Urteilstext
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit einer Kreuzbandoperation geltend.
Die im Jahr 1998 geborene Klägerin zog sich im Februar 2014 eine Kreuzbandruptur im linken Kniegelenk während eines Auslandsaufenthalts zu. Es erfolgte zunächst eine physiotherapeutische Behandlung in den USA.
Nach Rückkehr der Klägerin stellte sie sich in der Praxis des Beklagten vor. Der Beklagte empfahl einen operativen Kreuzbandersatz. Am 27.08.2014 setzte der Beklagte eine Kreuzbandplastik, bestehend aus einer körpereigenen Sehne, in das Kniegelenk der Klägerin ein.
Am 18.12.2014 und am 20.12.2014 nahm der Beklagte Revisionsarthroskopien vor.
Am 06.06.2016 entfernte Herr Professor Dr. N die vom Beklagten eingebrachte Kreuzbandplastik und implantierte im Oktober 2016 eine neue Kreuzbandplastik. Am 12.06.2017 wurde eine Schraube entfernt.
Die Klägerin behauptet, die vom Beklagten empfohlene Behandlung (Kreuzbandersatz) sei nicht indiziert gewesen. Zum Zeitpunkt ihrer Vorstellung bei dem Beklagten habe lediglich eine leichte Instabilität im Kniegelenk bestanden. Das vom Beklagten in der Operation vom 27.08.2014 gesetzte Kreuzbandtransplantat sei vollständig insuffizient, da es zu weit hinten angebracht worden sei und die Winkel der Bohrtunnel fehlerhaft gewesen seien. Infolgedessen sei eine Entfernung dieser Kreuzbandplastik notwendig gewesen. Das linke Kniegelenk der Klägerin sei nach wie vor nur sehr eingeschränkt belastbar; sie habe bei stärkerer Belastung, insbesondere beim Sport starke Schmerzen; es handele sich um ein massiv geschädigtes Gelenk; es bestehe weiterhin ein Streckdefizit, sie müsse starke Schmerzmittel nehmen. Auch künftig sei mit massiven Funktionseinschränkungen und dauerhaften Beschwerden zu rechnen; es sei davon auszugehen, dass die Klägerin innerhalb der kommenden zehn Jahre auf Gelenkersatz oder Teilgelenkersatz angewiesen sein werde; es liege ein Dauerschaden vor.
Die Klägerin beantragt:
I.
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld aus der fehlerhaften Behandlung vom 27.08.2014 und 18.12.2014 zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch Euro 10.000,00.
II.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche zukünftigen immateriellen und alle vergangenen und künftigen materiellen Ansprüche, die ihr infolge der fehlerhaften Behandlung vom 27.08.2014 entstanden sind, bzw. noch entstehen werden, zu ersetzen soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.
Der Beklagte beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Beklagte behauptet, die Klägerin habe ihm gegenüber am 11.07.2014 eindrucksvoll ein Instabilitätsgefühl im verletzten Kniegelenk geschildert. Sie habe angegeben, keinen Sport treiben zu können. Er habe der Klägerin und ihren Eltern ausführlich das Krankheitsbild sowie die operativen und konservativen Behandlungsmöglichkeiten erläutert. Der Beklagte erhebt den Einwand der hypothetischen Einwilligung.
Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Sachverständigengutachtens und Einvernahme der Zeugin D. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. M vom 12.04.2019 und 28.09.2019 sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 22.09.2020 Bezug genommen und wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Niederschriften der mündlichen Verhandlungen vom 18.09.2018 und 22.9.2020 sowie auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Klägerin steht wieder unter vertraglichen, noch unter deliktischen Gesichtspunkten ein Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten zu, weil Behandlungsfehler nicht feststehen und die Aufklärung in ausreichendem Maße erfolgte.
Die Kammer hat sich bei ihrer Beurteilung sachverständig durch den Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Prof. Dr. M beraten lassen, welcher der Kammer als erfahrener Gutachter bekannt ist. Namentlich weiß die Kammer aus zahlreichen Fällen, dass der Sachverständige stets zu gut nachvollziehbaren und ausgewogenen Bewertungen kommt, ohne der Patienten- oder der Behandlerseite einseitig mehr zuzuneigen. Fehlerhaftes ärztliches Verhalten oder Aufklärungsmängel benennt der Sachverständige genauso deutlich wie den Mangel an Anhaltspunkten für einen Behandlungsfehler. In zahlreichen Fällen sich der Sachverständige auch nicht davor gescheut, einen Behandlungsfehler als grob zu klassifizieren. Im vorliegenden Fall ist der Sachverständige nach gründlicher Auswertung der Behandlungsunterlagen unter Berücksichtigung der Argumente der Parteien zu gut nachvollziehbaren und ausführlich begründeten Ergebnissen gekommen.
I.
Ansprüche unter dem Gesichtspunkt der Aufklärung sind nicht gegeben.
1.
Die Kammer ist davon überzeugt, dass der Beklagte die Klägerin und ihre Mutter in dem dokumentierten und im Übrigen von ihm glaubhaft in den mündlichen Verhandlungen vom 18.09.2018 und 22.09.2020 bekundeten Umfang aufgeklärt hat.
a.
In der als Anlage B2 vorgelegten Aufklärungsdokumentation werden sowohl Bewegungseinschränkungen als Folge von Narbenbildung (“Arthrofibrose“ - vgl. S. 3 des Aufklärungsbogens, linke Spalte, vorletzter Punkt) wie auch ein Ausreißen der Wandbefestigung mit dem Erfordernis einer Nachoperation (vgl. S. 3 des Aufklärungsbogens, linke Spalte, drittletzter Punkt) genannt. Auf Seite 1 des Aufklärungsbogen wird ausgeführt, dass die Verletzung auch konservativ behandelt werden kann. Die Klägerin (mündliche Verhandlung vom 18.09.2018) und ihre Mutter (mündliche Verhandlung vom 22.9.2020) haben übereinstimmend angegeben, dass der Beklagte inhaltlich die Themen des Aufklärungsbogens besprochen habe. Dabei steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Beklagte der Klägerin den Aufklärungsbogen mitgegeben hat. Dies hat zum einen auch die Mutter der Klägerin bestätigt. Zum anderen erklärt sich so auch das Datum der Unterschriftsleistungen auf dem Aufklärungsbogen. Durch die glaubhafte Schilderung des Beklagten zu der von ihm üblicherweise und stets geübten Aufklärungspraxis ist zur Überzeugung der Kammer die Behauptung der Mutter der Klägerin widerlegt, der Beklagte habe im Rahmen des Aufklärungsgesprächs die Risiken lediglich „herunter gerattert“.
Der Beklagte hat glaubhaft bekundet, dass er der Klägerin und ihrer Mutter die vorstehend bereits diskutierten Aspekte mündlich erläutert hat.
aa.
Namentlich hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 22.09.2020 angegeben, dass er von dem Erfordernis einer physiotherapeutischen Behandlung gesprochen hat, um der sonst drohenden Bewegungseinschränkungen entgegenzuwirken. Damit ergibt sich ohne weiteres, dass Bewegungsbeeinträchtigungen zu den eingriffstypischen Risiken gehören. Der Beklagte hat geschildert, dass er eine ständige Praxis im Rahmen derartiger Aufklärungsgespräche habe. Er habe seinerzeit ca. 30 derartige Eingriffe jährlich durchgeführt. Der Beklagte hat auch in der mündlichen Verhandlung vom 22.9.2020 routiniert, sicher und gleichwohl verständlich seine üblicherweise im Rahmen von Aufklärungsgesprächen erfolgenden Äußerungen wiedergegeben. In der mündlichen Verhandlung vom 18.09.2018 hatte der Beklagte – freimütig – konzediert, dass er nicht mehr in Erinnerung habe, mit welchen genauen Wortlaut er gegenüber der Klägerin das Risiko eines verbleibenden Streckdefizits dargestellt habe. Die Kammer hat keinen Zweifel daran, dass der Beklagte die Klägerin und ihre Mutter sinngemäß in der Weise aufgeklärt hat, wie er es bekundet hat. Offensichtlich folgten auch seine Erläuterungen vom 22.9.2020 einer ständigen Übung. Mit den Angaben des Beklagten lässt sich auch in Einklang bringen, dass die als Zeugin einvernommen Mutter der Klägerin sich daran erinnern konnte, dass der Beklagte von dem Erfordernis Einer physiotherapeutischen Behandlung nach der Operation sprach, „damit das Knie wieder beweglich wird“. Auch auf das Misserfolgsrisiko der hat der Beklagte die Klägerin und ihre Mutter zur Überzeugung der Kammer deutlich hingewiesen (vergleiche Seite 3 des Protokolls vom 18.09.2018).
bb.
Über die Möglichkeit einer konservativen Behandlung hat der Beklagte die Klägerin ausweislich seiner glaubhaften Angaben vom 18.09.2018 informiert (vgl. S. 2 des Protokolls).
Dies könnte im Übrigen sogar dahinstehen. Die Zeugin D hat angegeben, dass die Klägerin und sie selbst erwogen hatten, auf die Operation zu verzichten. Damit war beiden selbstredend bekannt, dass alternativ zur Operation eine weitere physiotherapeutische Behandlung in Betracht kommt.
cc.
Der Beklagte hat unstreitig die operative Behandlung mittels Kreuzbandersatz empfohlen.
Hingegen hat der Beklagte zur Überzeugung der Kammer der Klägerin und ihrer Mutter dabei nicht den Eindruck vermittelt, dass es grob fahrlässig wäre, die Operation nicht durchzuführen. Mit den glaubhaften Angaben des Beklagten lässt sich eine derartige Darstellung nicht in Einklang bringen. Soweit die Klägerin und ihre Mutter heute davon überzeugt sind, dass der Beklagte ihnen den Eingriff in dieser vehementen Art und Weise empfohlen hätte, beruht dies zur Überzeugung der Kammer darauf, dass die Klägerin und ihre Mutter heute aus ihrer Erinnerung verdrängt haben, dass der Beklagte ihnen gegenüber die Risiken einer verbleibenden Instabilität und eines verbleibenden Streckdefizits erläutert hat, sowie, dass sie sich heute nicht vorstellen können, in den Eingriff eingewilligt zu haben, wenn ihnen diese Risiken bewusst wären. Dies beruht zur Überzeugung der Kammer darauf, dass der wirklich schwere postoperative Leidensweg der Klägerin alle Belehrungen vor der Operation in den Schatten stellt. So können sich die Klägerin und ihre Mutter auch heute nicht mehr daran erinnern, dass der Wunsch der Klägerin, wieder in noch weitgehenderem Umfang Sport machen zu können, vor der Operation im Vordergrund gestanden hat. Zwar gab die Mutter der Klägerin an, dass die Klägerin zahlreiche Sportarten vor der Operation schon wieder habe ausüben können sowie einen 100m-Lauf sogar gewonnen habe. Gleichwohl hatte die Klägerin auf Basketballspiele wegen der damit verbundenen Richtungsänderungen verzichtet und umfassende sportliche Möglichkeiten spielten für sie - gerade auch im Hinblick auf ihr junges Alter - eine nicht unerhebliche Rolle.
b.
Die erfolgte Aufklärung vermittelte der Klägerin und ihrer Mutter das gemäß § 630e BGB erforderliche Wissen, um wirksam in den Eingriff einwilligen zu können.
aa.
Dass der Beklagte der Klägerin zur Operation riet, ist nicht zu beanstanden. Die Studienlage lässt keine klare Schlussfolgerung zu, ob eine konservative oder eine operative Therapie zu einem besseren funktionellen Ergebnis führt. Allerdings ist in Beobachtungsstudien die Tendenz erkennbar, dass operierte Patienten einen besseren Funktionsgewinn erzielen. Die konservative Behandlung versagte bei ca. 17,5 %. Zudem handelte es sich bei der Klägerin um eine sportliche junge Frau, welche zum Zeitpunkt ihrer Vorstellung beim Beklagten bereits physiotherapeutisch behandelt worden war. Nachdem gleichwohl noch eine – zumindest leichte – Instabilität verblieben war, hat sich die physiotherapeutische Behandlung als erfolglos dargestellt. Bei fehlender muskuläre Kompensation drohten Sekundärschäden am Meniskus und am Knorpel. Diese Aspekte sowie das Alter der Klägerin sprachen für eine operative Stabilisierung durch eine Kreuzbandplastik (vergleiche S. 24 des Gutachtens vom 12.04.2019, Bl. 110 d.A.).
bb.
Entgegen der Auffassung des Klägervertreters (mündliche Verhandlung vom 22.09.2020) war es auch nicht geboten, die Klägerin darauf hinzuweisen, dass es sich bei einem Streckdefizit um eine Standardkomplikation handele. Zwar trifft es zu, dass der Sachverständige auf Seite 28 seines Gutachtens vom 12.04.2019 mitgeteilt hat, dass es sich hierbei um eine typische Komplikation infolge ungünstiger Narbenentwicklung handele. Mit dieser Aussage hat sich der Sachverständige, welcher bekanntermaßen nicht nur für das Landgericht München II als Gerichtsgutachter in zahlreichen Verfahren tätig ist, allerdings offensichtlich auf die Vorgabe des Bundesgerichtshofs bezogen, dass ein Patient über eingriffstypische Risiken aufzuklären sei, welche für seine weitere Lebensführung in erheblicher Weise belastend sein können. Dabei führt der Bundesgerichtshof aus – was dem Sachverständigen nach Kenntnis der Kammer bekannt ist –, dass die Erforderlichkeit der Aufklärung bei einem spezifisch mit der Therapie verbundenen Risiko nicht davon abhängt, wie oft das Risiko zu einer Komplikation führt („Komplikations- oder Risikodichte“; vgl. BGH NJW 2009, 1209 f.; NJW 2011, 375; NJW 2011, 1088 ff.). Der Aussage des Sachverständigen, dass es sich bei einer Bewegungseinschränkung aufgrund ungünstiger Narbenentwicklung um eine typische Komplikation einer Gelenksoperation handele, lässt sich daher mitnichten entnehmen, dass dieses Risiko mit einer bestimmten – möglicherweise sogar erheblichen – Wahrscheinlichkeit oder Häufigkeit auftreten würde.
cc.
Dass die Aufklärung – wie sie zur Überzeugung der Kammer feststeht – im Übrigen nicht den Anforderungen entsprochen hätte, macht die Klägerin schon nicht geltend. Von der Informationen über mögliche Bewegungseinschränkungen und ein Versagen der operativen Therapie in Form einer verbleibenden Instabilität ggf. mit dem Erfordernis von Folgeeingriffen ist die Kammer aus den genannten Gründen überzeugt. Auf ein mögliches Streckdefizit musste nicht explizit hingewiesen werden, denn dies ist nichts anderes als eine Form der Bewegungseinschränkung. Ferner hat der Beklagte die Klägerin und ihre Mutter zur Überzeugung der Kammer auf die Möglichkeit einer konservativen Therapie hingewiesen, welche den beiden im Übrigen ohnehin bereits bekannt war. Dass eine Information noch über anderweitige Umstände erforderlich gewesen wäre, bringt die Klägerin weder vor, noch ist das – auch nach den Ausführungen des Sachverständigen – sonstwie ersichtlich. Nur am Rande sei daher angemerkt, dass die Fortsetzung einer physiotherapeutischen Behandlung auch überhaupt nicht aufklärungspflichtig ist, soweit sie sich – wie hier vom Sachverständigen auf Seite 24 seines Gutachtens vom 12.04.2019 (Blatt 110 der Akte) ausgeführt – als erfolglos herausgestellt hat (OLG Brandenburg, Urteil vom 4.11.2010). Soweit dem Patienten bekannt ist, dass sein Leiden konservativ (weiter-)therapiert werden kann, stellt es im Übrigen auch kein Aufklärungsversäumnis dar, ihm schlichtweg das operative Vorgehen zu empfehlen (OLG Koblenz VersR 2012, 1304 f.).
2.
Auch ist die Kammer davon überzeugt, dass die Klägerin jedenfalls in den Eingriff eingewilligt hätte.
a.
Abzustellen ist insoweit allein auf die Klägerin.
Nach der herrschenden Auffassung bestimmt sich die Einwilligungsfähigkeit nach der von Geschäftsfähigkeit und bestimmten Altersgrenzen unabhängigen tatsächlichen („natürlichen“) Einsichts- und Urteilsfähigkeit, was bei Eingriffen in höchst persönliche Rechtsgüter wie die Gesundheit bedeutet, dass der Einwilligende Wesen, Bedeutung und Tragweite des fraglichen Eingriffs voll zu erfassen und seinen Willen danach zu bestimmen imstande sein muss. Bei Jugendlichen gilt: Je schwerwiegender, je weniger dringlich, je unübersehbarer in seinen Risiken und Folgen der Eingriff und je jünger der Patient sind, desto eher fehlt die Einwilligungsfähigkeit (vgl. LG Göttingen, Urt. v. 26.6.2008, 1 KLs 11/08, Rz. 71; ausführlich zum Meinungsstand: Bichler GesR 2014, 208, 209 f.).
Minderjährigen Patienten kann bei einem nur relativ indizierten Eingriff mit der Möglichkeit erheblicher Folgen für ihre künftige Lebensgestaltung – wenn sie über eine ausreichende Urteilsfähigkeit verfügen - zumindest ein Veto-Recht gegen die Fremdbestimmung durch die gesetzlichen Vertreter zustehen (BGH NJW 2007, 217, 218). Die Entscheidungskompetenz des Minderjährigen reduziert sich nach zutreffender Auffassung aber nur dann auf ein Vetorecht, wenn der Betroffene zwar noch nicht über das Einsichts- und Urteilsvermögen verfügt, um sich dazu durchzuringen, der Maßnahme zuzustimmen, er aber Bedeutung und Tragweite seiner Entscheidung versteht, seine Zustimmung jetzt (also zumindest vorerst) zu verweigern (also ein „Veto“ auszusprechen). Hingegen liegt bei einem voll einsichts- und urteilsfähigen minderjährigen Patienten auch die volle Entscheidungskompetenz vor (so auch BGHZ 29, 33, 36 und BGH NJW 1967, 1177 f; OLG Hamm NJW 2020, 1373; ähnlich Bichler GesR 2014, 208, 211 f., Kreße MedR 2015, 91 (94) und MedR 2020, 287 (288 f.), Laufs/Kern/Ulsenheimer, Handbuch des Arztrechts, 4. Aufl. 2010 § 139 Rn. 45 ff., Müko-BGB/Wagner 6. Aufl. 2013 § 823 Rn. 767, Palandt/Weidenkaff 77. Aufl. § 630d Rn. 3, Palandt/Götz 77. Aufl. § 1626 Rn. 10, Hoffmann NZFam 2015, 985, 986 und Ratzel GesR 2015, 399; abweichend interpretieren Coester-Waltjen in MedR 2012, 553, 556, 559 f. und Geiß/Greiner C. Rn. 115 die Rechtsprechung des 6. Zivilsenats des BGH; nach ihrer Auffassung ergäbe sich aus der Entscheidung NJW 2007, 217 f., dass der einsichts- und urteilsfähige Minderjährige nicht gegen den Willen der Personensorgeberechtigten in einen medizinisch indizierten, gravierenden Eingriff wirksam einwilligen können solle und ggf. die elterliche Einwilligung nach § 1666 BGB ersetzt werden müsse; explizit für ein bloßes Veto-Recht des Minderjährigen sprechen sich im Hinblick auf das Elternrecht aus Art. 6 II S. 1 GG Laufs/Katzenmeier/Lipp/Lipp Kap. VI Rn. 183 und Müko-BGB/Olzen § 1666 Rn. 78 aus; vgl. hierzu auch Damm MedR 2015, 231, 232 f. und Spickhoff MedR 2015, 845, 850 f. sowie die nicht ohne weiteres so einzuordnende Entscheidung BGH NJW 1972, 335, 337).
Nach Auffassung der Kammer stellt sich das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung über die körperliche Integrität eines einwilligungsfähigen Minderjährigen als das gewichtigere Rechtsgut im Vergleich zu dem nach Art. 6 GG geschützten Elternrecht dar (vgl. auch Lugani NJW 2020, 1330 (1332)).
Im vorliegenden Fall hatte die Klägerin mit einem Alter von 16 Jahren und 6 Monaten offensichtlich eine Reife erlangt, die hier nicht nur die erforderliche Einsichtsfähigkeit, sondern auch die nötige Entschlusskraft vermittelte, sich für oder gegen den Eingriff zu entscheiden. Dies beruht nicht nur auf der insoweit übereinstimmenden Einschätzung der Mutter der Klägerin und des Beklagten (vergleiche Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 22 9. 2020), sondern auch darauf, dass die Klägerin vor der Operation bereits ein halbes Schuljahr alleine in den USA verbracht hatte.
b.
Zur Überzeugung der Kammer hätte die Klägerin jedenfalls in den Eingriff eingewilligt. Die Kammer bezieht sich insofern auf die protokollierte Anhörung der Klägerin vom 18.09.2018 sowie auf den Angaben der Mutter der Klägerin vom 22.09.2020, die glaubhaft angab, dass ihre Einschätzung und Gedanken mit denen der Klägerin zum damaligen Zeitpunkt synchron liefen. Die Mutter der Klägerin hat angegeben, dass ausschlaggebend für die Operation Entscheidung der Klägerin das Arthroserisiko war. Dieses war jedoch real (S. 24 des Gutachtens vom 12.04.2019, Bl. 110 d.A.). Im Übrigen war bei der Klägerin zum damaligen Zeitpunkt sportliche Betätigung sehr wichtig und jede Sportart mit plötzlichen Richtungsänderungen waren ihr zum streitgegenständlichen Zeitpunkt nicht möglich.
II.
Auch stehen der Klägerin keine Ansprüche unter dem Gesichtspunkt der von ihr behaupteten Behandlungsfehler zu, denn sie hatten nicht nachgewiesen, dass die streitgegenständliche Behandlung nicht dem fachärztlichen Standard entsprochen hätte.
1.
Die Behandlung war durchaus indiziert, weil trotz physiotherapeutischer Behandlung des klägerischen Kniegelenks eine Instabilität verblieben war (vergleiche Seite 24 und 28 des Gutachtens des Prof. Dr. Müller vom 12.04.2019).
2.
Die Bohrkanäle bewegten sich innerhalb des Toleranzbereichs. Dies wird vom Sachverständigen auf Seite 27-28 seines Gutachtens vom 12.04.2019 näher erläutert und nachvollziehbar begründet, auf diese Ausführungen wird umfänglich Bezug genommen.
3.
Eine Instabilität bereits direkt nach der 1. Operation ist nicht belegt, sondern erst am 07.04.2016 (vergleiche Seite 27/28 des Gutachtens vom 12.04.2019 und Seite 2-3 sowie 4-5 des Ergänzungsgutachtens vom 28.09.2019).
4.
Bei der Bewegungseinschränkungen durch ungünstige Narbenbildung handelt es sich um eine typische Komplikation. Ein Rückschluss auf ein fehlerhaftes Vorgehen ist hierdurch nicht möglich (vergleiche Seite 28 des Gutachtens vom 12.04.2019).
III.
Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus den §§ 91 Abs. 1, 709 S. 1 ZPO