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Bezeichnung einer Praxis mit zwei Ärzten als "Zentrum"

 | Gericht:  Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt  | Aktenzeichen: 6 U 4/23 | Entscheidung:  Beschluss
Kategorie Berufliche Kommunikation

Beschlusstext

 

Tenor


 
1.) Auf die Berufung der Antragsgegner wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt a.M. vom 30.11.22 abgeändert.
 
Die einstweilige Verfügung des Landgerichts Frankfurt vom 30.06.22 wird hinsichtlich a) des Tenors aufgehoben und der auf ihren Erlass gerichtete Antrag insoweit zurückgewiesen.
 
2.) Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Antragsteller. Von den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen der Antragsteller 4/5 und die Antragsgegner 1/5.
 
3.) Das Urteil ist rechtskräftig.


Gründe


I.
 
Der Antragsteller ist in eigener Praxis für plastische Chirurgie in Stadt1 niedergelassen. Die Antragsgegnerin zu 2) und der Antragsgegner zu 3) sind Gesellschafter der Antragsgegnerin zu 1), die unter dem Namen „X“ eine Praxis für plastische Chirurgie in Stadt2 betreibt. Die Antragsgegner zu 2 und 3 sind Fachärzte für plastische und ästhetische Chirurgie, der Antragsgegner zu 3 zusätzlich Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie.
 
Auf der Webseite wird die Gemeinschaftspraxis als „Zentrum für plastische und ästhetische Chirurgie“ bezeichnet. Diese Bezeichnung nimmt der Antragsteller als unlauter in Anspruch.
 
Das Landgericht hat den Antragsgegnern im Wege der einstweiligen Verfügung durch Beschluss vom 30.6.2022 unter anderem untersagt, in der Bundesrepublik Deutschland im geschäftlichen Verkehr Dienstleistungen eines plastischen Chirurgen, insbesondere Penisoperationen, unter dem Namen „Zentrum für plastische und ästhetische Chirurgie“ zu bewerben und/oder anzubieten, wenn in der Praxis insgesamt lediglich zwei Ärzte beschäftigt sind. Auf den Widerspruch der Antragsgegner hat das Landgericht durch Urteil vom 30.11.2022, auf das im Hinblick auf die tatsächlichen Feststellungen gemäß § 540 I ZPO Bezug genommen wird, die einstweiligen Verfügung bestätigt. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, die Antragsgegner handelten unlauter, da der Verkehr mit dem Begriff „Zentrum“ eine gewisse Größe und Marktbedeutung des so bezeichneten Unternehmens verbinde, an der es hier fehle. Hiergegen richtet sich die Berufung der Antragsgegner.
 
Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts wird gemäß §§ 540 II i.V.m. 313a I, 1 ZPO abgesehen.
 
II.
 
Die zulässige Berufung der Antragsgegner hat in der Sache Erfolg. Die Bezeichnung der von den Antragsgegnern betriebenen Arztpraxis als „Zentrum“ für ästhetische und plastische Chirurgie führt den Verkehr nicht nach § 5 I UWG in die Irre.
 
1. 
Eine Werbung ist nach § 5 I UWG irreführend, wenn sie geeignet ist, bei einem erheblichen Teil der umworbenen Verkehrskreise irrige Vorstellungen über das Angebot hervorzurufen und die zu treffende Marktentschließung in wettbewerblich relevanter Weise zu beeinflussen.
 
a) 
Für die Beurteilung der Frage, ob eine Werbeaussage irreführend ist, kommt es maßgeblich darauf an, wie der angesprochene Verkehr die beanstandete Werbung versteht.
 
Die beanstandete Werbung der Antragsgegner richtet sich sowohl an Ärzte als auch an potenzielle Patienten. Ein unterschiedliches Verkehrsverständnis ist damit nicht verbunden, weil nicht ersichtlich ist, dass diese Kreise der Werbeaussage voneinander abweichende Sinngehalte beimessen. Es ist auch davon auszugehen, dass die fachliche Ausrichtung oder Spezialisierung zu den wesentlichen Entscheidungsgesichtspunkten bei der Wahl eines Arztes gehören.
 
Bei der Feststellung, wie der angesprochene Verkehr die Werbung mit der Bezeichnung „Zentrum für Plastische und Ästhetische Chirurgie“ versteht, ist auf den Gesamteindruck abzustellen, den die werbliche Darstellung vermittelt (BGH GRUR 2012, 942 Rnr.12 ff.; BGH, GRUR 2010, 352 Rdnr. 11 - Hier spiegelt sich Erfahrung).
 
b)
Grundsätzlich erwartet der Verkehr bei dem Begriff „Zentrum“ eine personelle und sachliche Struktur eines Unternehmens, die über vergleichbare Durchschnittunternehmen hinausgeht.
 
(1) 
Die Begriffe „Zentrale“, „Zentrum“ und „Center“ wurden nach ihrem ursprünglichen Sinn als ein Hinweis auf die besondere Größe und Bedeutung eines Unternehmens verstanden (BGH GRUR 1977, 503, 504 - Datenzentrale). Der Verkehr erwartete hiernach einen kapitalkräftigen Großbetrieb, der innerhalb eines größeren oder kleineren räumlichen Bezirks die Handelsbeziehungen einer bestimmten Branche ganz oder doch überwiegend zusammenfasst und als Verkehrsmittelpunkt des einschlägigen Marktes in Betracht kommt. Nach der früheren Rspr. war es nicht nötig, dass ein als „Centrale“ oder „Center“ werbendes Unternehmen auch über sämtliche Mitbewerber in Größe und Bedeutung herausragt, vielmehr genügte es, dass es deutlich über den Durchschnitt gleichartiger Betriebe hinausragt und daher Käuferwünsche bevorzugt befriedigen kann (OLG Stuttgart WRP 1986, 242, 243).
 
(2) 
Die Bezeichnung „Center“ hat diese Bedeutung indes weitgehend verloren. Der Begriff ist in vielen Branchen geradezu zu einem Modewort geworden, das in verschiedenen Zusammensetzungen gebraucht wird, wie z.B. Möbel-Center, Teppich-Center, Fitness-Center, Service-Center für Tankstellen, Buch-Center für Bücherläden usw. In diesen Zusammensetzungen weist das Wort „Center“ nicht auf ein kapital- oder umsatzstarkes Unternehmen hin, das seine Mitbewerber überragt (BGH GRUR 1986, 903 - Küchen-Center; KG GRUR-RR 2002, 79). Im Hinblick auf die Entwicklungen des Internets ist es denkbar, auch nur virtuelle Geschäftslokale als „Center“ zu bezeichnen (KG GRUR-RR 2002, 79).
 
(3) 
Ob sich ein ähnlicher Bedeutungswandel wie für den Begriff „Center“ für die Bezeichnungen „Zentrale“ und „Zentrum“ im selben Umfang feststellen, lässt (vgl.: Köhler/Bornkamm/Feddersen-Bornkamm/Feddersen, 41. Aufl. 2023, UWG § 5 Rnr. 4.48-4.52), ist zweifelhaft. „Zentrale“ weist bei einem Dienstleistungsunternehmen beispielsweise meist nicht nur auf die Organisation (z.B. Autozentrale), sondern auch auf Größe und Bedeutung des Unternehmens hin (BGH GRUR 1977, 503, 504 - Datenzentrale). So wäre die Bezeichnung „Wettbewerbszentrale“ für einen Wettbewerbsverein, der nur über wenige Mitglieder aus einer Branche verfügt, irreführend. Auch der Begriff „Zentrum“ wird vom Verkehr noch weitgehend im Wortsinn verstanden. Ein „Einkaufszentrum“ muss aus einer Reihe von Geschäften bestehen, so dass sich dem Käufer insgesamt ein breites Sortiment bietet. Von einem „Handelszentrum“ erwartet der Verkehr eine zentrale Zusammenfassung nahezu aller Waren des täglichen Bedarfs, wie es in ähnlicher Weise bei einem großen Kaufhaus oder einem Verbrauchermarkt vor den Toren einer Stadt üblich ist (OLG Düsseldorf WRP 1982, 224). Unter einem „Rechenzentrum“ versteht der Verkehr nach wie vor eine Institution, die entweder bei einem großen Unternehmen zentral die Verarbeitung von Daten übernimmt oder diese Tätigkeit als eigenständiges Unternehmen für andere Betriebe zu deren Entlastung im Rahmen eines Outsourcing durchführt. Die Bezeichnung „Bildungszentrum“ für EDV-Lehrgänge und Schulungen wird nach wie vor von den angesprochenen Verkehrskreisen dahin verstanden, dass es sich bei dem Veranstalter um ein Unternehmen handelt, das über den Durchschnitt gleichartiger Unternehmen hinausragt (OLG Koblenz WRP 1990, 125). Der Senat (WRP 2017, 1499) hat Ähnliches für ein „Hörzentrum“ angenommen.
 
(4) 
Jedenfalls für den medizinischen Bereich weist der Begriff „Zentrum“ indes nicht auf eine besondere Größe (nur dieses Kriterium ist Gegenstand des Antrages) hin.
 
Allerdings hat der BGH (im Jahr 2012) die Bezeichnung „Neurologisches/Vaskuläres Zentrum“ für eine mit einem Internisten als „Chefarzt“ besetzte Unterabteilung eines Krankenhauses als irreführend beanstandet, weil die fragliche Unterabteilung erkennbar nicht über eine über den Durchschnitt hinausgehende Kompetenz, Ausstattung und Erfahrung auf dem fraglichen Gebiet verfügte (BGH GRUR 2012, 942 Rn. 19 - Neurologisch/Vaskuläres Zentrum). Die Verwendung des Wortes „Zentrum“ deute - auch mit Blick auf die Verwendung des Begriffs „medizinisches Versorgungszentrum“ in § 95 I SGB V - in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Leistungen der fraglichen Unterabteilung über das Leistungsangebot eines von den Krankenkassen zugelassenen niedergelassenen Arztes hinausgehen (BGH GRUR 2012, 942 Rn. 20 - Neurologisch/Vaskuläres Zentrum).
 
Indes haben sich die gesetzlichen Voraussetzungen seither geändert. Nach § 95 I 1 SGB V erfordert ein Medizinisches Versorgungszentrum keine bestimmte Größe. Auch ist das früher bestehende Erfordernis einer fachübergreifenden Kooperation 2015 entfallen. Der einzige Unterschied zu einer Berufsausübungsgemeinschaft besteht darin, dass nicht der einzelne Arzt, sondern das MVZ als Einrichtung zugelassen wird. (BeckOGK/Rademacker, 1.8.2019, SGB V § 95 Rn. 54).
 
Damit besteht für Praxen mit zwei tätigen Ärzten die Möglichkeit, sich als MVZ zuzulassen und unter der Bezeichnung „Medizinisches Versorgungszentrum“ auf dem Markt aufzutreten. Dies ist bei der Frage des Verkehrsverständnisses zu berücksichtigen (BVerfG MedR 2012, 516 - Zentrum für Zahnmedizin). Dass die „gesetzliche Definition“ in § 95 I 2 SGB V Auswirkungen auf das Verständnis des allgemeinen Begriffs „Zentrum“ hat, drängt sich nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts geradezu auf. Der Senat teilt diese Auffassung. Die auch gerichtsbekannte Häufigkeit des Auftretens von MVZs auf dem Markt führt an eine Gewöhnung des Verkehrs an die Begrifflichkeit. Das häufige Auftreten der (Versorgungs-)Zentren auf dem Markt der Versorgung mit medizinischen Dienstleistungen wirkt einem Verständnis entgegen, das von einer überdurchschnittlichen Größe der Praxis ausgeht.
 
Unter dem Gesichtspunkt der Berufungsausübungsfreiheit der Art. 3 I, 12 I GG wäre es zudem verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen, einem „Zentrum für ästhetische und plastische Chirurgie“ mit zwei ärztlichen Mitarbeitern diese Bezeichnung zu untersagen und zugleich einem „Medizinischem Versorgungszentrum für ästhetische und plastische Chirurgie“ wegen § 95 I 2 SGB V die Verwendung der Bezeichnung „Zentrum“ zu erlauben. Es wäre nämlich nicht denkbar, den Betreibern eines MVZ die Benutzung eines im SGB X legaldefinierten Begriffs unter lauterkeitsrechtlichen Gesichtspunkten zu untersagen.
 

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 92 I, ZPO.
 


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