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Gebührennummer 2197 ist neben der Gebührennummer 6100 GOZ berechenbar

 | Gericht:  Amtsgericht (AG) Bayreuth  | Aktenzeichen: 103 C 762/14 - siehe auch LG Bayreuth - Az.: 13 S 113/14 | Entscheidung:  Urteil
Kategorie Gebühren

Urteilstext


Tenor

I.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 261,83 nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 05.06.2014 zu bezahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben. Die ausscheidbaren Mehrkosten, die durch den Parteiwechsel entstanden sind, hat die bisherige Klägerin zu tragen.

III.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckung kann jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abgewendet werden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV.
Die Berufung wird zugelassen.


Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Erstattung von Behandlungskosten auf Grundlage der bei der Beklagten unterhaltenen privaten Krankenkostenzusatzversicherung im Tarif „ZahnPREMIUM", der die Übernahme von kieferorthopädischen Leistungen mit einem Erstattungssatz von 90 % beinhaltet.

Ihre Forderung gründet in der kieferorthopädischen Behandlung der in den Versicherungsschutz einbezogene Tochter … zur Korrektur der Bisslage, die beim Kieferorthopäden … in … durchgeführt wurde. Hierbei wurden Brackets mit Bogen und Band eingebracht. Zwar hat die Beklagte die hierbei entstandenen Kosten teilweise übernommen, allerdings nicht die von … für seine Tätigkeit vom 04.10.2012 bis 04.12.2013 berechneten Gebühren nach GOZ 2197 und GOZ 6150 analog.

Die Gebührennummer 2197 wurde in der Rechnung vom 28.12.2012 mit EUR 353,14 und vom 03.07.2013 mit EUR 33,63 berechnet. Der analoge Ansatz der Gebührennummer 6150 erfolgte in den Rechnungen vom 28.12.2012, 28.03.2012 und 03.07.2012 (bezüglich des Behandlungsdatums 03.04.) mit jeweils EUR 56,24 sowie in den Rechnungen vom 03.07.2012 (für das Behandlungsdatum 05.06.), 04.10.2012 und 28.12.2013 mit jeweils EUR 28,12. Nur auf die Rechnung vom 28.12.2012 leistete die Beklagte aus Kulanz und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht einen pauschalen Betrag von EUR 100,00. Weitere Erstattungsanträge hat die Beklagte nach Vorlage der Rechnungen jeweils zurückgewiesen und letztmals mit Schreiben vom 15.06.2013 eine Übernahme abgelehnt. Der hiernach beauftragte Prozessbevollmächtigte hat letzte Regulierungsfrist bis 12.09.2013 gesetzt. Unter Berücksichtigung der Kulanzzahlung steht ein Betrag über EUR 475,87 in Streit.

Die Klägerin sieht beide Gebührentatbestände als vertragsgemäß erstattungsfähig an. Sie meint, die Entfernung von Apparaturen sei als selbstständige Leistungen anzusehen und zu ertsatten, was auch der Meinung der Bundeszahnärztekammer entspräche. Die Berechnung von Leistungen dieser Art sei auch nicht mit den Nummern 6030 bis 6050 abgegolten. Die Gebührennummer GOZ 6040 beträfe nur gewöhnliche vorbereitende Maßnahmen, nicht dagegen spezielle Maßnahmen wie etwa das Eingliedern von Brackets, Bändern, Bögen usw. Die Gebührennummer GOZ 6100 umfasse lediglich das Positionieren und die Eingliederung des Brackets und die Überschussentfernung, ohne dass hierin die in GOZ 2197 aufgeführten Leistungen genannt würden. Die adhäsive Befestigung sei somit ebenfalls zusätzlich berechnungsfähig wie auch eine Analogberechnung der GOZ 6150 für das Entfernen eines Bogens.

Ursprünglich hatte die Tochter der Klägerin … die Klage erhoben. Nach Rüge deren
Aktivlegitimation hat die nunmehrige Klägerin mit Schriftsatz vom 16.07.2014 den Parteiwechsel erklärt.

Die Klägerin beantragt:

I.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 475,87 nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit sowie aus einem Betrag in Höhe von EUR 365,62 für die Zeit vom 13.09.2013 bis Rechtshängigkeit zu bezahlen.

II.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsverfolgungs-kosten in Höhe von EUR 83,54 nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 13.09.2013 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie regt die Zulassung der Berufung an.

Die Beklagte ist der Auffassung, die Gebühr nach GOZ 2197 sei nicht neben der ebenfalls berechneten GOZ 6100 geschuldet, denn aus dem Begriff „Klebebracket" ergebe sich, dass dieses durch einen Klebevorgang mit dem Zahn verbunden werde und das Kleben somit Leistungsbestandteil sei, wobei die Klebemethode keine Rolle spielen könne und somit auch eine adhäsive Befestigung keine zusätzliche abrechenbare Maßnahme sei, wofür auch die Systematik der gebührentatbestandlichen Einordnung spräche und auch nach § 4 Abs. 2 GOZ hinreichend klar geregelt sei, dass eine Leistung, die Bestandteil oder eine besondere Ausführung einer anderen berechneten Leistung sei, nicht gesondert zum Ansatz kommen könne. Eine Analogberechnung der Ziffer GOZ 6150 für das Ausgliedern von Bögen verbiete sich auf Grund der Abrechnungsbestimmung nach GOZ 6080, da die Ziffern 6030 bis 6080 alle Leistungen zur Kieferumformung und Retention bzw. zur Einstellung des Unterkiefers in den Regelbiss beinhalten und damit auch das Entfernen alter Bögen beträfe. Zudem werde das Entfernen von Bögen in der Regel an das qualifizierte Fachpersonal delegiert. Diese Behandlungsmaßnahme habe es bereits vor der Novellierung der GOZ gegeben, so dass bei gesonderter Erstattungsfähigkeit die Aufnahme in das Gebührenverzeichnis zu erwarten gewesen wäre.

Hinsichtlich des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Der Streitwert wird auf EUR 475,87 festgesetzt.


Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

Die Beklagte schuldet eine tarifgemäße Erstattung der in den streitgegenständlichen Rechnungen aufgeführten Position GOZ 2197 über EUR 353,14 bzw. EUR 33,63, nicht aber die analog nach GOZ 6150 berechnenten Gebühren.

1.
Nach Auffassung des Gerichts ist die Berechnung der Gebühr GOZ 2197 (adhäsive Befestigung) neben der Gebühr Nr. 6100 (Eingliederung eines Klebebrackets zur Aufnahme orthodontischer Hilfsmittel) zulässig.

1.1.
Zwar darf der Zahnarzt gem. § 4 Abs. 2 GOZ nicht für eine Leistung, die Bestandteil oder eine besondere Ausführung einer anderen Leistung nach dem Gebührenverzeichnis ist, eine Gebühr berechnen, wenn er für die andere Leistung eine Gebühr berechnet hat. Diese Voraussetzungen liegen aber nicht vor.

Die Gebührennummer 6100 bezieht sich schon rein sprachlich nur auf die Eingliederung des Klebebrackets als solches, ohne dass hierin die Art und Weise der Befestigung aufgeführt wird. Damit ist die abzurechnende Leistung rein im Einbringen des Brackets zu sehen und eine besondere Befestigungsweise gesondert zu vergüten, wenn hierfür eine eigene Gebührennummer besteht.

Hätte der Verordnungsgeber die adhäsive Befestigung als Leistungsinhalt der Gebührenposition 6100 gewollt, wäre diese an der Stelle auch beschrieben worden. Dies zeigt z. B. ein Vergleich mit den Nummern 2050 und 2060. In beiden Fällen werden in eine einflächige Kavität Füllungsmaterialien eingebracht - im Fall der 2050 ohne Adhäsivtechnik (die in der Leistungsbeschreibung und in der Bewertung auch nicht genannt werden) und in der Position 2060 mit Adhäsivtechnik. Beide werden unterschiedlich vergütet.

Auch ist bei GOZ 2197 zu sehen, dass hierbei nur die besondere Befestigungstechnik vergütet wird, die sich nicht nur auf die dort genannten Regelbeispiele bezieht, da deren Aufzählung nicht abschließend ist. Somit ist unterfällt vom Leistungsbild her auch das Bracket dieser Befestigungstechnik. Auch wenn es sich bei den genannte Beispielen um dauerhafte Versorgungen handelt, heißt dies zum einen nicht zwingend, dass vorübergehende Maßnahmen generell ausscheiden, zum anderen wird das Bracket gerichtsbekannt auch über einen nicht unerheblichen Zeitraum fest eingesetzt und getragen.

Zudem ist zu sehen, dass die adhäsive Befestigung grundsätzlich mit 130 Punkten vergütet wird. Wäre sie vom Begriff „Klebebracket" nach GOZ 6100 erfasst, würde diese Befestigungsweise nur mit 35 zusätzlichen Punkten bewertet. Es widerspräche aber Wert der Leistung, wie er sich aus der Punktezahl nach GOZ 2197 ablesen lässt, wenn ein Bracket adhäsiv befestigt wird (dann nur 35 Pkte.) oder z. B. ein Stift (dann 130 Pkte.), zumal i. d. R. für die Aufnahme eines Bogens mehrere Brackets je Kieferhälfte erforderlich sind, also der Arbeitsaufwand deutlich höher erscheint als bei einem einzelnen Stift.

GOZ 2197 beinhaltet somit einen speziellen Gebührentatbestand, der die adhäsive Befestigung als solche vergütet.

Das Gericht tritt insoweit ausdrücklich der Auffassung des Amtsgerichts Bayreuth im Endurteil vom 27.02.2014 (107 C 1090/13), dem LG Hildesheim (Urteil v. 29.07.2014 - 1 S 15/14), dem AG Recklinghausen (Urteil vom 19.12.2013, 54 C 117/13) und dem AG Pankow-Weißensee vom 10.01.2014 (6 C 46/13) bei, die ebenfalls dieser Auffassung sind.

Die Einholung eines Sachverständigengutachtens ist hierzu nicht erforderlich. Der Sachverhalt ist zwischen den Parteien unstreitig. Zu entscheiden ist nur die Frage, wie ein bestimmter Gebührentatbestand auszulegen ist, so dass es sich um eine reine Rechtsfrage handelt und - anders etwa als bei gebührenrechtlichen Fragen von Rechtsanwälten - eine mit § 14 RVG vergleichbare Norm in der GOZ fehlt (vgl. auch AG Recklinghausen aaO).

1.2.
Für den erstattungsfähigen Betrag bedeudet dies:

Grundsätzlich muss die Beklagte den Rechnungsbetrag von EUR 386,77 (Rechnung vom 28.12.2012 über EUR 353,14 und vom 03.07.2013 über EUR 33,63) tarifgemäß erstatten, also mit 90 % = EUR 348,09.

Hierauf ist die Kulanzleistung mit EUR 86,26 anzurechnen. Die Beklagte hat zur Abgeltung beider in der Rechnung vom 28.12.2012 streitigen Positionen GOZ 2197 und GOZ 6150 analog insgesamt EUR 100,00 ohne Anerkennung einer Rechtspflicht geleistet, so dass der Betrag beiden Positionen nur in Höhe ihres jeweiligem Anteils zugute kommt. Damit ist die Zahlung nicht in vollem Umfang gegenzurechnen, sondern nur mit demjenigen Anteil, der auf die GOZ 2197 entfällt.

Die streitigen Positionen aus der Rechnung 28.12.2012 betragen der Summe nach EUR 409,38, wovon auf die GOZ 2197 mit EUR 353,14 ein Anteil von 86, 26 % entfällt. Dies bedeutet, dass die Zahlung von EUR 100,00 nur in diesem Umfang (= EUR 86,26) abzusetzen ist.

Somit errechnen sich EUR 261,83.

2.
Abzuweisen ist die Klage bezüglich der Gebührennummer 6150 GOZ. Eine Analogberechnung ist nicht möglich.

In § 6 Abs. 1 GOZ ist zwar geregelt, dass selbstständige zahnärztliche Leistungen, die in das Gebührenverzeichnis nicht aufgenommen sind, entsprechend einer nach Art, Kosten und Zeitaufwand gleichwertigen Leistung des Gebührenverzeichnisses berechnet werden können. Somit fordert die Vorschrift Analogberechnungen geradezu heraus, wenn es keinen speziellen Gebührentatbestand gibt.

Das Zielleistungsprinzip nach § 4 Abs. 2 S. 2 GOZ schränkt diese Möglichkeit aber klar ein, wonach eine Leistung methodisch notwendiger Bestandteil einer anderen Leistung ist, wenn sie inhaltlich die Leistungsbeschreibung der anderen Leistung (Zielleistung) umfasst und auch in deren Bewertung berücksichtigt worden ist.

Gerade dies ist nach Auffassung des Gerichts hier gegeben, wie eine Gegenüberstellung mit vergleichbaren Gebührennummern zeigt.

Die bereits erwähnte Gebühr GOZ 6100 vergütet die Eingliederung eines Klebebrackets zur Aufnahme orthodontischer Hilfsmittel, dessen Entfernung einschließlich Polieren und gegebenenfalls Versiegelung wird dagegen von der Gebührennummer 6110 erfasst. Eben so verhält es sich beim Band mit den Gebührenpositionen 6120 und 6130. Der Verordnungsgeber hat somit den Leistungsinhalt konkret definiert, und mit 165:70 bzw. 230:20 bewertet. Dagegen führen die Leistungspositionen 6140, 6150 und 6160 für Bogen bzw. Verankerung nur das Eingliedern der Hilfsmittel auf, ohne dass ein Gegenpart für deren Entfernung geregelt wurde, bewerten die Eingliederung allerdings deultich höher (210, 500, 370). Dies zeigt unmissverständlich, dass der Verordnungsgeber bewusst keine Gebührenposition zum Ausgliedern des Bogens erschaffen wollte, wie er hier analog 6150 berechnet wurde, sondern in den allgemeinen Maßnahmen zur Umformung eines Kiefers einschließlich Retention in den je nach Umfang bepunkteten Gebührentatbeständen der GOZ 6030 bis 6080 enthalten ist, die zwischen 1350 und 3600 Punkten liegen. Diese Leistungen sind weit gefächert und umfassen auch die Einstellung der Therapiegeräte, also auch das ggf. notwendige Entfernen.

Auch spricht der Wortlaut der GOZ 6150 dagegen, da „Eingliedern" auch sprachlich nicht mit dessen Entfernung vergleichbar ist, weil sie gerade das Gegenteil der bezuggenommenen Leistung beinhaltet (vgl. auch AG Bayreuth, 107 C 1090/13). Dagegen spielt es entgegen der Beklagtenauffassung im Hinblick auf § 4 Abs. 2 S. 1 GOZ keine Rolle, ob die Entfernung der Bögen häufig vom Fachpersonal durchgeführt wird, denn es handelt sich immer um „eigene Leistung".

Die weitergehende Klage ist somit abzuweisen.

3.
Abzuweisen ist die Klage auch bezüglich der Nebenforderungen mit Ausnahme von Rechtshängigkeitszinsen nach § 291 BGB.

Eine ordnungsgemäße Inverzugsetzung der Beklagten durch die allein aktivlegitimierte Klägerin liegt nicht vor, vielmehr hat die Klägerin mit der Beklagten lediglich korrespondiert, ohne dass das Schreiben der Beklagten vom 05.06.2013 als Selbstmahnung aufgefasst werden kann, weil sie „das letzte Wort" der Beklagten beinhaltet. Angesichts des Heil- und Kostenplans gingen beide Parteien davon aus, dass noch weitere Leistungen abgerechnet werden müssen, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht berechnet waren. Diese Leistungen hat die Klägerin auch in der Folgezeit geltend gemacht.

Eine Mahnung durch die Klägerin selbst ist aber nicht vorgetragen und kann auch nicht im anwaltlichen Schreiben vom 02.09.2013 gesehen werden, nachdem sich der Prozessbevollmächtigte für die vormalige, aber nicht aktivlegitimierte Klägerin Isabel Mattern angezeigt hatte und die Mahnung in ihrem Namen aussprach. Nachdem sich die Beklagte somit nicht der Klägerin gegenüber in Verzug befand, schuldet sie auch nicht als Verzugsschaden die aufgewendeten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Nur die ausscheidbaren Mehrkosten, die durch den Parteiwechsel entstanden sind, hat die bisherige Klägerin zu tragen, §§ 269 Abs. 3 ZPO analog (MüKoZPO/Becker-Eberhard ZPO § 263 Rn. 109,110).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht nach § 708 Nr. 11, 711 ZPO.

4.
Die Berufung war zuzulassen, nachdem die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, § 511 Abs. 4 Nr. 1 ZPO.

Soweit ersichtlich liegen überwiegend erstinstanzliche Entscheidungen zu dieser Problematik vor. Angesichts der Häufigkeit von Behandlungen dieser Art und den damit in Zusammenhang stehenden Abrechnungsfragen erscheint eine grundsätzliche Entscheidung zur Schaffung von Rechtsklarheit erforderlich. Insbesondere wird auch innerhalb der Verbände und Abrechnungsstellen diese Frage unterschiedlich gehandhabt.


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