehmer sich außerhalb ihres arbeitsvertraglich vorgesehenen Aufgabenbereichs aufhalten und objektiv betrachtet nicht mehr „für den Arbeitgeber tätig sind“. Strafrechtlich verurteilt wurde die ehemalige Praxisangestellte S. u.a. deshalb, weil sie 101 Genotropinrezepte (22 Rezepte zulasten der Klägerin) für Patienten ausstellte und in der Apotheke einlöste, die entweder gar nicht von dem Beigeladenen zu 2. behandelt worden waren oder aber jedenfalls nicht mit Genotropin®-Verordnungen.

Dem Beigeladenen zu 2. ist ein schuldhafter Pflichtverstoß nicht vorzuwerfen, weshalb es an den Voraussetzungen für die Feststellung eines sonstigen Schadens fehlt und gegen ihn auch keine Regressfestsetzung durch den Beklagten zulässig ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 Halbs. 3 SGG i.V.m einer entsprechenden Anwendung von §§ 154, 162 VwGO. Die Klägerin trägt als Unterlegene die Kosten des Verfahrens (§ 154 Abs. 1 VwGO), wozu auch die außergerichtlichen Kosten des Beklagten gehören (§ 162 Abs. 1 VwGO). Es entspricht der Billigkeit, dass die Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 2. erstattet, weil dieser einen Antrag gestellt und die Klage keinen Erfolg hat (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. sind nicht zu erstatten, weil sie keinen Antrag gestellt hat.

Der Streitwert bemisst sich gem. § 52 Abs.1 GKG nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen. Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt ist deren Höhe maßgebend (§ 52 Abs. 3 GKG), hier die streitige Regressforderung (Streitwertkatalog der Sozialgerichtsbarkeit VI. 14.2/14.3 sowie BSG v. 20.03.2013, B 6 KA 17/12 R juris Rn. 47).


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