Bezeichnung einer Zahnarztpraxis als "Zahnspezialisten"

 | Gericht:  Oberlandesgericht (OLG) München  | Aktenzeichen: 29 U 830/19 | Entscheidung:  Urteil
Kategorie Berufliche Kommunikation , Sonstiges

Urteilstext

Sachverhalt

Der Kl. macht gegen die Bekl. lauterkeitsrechtliche Ansprüche im Zusammenhang mit der Werbung für eine Zahnarztpraxis geltend.

Der Kl. ist die berufsständische Selbstverwaltungskörperschaft der Zahnärzte in Niederbayern. Die Bekl. betreiben eine zahnärztliche Gemeinschaftspraxis in Passau.

Seit der Eröffnung ihrer Praxis im Sommer 2014 treten die Bekl. unter der Bezeichnung „Zahnspezialisten Passau“ auf und führen die Praxis unter der Bezeichnung „Zahnspezialisten Passau – Zahnarztpraxis […].

Der Kl. ist der Auffassung, die Verwendung des Bestandteils „Zahnspezialisten“ im Praxisnamen, in der Internetdomain und in Werbemitteln sei irreführend und damit unlauter, weil sie sich auf die Bekl. und ihre Mitarbeiter beziehe und damit suggeriert werde; dass die Bekl. über ihre allgemeine zahnärztliche Approbation hinaus über eine weitergehende Spezialisierung verfügten. Dies sei tatsächlich aber nicht der Fall, insbesondere seien sie nicht berechtigt, eine gesonderte Gebietsbezeichnung als Fachzahnärztinnen zu führen. In der Bezeichnung liege ein Verstoß gegen die zahnärztliche Berufsordnung. Die Irreführung ergebe sich auch aus einer Werbung mit Selbstverständlichkeiten, da der Adressat der in der Bezeichnung liegenden Werbebehauptung hierin einen besonderen Vorzug der beworbenen Leistung vermute.

 

Die Bekl. meint, es fehle […] bereits an einer geschäftlichen Handlung i. S. d. Lauterkeitsrechts, da die Verwendung des Wortes „Zahnspezialisten“ nicht darauf ausgerichtet sei, die angesprochenen Patienten in ihrer geschäftlichen Entscheidung zu beeinflussen oder den Absatz der angebotenen zahnärztlichen Dienstleistungen zu fördern. Die Bezeichnung habe vielmehr nur eine Namensfunktion im Hinblick auf die Praxis der Bekl. Das einprägsame Schlagwort „Zahnspezialisten“ solle aufgrund seiner Wiedererkennungskraft lediglich eine eindeutige Identifikation der Praxis und eine Identifizierbarkeit gegenüber Mitbewerbern vermitteln.

[…]

Das LG hat der auf Unterlassung der Bezeichnung der Bekl. selbst oder ihrer Mitarbeiter als „Zahnspezialisten“, der Verwendung der Bezeichnung als Praxisname oder Internetdomain sowie der Verwendung in Werbemitteln gerichteten Klage stattgegeben und die Bekl. insoweit als Gesamtschuldner verurteilt.

Gegen das Urt. wenden sich die Bekl. unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens mit ihrer Berufung.

 

Aus den Gründen

Die zulässige Berufung ist begründet.

I. Dem Kl. steht gegen die Bekl. kein Anspruch auf Unterlassung der Verwendung des Begriffs „Zahnspezialisten“ als Bezeichnung für sich selbst und ihre Mitarbeiter, als Praxisname und als Internetdomain sowie in Werbemitteln aus § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, § 3 Abs. 1, § 3a, § 5 Abs. 1 S. 1, S. 214r, 3 und Nr. 1 UWG i. V. mit § 21 Abs. 1 der BO für die Bay. Zahnärzte zu.

 

1.

Die Klage ist zulässig, insbesondere besteht aufgrund des parallelen berufsrechtlichen Verfahrens vor dem LG München I keine doppelte Rechtshängigkeit i. S. v. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO.

[…]

 

2.

Die Klage ist unbegründet, da die Verwendung der Bezeichnung „Zahnspezialisten“ durch die Bekl. nicht irreführend i. S. v. § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 und Nr. 1 UWG oder § 3a UWG i. V. mit § 21 Abs. 1 der BO für die Bay. Zahnärzte ist.

 

a)

Maßgeblich für das zu berücksichtigende Verständnis des Begriffs „Zahnspezialisten“ ist entgegen der Auffassung der Bekl. nicht das im Duden zugrunde gelegte Verständnis, sondern dasjenige der angesprochenen Verkehrskreise an die sich die Werbung richtet (st. Rspr.; BGH, GRUR 1955, 38, 40 – Cupresa-Kunstseide: GRUR 1961, 193, 196 – Medaillenwerbung: GRUR 1987, 171, 172 – Schlussverkaufswerbung I; GRUR 1991, 852, 854 – Aquavit; GRUR 1995, 612, 614 – Sauerstoff-Mehrschritt-Therapie; GRUR 1996, 910, 912 – Der meistverkaufte Europas; GRUR 2004, 244, 245 Marktführerschaft; GRUR 2015, 1019, Rdnr. 19 – Mobiler Buchhaltungsservice; GRUR 2016, 521, Rdnr. 10 – Durchgestrichener Preis II). Der Senat kann aufgrund eigener Sachkunde beurteilen, wie die angesprochenen Verkehrskreise die angegriffene Aussage verstehen, da er ständig mit Wettbewerbssachen befasst ist (BGH, GRUR 2004, 244245 – Marktführerschaft; GRUR 2014, 682, Rdnr. 29 – Nordjob-Messe) und überdies zu den angesprochenen Verkehrskreisen gehört.

 

Die angesprochenen Verkehrskreise sind potentielle Patienten, die eine Praxis aufsuchen möchten, um sich zahnärztlich behandeln zu lassen, und sich hierzu über Zahnarztpraxen – insbesondere auch neu gegründete – informieren möchten.

 

b)

Die angesprochenen Verkehrskreise entnehmen der Bezeichnung „Zahnspezialisten“ nicht die i. S. v. § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 UWG irreführende Aussage, dass die Bekl. und ihre Mitarbeiter Fachleute sind, die über besondere Erfahrungen in einem engeren medizinischen Bereich als der allgemeinen Zahnheilkunde verfügen.

 

Nach dem Verkehrsverständnis handelt, es sich bei einem Spezialisten zwar um jemanden, der aufgrund spezieller theoretischer Kenntnisse und spezieller praktischer Erfahrungen auf dem jeweiligen Gebiet über Fähigkeiten verfügt, die über diejenigen hinausgehen, die allgemein von einem entsprechenden Berufsträger erwartet werden können, der also zu einer entsprechenden Spitzengruppe gehört (vgl. BGH, GRUR 2015, 286, Rdnr. 27– Spezialist für Familienrecht; OLG Stuttgart, GRUR-RR 2008, 177, 178 – Spezialist für Mietrecht; OLG Karlsruhe GRUR-RR 2009, 431, 433 – Spezialist für Zahnarztrecht; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Weidert, UWG, 4. Aufl., § 5, Abt. E, Rdnr. 161). Hinzu kommt, dass sich ein Spezialist nach der Verkehrsauffassung in erheblichem Umfang, wenn nicht gar ausschließlich auf sein Fachgebiet konzentriert und daher andere Gebiete nicht in gleichem Umfang bearbeitet (BGH, a. a. O., Rdnrn. 21, 22 – Spezialist für Familienrecht; BVerfG, NJW-RR 2006, 345, 346; OLG Karlsruhe, a. a. O.).

 

Der vorliegende Fall weist aber die Besonderheit auf, dass die Bekl. die so verstandene Bezeichnung „-spezialisten“ mit dem allgemeinen Begriff „Zahn-“ kombinieren, so dass nach der Verkehrsauffassung schon kein spezielles Teilgebiet ausgewiesen ist, auf dem besondere theoretische Kenntnisse und praktische Erfahrungen vorhanden sind oder auf das sich die Bekl. bei ihrer Tätigkeit besonders konzentrieren. Infolgedessen entnimmt der Verkehr der Bezeichnung nur einen allgemeinen Hinweis auf eine Zahnarztpraxis ohne besonderen Tätigkeitsschwerpunkt und ohne wirkliches Spezialgebiet der Inhaberinnen. Er geht nicht davon aus, dass mit der Bezeichnung eine besondere zahnärztliche Spezialisierung herausgestellt werden soll, deren konkrete Ausgestaltung bei der Wahl des Begriffs nur offen gelassen wurde. Vielmehr nimmt er an, dass die Bekl. nicht mehr und nicht weniger sind als Zahnärztinnen mit einer normalen zahnärztlichen Approbation nach §§ 1 Abs. 1 S. 1, 3 ZahnheilkG i. V. mit der Zahnärzteapprobationsordnung (ZAppO). Der Eindruck einer Spezialisierung, insbesondere in Form von durch mehrjährige Weiterbildung erlangten Gebietsbezeichnungen als Fachzahnärztinnen, wird für den angesprochenen Verkehr nicht erweckt, da ein Fachgebiet durch die Bezeichnung gerade nicht ausgewiesen wird.

 

c)

Die Verwendung der Bezeichnung „Zahnspezialisten“ ist auch nicht wegen einer Werbung mit Selbstverständlichkeiten für die angebotenen Dienstleistungen irreführend i. S. v. § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 UWG.

Eine Werbung mit objektiv richtigen Angaben kann gemäß § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. I UWG unzulässig sein, wenn sie bei einem erheblichen Teil der maßgeblichen Verkehrskreise einen unrichtigen Eindruck erweckt. Ein solcher unrichtiger Eindruck kann etwa entstehen, wenn Werbebehauptungen etwas Selbstverständliches in einer Weise hervorheben, dass der Adressat der Werbung hierin einen besonderen Vorzug der beworbenen Ware oder Leistung vermutet. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn gesetzlich vorgeschriebene Eigenschaften oder zum Wesen der angebotenen Ware oder Leistung gehörende Umstände besonders hervorgehoben werden, so dass die Werbeadressaten davon ausgehen, es werde mit einem Vorzug gegenüber anderen Waren oder Dienstleistungen gleicher Gattung oder Konkurrenzangeboten geworben, obwohl es sich tatsächlich um Merkmale handelt, die das Leistungsangebot des Werbenden gegenüber anderen Angeboten nicht auszeichnen (BGH, GRUR 2014, 498, Rdnr. 13 – Kostenlose Schätzung).

 

Nach dem oben Gesagten ist dem angesprochenen Verkehr klar, dass die durch die angegriffene Bezeichnung beworbenen zahnärztlichen Leistungen von zwei Zahnärztinnen mit normaler Approbation und ohne wirkliche Spezialisierung oder zusätzliche Gebietsbezeichnung erbracht werden. Eine Irreführung scheidet aus, weil der Verkehr erkennt, dass es sich bei der betonten Eigenschaft um etwas Selbstverständliches handelt (BGH, GRUR 2014, 1007, Rdnr. 15 – Geld-Zurück-Garantie III). Trotz der Formulierung „Zahnspezialisten“ ist für den angesprochenen Verbraucher offenkundig, dass er von den Bekl. keine Leistungen erwarten darf die über diejenigen hinausgehen, die normale Zahnärztinnen erbringen. Die Selbstverständlichkeit beseht in der Spezialisierung auf Zähne („Zahnspezialisten“), da sich alle Zahnärztinnen auf Zähne spezialisieren. Dem Verkehr ist das jedoch bewusst weil es weiß, dass Zahnärztinnen dies tun. Er wird folglich nicht in die Irre geführt.

 

d)

Dem Kl. steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch auch nicht deshalb zu, weil den Bekl. durch die Verwendung der Bezeichnung „Zahnspezialisten“ ein Verstoß gegen eine Marktverhaltensregel nach § 3a UWG i. V. mit § 21 Abs. 1 der BO für die Bay. Zahnärzte zur Last fiele.

 

aa) Gesetzliche Vorschriften, die eine Marktverhaltensregel i. S. v. § 3a UWG darstellen, können zwar alle in Deutschland für die Handelnden verbindlich geltenden Vorschriften sein, also auch Gesetze im nur materiellen Sinne wie autonome Satzungen von Kammern (BGH, GRUR 2005, 520, 521 – Optimale Interessenvertretung). § 21 Abs. 1 der BO für die Bay. Zahnärzte ist eine Marktverhaltensregel, weil sie die Marktteilnehmer vor berufswidriger Werbung in Form von irreführender Werbung der Zahnärzte im Rahmen der beruflichen Kommunikation schützen soll (vgl. BGH, GRUR 2011, 343, 344 – Zweite Zahnarztmeinung).

 

bb)

An einer Zuwiderhandlung gegen eine so definierte gesetzliche Vorschrift fehlt es jedoch, weil die Bezeichnung „Zahnspezialisten“ nach dem oben unter I. 2. a) bis c) Gesagten nicht irreführend ist. […]


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