Einwilligung des Patienten bei einem ärztlichen Heileingriff

 | Gericht:  Bundesgerichtshof (BGH)  | Aktenzeichen: VI ZR 342/21 | Entscheidung:  Beschluss
Kategorie Ausübung des zahnärztlichen Berufs , Sonstiges

Beschlusstext

 

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 6. Oktober 2021 aufgehoben.

            

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

            

Der Gegenstandswert für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren wird auf bis 380.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt von den Beklagten wegen mangelhafter Risikoaufklärung materiellen und immateriellen Schadensersatz nach der Operation eines Keilbeinflügelmeningeoms im Krankenhaus der Beklagten zu 1 durch den Beklagten zu 2.

Bei der 1962 geborenen Klägerin wurden am 24. April 2014 im Haus der Beklagten zu 1 eine CT und MRT des Schädels durchgeführt, die einen großen Tumor des Keilbeinflügels rechtsseitig zeigten. Am 29. April 2014 wurde die Klägerin über den beabsichtigten Eingriff zu dessen Entfernung informiert. Dabei erhielt sie einen schriftlichen Aufklärungsbogen. Dort war u. a. aufgeführt:

"Vorgesehene Maßnahme große Tumoroperation!

……

Ein Tumor kann je nach Lokalisation folgende Symptome verursachen:

• Kopfschmerzen (durch zunehmendes Tumorwachstum, durch Oedembildung oder durch Störung des Hirnwasserabflusses und – dadurch bedingt – Erhöhung des Hirndruckes)

• motorische Lähmungen (Muskellähmungen, z.B. Arme, Beine, Blase)

• epileptische Anfälle

• sensible Lähmungen (Taubheitsgefühl)

• Sprachstörungen

• Persönlichkeitsveränderungen

• Apathie, Demenz, Hirnleistungsstörungen, Verwirrtheit, Gedächtnisstörungen

• Sehstörungen, Gesichtsfeldausfälle

…………

Die oben als Folge des Tumorwachstums angeführten Symptome können auch nach jeder Operation als Komplikationen auftreten (entweder erstmals oder verstärkt, entweder vorübergehend oder selten auch auf Dauer bestehend). Grundsätzlich können wie bei jeder Schädeloperation noch folgende Komplikationen auftreten:

Wundheilungsstörungen

Infektionen, auch Hirn- und Hirnhautentzündung

• Hirnwasserfistel, evtl. für einige Tage lumbale Dauerdrainage

• Nervenwasserzirkulationsstörung

Nachblutungen, Hirnschwellung sowie Verletzung von Gefäßen (Arterien, Venen, große venöse Blutleiter) können zu Lähmungserscheinungen führen (z.B. Arme, Beine, Hirnnerven, Sprache, ähnlich einem Schlaganfall), unter Umständen schwere und dauerhafte Ausfälle

• Änderungen von Gedächtnis, Antrieb, Wesen usw.

• Krampfanfälle (epileptische Anfälle). Diese können einmalig, aber auch gehäuft und manchmal auf Dauer auftreten (evtl. Medikamenteneinnahme auf Lebenszeit)

lebensbedrohliche Komplikation

Gabe von Fremdblut mit Gefahr übertragbarer Infektion (Leberentzündung, HIV)

• Thrombose/Lungenembolie, Gabe von Heparinpräparaten zur Vorbeugung (mögliche Nebenwirkungen: Blutplättchenarmut, Blutung, Osteoporose)

Durch Komplikationen kann die Notwendigkeit von Folgeeingriffen entstehen.

Seien Sie durch die Aufzählung der Komplikationsmöglichkeiten bitte nicht beunruhigt, diese treten keinesfalls regelhaft auf. Im Gegenteil, sie bilden die Ausnahme. Treten dennoch Komplikationen auf, können sich Störungen und Ausfälle im Laufe der Zeit wieder zurückbilden. Nur selten kommt es zu schweren bleibenden Störungen."

Bei der nach erneuter stationärer Aufnahme am 5. Mai 2014 vom Beklagten zu 2 durchgeführten Operation wurde das Keilbeinflügelmeningeom mittels osteoplastischer Kraniotomie entfernt, wobei intraoperativ ein Mediagefäß im Rahmen der vorherigen Präparation durchtrennt wurde. Postoperativ zeigte sich - wohl nach einem Mediateilinfarkt - eine linksseitige Hemiparese, die auch in der Folgezeit bestehen blieb. Die Klägerin macht geltend, sie sei nicht in erforderlichem Umfang über die Schwierigkeit der Operation und ihre Risiken aufgeklärt worden, insbesondere nicht darüber, dass das ohnehin schon 50 % betragende Risiko für das Eintreten vaskulärer Komplikationen bei ihr aufgrund der starken Durchblutung des Tumors noch erhöht gewesen sei. Wäre sie darüber aufgeklärt worden, dass die Operation sehr schwierig sei und das Risiko berge, zu einem Pflegefall zu werden, hätte sie zumindest noch eine Zweitmeinung eingeholt.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde.

II.

Das Berufungsgericht hat die Auffassung vertreten, die Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Aufklärung seien erfüllt, eine Verharmlosung der Risiken durch den aufklärenden Arzt, den Zeugen Dr. G., habe nicht stattgefunden. Schon der von der Klägerin unterzeichnete Informations- und Einwilligungsbogen enthalte die Angaben, dass eine "Verletzung von Gefäßen (Arterien, Venen, große venöse Blutleiter)", "Lähmungserscheinungen (z.B. Arme, Beine, Hirn, Nerven, Sprache, ähnlich einem Schlaganfall)" und "unter Umständen schwere und dauerhafte Ausfälle" auftreten könnten. Allein die beschriebene Gefahr einer Gefäßverletzung berge vor dem Hintergrund der hier durchzuführenden Entfernung eines Hirntumors die auch für einen Laien erkennbare Gefahr erheblicher Schädigung. Weiter sei aufgelistet, dass es zu lebensbedrohlichen Komplikationen kommen könne. Auch die Formulierung "ähnlich einem Schlaganfall" und "lebensbedrohliche Komplikation" verdeutlichten das der Operation spezifisch anhaftende Risiko, aus dem auch für den Laien ersichtlich werde, womit er im schlimmsten Fall rechnen müsse. Die Wörter "ähnlich einem Schlaganfall" und "lebensbedrohliche Komplikation" seien ausweislich des Informations- und Einwilligungsbogens handschriftlich unterstrichen. Dadurch werde die Aussage des Zeugen Dr. G., wonach er bei der Aufzählung der Risiken im Gespräch diejenigen unterstreiche, die er für besonders relevant halte, bestätigt. Die Klägerin habe bei ihrer Anhörung vor dem Landgericht angegeben, den Aufklärungsbogen auch selbst gelesen zu haben. Damit habe der aufklärende Arzt die ihm obliegende Aufklärung über die der Operation "im Großen und Ganzen" anhaftenden Risiken erfüllt und dies auch dokumentiert. Dies gelte auch dann, wenn der aufklärende Arzt keine "konkreten Angaben" zu den unstreitig von ihm im Aufklärungsbogen handschriftlich unterstrichenen Risiken gemacht hätte. Aus den durchgeführten Unterstreichungen ergebe sich für den Patienten, worauf er bei der Lektüre besonderes Augenmerk legen solle, weil es der Behandler für wichtig halte. Andererseits könne die Klägerin nicht damit gehört werden, dass Dr. G.    die Passage, dass es zu schweren und insbesondere dauerhaften Ausfällen kommen könne, nicht unterstrichen habe. Zum einen seien "dauerhafte Ausfälle" auch von dem Begriff der "Lähmungserscheinungen, ähnlich einem Schlaganfall" umfasst. Zum anderen sei es zur Einhaltung des Gebots der Aufklärung im Großen und Ganzen ohnehin nicht notwendig, bestimmte Risiken besonders hervorzuheben. Aus dem Aufklärungsbogen ergebe sich eindeutig, dass alle aufgelisteten Komplikationen eintreten könnten. Ferner seien schon zu Beginn des Bogens als vorgesehene Maßnahme handschriftlich die Wörter "große Tumoroperation!" notiert, woraus sich ergebe, dass es sich nicht um einen unbedeutenden Eingriff mit nur geringem Risiko oder auch nur einen "normalen" Eingriff handele. Es sei nicht notwendig, dem Patienten genaue oder annähernd genaue Prozentzahlen über die Möglichkeit der Verwirklichung eines Behandlungsrisikos mitzuteilen. Dr. G. habe einzelne mögliche Risiken durch Unterstreichen hervorgehoben. Darunter fielen unter anderem die Wörter "Lähmungserscheinungen", "ähnlich einem Schlaganfall" und "lebensbedrohliche Komplikationen". Unabhängig davon, ob bei einem Risiko von bis zu 50 % schon von einem "sehr hohen" Operationsrisiko gesprochen werden könne, vermittle der unstreitige Hinweis auf die Lebensgefahr als die schwerwiegendste mit dem Eingriff verbundene Gefahr eine allgemeine Vorstellung von dem Ausmaß der mit dem Eingriff verbundenen Gefahren, ohne diese zu beschönigen oder zu verschlimmern. In dem Bogen sei zudem bei der Auflistung der einzelnen möglichen Komplikationen nicht nach der Häufigkeit deren Auftretens unterschieden, sondern in allen Fällen nur das generelle Risiko beschrieben. Deshalb bleibe es auch unerheblich, mit welcher Häufigkeit Lähmungserscheinungen aufträten und dauerhaft verblieben und ob dieses Risiko bei der Klägerin aufgrund der individuellen Besonderheiten, der starken Durchblutung des Tumors, erhöht gewesen sei.

III.

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt.

1.

Gerichte sind nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen einer Partei ausdrücklich auseinanderzusetzen. Vielmehr ist auch ohne ausdrückliche Erwähnung von Parteivorbringen grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen eines Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann aber dann festgestellt werden, wenn sich aus den besonderen Umständen des einzelnen Falles deutlich ergibt, dass das Gericht Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung nicht in Erwägung gezogen hat (st. Rspr., vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 8. November 2016 - VI ZR 512/15, VersR 2017, 316 Rn. 6; vom 10. Mai 2022 - VI ZR 219/21, juris Rn. 5 mwN). Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht unter anderem dazu, den wesentlichen Kern des Vorbringens der Partei zu erfassen und - soweit er eine zentrale Frage des jeweiligen Verfahrens betrifft - in den Gründen zu bescheiden (st. Rspr., vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 11. Februar 2020 - VI ZR 265/19, MDR 2020, 750 Rn. 5 mwN; vom 8. Juni 2021 - VI ZR 1272/20, juris Rn. 6).

2.

An Letzterem fehlt es hier.

a)

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats, dass ärztliche Heileingriffe grundsätzlich der Einwilligung des Patienten bedürfen, um rechtmäßig zu sein. Die wirksame Einwilligung des Patienten setzt dabei dessen ordnungsgemäße Aufklärung voraus (vgl. nur Senatsurteile vom 11. Oktober 2016 - VI ZR 462/15, NJW-​RR 2017, 533 Rn. 8; vom 30. September 2014 - VI ZR 443/13, NJW 2015, 74 Rn. 6; vom 7. November 2006 - VI ZR 206/05, BGHZ 169, 364 Rn. 7; vom 14. März 2006 - VI ZR 279/04, BGHZ 166, 336 Rn. 6; jetzt § 630d BGB). Dabei müssen die in Betracht kommenden Risiken nicht exakt medizinisch beschrieben werden. Es genügt vielmehr, den Patienten "im Großen und Ganzen" über Chancen und Risiken der Behandlung aufzuklären und ihm dadurch eine allgemeine Vorstellung von dem Ausmaß der mit dem Eingriff verbundenen Gefahren zu vermitteln, ohne diese zu beschönigen oder zu verschlimmern (vgl. Senatsurteile vom 11. Oktober 2016 - VI ZR 462/15, aaO, Rn. 10; vom 6. Juli 2010 - VI ZR 198/09, NJW 2010, 3230 Rn. 11; vom 14. März 2006 - VI ZR 279/04, BGHZ 166, 336 Rn. 13; vom 7. April 1992 - VI ZR 192/91, NJW 1992, 2351, 2353, juris Rn. 19; vom 7. Februar 1984 - VI ZR 174/82, BGHZ 90, 103, 106, 108, juris Rn. 18, 22). Dabei ist es nicht erforderlich, dem Patienten genaue oder annähernd genaue Prozentzahlen über die Möglichkeit der Verwirklichung eines Behandlungsrisikos mitzuteilen. Erweckt der aufklärende Arzt beim Patienten aber durch die unzutreffende Darstellung der Risikohöhe eine falsche Vorstellung über das Ausmaß der mit der Behandlung verbundenen Gefahr und verharmlost dadurch ein verhältnismäßig häufig auftretendes Operationsrisiko, so kommt er seiner Aufklärungspflicht nicht in ausreichendem Maße nach (Senatsurteile vom 29. Januar 2019 - VI ZR 117/18, NJW 2019, 1283, Rn. 15, vom 7. April 1992 - VI ZR 192/91, NJW 1992, 2351, 2352, juris Rn. 19).

b)

Von diesen Grundsätzen ist das Berufungsgericht zu Recht ausgegangen. Es hat jedoch bei seiner Würdigung übergangen, dass die Klägerin zur Unterlegung ihres Vortrages, die Aufklärung zur Risikohöhe sei unzutreffend und verharmlosend gewesen, nicht nur darauf hingewiesen hat, dass der Zeuge Dr. G. gerade den Passus "schwere und dauerhafte Ausfälle" nicht unterstrichen hat, obwohl er die relevanten Risiken durch Unterstreichungen hervorheben wollte. Die Klägerin hat vielmehr ausdrücklich die Passage im Aufklärungsbogen als fehlerhaft beanstandet, wonach es nur "selten" zu schweren bleibenden Störungen kommt, obwohl in ihrem konkreten Fall der Gerichtssachverständige ausgeführt hatte, dass diese Operationen per se mit einer sehr hohen Morbidität, die er als zu erwartenden Lebensqualitätsverlust umschreibt, vergesellschaftet seien und in einer Studie 20 % der operierten Patienten schwere und 30 % der Patienten moderate neurologische Defizite zeigten. Diese Daten belegten, dass trotz sorgfältigster präoperativer Diagnostik vaskuläre Komplikationen im Rahmen einer solchen komplexen Operation nicht nur nicht vermeidbar seien, sondern sogar mit einer Häufigkeit von bis zu 50 % - bei ihr (so die Klägerin) wegen der starken Durchblutung des Tumors und dessen Verzahnung mit dem Hirngewebe sogar noch erheblich erhöht - angegeben würden. Mit der Bewertung des Risikos schwerer bleibender Störungen als "selten" und (aller) Komplikationsmöglichkeiten als "Ausnahme" in dem Aufklärungsbogen hat sich das Berufungsgericht trotz dieser sachverständigen Ausführungen und der Beanstandung der Klägerin nicht befasst. Die Klägerin hatte zu diesem Gesichtspunkt auch vorgetragen, der aufklärende Arzt, der Zeuge Dr. G., habe bei dem Aufklärungsgespräch zu den im Aufklärungsbogen genannten Symptomen "ähnlich einem Schlaganfall" geäußert, diese würden sich zurückbilden. Auch darauf ist das Berufungsgericht bei seiner rechtlichen Beurteilung der Aufklärung nicht eingegangen.

c)

Der Gehörsverstoß ist auch entscheidungserheblich. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich das Berufungsgericht unter Berücksichtigung des übergangenen Vortrags, gegebenenfalls nach ergänzender Anhörung des medizinischen Sachverständigen, letztlich davon überzeugt hätte, dass durch Verharmlosungen bei der Patientin eine falsche Vorstellung von dem Ausmaß der mit der Behandlung verbundenen Gefahr, nämlich einer schwerwiegenden körperlichen Beeinträchtigung mit der Folge der bleibenden Pflegebedürftigkeit, erzeugt worden ist. Das oben aufgeführte Risiko eines neurologischen Defizits dürfte mit "Ausnahme" oder "selten" oder "wird sich zurückbilden" nicht zutreffend beschrieben sein.

3.

Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird bei erneuter Befassung Gelegenheit haben, auch das weitere Vorbringen der Parteien in der Revisionsinstanz zu berücksichtigen.

 


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