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Gebührennummer 2197 ist neben der Gebührennummer 6100 GOZ berechenbar

 | Gericht:  Landgericht (LG) Bayreuth  | Aktenzeichen: 13 S 113/14 - Berufungsurteil zu 103 C 7621/14 AG Bayreuth | Entscheidung:  Urteil
Kategorie Gebühren

Urteilstext


Tenor

I.
Die Berufung der Beklagten und die Anschlussprüfung der Klägerin gegen das Endurteil des Amtsgerichts Bayreuth vom 23.09.2014 (Aktenzeichen 103 C 762/14) werden zurückgewiesen.

II.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

III.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer I. genannte Urteil des Amtsgerichts Bayreuth ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.


Tatbestand

nicht aufgeführt


Entscheidungsgründe

1.
Das Amtsgericht Bayreuth hat der Klägerin zu Recht einen Betrag von EUR 261,83 nebst Zinsen zugesprochen. Die Klägerin hat einen Anspruch in dieser Höhe gegen die Beklagte aus dem Versicherungsvertrag … in Verbindung mit § 192 Abs. 1 WG. Die Berufungsangriffe der Beklagten führen nicht zu einer anderen Beurteilung. Zutreffend hat das Amtsgericht Bayreuth darauf erkannt, dass die angewandte Adhäsivtechnik nach Ziffer 2197 GOZ neben der Leistung aus Ziffer 6100 GOZ abrechenbar ist. Auch insoweit handelt sich um notwendige Heilbehandlungskosten, sodass eine Einstandspflicht der Beklagten besteht

a)
Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu Fragen zahnärztlicher bzw. kieferorthopädischer Techniken war nicht veranlasst, nachdem die Frage, ob Ziffer 2197 GOZ neben Ziffer 6100 GOZ abrechenbar ist, eine Rechtsfrage darstellt, deren Beantwortung anhand einer Auslegung der Gebührenordnung für Zahnärzte nebst Anlage vornehmen ist. Hierbei handelt es sich um eine Rechtsverordnung, deren Geltungsbereich und Inhalt durch die anerkannten Auslegungsmethoden zu ermitteln ist. Tatsachenfragen, wie zum Beispiel die Einordnung der Adhäsivtechnik als Klebetechnik oder darüber hinausgehende Technik, spielen für die Entscheidung dabei keine Rolle.

b)
Die Auslegung ist anhand der anerkannten Auslegungsmethoden, das heißt, dem Wortlaut der Norm, Systematik, Sinn und Zweck sowie Auswertung der Gesetzesmaterialen und der Entstehungsgeschichte vorzunehmen. Bereits aus dem Wortlaut ergibt sich entgegen den Ausführungen in der Berufung, dass eine gesonderte Vergütung der Anwendung der Adhäsivtechnik neben der Abrechnung der Ziffer 6100 GOZ möglich ist. So ergibt sich aus der Gebühr in Ziffer 6100 GOZ, dass mit der dortigen Leistung „Eingliederung eines Klebebrackts zur Aufnahme orthodontischer Hilfsmittel" abgegolten ist. Demgegenüber spricht Ziffer 2197 GOZ ausdrücklich von der gesonderten Vergütung einer „adhäsiven Befestigung". Bereits daraus zeigt sich bereits, dass Ziffer 6100 GOZ lediglich das Eingliedern selbst als Leistung bezeichnet, ohne die Art und Weise der Eingliederung festzulegen. Nachdem verschiedene Befestigungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die adhäsive Technik jedoch In der GOZ besondere Erwähnung erfuhr, lässt eine Auslegung nach dem Wortlaut der Vorschrift eine Abrechnung nebeneinander zu.

c)
Eine systematische Auslegung lässt daran zunächst, soweit ist der Berufung Recht zu geben, Zweifel aufkommen. Die Abrechnung aus Ziffer 2197 GOZ befindet sich im Bereich der konservierenden Leistungen, während die Abrechnung aus Ziffer 6100 GOZ im Bereich der kieferorthopädischen Leistungen angesiedelt ist, wobei durch den Zahnarzt vorliegend nur kieferorthopädische Leistungen erbracht worden sind. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass der Wortlaut der Gebührennummer 2197 verschiedene Beispiele aufzählt, unter denen keine kieferorthopädischen Leistungen zu finden sind. Dennoch führt diese systematische Auslegung nicht zu einer Änderung der Beurteilung des Amtsgerichts Bayreuth. Wie die Berufung ebenfalls zutreffend ausführt, beschränkt sich die GOZ in weiten Teilen darauf, Behandlungsziele zu definieren, nicht jedoch die Art und Weise der Behandlung vorzugeben. Hieraus erklärt sich auch, dass spezielle Techniken, die einen Mehraufwand erfordern können, unter gesonderten Vergütungsziffern erfasst sind. Da verschiedene Be-festigungstechniken möglich sind, hat der Verordnungsgeber auch hier die Wahl der Methode dem Arzt überlassen. Deshalb verbietet es auch eine systematische Auslegung nicht, die Abrechnung der Gebühr in Ziffer 2197 GOZ neben der Ziffer 6100 GOZ zuzulassen. Der Verordnungsgeber hat in Ziffer 2197 GOZ gezeigt, dass die Anwendung einer adhäsiven Technik eine besondere Vergütungswürdigkeit aufweist und nicht von anderen Gebührenziffern umfasst ist. Dieser Gedanke ist nicht auf konservierende Leistungen beschränkt. Auch die aufgezählten Anwendungen sind lediglich beispielhaft, nicht als abschließend zu beurteilen, was bereits aus der Ergänzung „etc." folgt. Darüber hinaus ist an anerkannt, dass auch andere Gebührennummern aus dem Abschnitt C im Bereich der kieferorthopädischen Behandlungen abrechenbar sind. So hat auch die Beklagte der Abrechnung der Ziffer 2000 aus der Rechnung vom 28.03.2013 nicht widersprochen und mit Leistungabrechnung vom 19.04.2013 als berechtigt anerkannt. Gleiches trifft auf die Abrechnungsziffer 2030 sowie 2000 aus der Rechnung vom 28.12.2012 zu. Daher können systematische Erwägungen der Berufung nicht zum Erfolg verhelfen.

Dies ergibt sich auch aus der vom Amtsgericht Bayreuth zutreffend dargestellten Erwägungen hinsichtlich der Bewertungspunkte, die für die einzelnen Abrechnungsziffern vorgesehen sind. Die unterschiedliche Punktzahl zeigt auch, dass die adhäsive Technik eine besondere ist, die der Verordnungsgeber höher bewertet hat und hinsichtlich derer er eine gesonderte Vergütung zulässt.

d)
Eine Betrachtung von Sinn und Zweck der GOZ stützt ebenfalls die Erwägungen des Amtsgerichts Bayreuth. Die adhäsive Technik ist eine besondere Technik, die einen höheren Aufwand als herkömmliche Klebetechniken beinhalten kann. Dies ergibt sich sowohl daraus, dass der Verordnungsgeber in Ziffer 2197 die adhäsive Technik einer besonderen Erwähnung zugeführt hat als auch daraus, dass sich auch die Bundesärztekammer veranlasst gesehen hat, die Adhäsivtechnik einer besonderen Beurteilung zuzuführen. Die Anwendung dieser Technik spielt nicht nur für die hier streitgegenständliche Rechtsfrage eine Rolle, sondern auch für andere Abrechnungsfragen innerhalb der GOZ. Ein von der Bundeszahnärztekammer in Auftrag gegebenes DGZ-Gutachten zur Adhäsivtechnik, veröffentlicht unter

www.bzaek.de/fileadmin/PDFs/goz/DGZ_Gutachten.pdf

zeigt, dass es sich um eine besondere Methode handelt, sodass auch der Sinn und Zweck der Vorschrift es gebietet, eine gesonderte Vergütungsmöglichkeit vorzusehen. Auch wenn dieses Gutachten zu anderen als den streitgegenständlichen Fragen eingeholt wurde, zeigt sich aus dem Gutachten, dass das Adhäsivverfahren, ohne dass hierzu ein gesondertes Sachverständigengutachten eingeholt werden muss, nicht als „normale" Klebetechnik angesehen werden kann, sondern unabhängig von der Frage, ob es sich noch um eine Klebetechnik handelt, diese jedenfalls als besondere Technik anzusehen ist.

Heranziehung der Gesetzesmaterialen und Entstehungsgeschichte zeigt ebenfalls, dass kein Hindernis besteht, die Abrechnungsziffer 2197 GOZ neben 6100 GOZ anzuwenden. Allein der Umstand, dass der Referentenentwurf einer Verordnung zur Änderung der Gebührenordnung für Zahnärzte vom 24.03.2011 lediglich Anwendungsbeispiele für konservierende Leistungen aufzeigt, ändert nichts an dieser Beurteilung. Die Begründung des Referentenentwurfs zeigt, dass die Wahl von Techniken, die Entwicklung neuer Techniken oder die Veränderung bestehender Techniken offen gelassen werden sollte, um entsprechende Änderungen im handwerklichen/fachlichen Bereich nicht durch Abrechnungsfragen zu blockieren und eine flexible Anwendung der GOZ zu ermöglichen. Auf Seite 24 der Begründung zum Referentenentwurf wird weiterhin ausdrücklich die Verwendung von Kompositmaterialien in Adhäsivtechnik erwähnt und der Begriff der Adhäsivtechnik näher ausgeführt. Auf Seite 25 spricht der Referentenentwurf bei der adhäsiven Befestigung davon, dass ein „Mehraufwand" ausgeglichen werden soll. Dagegen enthält der Referentenentwurf keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Abrechnung von 2197 GOZ neben der Leistung aus 6100 GOZ nicht zulässig sein soll.
f)
Bei der Auffassung des Amtsgerichts Bayreuth handelt es sich um eine derzeit gefestigte Rechtsprechung. Dem Landgericht Bayreuth sind keine entgegenstehenden Entscheidungen deutscher Gerichte bekannt. Soweit die Beklagte eine Entscheidung des Amtsgerichts Hildesheim (Aktenzeichen 81 C 91/13) zitiert, so wurde diese Entscheidung vom Landgericht Hildesheim im Verfahren ,145 (1 S 15/14) aufgehoben. Das Landgericht Hildesheim hat entgegen der Entscheidung des Amtsgerichts Hildesheim ein Nebeneinander beider Abrechnungsziffern für zulässig und sachgerecht erachtet. Auch das Amtsgericht Bonn in der Entscheidung vom 28.07.2014 (Aktenzeichen 116 C 148/13), das Amtsgericht Recklinghausen vom 19.12.2013 (Aktenzeichen 54 C 117/13) und das Amtsgericht Pankow/Weißensee vom 10.01.2014 (Aktenzeichen 6 C 46/13) haben diese Rechtsauffassung vertreten. Der Umstand, dass das Bundesministerium für Gesundheit im Schreiben vorn 31.10.2013 eine gegenteilige Rechtsauffassung äußert (und bereits auf die Gewaltenteilung und die Unbeachtlichkeit seiner Auffassung hinweist), führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Wie bereits ausgeführt, ergeben die zu beachtenden Auslegungsmethoden, dass die Ziffern nebeneinander abrechenbar sind. Schließlich sieht auch die Bundeszahnärztekammer in ihrem unter

www.bzaek.de/fileadmin/PDFs/goz/nov/goz_kommentar_bzaek_stand_1_10_2014.pdf

veröffentlichten Kommentar zur Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) mit Stand vom 01.10.2014 auf Seite 78 aus, dass die GOZ Nummer 2197 auch bei anderen Leistungen, bei denen eine adhäsive Befestigung indiziert ist, zur Anwendung kommen kann, auch bei der Abrechnungsziffer 6100. Auch auf Seite 216 ergibt sich im Rahmen der Kommentierung zur GOZ Nummer 6100, dass die adhäsive Befestigung des Brackets von der Leistungsbeschreibung nicht umfasst ist. Auch wenn man beachtet, dass es sich hierbei um die Kommentierung seitens einer Interessensvertretung handelt, so wird doch in Zusammenschau mit den Gesetzgebungsmaterialien und den ergangenen Gerichtsentscheidungen deutlich, dass bei den maßgeblichen Stellen eine übereinstimmende Beurteilung gegeben ist.

g)
Aus diesen Gründen ist auch unter Berücksichtigung von § 4 Abs. 2 GOZ eine andere Beurteilung nicht veranlasst. Bei der Wahl der adhäsiven Methode handelt es sich gerade nicht um einen unselbständigen Leistungsbestandteil, da die Wahl einer besonderen Technik die bereits die Existenz der Abrechnungsziffer 2197 GOZ zeigt, einen besonderen Vergütungsanspruch begründen kann.

h)
Auch der Umstand, dass es sich bei der Adhäsivtechnik inzwischen um medizinischen Standard handelt, steht dieser Beurteilung nicht entgegen. Zwar ist die Wahl irgendeiner Technik denknotwendig von dem „Einbringen des Klebebrackets" umfasst, der Verordnungsgeber hat jedoch ausdrücklich den Einsatz besonders bezeichneter Techniken einer besonderen Vergütung zugeführt, da der Einsatz dieser namentlich aufgezählten Techniken mit einem erhöhten Aufwand verbunden sein kann. Ob dies im Einzelfall auch der Fall war, spielt für die rechtliche Beurteilung keine Rolle. Die Adhäsivtechnik ist jedenfalls eine sollche besonders erwähnte Ausführungsart.

2.
Die Anschlussberufung der Klägerin blieb ebenfalls erfolglos. Zutreffend hat das Amtsgericht ausgeführt, dass eine Einstandspflicht der Beklagten für die Gebührennummer 6150 GOZ nicht besteht, da es sich insoweit nicht um eine medizinisch notwendige Leistung handelt. Der Anwendung der Vorschrift steht das Zielleistungsprinzip des § 4 Abs. 2 Satz 2 GOZ entgegen, da das Ausgliedern des Bogens notwendiger Bestandteil einer Wiedereingliederung ist. Der Verordnungsgeber hat entgegen dem Vorgang der Eingliederung eine Gebührenposition zum Ausgliedern nicht erwähnt. Dies wird vor allem durch einen Vergleich mit der Ziffer 2702 GOÄ deutlich. Dort hat der Verordnungsgeber im Abschnitt IX (Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgie) für die Entfernung eines Bogens eine gesonderte Vergütung vorgesehen, im Bereich der GOZ jedoch ausdrücklich darauf verzichtet. Es fehlt daner bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Wie sich aus Seite 15 der Begründung zum Referentenentwurf einer Verordnung zur Änderung der Gebührenordnung für Zahnärzte vom 24.03.2011 ergibt, ist auch ein Rückgriff auf das Gebührenverzeichnis der GOÄ über § 6 Abs. 2 GOZ nur dann möglich, wenn die zu berechnende Leistung nicht im Gebührenverzeichnis der GOZ enthalten ist und nicht bereits in einer anderen als vergütungsfähig anzusehenden Leistung notwendigerweise beinhaltet ist. Dies ist jedoch hier Fall, weshalb eine gesonderte Verfügung ausscheidet.

3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO.

4.
Die Revision war nicht zuzulassen, nachdem die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind. Die Kammer teilt die Auffassung des Amtsgerichts nicht, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. Soweit das Amtsgericht Bayreuth ausgeführt hat, dass wegen der „Häufigkeit von Behandlungen dieser Art und den damit in Zusammenhang stehenden Abrechnungsfragen" eine grundsätzliche Entscheidung erforderlich ist, so zeigt ein Blick in die veröffentlichte Rechtsprechung, dass ein solches Bedürfnis nicht besteht. Über die in dieser Entscheidung zitierten Urteile hinaus sind keine veröffentlichten Gerichtsentscheidungen bekannt. Nachdem all diese Gerichtsurteile zur selben rechtlichen Entschätzung kommen, ist auch eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht veranlasst, da eine Rechtsunsicherheit gerade nicht besteht. Die Rechtsauffassung der Bundeszahnärztekammer deckt sich in der bereits zitierten Kommentierung mit der Rechtsauffassung der Gerichte. Allein der Umstand, dass das Bundesministerium für Justiz in seinem vorgelegten Schreiben eine andere Rechtsauffassung vertritt, ist bereits wegen des Grundsatzes der Gewaltenteilung unbeachtlich. Auch die Tatsache, dass nur wenig veröffentlichte Entscheidungen existieren, zeigt, dass die vom Amtsgericht auseführte „Häufigkeit" von Streitigkeiten über diese Fragen offenbar nicht gegeben ist.


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