Behilfe für Knochenaufbau

 | Gericht:  Verwaltungsgericht (VG) Karlsruhe  | Aktenzeichen: 9 K 2979/12 | Entscheidung:  Urteil
Kategorie Gebühren

Urteilstext


Tenor

Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin auf ihren Antrag vom 24.07.2012 eine weitere Beihilfe in Höhe von EUR 1.407,90 zu gewähren.

Der Bescheid des Landesamts für Besoldung und Versorgung Baden-Württemberg vom 15.08.2012 und dessen Widerspruchsbescheid vom 24.10.2012 werden aufgehoben, soweit sie dem entgegenstehen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.


Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Beihilfe für eine zahnärztliche Behandlung.

Die Klägerin ist gegenüber dem Beklagten mit einem Bemessungssatz von 50 % beihilfeberechtigt. Unter dem 24.07.2012 beantragte sie unter anderem Beihilfe für eine zahnärztliche Behandlung in Höhe von insgesamt EUR 2.815,80 (Rechnung vom 18.07.2012). Das Landesamt für Besoldung und Versorgung Baden-Württemberg (im Folgenden: Landesamt) rechnete diesen Antrag mit Bescheid vom 15.08.2012 ab, lehnte jedoch die Gewährung von Beihilfe im Hinblick auf die Aufwendungen für die genannte Rechnung mit der Begründung ab, es handele sich um implantologische Leistungen, deren Beihilfefähigkeit auf zwei Implantate pro Kieferhälfte beschränkt seien. Dies gelte auch für die mit den Implantaten verbundenen weiteren zahnärztlichen Leistungen.

Hierauf machte die Klägerin im Rahmen ihres Widerspruchs geltend, die Extraktion der Zähne und der durchgeführte Knochenaufbau seien unabhängig von einer Versorgung mit Implantaten notwendig gewesen. Die Extraktion sei aufgrund einer weitreichenden Entzündung erfolgt, welche es unmöglich gemacht habe, die Zähne im Kiefer zu belassen. Aufgrund einer Knochenzyste im Kiefer habe auch der Knochenaufbau unabhängig von der weiteren Versorgung mit Implantaten oder einer anderen Form von Zahnersatz zwingend erfolgen müssen. Die Behandlung sei daher notwendig und medizinisch sinnvoll gewesen. Ein unmittelbarer Zusammenhang mit einer Implantatversorgung bestehe nicht.

Das Landesamt wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24.10.2012 zurück. Hierzu führte es aus, grundsätzlich seien lediglich Aufwendungen für bis zu zwei Implantate pro Kieferhälfte, einschließlich vorhandener Implantate und die damit verbundenen weiteren zahnärztlichen Leistungen beihilfefähig.

Aufwendungen für mehr als zwei Implantate pro Kieferhälfte seien nur bei Vorliegen einer der in Nr. 1.2.4 der Anlage zur BVO aufgeführten - hier nicht einschlägigen - Indikationen beihilfefähig. Sofern die Implantatversorgung an sich nicht beihilfefähig sei, seien auch die Aufwendungen für alle damit verbundenen weiteren zahnärztlichen Leistungen wie eine Überkronung des Implantats sowie alle Arten von Verbindungseinrichtungen, die unmittelbar am Implantat befestigt seien oder sich im zahnlosen Zwischenraum bis zum nächsten Zahn befänden, von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen. Da bereits im Jahr 2006 bzw. 2008 Beihilfe für acht Implantate gewährt worden sei, könne nunmehr keine Beihilfe mehr für die zusätzlichen Implantate gewährt werden. Dies gelte auch für alle mit der Implantatversorgung verbundenen weiteren zahnärztlichen Leistungen. Dazu gehörten auch die Extraktion der Zähne und ein eventueller Knochenaufbau. Nach den vorgelegten Heil- und Kostenplänen vom 24.04.2012 seien zusätzliche Implantate in regio 41, 32 und 33 geplant; die laut Rechnung vom 18.07.2012 durchgeführten Behandlungen beträfen genau diese Regionen. Es sei davon auszugehen, dass die geplanten Implantate dort auch gesetzt würden, so dass ein Zusammenhang mit den Implantaten bestehe, die nicht beihilfefähig seien.

Am 20.11.2012 hat die Klägerin Klage erhoben, zu deren Begründung sie daran festhält, die in Rechnung gestellten Leistungen hätten unabhängig von einer Versorgung mit Implantaten erfolgen müssen. Die Behandlung sei in jedem Fall notwendig gewesen, da die extrahierten Zähne aufgrund einer weitreichenden Entzündung nicht im Kiefer hätten verbleiben können und die Versorgung mit wie auch immer geartetem Zahnersatz einen Knochenaufbau notwendig gemacht habe.

Die Klägerin beantragt - sachdienlich gefasst -,

EUR 1.407,90 zu gewähren und den Bescheid des Landesamts für Besoldung und Versorgung Baden-Württemberg vom 15.08.2012 sowie dessen Widerspruchsbescheid vom 24.10.2012 aufzuheben, soweit sie diesem Begehren entgegenstehen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er beruft sich im Wesentlichen auf die angegriffenen Bescheide. Die Kammer hat am 20.11.2014 über die Klage mündlich verhandelt. Mit Beschluss vom gleichen Tag hat sie die mündliche Verhandlung wiedereröffnet und sodann den behandelnden Zahnarzt der Klägerin um Auskunft ersucht.

Mit Schreiben vom 10.02.2015 hat der Zahnarzt auf Nachfrage des Gerichts mitgeteilt, in regio 41, 32 und 33 sei im der Rechnung vom 18.07.2012 zugrunde liegenden Behandlungszeitraum keine Implantatversorgung erfolgt. Infolge einer parodontalen Zyste seien in regio 33, 32, 31, 41 vier Zähne entfernt worden. Hierbei habe sich ein erheblicher raumgreifender Verlust des Alvoelarknochens über den gesamten Bereich, einschließlich einer profunden Knochentasche mesial am Zahn 34 gezeigt. Dieser Knochendefekt habe gleichzeitig durch einen gezielten Knochenaufbau behandelt werden müssen, unabhängig davon, ob später Implantate inseriert werden sollten oder nicht. Die aufwendigen chirurgischen Maßnahmen hätten in erster Linie der Erhaltung der schwer in Mitleidenschaft gezogenen und lückenbegrenzenden Zähne 34 und 42 und der Wiederherstellung der verloren gegangenen anatomischen Strukturen bei einem ohnehin schon vorliegenden schwierigen, flachen Vestubulum gedient, deren Versäumnis zu einer nur schlechten Versorgung jeglicher Art von Zahnersatzmaßnahmen geführt hätte. Dies sei unabhängig davon, ob dieser Zahnersatz auf konventionelle Weise hergestellt worden wäre oder durch Implantate. Alle Maßnahmen, die in dieser Rechnung aufgeführt worden seien, hätten lediglich dem Zweck der Wiederherstellung der zerstörten anatomischen Strukturen und der Erhaltung der lückenbegrenzenden Zähne 34 und 42 gedient.

In der Folge haben die Beteiligten auf die Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung verzichtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze, die der Kammer vorliegende einschlägige Beihilfeakte des Landesamts, die Niederschrift über die mündliche Verhandlung sowie den weiteren Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die Kammer entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne weitere mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig und auch begründet. Die Klägerin hat auf ihren Antrag vom 24.07.2012 einen Anspruch auf Gewährung einer Beihilfe in Höhe von EUR 1.407,90 zu ihren Aufwendungen für die bei ihr erbrachten und mit Rechnung vom 18.07.2012 abgerechneten zahnärztlichen Leistungen. Der Bescheid des Landesamts für Besoldung und Versorgung Baden-Württemberg vom 15.08.2012 ist, soweit er dies versagt, rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung des Finanz- und Wirtschaftsministeriums über die Gewährung von Beihilfe in Geburts-, Krankheits-, Pflege- und Todesfällen (Beihilfeverordnung - BVO) vom 28.07.1995 sind Aufwendungen beihilfefähig, wenn sie dem Grunde nach notwendig und soweit sie der Höhe nach angemessen sind. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 BVO sind aus Anlass einer Krankheit beihilfefähig die Aufwendungen für gesondert erbrachte und berechnete ärztliche, psychotherapeutische und zahnärztliche Leistungen und Leistungen von Heilpraktikern nach Maßgabe der Anlage zur BVO. Vorliegend handelt es sich um zahnärztliche Leistungen, deren medizinische Notwendigkeit durch die Angaben des behandelnden Zahnarztes der Klägerin belegt ist und vom Beklagten auch nicht in Frage gestellt wurde.

Bereits hieraus ergibt sich die Beihilfefähigkeit der geltend gemachten Aufwendungen für die zahnärztlichen Leistungen. Dem steht hier - entgegen der Ansicht des Beklagten - nicht Nr. 1.2.4 der Anlage zur BVO entgegen. Danach sind Aufwendungen für implantologische Leistungen einschließlich aller damit verbundenen weiteren zahnärztlichen Leistungen (in vollem Umfang) nur bei Vorliegen einer der unter lit. a) und b) bezeichneten - hier nicht einschlägigen - Indikationen beihilfefähig. In anderen Fällen sind Aufwendungen für mehr als zwei Implantate pro Kieferhälfte, einschließlich vorhandener Implantate, und die damit verbundenen weiteren zahnärztlichen Leistungen von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen. Dabei sind die gesamten Aufwendungen entsprechend dem Verhältnis der Zahl der nichtbeihilfefähigen zur Gesamtzahl der Implantate der jeweils geltend gemachten Aufwendungen zu kürzen. Diese Vorschriften begrenzen im vorliegenden Fall die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für die zahnärztlichen Leistungen nicht. Die Aufwendungen sind im Zusammenhang mit der Entfernung von vier Zähnen in regio 33 bis 41 sowie dem anschließenden Knochenaufbau und der weiteren Nachsorge nach erfolgtem chirurgischem Eingriff entstanden. Zwar ist aus den parallelen Klageverfahren der Klägerin (9 K 1778/14 und 9 K 78/14) bekannt, dass im Anschluss an diese Maßnahmen zu einem späteren Zeitpunkt die entfernten Zähne jedenfalls teilweise durch Implantate ersetzt wurden. Es ist auch davon auszugehen, dass die späteren Implantierungen bereits im Zeitpunkt der hier streitgegenständlichen Behandlung geplant waren. Dennoch ist nicht davon auszugehen, dass die hier streitgegenständlichen zahnärztlichen Leistungen mit den Implantaten verbundene Leistungen im Sinne der Nr. 1.2.4 der Anlage zur BVO darstellten.

Der behandelnde Zahnarzt hat plausibel und ohne dass der Beklagte dem entgegen getreten ist, dargelegt, dass die Entfernung der Zähne infolge einer parodontalen Zyste erforderlich gewesen sei. Die anschließenden weiteren chirurgischen Maßnahmen - insbesondere auch der gezielte Knochenaufbau - seien wegen eines Knochendefekts notwendig gewesen und hätten in erster Linie dazu gedient, die schwer in Mitleidenschaft gezogenen lückenbegrenzenden Zähne 34 und 42 zu erhalten und die anatomischen Strukturen wiederherzustellen. Diese Maßnahmen seien unabhängig von der späteren Versorgung mit Zahnersatz erfolgt, wären also nicht nur bei einer geplanten späteren implantologischen Versorgung, sondern auch bei einer Versorgung mit "herkömmlichem" Zahnersatz erforderlich gewesen. Diese Ausführungen zeigen, dass diese zahnärztlichen Leistungen im Vorfeld der Versorgung mit Zahnersatz gerade nicht im Zusammenhang mit den späteren Implantaten standen, sondern hiervon unabhängig sowie für sich notwendig und angemessen waren.

Eine medizinisch notwendige Zahnentfernung fällt von vorneherein nicht unter die Ausschlussregelung der Nr. 1.2.4 der Anlage zur BVO. Die erforderliche Entfernung eines kranken Zahnes ist für den Beihilfeberechtigten alternativlos und erfolgt unabhängig von der späteren Art des Zahnersatzes. Auch ein medizinisch notwendiger anschließender Knochenaufbau fällt nur dann unter die Ausschlussregelung, wenn diese Maßnahme ausschließlich oder jedenfalls überwiegend im Hinblick auf die spätere Implantatversorgung erfolgt. Sind diese dem Zahnersatz vorgelagerten Maßnahmen unabhängig von der späteren Art des Zahnersatzes erforderlich, handelt es sich nicht um "damit (mit dem Implantat) verbundene weitere zahnärztliche Leistungen" im Sinne der genannten Vorschrift.
Dies ergibt sich nicht zuletzt aus dem Sinn und Zweck der Beschränkung der Beihilfefähigkeit der Implantatversorgung durch den Verordnungsgeber. Denn die Regelung erfolgte nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg im Hinblick auf den Gesichtspunkt der Angemessenheit der beihilfefähigen Aufwendungen und verfolgt den legitimen Zweck, einer durch die im Allgemeinen kostenintensivere Behandlungsart der Implantatversorgung bedingten Ausuferung der für die öffentlichen Kassen entstehenden Kosten entgegenzuwirken. Maßgeblich dabei ist der Gesichtspunkt, dass neben der Einbringung von Implantaten regelmäßig die Möglichkeit einer kostengünstigeren Alternativversorgung auf "herkömmliche" Art und Weise, etwa mit einer Brücke, gegeben ist (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15.03.2012 - 2 S 2542/11 -, [...] Rn. 38 sowie Urteil vom 15.11.2012 - 2 S 1053/12 -, ESVGH 63, 134, jeweils unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 28.05.2008 - 2 C 12.07 -, DÖV 2008, 961 zur rheinland-pfälzischen Beihilfeverordnung). Die hier in Rede stehenden Maßnahmen im Vorfeld der späteren Versorgung mit Zahnersatz erfolgten losgelöst davon, ob ihr später die kostenintensivere Behandlungsart der Implantatversorgung oder die kostengünstigere Alternativversorgung auf "herkömmliche" Art und Weise nachfolgte. Die Ausuferung der für die öffentlichen Kassen entstehenden Kosten aufgrund einer bewussten Entscheidung der Beihilfeberechtigten zugunsten einer kostenintensiven Behandlungsart steht hierbei nicht zu befürchten. Einen Entscheidungsspielraum hatte die Klägerin im vorliegenden Fall gerade nicht.

Nach alledem sind die geltend gemachten Aufwendungen beihilfefähig. Der aus dem Tenor ersichtliche nachzugewährende Betrag ergibt sich aus der Rechnung vom 18.07.2012 sowie dem im Fall der Klägerin geltenden Bemessungssatz von 50 %.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Kammer sieht keinen Anlass, die Entscheidung wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar zu erklären (§ 167 Abs. 2 VwGO).

Die Berufung ist nicht zuzulassen, da keiner der in § 124a Abs. 1 VwGO i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO genannten Gründe vorliegt.

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 3 GKG auf EUR 1.407,90 festgesetzt.
Hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird auf § 68 Abs. 1 Satz 1, 3 und 5 GKG verwiesen.


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