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Auflösungsantrag des Arbeitgebers

 | Gericht:  Bundesarbeitsgericht (BAG) Erfurt  | Aktenzeichen: 2 AZR 256/04 | Entscheidung:  Urteil
Kategorie Arbeitsrecht

Urteilstext

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 23. Oktober 2003 - 2 Sa 397/03 - aufgehoben, soweit das Landesarbeitsgericht den Auflösungsantrag des Beklagten zurückgewiesen und über die Kosten entschieden hat.

 

In diesem Umfang wird der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz noch über einen von dem Beklagten gestellten Auflösungsantrag.

 

Die Klägerin ist seit 1992 als Verwaltungsangestellte beim Beklagten beschäftigt. Sie verdiente zuletzt 4.000,00 DM brutto monatlich bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden. Für die Mitarbeiter des Beklagten gilt grundsätzlich eine Gleitzeitregelung, die eine Kernzeit von 9.00 Uhr bis 12.00 Uhr und von 14.00 Uhr bis 16.00 Uhr vorsieht. Zwischen 12.00 Uhr und 14.00 Uhr ist eine halbstündige Mittagspause zu nehmen. Die Einzelheiten sind im Übrigen streitig.

 

Unter dem 4. März 1998 wurde der Klägerin eine schriftliche Ermahnung erteilt. Am 12. März 1998 erhielt sie eine Abmahnung, gegen deren Inhalt sie sich mit Schreiben ihrer damaligen Rechtsanwältin vom 13. Mai 1998 und vom 6. Juli 1998 wandte.

 

Am 29. März 2001 trat die Klägerin um 9.00 Uhr ihren Dienst an. Gegen 10.00 Uhr verließ sie ihre Arbeitsstelle und begab sich nach Hause. Gegenüber einer Arbeitskollegin gab sie an, sie müsse nach ihrer Herdplatte sehen, die sie wohl nicht abgeschaltet habe. Die Kollegin war bereit, das Telefon der Klägerin zu übernehmen. Weitere Mitarbeiter des Beklagten wurden nicht verständigt. Von ihrer Wohnung aus teilte die Klägerin später telefonisch ihrer Kollegin mit, sie nehme eine verlängerte Mittagspause, um ua. den Herd zu putzen. Die Klägerin kehrte nicht vor 14.00 Uhr an ihren Arbeitsplatz zurück. Für die Fahrten zu ihrer Wohnung und zurück benutzte sie öffentliche Verkehrsmittel. Über ein Auto verfügt die leicht gehbehinderte Klägerin nicht. Am folgenden Tag um etwa 16.15 Uhr trug die Klägerin im Abwesenheitsbuch ein, am Vortag habe sie eine verlängerte Mittagspause genommen. Dass sie bereits vor 12.00 Uhr den Betrieb verlassen hatte, erwähnte sie in ihrer Eintragung nicht. Die Dauer ihrer Abwesenheit gab sie erst an, als sie einige Tage später von ihrem Vorgesetzten auf den Vorfall angesprochen wurde. Nach Beteiligung der Mitarbeitervertretung kündigte der Beklagte daraufhin mit Schreiben vom 11. April 2001 der Klägerin fristlos, hilfsweise fristgerecht. Auf Grund des insoweit rechtskräftigen zweitinstanzlichen Urteils steht inzwischen fest, dass diese Kündigung das Arbeitsverhältnis weder fristlos noch fristgerecht beendet hat.

 

Der Beklagte hat hilfsweise die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung beantragt. Er hat insoweit geltend gemacht, eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Parteien sei insbesondere wegen des in der Vergangenheit aufgetretenen und in Zukunft zu erwartenden Fehlverhaltens der Klägerin nicht mehr zu erwarten. Der Beklagte beruft sich insoweit auf im Einzelnen umfangreich dokumentierte Verhaltensweisen der Klägerin hinsichtlich der Beachtung von Dienstanweisungen, der Kommunikation mit Mitarbeitern und Kunden sowie auf krankheitsbedingte Fehlzeiten und damit im Zusammenhang stehende Krankmeldungen.

 

Die tatsächliche Entwicklung des Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien habe mit dem, was der Arbeitsvertrag an wesentlichen Elementen beinhalte (nämlich Lohn gegen Arbeit) nicht mehr viel gemein. Die Klägerin zeichne sich dadurch aus, dass sie ihre Fehlzeiten mit zahlreichen ärztlichen Attesten unterschiedlicher Herkunft belege. Wenn sie im Betrieb anwesend sei, halte sie sich nicht an Absprachen, versuche immer wieder andere Mitarbeiter gegeneinander auszuspielen, weiche sowohl Einzel- als auch Teamgesprächen aus, überschreite ihre Kompetenzen gegenüber Klienten, übergehe immer wieder Dienstanweisungen, handele eigenmächtig und habe keinen Überblick über ihre Arbeitsunterlagen. Die Krankheitszeiten seien so häufig, dass man schließlich nie gewusst habe, ob die Klägerin zur Arbeit komme und wann. Darunter habe der Arbeitsablauf zunehmend gelitten, weil sich die Klägerin oft nicht ordnungsgemäß krank gemeldet habe. All dies habe seit Jahren faktisch dazu geführt, dass die Klägerin in ihrem eigenen Aufgabengebiet überhaupt nicht mehr habe zum Einsatz kommen können. Trotz des häufigen Eingreifens der Vorgesetzten der Klägerin habe er als Arbeitgeber nicht einmal in Zeiten der Dienstfähigkeit und Anwesenheit der Klägerin auf korrekte Pflichterfüllung vertrauen können.

 

Beispielhaft ergebe sich die nicht mehr hinzunehmende Arbeitseinstellung der Klägerin aus dem Vorfall, der zur Kündigung geführt habe. Die Version der Klägerin mit der angeblich eingeschalteten Herdplatte und dem nach ihrer Darstellung verkohlten Teekessel sei völlig unglaubwürdig. Weder Wasser noch Metall verkohle. “Verkohlt” würden hier nur die Arbeitsgerichte und die übrigen Prozessparteien. Nach der eigenen Darstellung der Klägerin, die im Übrigen im Prozessverlauf gewechselt habe, könne sich das Geschehen nicht so abgespielt haben, wie es die Klägerin schildere. Außerdem sei es schon pflichtwidrig gewesen, dass die Klägerin, ohne sich bei ihren Vorgesetzten abzumelden, den Arbeitsplatz verlassen habe. Mit dem in einer Notsituation bestehenden Zeitmangel könne die Klägerin die fehlende Abmeldung nicht überzeugend begründen, zumal sie sich nach dem Verlassen der Dienststelle entsprechend ihrer Darstellung ca. eine Stunde Zeit genommen habe, ihre Wohnung zu erreichen. Die Klägerin sei einschlägig abgemahnt gewesen und die Abmahnung habe insbesondere wegen einer danach erfolgten und später zurückgenommenen Kündigung ihre Wirkung nicht verloren. Schließlich habe die Klägerin ihre Mittagspause nicht verlängern dürfen. Mit ihrer Eintragung vom nächsten Tag habe sie das Abwesenheitsbuch verfälscht. Abwesenheitszeiten müssten vor der Abwesenheit in das Abwesenheitsbuch eingetragen werden und insbesondere die tatsächliche Dauer der Abwesenheit erkennen lassen.

 

Der Beklagte hat, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, beantragt,

 

das Arbeitsverhältnis Zug um Zug gegen Verurteilung des Beklagten zur Zahlung einer angemessenen Abfindung aufzulösen.

 

Die Klägerin hat insoweit beantragt,

 

den Auflösungsantrag zurückzuweisen.

 

Sie macht geltend, der Beklagte könne seinen Auflösungsantrag nicht etwa dadurch begründen, dass er eine Flut von Vorwürfen, Unterstellungen und Diskreditierungen gegenüber ihrer Person erhebe und diese fortwährend wiederhole, um trotz der unwirksamen Kündigung die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durchzusetzen. Die vorgelegte Stellungnahme ihrer Vorgesetzten enthalte wenig konkreten Sachvortrag, der zudem verspätet sei.

 

Am 29. März 2001 habe sie tatsächlich vergessen, die Herdplatte zu Hause auszuschalten. Bei Rückkehr in ihre Wohnung habe die Herdplatte geglüht und der Teekessel sei unten schon angekohlt gewesen. Nach der geltenden Gleitzeitregelung habe sie die Mittagspause verlängern dürfen. Ihre Eintragung in das Abwesenheitsbuch sei zutreffend. Die Abwesenheit vor Beginn der Mittagspause habe sie mit der Vorgesetzten Frau S. klären wollen, dies jedoch nicht geschafft.

 

Das Landesarbeitsgericht hat den Auflösungsantrag des Beklagten zurückgewiesen. Mit seiner vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Auflösungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Es kann noch nicht abschließend beurteilt werden, ob der Auflösungsantrag des Beklagten begründet ist. Dies führt insoweit zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

 

I.

Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Auflösungsantrag sei unbegründet. Er könne nicht allein mit dem Sachverhalt begründet werden, mit dem der Beklagte die Kündigung begründet habe. Es sei nicht ausreichend dargelegt, warum die Gründe, die zur Begründung der Kündigung nicht ausreichten, einer den Betriebszwecken dienlichen Zusammenarbeit entgegenstehen sollten. In diesem Zusammenhang sei insbesondere zu berücksichtigen, dass die einschlägige Abmahnung mehr als drei Jahre zurückgelegen habe. Auch die Stellungnahme der Vorgesetzten der Klägerin und die hierzu gefertigte Dokumentation reichten zur Begründung des Auflösungsantrags nicht aus. Die hierzu aufgestellten Behauptungen seien größten Teils zu pauschal. Dies gelte beispielsweise für die Vorwürfe, die Klägerin könne sich nicht an Absprachen halten, versuche Mitarbeiter gegeneinander auszuspielen, überschreite ihre Kompetenzen gegenüber Klienten oder handle eigenmächtig. Krankheitsbedingte Fehlzeiten könnten nicht als Auflösungsgrund herangezogen werden. Die konkret beschriebene Weigerung der Klägerin, eine Dienstanweisung zu unterzeichnen, habe keine so große Bedeutung, dass sie eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen könnte.

 

II.

Dem folgt der Senat nicht. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung lässt sich die Zurückweisung des Auflösungsantrags nicht rechtfertigen.

 

1.

Stellt das Gericht in einem Kündigungsrechtsstreit fest, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung aufgelöst worden ist, hat es nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG auf Antrag des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung aufzulösen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Insoweit geht es um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs. Die Wertung, ob im Einzelfall die Auflösung gerechtfertigt ist, obliegt in erster Linie dem Tatsachengericht. Das Revisionsgericht kann nur nachprüfen, ob das Berufungsgericht die Voraussetzungen für den Auflösungsantrag verkannt und bei Prüfung der vorgetragenen Auflösungsgründe alle wesentlichen Umstände vollständig und widerspruchsfrei gewürdigt hat (Senat 25. September 1982 - 2 AZR 21/81 - AP KSchG 1969 § 9 Nr. 10 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 15; 14. Mai 1987 - 2 AZR 294/86 - AP KSchG 1969 § 9 Nr. 18 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 20) .

 

2.

Das angefochtene Urteil hält auch diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab nicht stand. Es hat zum einen nicht alle wesentlichen Umstände berücksichtigt, die vorgenommene Würdigung ist zum anderen auch nicht widerspruchsfrei.

 

a)

Nach der Grundkonzeption des Kündigungsschutzgesetzes führt eine Sozialwidrigkeit der Kündigung zu deren Rechtsunwirksamkeit und zum Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Das Kündigungsschutzgesetz ist vorrangig ein Bestandsschutz- und kein Abfindungsgesetz (vgl. Senat 30. September 1976 - 2 AZR 402/75 - BAGE 28, 196; 14. Januar 1993 - 2 AZR 343/92 - EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 39) . Dieser Grundsatz wird durch § 9 KSchG unter der Voraussetzung durchbrochen, dass - bezogen auf den Auflösungsantrag des Arbeitgebers - eine Vertrauensgrundlage für eine sinnvolle Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr besteht (vgl. schon Begründung Regierungsentwurf vom 23. Januar 1951 zu § 7 KSchG in: RdA 1951, 58, 64; KR-Spilger 7. Aufl. § 9 KSchG Rn. 9; Stahlhacke/Preis/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 9. Aufl. Rn. 1968) . Da hiernach eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nur ausnahmsweise in Betracht kommt, sind an die Auflösungsgründe strenge Anforderungen zu stellen (Senat 7. März 2002 - 2 AZR 158/01 - AP KSchG 1969 § 9 Nr. 42 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 45; 14. Januar 1993 - 2 AZR 342/92 - aaO; APS-Biebl § 9 KSchG Rn. 49; KR-Spilger aaO § 9 KSchG Rn. 52; Keßler NZA-RR 2002, 1, 7) . Allerdings war die Erwägung, dass es insbesondere während eines Kündigungsschutzprozesses zu zusätzlichen Spannungen zwischen den Parteien kommen kann, die eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sinnlos erscheinen lassen, für die Schaffung der gesetzlichen Regelungen mitbestimmend (Senat 25. November 1982 - 2 AZR 21/81 - AP KSchG 1969 § 9 Nr. 10 mit Anmerkung Herschel = EzA KSchG § 9 nF Nr. 15; 14. Mai 1987 - 2 AZR 294/86 - AP KSchG 1969 § 9 Nr. 18 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 20) .

 

b)

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu erwarten ist, ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz (vgl. schon BAG 29. März 1960 - 3 AZR 568/58 - BAGE 9, 131; 7. März 2002 - 2 AZR 158/01 - aaO). Der Auflösungsantrag ist trotz seiner nach § 9 Abs. 2 KSchG gesetzlich angeordneten Rückwirkung auf den Kündigungszeitpunkt in die Zukunft gerichtet. Das Gericht hat eine Vorausschau anzustellen. Im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag ist zu fragen, ob auf Grund des Verhaltens des Arbeitnehmers in der Vergangenheit in Zukunft noch mit einer den Betriebszwecken dienenden weiteren Zusammenarbeit der Parteien zu rechnen ist (Senat 7. März 2002 - 2 AZR 158/01 - aaO) . Hierin wird der Unterschied zwischen der Auflösung nach §§ 9, 10 KSchG gegenüber einer Überprüfung der Kündigung nach § 1 KSchG deutlich. Für die Frage der Rechtswirksamkeit der Kündigung nach § 1 KSchG ist entscheidend, ob Umstände vorliegen, die im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung die Kündigung als wirksam erscheinen lassen. Es ist eine rückschauende Bewertung dieser Gründe vorzunehmen, später eingetretene Umstände sind grundsätzlich nicht mehr einzubeziehen (vgl. schon BAG 29. März 1960 - 3 AZR 368/58 - aaO) . § 9 KSchG betrifft hingegen die künftige Gestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien. Es geht um die Würdigung, ob die zum Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung in der Tatsacheninstanz gegebenen Umstände eine künftige gedeihliche Zusammenarbeit noch erwarten lassen.

 

Wegen dieses anderen zeitlichen Beurteilungsansatzes ist es gerade auch denkbar, dass mögliche Auflösungsgründe ihr Gewicht wieder verlieren, weil die tatsächlichen oder rechtlichen Umstände sich im Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung geändert haben. Hierin liegt keine ungerechtfertigte Benachteiligung der den Auflösungsantrag stellenden Partei, die auf die Dauer eines Kündigungsschutzverfahrens nur begrenzt Einfluss hat. Soweit etwaige Auflösungsgründe das Gewicht eines Kündigungsgrundes erreichen, steht es auch dem Arbeitgeber frei, eine (weitere) Kündigung auszusprechen (vgl. KR-Spilger aaO § 9 KSchG Rn. 52) . Diese ist dann - unabhängig vom Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung - wiederum (nur) nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung zu beurteilen. Der Sinn der Auflösung nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG besteht eben nicht darin, dem Arbeitgeber eine weitere Kündigung zu ersparen (KR-Spilger aaO § 9 KSchG Rn. 53; Keßler NZA-RR 2002, 8) . Die Regelung bietet vielmehr neben dem eigentlichen kündigungsrechtlichen Instrumentarium nur eine zusätzliche Lösungsmöglichkeit.

 

c)

Als Auflösungsgründe für den Arbeitgeber gem. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG kommen solche Umstände in Betracht, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen allerdings nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Vielmehr kommt es darauf an, ob die objektive Lage beim Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz beim Arbeitgeber die Besorgnis aufkommen lassen kann, dass die weitere Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer gefährdet ist (vgl. nur BAG 7. März 2002 - 2 AZR 158/01 - AP KSchG 1969 § 9 Nr. 42 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 45; KR-Spilger aaO § 9 KSchG Rn. 57 mwN) .

 

Als Auflösungsgrund geeignet sind danach etwa Beleidigungen, sonstige ehrverletzende Äußerungen oder persönliche Angriffe des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kollegen (so schon BAG 30. Juni 1959 - 3 AZR 111/58 - AP KSchG § 1 Nr. 56; KR-Spilger aaO § 9 KSchG Rn. 56; Keßler NZA-RR 2002, 1, 9, beide mwN) . Auch das Verhalten eines Prozessbevollmächtigten des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozess kann die Auflösung des Arbeitsverhältnisses bedingen (BAG 7. März 2002 - 2 AZR 158/01 - aaO, einschränkend etwa KR-Spilger aaO § 9 KSchG Rn. 56; Kittner/Däubler/Zwanziger KSchR 6. Aufl. § 9 KSchG Rn. 21) . Dies gilt auch für von ihm nicht veranlasste Erklärungen des Prozessbevollmächtigten jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer sich diese zu eigen macht und sich auch nachträglich nicht hiervon distanziert. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass gerade Erklärungen im laufenden Kündigungsschutzverfahren durch ein berechtigtes Interesse des Arbeitnehmers gedeckt sein können.

 

Liegt ein Grund vor, der an sich zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses geeignet erscheint, so muss in einem zweiten Schritt geprüft werden, ob in Anbetracht der konkreten betrieblichen Umstände noch eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit möglich ist (APS-Biebl § 9 KSchG Rn. 50) . So kann ein zwischenzeitlich eingetretener Wandel der betrieblichen Verhältnisse - beispielsweise der Austausch von Vorgesetzten oder eine Veränderung in der Belegschaftsstruktur - Berücksichtigung finden (KR-Spilger aaO § 9 KSchG Rn. 56; Keßler NZA-RR 2002, 1, 8) . Dies folgt schon aus dem zukunftsbezogenen Zweck der Auflösung.

 

Bei der Anwendung des § 9 KSchG sind die wechselseitigen Grundrechtspositionen des betroffenen Arbeitgebers und des Arbeitnehmers zu berücksichtigen und abzuwägen. So dürfen der gerichtlichen Durchsetzung von Grundrechtspositionen keine praktisch unüberwindlichen Hindernisse entgegengesetzt werden (vgl. BVerfG 16. November 1993 - 1 BvR 258/86 - BVerfGE 89, 276, 289) . Die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast darf den durch einfachrechtlichen Normen bewirkten Schutz grundrechtlicher Gewährleistungen nicht leer laufen lassen (BVerfG 22. Oktober 2004 - 1 BvR 1944/01 - AP KSchG 1969 § 9 Nr. 49 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 49) .

 

d)

Einer Überprüfung nach diesen Grundsätzen hält die angefochtene Entscheidung nicht stand.

 

aa)

Zu Unrecht geht das Landesarbeitsgericht davon aus, personenbedingte Gründe wie das Vorbringen der Beklagten zu Krankheiten der Klägerin könnten nicht als Auflösungsgrund herangezogen werden. Die Gründe, die eine dem Betriebszweck dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragsparteien nicht erwarten lassen, müssen nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Vielmehr kommt es darauf an, ob die objektive Lage beim Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz beim Arbeitgeber die Besorgnis aufkommen lassen kann, die weitere Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer sei gefährdet (BAG 7. März 2002 - 2 AZR 158/01 - AP KSchG 1969 § 9 Nr. 42 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 45) . Danach ist schon fraglich, ob die aus § 1 Abs. 2 KSchG herzuleitende Unterscheidung zwischen betriebsbedingter, personenbedingter und verhaltensbedingter Kündigung auf eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach §§ 9, 10 KSchG überhaupt passt. Erforderlich ist hier jedenfalls eine Gesamtabwägung. Diese verlangt eine Berücksichtigung aller Umstände, die für oder gegen die Prognose sprechen, eine weitere, den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit zwischen den Parteien sei nicht mehr zu erwarten. Bei dieser Gesamtabwägung sind auch Tatsachen zu berücksichtigen, die der Arbeitgeber im Zusammenhang mit Fehlzeiten des Arbeitnehmers vorträgt. Dies gilt insbesondere, soweit der Arbeitgeber Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers im Zusammenhang mit aufgetretenen Krankheitszeiten darlegt und Umstände vorträgt, die für einzelne Zeiträume Zweifel an einer ärztlich attestierten Arbeitsunfähigkeit aufkommen lassen.

 

bb)

Es stellt auch keine ausreichende Auseinandersetzung mit dem detaillierten Vorbringen des Beklagten zu den weiteren Auflösungsgründen (immerhin neben den zusammenfassenden Darstellungen des Beklagten und der Vorgesetzten der Klägerin ein ganzer Aktenordner), wenn das Landesarbeitsgericht hierzu nur ausführt, die in der Stellungnahme der Vorgesetzten der Klägerin und der hierzu gefertigten Dokumentation enthaltenen Behauptungen seien “größten Teils” zu pauschal, als dass sie überprüft und zur Begründung des Auflösungsantrags herangezogen werden könnten. Welche Vorwürfe das Berufungsgericht für zu pauschal dargestellt ansieht, wird lediglich anhand weniger Beispiele angeführt, ohne dass das Berufungsgericht auf den detaillierten Vortrag des Beklagten zu diesen Punkten eingegangen wäre. Welche anderen Vorwürfe das Berufungsgericht ebenfalls als zu pauschal vorgetragen ansieht, wird nicht ausgeführt. Ebenso fehlt jeder Hinweis dazu, wie das Landesarbeitsgericht die Sachverhalte beurteilt, die auch seiner Ansicht nach (“größten Teils”) von dem Beklagten eben nicht zu pauschal vorgetragen worden sind. Insgesamt reichen die kurzen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zu der von ihm als Parteivorbringen berücksichtigten - möglicherweise nach der Zurückverweisung schriftsätzlich zu ergänzenden - umfangreichen Dokumentation des Beklagten hinsichtlich der Auflösungsgründe nicht als Begründung aus, weshalb diese vom Beklagten vorgebrachten Tatsachen eine Auflösung nicht rechtfertigen.

 

cc)

Auch die Berücksichtigung der Kündigungsgründe im Rahmen des Vorbringens des Beklagten zu den Auflösungsgründen ist nicht frei von Rechtsfehlern. Zwar trifft es zu, dass der Auflösungsantrag regelmäßig nicht allein mit dem Sachverhalt begründet werden kann, mit dem der Arbeitgeber die Kündigung begründet. Darum geht es hier jedoch nicht. Hat der Arbeitgeber umfangreich als Auflösungsgründe bestimmte Verhaltensweisen des Arbeitnehmers vorgetragen, die die Befürchtung begründen, eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Parteien sei nicht zu erwarten, so kann der Anlass, der zur Kündigung geführt hat, die schlechte Prognose für eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit verstärken. Die Kündigungsgründe sind insoweit zu berücksichtigen und können geeignet sein, den sonstigen Auflösungsgründen besonderes Gewicht zu verleihen.

 

Deshalb wäre zu prüfen gewesen, ob nicht gerade der Kündigungssachverhalt, der nach dem insoweit rechtskräftigen Urteil des Landesarbeitsgerichts nicht geeignet war, eine Kündigung zu begründen, eine Haltung der Klägerin zu ihrem Arbeitsverhältnis offenbart hat, die im Zusammenhang mit den sonst vorgetragenen Auflösungsgründen eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit zwischen den Parteien nicht erwarten ließ. Der Kündigungssachverhalt bietet Anhaltspunkte für eine derartige problematische Einstellung der Klägerin zu ihren arbeitsvertraglichen Pflichten. Dem hätte das Landesarbeitsgericht schon deshalb nachgehen müssen, weil es letztlich die Unwirksamkeit der Kündigung lediglich darauf gestützt hat, der Beklagte habe der Klägerin nicht beweisen können, dass deren gesamtes Vorbringen hinsichtlich des “verkohlten Teekessels” von Anfang bis Ende unzutreffend sei. Bleibt insoweit jedoch ein Verdacht, so ist dieser bei der Beurteilung der Auflösungsgründe mit zu berücksichtigen. Jedenfalls ist die Schilderung der Klägerin von den Ereignissen nur schwer als geeignet anzusehen, den Verdacht zu beseitigen, dass sich der Vorfall nicht exakt so abgespielt haben kann, wie die Klägerin ihn im Prozess dargestellt hat. Dagegen, dass es sich wirklich um einen Notfall gehandelt hat, spricht schon die Eile, mit der die Klägerin die Dienststelle verlassen hat, im Vergleich zu der angesichts eines Notfalles erheblichen Zeitdauer des Weges der Klägerin zu ihrer Wohnung. Abgesehen davon war bei der Auflösungsentscheidung jedenfalls das Verhalten der Klägerin nach dem behaupteten Ausschalten der Herdplatte - insbesondere die “Verlängerung” der Mittagspause und die Eintragung in das Abwesenheitsbuch erst am Ende des folgenden Arbeitstages - zu berücksichtigen.

 

3.

Das angefochtene Urteil ist danach aufzuheben. Da das Landesarbeitsgericht zu dem überwiegenden Teil der Auflösungsgründe keine Feststellungen getroffen hat, steht der maßgebliche Sachverhalt nicht fest. Dies führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht. Die Feststellung und Würdigung des gesamten vom Beklagten vorgetragenen Auflösungssachverhalts wird unter Berücksichtigung der oben dargelegten Grundsätze nachzuholen sein. Nach dem bisherigen Aktenstand sprechen jedenfalls gewichtige Argumente dafür, dass der Auflösungsantrag, wenn sich die Behauptungen des Beklagten hierzu als zutreffend erweisen, begründet sein könnte.


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