Erneuerung von Zahnersatz nach vier Jahren

 | Gericht:  Landgericht (LG) Koblenz  | Aktenzeichen: 6 S 112/15 | Entscheidung:  Urteil
Kategorie Gebühren

Urteilstext


Tenor

Die 6. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, die Richterin am Landgericht und die Richterin am Landgericht auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 30.06.2015 für Recht erkannt:

1.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Koblenz vom 12.03.2015, Az. 152 C 2855/13, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von EUR 4.394,73 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.12.2013 zu zahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

2.
Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.


Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der beklagten Versicherung Ersatz der Kosten für eine Zahnheilbehandlung.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Feststellungen in dem angefochtenen Urteil (Bl. 117 ff. d. GA) Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Das Amtsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin habe die Erneuerungsbedürftigkeit des implantatgetragenen Oberkieferzahnersatzes und damit die medizinische Notwendigkeit der Heilbehandlung nicht nachgewiesen.

Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, die ihren erstinstanzlichen Klageantrag zu Ziffer 1) weiterverfolgt. Die Klägerin, die die Neuanfertigung des Oberkieferzahnersatzes als medizinisch notwendig ansieht, rügt die Beweiswürdigung durch das Amtsgericht.

Sie beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts Koblenz vom 12.03.2015, Az. 152 C 2855/13, zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von EUR 4.394,73 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil und wiederholt und vertieft seinen erstinstanzlichen Vortrag. Die Beweiswürdigung durch das Amtsgericht sei nicht zu beanstanden.

Die Berufungskammer hat Beweis erhoben durch Vernehmung des behandelnden Arztes Dr. Dr. … als sachverständigen Zeugen und Anhörung des Sachverständigen Dr. …

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. Hinsichtlich der Begründung des angefochtenen Urteils wird auf dessen Entscheidungsgründe Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig und begründet.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten aus der Versicherung einen Anspruch auf anteilige Erstattung der Kosten für die prothetische Neuversorgung gemäß Rechnung vom 15.10.2012 (Anlage K 2, Bl. 21 f. d. GA), da diese Maßnahme medizinisch notwendig war.

Nach dem hier maßgeblichen § 1 Abs. 2 MB/KK ist der die Leistungspflicht des Versicherers auslösende Versicherungsfall „die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen".

Unstreitig benötigte die Klägerin bei zahnlosem Oberkiefer einen Zahnersatz zur Wiederherstellung der Kaufunktion, zur Verbesserung der Artikulation sowie zur Beseitigung der ästhetischen Beeinträchtigung. Zwischen den Parteien ist jedoch streitig, ob - wie von der Klägerin behauptet und von ihrem behandelnden Arzt Dr. Dr. … bestätigt - eine prothetische Neuversorgung erforderlich war, da die ihr erst im Jahre 2008 angepasste Oberkieferprothese zerbrochen und irreparabel verschlissen oder ob diese Prothese noch brauchbar war.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird mit dem Begriff der medizinisch notwendigen Heilbehandlung zur Bestimmung des Versicherungsfalles ein objektiver, vom Vertrag zwischen Arzt und Patient unabhängiger Maßstab eingeführt (BGH, Urteil vom 08.02.2006 - IV ZR 131/05, zit. nach juris, m. w. N.). Insoweit hängt die Beurteilung nicht allein von der Auffassung des Versicherungsnehmers oder des ihn behandelnden Arztes ab, sondern von den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung (BGH, a. a. O., m. w. N.).

Eine Heilbehandlung ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs medizinisch notwendig im Sinne des § 1 Abs. 2 MB/KK, wenn es nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnisse zum Zeitpunkt der Vornahme der ärztlichen Behandlung vertretbar war, als notwendig anzusehen (BGH NJW 1996, 3074).

Die Beweislast für die medizinische Notwendigkeit der Heilbehandlung trägt der Versicherungsnehmer (vgl. BGH NJW-RR 2004,1399). Grundsätzlich wird das sachverständige Zeugnis des behandelnden Arztes nicht als geeignetes Beweismittel für die medizinische Notwendigkeit angesehen und kann der Beweis letztlich nur durch das Gutachten eines neutralen Sachverständigen geführt werden (BGH, Urteil vom 10.07.1996 - IV ZR 133,95; OLG Koblenz, Beschlüsse vom 30.04.2009 und vom 09.07.2009 - 10 U 959/08, zit. nach juris; Voit, in: Prölss/Martin, WG, 29. Aufl. 2015, § 192 Rn. 61).

Vorliegend war für den von dem Gericht hinzugezogenen Sachverständigen Dr. … zwar zunächst nicht mehr feststellbar, ob die prothetische Versorgung aus dem Jahre 2008 erneuerungsbedürftig war, da es gemäß seinen nachvollziehbaren Ausführungen hierfür der klinischen Überprüfung des alten Zahnersatzes im Munde der Klägerin bedurft hätte und zudem eine genaue materielle Untersuchung der Sekundärkonstruktion nötig gewesen wäre. Entsprechende Untersuchungen waren jedoch nicht mehr möglich, da die Klägerin den Zahnersatz nach eigenen Angaben entsorgt hatte und dieser daher nicht mehr für Untersuchungen zur Verfügung stand.

Gleichwohl ist es der Klägerin auch unter Berücksichtigung der von der Rechtsprechung entwickelten vorstehenden Grundsätze hierdurch nicht unmöglich geworden, die medizinische Notwendigkeit der Erneuerung des Zahnersatzes zu beweisen. Denn der behandelnde Arzt der Klägerin Dr. Dr. … hat als sachverständiger Zeuge dargelegt, dass es bei der prothetischen Oberkieferversorgung aus dem Jahre 2008 wiederholt zu Rissen gekommen sei, nachdem die Prothese über mehrere Jahre beanstandungsfrei von der Klägerin getragen worden sei. Die rein implantatgetragene Versorgung unterliege einem größeren Verschleiß, da auf diese eine größere Kaukraft einwirke. Denn im Gegensatz zu natürlichen Zähnen seien Implantate in aller Regel nicht aufbissempfindlich, so dass man bei einer Implantatversorgung unwillkürlich stärker zubeiße. Mit der zunehmenden Zahl von Reparaturen und Anpassungsmaßnahmen sei die auf Präzisionsarbeit beruhende Prothese hier immer instabiler geworden, insbesondere sei die Federkraft des Stahlträgers verschlissen gewesen, so dass sich die Reparaturintervalle stetig verkürzt hätten und letztlich eine Neuanfertigung erforderlich geworden sei, nachdem ein ganzes Segment herausgebrochen sei.

Für den hierzu angehörten Sachverständigen Dr. … sind die Angaben des Zeugen nachvollziehbar. Zu der durchschnittlichen Lebensdauer einer Oberkiefer-Teleskopversorgung konnte der Sachverständige mangels entsprechender Studien zwar keine Angaben machen, doch hält er es durchaus für möglich, dass die Prothese hier aufgrund starker Beanspruchung bereits nach vier Jahren irreparabel beschädigt war, wobei für ihn auch andere Ursachen (wie etwa ein labortechnisches Problem) denkbar erschienen. Im Hinblick auf die vorangegangenen wiederholten Reparaturen hat der Sachverständige darüber hinaus ausgeführt, dass er im Falle von - wie hier -12 Reparaturen als Behandler selbst erwägen würde, die Prothese zu erneuern, da der Wert und die Exaktheit der Arbeit litten. Angesichts der fehlenden Oberkieferprothese sei eine prothetische Neuversorgung der Klägerin medizinisch notwendig gewesen.

Die Kammer folgt den nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen und des sachverständigen Zeugen. Die widerspruchsfreien Angaben des Zeugen, die von dem Sachverständigen bestätigt wurden, waren glaubhaft. Die Kammer hat keine Anhaltspunkte, an der Glaubwürdigkeit des Zeugen zu zweifeln. Hierfür genügt insbesondere noch nicht der Umstand, dass der Zeuge Dr. Dr. … der behandelnde Arzt der Klägerin ist, der selbst die vorherige und die nunmehr in Rechnung gestellte Prothese angefertigt hat. Nach dem Ergebnis der Beweisnahme steht daher zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Oberkieferprothese aus dem Jahre 2008 zuletzt irreparabel verschlissen und es objektiv vertretbar war, eine prothetische Neuversorgung als medizinisch erforderlich anzusehen.

Schließlich besteht auch keine vertraglich vereinbarte Obliegenheit, defekte Prothesen zu Untersuchungszwecken aufzubewahren, die ein anderes Ergebnis rechtfertigen würde.

Nach den getroffenen Feststellungen scheidet auch ein Leistungsausschluss wegen Verstoßes gegen das Obermaßverbot nach § 5 Abs. 2 MB/KK aus. Dass die Versorgung mit einem implantatgetragenen Oberkieferzahnersatz bereits für sich genommen das medizinisch notwendige Maß überschreitet, trägt selbst der Beklagte nicht vor.

Nach dem vereinbarten Versicherungstarif schuldet der Beklagte der Klägerin danach einen Betrag in Höhe von insgesamt EUR 4.394,73. Die Forderungshöhe ist zwischen den Parteien unstreitig. Hinsichtlich der Aufschlüsselung der Gesamtforderung wird auf die Ausführungen auf S. 6 der Klageschrift vom 25.11.2013 verwiesen, der auch der Beklagte nicht entgegengetreten ist.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288, 291 BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 10, 711,713 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 543 ZPO bestehen nicht.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf EUR 4.394,73 festgesetzt.


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