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Aufgabenüberschreitung eines Dachverbands von Industrie- uns Handelskammern

 | Gericht:  Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) Leipzig  | Aktenzeichen: 10 C 4/15 | Entscheidung:  Urteil
Kategorie Sonstiges

Urteilstext

 

Tenor

Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Mai 2014 wird aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.

 

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

 

Tatbestand

Die Klägerin, ein Unternehmen zur Planung und Errichtung von Windenergieanlagen, ist kraft Gesetzes Mitglied der beklagten Industrie- und Handelskammer und begehrt deren Verurteilung zum Austritt aus dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag e.V. (DIHK). Dieser verfolgt als privatrechtlich organisierter Dachverband der deutschen Industrie- und Handelskammern nach § 1 Abs. 1 seiner Satzung unter anderem den Zweck, in allen das Gesamtinteresse der gewerblichen Wirtschaft im Bereich des DIHK betreffenden Fragen einen gemeinsamen Standpunkt der Industrie- und Handelskammern auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene gegenüber der Politik, der Verwaltung, den Gerichten und der Öffentlichkeit zu vertreten. § 1 Abs. 3 der Satzung stellt klar, dass die Behandlung allgemeinpolitischer, insbesondere parteipolitischer Fragen nicht zur Zuständigkeit des DIHK gehört.

 

Mit Schreiben vom 9. Februar 2007 forderte die Klägerin die Beklagte auf, ihren Austritt aus dem DIHK zu erklären. Die Beklagte dürfe sich nur im Rahmen der ihr gesetzlich zugewiesenen Aufgaben betätigen und keinen Vereinigungen angehören, die jenseits dieses Aufgabenbereichs tätig seien. Der DIHK habe sich in einer Presseerklärung vom 10. Januar 2007 und in weiteren Veröffentlichungen allgemeinpolitisch zur Klimapolitik geäußert. Dabei habe er sich einseitig gegen die weitere Erhöhung des Marktanteils von erneuerbaren Energien, gegen den Ausstieg aus der Kernenergie und gegen die Umsetzung des Kyoto-Protokolls gewandt. Damit habe er seine satzungsgemäßen Aufgaben und die Kompetenzen seiner Mitgliedskammern überschritten. Der Klägerin stehe als Pflichtmitglied der Beklagten aus Art. 2 Abs. 1 GG ein Recht auf Abwehr von Kompetenzüberschreitungen zu. Daraus ergebe sich der geltend gemachte Anspruch auf Austritt der Beklagten aus dem DIHK.

 

Die Beklagte lehnte einen Austritt mit Schreiben vom 28. Februar 2007 ab. Die Stellungnahmen des DIHK zur Energiepolitik gingen nicht über den Aufgabenkreis der Mitgliedskammern hinaus. Wenn bei der Ermittlung des Gesamtinteresses kein vollständiger Interessenausgleich möglich sei, dürfe auch eine Position vertreten werden, die den Interessen einer bestimmten Mitgliedergruppe zuwiderlaufe. Den Veröffentlichungen lägen Grundsatzbeschlüsse der Vollversammlung des DIHK oder seines Vorstandes zugrunde. Im Übrigen sei der DIHK als Privatrechtssubjekt nicht an Verfassungsrecht gebunden. Selbst bei satzungswidrigem Handeln des Dachverbandes könne die Klägerin ihren Austritt nicht verlangen, sondern nur, dass sie selbst ihren Aufgabenkreis nicht überschreite und ihre Mitgliedschaftsrechte im Dachverband wahrnehme, um Satzungsverstößen entgegenzutreten.

 

Am 6. Juli 2007 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie begehrt, die Beklagte zu verurteilen, ihren Austritt aus dem DIHK zu erklären und es zu unterlassen, die beanstandeten Äußerungen zu wiederholen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 20. Mai 2009 abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung nur hinsichtlich des Antrags auf Verurteilung zum Austritt aus dem Dachverband zugelassen. Im Berufungsverfahren hat die Klägerin weitere ihres Erachtens unzulässige Äußerungen des DIHK und seiner (damaligen) Präsidenten vorgelegt, die unter anderem bildungs-, steuer- und rentenpolitische Fragen, den Hochwasserschutz und die Situation in der Republik Südafrika nach dem Tod des ehemaligen Staatspräsidenten Nelson Mandela betreffen.

 

Mit Urteil vom 16. Mai 2014 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die Klägerin könne zwar geltend machen, als Pflichtmitglied der Beklagten durch eine Überschreitung der Kammerkompetenzen in ihrem Recht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG verletzt zu sein. In der Sache stehe ihr der geltend gemachte Austrittsanspruch jedoch nicht zu. Wirtschafts- und berufsständische Kammern dürften sich zu privatrechtlichen Dachorganisationen zusammenschließen. Im Beitritt zum DIHK liege auch keine unzulässige Aufgabendelegation. Die satzungsgemäßen Tätigkeiten und Zwecke des Dachverbandes hielten sich im Rahmen der Kammerzuständigkeiten. § 1 Abs. 1 seiner Satzung verlagere die den Kammern gesetzlich aufgegebene Wahrnehmung des Gesamtinteresses der gewerblichen Wirtschaft in zulässiger Weise von der Ebene des Kammerbezirks auf die Bundesebene, ohne den Kammern ihre Selbständigkeit oder ihr Initiativrecht zu nehmen oder sie in unzulässiger Weise an Beschlüsse des Dachverbandes zu binden. Ob eine tatsächliche Überschreitung der satzungsgemäßen Aufgaben des Dachverbandes zu einem Anspruch der Pflichtmitglieder der Mitgliedskammern auf Austritt ihrer Kammer aus dem Dachverband führen könne, müsse nicht abschließend geklärt werden. Dafür spreche, dass die Möglichkeiten eines Kammermitglieds, die Kammer zum Einschreiten gegen die Aufgabenüberschreitung des Dachverbandes anzuhalten, regelmäßig begrenzt und nicht immer ausreichend effektiv seien. Eine gerichtliche Verpflichtung der Kammer zum Austritt aus dem Dachverband komme aus Gründen der Verhältnismäßigkeit jedoch nur als äußerstes Mittel in Betracht. Vorrangig müsse das Kammermitglied seine Kammer darauf in Anspruch nehmen, im Dachverband auf eine Beachtung des Kompetenzrahmens hinzuwirken. Erst wenn ein solches, gegebenenfalls gerichtlich zu erzwingendes verbandsinternes Vorgehen fehlgeschlagen oder nachhaltig ohne Erfolg geblieben sei, könne ein Austrittsanspruch bestehen. Dafür gebe es hier keine begründeten Anhaltspunkte. Abrundend werde darauf hingewiesen, dass für Inhalt und Form der Äußerungen des DIHK zwar mittelbar die gleichen Regeln gälten wie für die Äußerungen seiner Mitgliedskammern. Die im Berufungsverfahren umstrittenen Äußerungen erwiesen sich danach aber voraussichtlich als im Wesentlichen unbedenklich.

 

Mit ihrer vom Bundesverwaltungsgericht zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend, die Beklagte dürfe nur einem Verband angehören, dessen Aufgaben satzungsrechtlich auf die Kammerkompetenzen beschränkt seien und der sich auch tatsächlich nur in diesem Rahmen betätige. Äußerungen des Dachverbandes dürften nur Sachverhalte betreffen, die sich konkret auf die gewerbliche Wirtschaft im Bezirk der jeweiligen Mitgliedskammer auswirkten. Außerdem sei das Gesamtinteresse der gewerblichen Wirtschaft nach § 1 Abs. 1 IHKG allein durch die Vollversammlungen der Mitgliedskammern zu ermitteln. Überschreite der Dachverband seine Aufgaben und die Grenzen der Kammerkompetenzen nachhaltig, verletze dies die Pflichtmitglieder der ihm angehörenden Kammern in ihrem Recht aus Art. 2 Abs. 1 GG. Trete die Kammer den Aufgabenüberschreitungen des Dachverbandes nicht entgegen oder verteidige sie diese sogar, sei effektiver Grundrechtsschutz nur durch einen Anspruch der Kammermitglieder auf Austritt der Kammer aus dem Dachverband zu erreichen.

 

Die Klägerin beantragt,

 

das Urteil des Verwaltungsgerichts Münster vom 20. Mai 2009 und das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Mai 2014 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihren Austritt aus dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag e.V. zu erklären.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Revision zurückzuweisen.

 

Sie verteidigt das angegriffene Urteil und trägt ergänzend vor, eine Aufgabenüberschreitung des DIHK stelle die Zulässigkeit der Mitgliedschaft einer Kammer nicht in Frage. So wenig ein IHK-Mitglied aus einer kompetenzwidrig handelnden Kammer austreten könne, so wenig begründe eine Aufgabenüberschreitung des Dachverbandes einen Anspruch auf Austritt der Kammer. Einen solchen Anspruch zuzuerkennen, widerspreche dem Selbstverwaltungsrecht der Kammer und dem freien Mandat der Mitglieder der Vollversammlung des Dachverbandes. Allenfalls bei eindeutigen, nachhaltigen, besonders schwerwiegenden strukturellen Kompetenzverstößen und deren drohender Wiederholung könne ein Austrittsanspruch als äußerstes Mittel in Betracht kommen. Davon könne bei einzelnen Fehlbeurteilungen der Grenzen zulässiger Aufgabenwahrnehmung keine Rede sein. An die tatrichterliche Annahme, die übrigen Stellungnahmen des DIHK seien nach Form und Inhalt zulässig, sei das Revisionsgericht gebunden. Ein Vorbehalt der Zustimmung der Vollversammlungen der Mitgliedskammern, der zur Handlungsunfähigkeit des Dachverbandes führe, lasse sich rechtlich nicht begründen.

 

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht unterstützt die Revision, ohne einen eigenen Antrag zu stellen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist begründet. Das angegriffene Urteil beruht auf einer unrichtigen Anwendung von Art. 2 Abs. 1 GG, § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern (IHKG) in der im BGBl. III, Gliederungsnr. 701-1 veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Art. 254 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474) und stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 137 Abs. 1, § 144 Abs. 4 VwGO). Da seine Tatsachenfeststellungen keine abschließende Entscheidung zulassen, war das angegriffene Urteil aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

 

1.

Das Oberverwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Klägerin als Pflichtmitglied der beklagten Kammer gemäß Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG das Recht zusteht, Kompetenzüberschreitungen ihrer Kammer abzuwehren (dazu unten a). Daraus folgert es zutreffend, dass der Klägerin ein Anspruch auf Beendigung der Mitgliedschaft der Beklagten in einem privatrechtlich organisierten Dachverband zustehen kann, wenn dieser sich außerhalb des Rahmens der Kammerkompetenzen betätigt (dazu unten b). Entgegen dem angegriffenen Urteil kommt ein Austrittsanspruch in solchen Fällen aber nicht aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nur als ultima ratio in Betracht. Er setzt insbesondere keine vorrangige Inanspruchnahme der Kammer voraus und verlangt auch nicht, dass ein Vorgehen gegen diese mit dem Ziel, den Dachverband intern zur Wahrung der Kompetenzgrenzen seiner Mitgliedskammern anhalten zu lassen, gescheitert oder ohne nachhaltigen Erfolg geblieben ist. Vielmehr besteht ein Austrittsanspruch schon dann, wenn es sich bei der Aufgabenüberschreitung nicht um einen atypischen "Ausreißer" handelt, sondern die konkrete Gefahr erneuter Betätigung jenseits der Kammerkompetenz besteht (dazu unten c).

 

a)

Die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG gibt dem Grundrechtsträger das Recht zur Abwehr "unnötiger" Zwangsverbände. Die Begründung und die Ausgestaltung der Pflichtmitgliedschaft in einem solchen Verband müssen durch formelles Gesetz gedeckt und verhältnismäßig sein. Das gilt auch für die Pflichtmitgliedschaft in der Industrie- und Handelskammer.

 

Nach § 1 Abs. 1 IHKG ist den Kammern die verfassungsrechtlich legitime Aufgabe übertragen, das Gesamtinteresse der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirkes wahrzunehmen, für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft zu wirken und dabei die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend zu berücksichtigen. Als Berater der Behörden sollen sie den Sachverstand und die Interessen der Kammermitglieder gebündelt, strukturiert und ausgewogen in Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse des Staates einbringen. Darüber hinaus entlasten sie den Staat durch eine dezentrale, partizipative Erfüllung von Aufgaben im Bereich der Wirtschaftsverwaltung. Die Kombination beider Aufgabenzuweisungen rechtfertigt die Inanspruchnahme der Pflichtmitglieder zur Sicherung einer dem Gesamtinteresse und dem Gemeinwohl verpflichteten, repräsentativen Selbstverwaltungstätigkeit, die sich von einer reinen, auch privatrechtlich und auf freiwilliger Basis zu organisierenden Interessenvertretung unterscheidet (BVerfG, Kammerbeschluss vom 7. Dezember 2001 - 1 BvR 1806/98 - NVwZ 2002, 335 <336 f.>). Überschreitet die Kammer die ihr verfassungskonform zugewiesenen Kompetenzen, greift sie ohne gesetzliche Grundlage in die allgemeine Handlungsfreiheit ihrer Pflichtmitglieder ein. Diesen gibt Art. 2 Abs. 1 GG das Recht, Kompetenzüberschreitungen der Kammer abzuwehren, und zwar unabhängig davon, ob sie durch die Kompetenzüberschreitung einen darüber hinausgehenden rechtlichen oder faktischen Nachteil erleiden (BVerfG, Kammerbeschluss vom 7. Dezember 2001 - 1 BvR 1806/98 - NVwZ 2002, 335 <337>; BVerwG, Urteile vom 19. September 2000 - 1 C 29.99 - BVerwGE 112, 69 <72> und vom 23. Juni 2010 - 8 C 20.09 - NVwZ-RR 2010, 882 Rn. 21).

 

b)

Die Bindung der Kammern an die gesetzlichen Kompetenzzuweisungen und -grenzen gilt uneingeschränkt auch dann, wenn sie sich für die gemeinschaftliche Aufgabenwahrnehmung eines privatrechtlich organisierten Dachverbandes bedienen. Zwar werden die Aufgaben eines solchen Verbandes selbst - im Unterschied zu denen seiner Mitgliedskammern - nicht durch § 1 Abs. 1 IHKG geregelt und begrenzt. Die an die Kompetenzregelung gebundenen Kammern dürfen sich aber an dem Verband nur beteiligen, wenn dessen Tätigkeit sich im Rahmen der ihnen gesetzlich zugewiesenen Kompetenzen hält.

 

Das den Kammern gesetzlich verliehene Selbstverwaltungsrecht (§§ 1, 4 IHKG) gestattet es ihnen, zur gemeinsamen Wahrnehmung des Gesamtinteresses ihrer Mitglieder einen privatrechtlich organisierten Dachverband zu gründen und sich an einem solchen Verband zu beteiligen, wenn die Rechtsgrenzen der Kammertätigkeit gewahrt bleiben. § 10 IHKG steht dem nicht entgegen. Er ermächtigt zur Kooperation bei der Erfüllung von Hoheitsaufgaben, ohne einen privatrechtlichen Zusammenschluss zur Wahrnehmung anderer Aufgaben zu hindern. Ein solcher Zusammenschluss erweitert allerdings nicht die Kompetenzen der einzelnen Mitgliedskammern. Diese dürfen auch gemeinschaftlich keine anderen als die ihnen gesetzlich zugewiesenen Aufgaben wahrnehmen. Sie dürfen dem Dachverband mangels gesetzlicher Ermächtigung zur Aufgabendelegation keine eigenen Aufgaben übertragen. Vielmehr bleiben sie selbst für die Aufgabenerledigung zuständig und dafür verantwortlich, dass die Verbandstätigkeit die Grenzen der Kammerkompetenz wahrt.

 

Für die Tätigkeit eines Verbandes mit eigener Rechtspersönlichkeit (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 19. September 2000 - 1 C 29.99 - BVerwGE 112, 69 <72>) gilt das ebenso wie für einen nicht rechtsfähigen Verband (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 23. Juni 2010 - 8 C 20.09 - NVwZ-RR 2010, 882, Rn. 21). Die Kammern können sich ihrer grundrechtlichen Bindung an Art. 2 Abs. 1 GG und ihrer gesetzlichen Bindung an die Kompetenzregelung des § 1 Abs. 1 IHKG auch dann nicht durch einen Zusammenschluss entledigen, wenn dieser rechtlich verselbständigt ist. Sie dürfen sich daher nicht an einer juristischen Person des Privatrechts beteiligen, die satzungsgemäß Aufgaben jenseits der Kammerkompetenzen wahrnimmt. Ebenso wenig dürfen sie einem Verband angehören, der sich trotz kompetenzkonformer satzungsrechtlicher Aufgabenzuweisung jenseits des Kompetenzrahmens der Kammern betätigt. In diesem Fall läge ein faktischer Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit der Pflichtmitglieder der dem Verband angehörenden Kammern vor, der mangels gesetzlicher Grundlage verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt wäre. Für die Beurteilung, ob die Tätigkeit eines Zusammenschlusses noch von der Kompetenz seiner Mitgliedskammern gedeckt wird, ist daher nicht allein auf die satzungsrechtlichen Aufgaben des Verbandes, sondern auch auf dessen faktisches Handeln abzustellen (vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Dezember 1981 - 5 C 56.79 - BVerwGE 64, 298 <307> und vom 10. Juni 1986 - 1 C 9.86 - NJW 1987, 337; OVG Hamburg, Urteil vom 5. März 1974 - OVG Bf. III 9/72 - Hamb. JVBl 1974, 181 <183 f.>; OVG Lüneburg, Urteil vom 13. Dezember 1978 - X OVG A 97/77 - SchlHA 1979, 113 <114>; OVG Münster, Urteil vom 9. Dezember 1999 - 8 A 395/97 - NWVBl. 2000, 425 <428 f.>; OVG Berlin, Beschluss vom 15. Januar 2004 - 8 S 133/03 - NVwZ-RR 2004, 348 <351>; VGH Kassel, Urteil vom 29. Juli 2004 - 11 UE 4505/98 - juris Rn. 25; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14. Dezember 2006 - 7 B 4.05 - OVGE Bln. 27, 372 <381 f.>).

 

c)

Betätigt sich der Dachverband in einer Weise, die faktisch seine Aufgaben und zugleich den Kompetenzrahmen seiner Mitgliedskammern überschreitet, ergibt sich aus Art. 2 Abs. 1 GG ein Anspruch jedes Kammermitglieds auf Austritt seiner Kammer aus dem Dachverband, wenn die kompetenzwidrige Tätigkeit sich nicht als atypischer "Ausreißer" darstellt, sondern die konkrete Gefahr erneuten kompetenzüberschreitenden Handelns besteht. Wie jeder grundrechtliche Unterlassungsanspruch setzt der Austrittsanspruch nur voraus, dass dem Betroffenen konkret eine rechtswidrige Beeinträchtigung seines Grundrechts droht (vgl. BVerwG, Urteile vom 23. Mai 1989 - 7 C 2.87 - BVerwGE 82, 76 <77 f.> und vom 20. November 2014 - 3 C 27.13 - Buchholz 418.32 AMG Nr. 69 Rn. 11, je m.w.N.). Dazu genügt die konkrete Wahrscheinlichkeit einer künftigen, den Rahmen der Kammerkompetenz überschreitenden Tätigkeit des Dachverbandes.

 

Aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ergibt sich nichts anderes. Dieser misst die Rechtmäßigkeit der Mitgliedschaft in einem Dachverband ebenfalls an den Kompetenzgrenzen der Mitgliedskammern. Er verneint lediglich einen Austrittsanspruch bei faktischen Aufgabenüberschreitungen in Einzelfällen, denen durch verbandsinterne Kontrolle zu begegnen ist (BGH, Beschluss vom 18. Dezember 1995 - PatAnwZ 3/95 - NJW 1996, 1899 f.). Damit schließt er einen Austrittsanspruch in anderen Fällen, in denen eine verbandsintern nicht zu bannende Wiederholungsgefahr besteht, nicht aus.

 

Ein Anspruch des Kammermitglieds auf Austritt seiner Kammer aus dem Dachverband ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil ein Anspruch des Kammermitglieds auf den Austritt aus der Kammer selbst ausgeschlossen ist (so OVG Koblenz, Urteil vom 23. Dezember 1992 - 11 A 10144/92 - GewArch 1993, 289 <290>). Die Pflichtmitgliedschaft in der Kammer, aus der sich das Fehlen eines Austrittsrechts ergibt, ist gesetzlich geregelt und in diesem Umfang verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Einer gesetzwidrigen Ausdehnung der Inanspruchnahme des Pflichtmitglieds durch eine unzulässige Aufgabenanmaßung, die durch Zugehörigkeit einer Kammer zu einem Dachverband vermittelt wird, der sich außerhalb des Aufgabenbereichs der Kammer betätigt, fehlt diese Rechtfertigung. Der von der Beklagten gezogene Vergleich zum Fehlen eines Anspruchs der Gemeindebürger auf Ausscheiden ihrer Gemeinde aus einem rechtswidrigen Zweckverband überzeugt ebenfalls nicht. Art. 2 Abs. 1 GG vermittelt zwar den Pflichtmitgliedern gesetzlich errichteter Zwangskörperschaften, nicht jedoch den Bürgern der verfassungsrechtlich als Hoheitsträger anerkannten Kommunen einen Anspruch auf kompetenzgemäßes Handeln ihrer Körperschaft (BVerwG, Urteil vom 19. September 2000 - 1 C 29.99 - BVerwGE 112, 69 <72>).

 

Der Auffassung des Berufungsurteils, der Austrittsanspruch des Kammermitglieds aus Art. 2 Abs. 1 GG werde durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt und könne erst entstehen, wenn die Kammer erfolglos zum Einschreiten gegen den Dachverband angehalten worden sei, vermag der Senat ebenfalls nicht zu folgen. Das grundrechtliche Verhältnismäßigkeitsgebot ist nicht einschlägig, weil die Kammer sich bei der Erfüllung ihrer Aufgaben aus § 1 Abs. 1 IHKG nicht auf eigene Grundrechte berufen kann. Juristischen Personen des öffentlichen Rechts stehen nach Art. 19 Abs. 3 GG bei der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben grundsätzlich keine Grundrechte zu. Etwas anderes gilt nur, wenn sie - wie etwa die Universitäten oder die Rundfunkanstalten - ausnahmsweise unmittelbar dem grundrechtlich geschützten Lebensbereich zugeordnet sind (BVerfG, Beschluss vom 9. April 1975 - 2 BvR 879/73 - BVerfGE 39, 302 <312 f.> m.w.N.; Kammerbeschluss vom 31. Januar 2008 - 1 BvR 2156/02, 1 BvR 2206/02 - BVerfGK 13, 276 f.). Das ist hier nicht der Fall. Die Tätigkeit der Industrie- und Handelskammern nach § 1 Abs. 1 IHKG dient nicht der gemeinsamen Grundrechtsausübung ihrer Mitglieder, sondern der Entlastung der staatlichen Behörden durch sachkundige Politikberatung und die dezentralisierte Wahrnehmung von Aufgaben der Wirtschaftsförderung. Als dem Staat eingegliederte Körperschaften des öffentlichen Rechts können die Kammern nicht zugleich Grundrechtsverpflichtete und Grundrechtsträger sein. Die Befugnis der Kammern, die Erfüllung ihrer Aufgaben nach § 1 Abs. 1 IHKG zu organisieren, ist gegenüber den Kammermitgliedern auch nicht durch ein grundrechtsunabhängig herzuleitendes, rechtsstaatliches Verhältnismäßigkeitsprinzip geschützt. Sie besteht nur aufgrund gesetzlicher Kompetenzzuweisung und nur in deren Rahmen. Der rechtsstaatliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kann die Kompetenzgrenzen nicht relativieren, weil deren Beachtung ebenfalls ein Element der Rechtsstaatlichkeit ist (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 13. Dezember 1978 - X OVG A 97/77 - SchlHA 1979, 113 <115>).

 

Unabhängig davon wäre das von der Vorinstanz für vorrangig gehaltene Vorgehen gegen die Kammer mit dem Ziel, diese zum verbandsinternen Vorgehen gegen Aufgabenüberschreitungen des Dachverbandes anzuhalten, wegen der Rechtsstellung der Mitgliedskammern im Verband ungeeignet, einen effektiven Grundrechtsschutz der Kammermitglieder zu gewährleisten. Die Verbandssatzung gibt der einzelnen Mitgliedskammer kein Initiativrecht in der Vollversammlung, geschweige denn ein Vetorecht gegen Aufgabenüberschreitungen. Ohne mehrheitliche Unterstützung in der Vollversammlung könnte die Mitgliedskammer deshalb nur formlos - und absehbar fruchtlos - gegen Aufgabenüberschreitungen protestieren. Vereinsrechtlich besteht ebenfalls kein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch des einzelnen Verbandsmitglieds auf Unterlassen satzungswidriger Tätigkeiten des Verbandes (vgl. BGH, Urteil vom 25. Februar 1982 - II ZR 174/80 - NJW 1982, 1703 <1706>; LG Frankfurt, Urteil vom 6. Februar 1997 - 2-23 O 374/96 - NJW-RR 1998, 396; Arnold, in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2015, § 38 Rn. 27, 30 f.; vgl. Rn. 7 zur Ablehnung einer actio pro socio), jedenfalls solange die Satzung des Verbandes solche Durchgriffsrechte nicht begründet.

 

Ein Austrittsanspruch ist auch nicht erst bei andauernden, beharrlichen und schwerwiegenden Aufgabenüberschreitungen des Dachverbandes anzuerkennen (vgl. OVG Hamburg, Urteil vom 5. März 1974 - OVG Bf. III 9/72 - Hamb. JVBl 1974, 181 <184>; OVG Münster, Urteil vom 9. Dezember 1999 - 8 A 395/97 - NWVBl. 2000, 425 <428 f.>; VGH Kassel, Urteil vom 29. Juli 2004 - 11 UE 4505/98 - juris Rn. 27; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14. Dezember 2006 - 7 B 4.05 - OVGE Bln. 27, 372 <381 f.>). Der grundrechtliche Schutz der Kammermitglieder aus Art. 2 Abs. 1 GG bewahrt vor jeder rechtswidrigen Inanspruchnahme und nicht nur vor qualifizierten Rechtsverstößen. Solche Rechtsverstöße sind auch nicht erforderlich, um die den Austrittsanspruch auslösende Wiederholungsgefahr zu begründen. Die konkrete Wahrscheinlichkeit künftiger Aufgabenüberschreitungen kann sich nicht allein aus ständigen und schwerwiegenden Kompetenzverletzungen ergeben, sondern ebenso aus schlichten Kompetenzüberschreitungen, die über vereinzelte, für die Verbandspraxis atypische "Ausreißer" hinausgehen. Eine Wiederholungsgefahr ist auch nicht nur zu bejahen, wenn künftig eine völlig gleichartige Aufgabenüberschreitung droht, da der effektive Grundrechtsschutz sonst durch ständiges Variieren der Kompetenzüberschreitungen zu vereiteln wäre. Maßgeblich ist allein, ob mit einer erneuten Missachtung der Kompetenzgrenzen zu rechnen ist oder ob davon ausgegangen werden kann, dass weitere Verstöße unterbleiben, etwa weil sie verbandsintern zuverlässig verhindert werden.

 

Dies erfordert eine tatrichterliche Prognose, die sämtliche Indizien für und gegen die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Grundrechtsverletzung in Betracht zieht. Als Indizien für das Drohen eines erneuten Kompetenzverstoßes kommen mehrfache oder gar häufige Missachtungen der Kompetenzgrenzen in Betracht, ebenso der Mangel an Einsicht in vergangene Aufgabenüberschreitungen und die Weigerung, geeignete Maßnahmen zur Verhinderung künftiger Überschreitungen zu treffen. Gegen eine Wiederholungsgefahr spricht hingegen, wenn der Dachverband die Kritik an einer Aufgabenüberschreitung konstruktiv aufgenommen, sich davon distanziert und geeignete Vorkehrungen gegen einen erneuten Kompetenzverstoß getroffen hat. Dies ist anzunehmen, wenn der Verband den Mitgliedskammern und deren Pflichtmitgliedern die Möglichkeit eröffnet, künftige Überschreitungen der Kammerkompetenzen wirksam zu unterbinden. Davon kann beispielsweise ausgegangen werden, wenn die Verbandssatzung den einzelnen Pflichtmitgliedern der Mitgliedskammern ein Recht zur Klage gegen den Verband auf Unterlassen von (weiteren) Überschreitungen der Kammerkompetenz einräumt. Gegen eine Wiederholungsgefahr kann auch die Einrichtung einer unabhängigen Ombudsstelle im Verband sprechen, wenn diese einen wirksamen, effektiven Schutz vor einer Verbandstätigkeit jenseits der Kammerkompetenzen gewährleistet, der von jedem Pflichtmitglied einer Mitgliedskammer verbandsintern sowie notfalls gerichtlich durchsetzbar ist. Insoweit dürfte es nicht ausreichen, wenn die Ombudsstelle Aufgabenüberschreitungen nur nachträglich beanstanden, künftige aber nicht verhindern kann, oder wenn ihr Tätigwerden nicht von den Mitgliedern der Mitgliedskammern durchgesetzt werden kann. Soll die Ombudsstelle einen effektiven Grundrechtsschutz verwirklichen, muss sie hierauf verpflichtet sowie mit zweckentsprechenden, umfassenden Informations-, Teilnahme-, Anhörungs-, und Beanstandungsrechten gegenüber allen Verbandsorganen einschließlich des Vorstands ausgestattet sein und über ein Klagerecht gegen Kompetenzüberschreitungen verfügen.

 

2.

Nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz, an die der Senat mangels Verfahrensrügen nach § 137 Abs. 2 VwGO gebunden ist, besteht ein Austrittsrecht der Klägerin nicht schon unter dem Gesichtspunkt unzulässiger Aufgabendelegation oder wegen die Kammerkompetenzen überschreitender satzungsrechtlicher Aufgabenzuweisungen an den DIHK.

 

a)

Eine Aufgabendelegation hat nicht stattgefunden. Die Beklagte und die übrigen Mitgliedskammern des DIHK sind weiterhin für alle den Kammern gesetzlich übertragenen Aufgaben zuständig. Sie bedienen sich des Dachverbandes nur zur gemeinschaftlichen Erfüllung der Aufgabe, das Gesamtinteresse der ihnen jeweils zugehörigen Gewerbetreibenden in Angelegenheiten, die mehr als einen Kammerbezirk betreffen, gegenüber nationalen und supranationalen Stellen wahrzunehmen. Das ergibt sich aus § 1 der DIHK-Satzung. Das Berufungsgericht hat diese irrevisible Bestimmung ohne Verstoß gegen revisibles Recht dahin verstanden, dass nicht die Zuständigkeit für die Gesamtinteressenwahrnehmung auf den Dachverband verlagert wird, sondern dieser nur bestimmte Tätigkeiten zur Erfüllung dieser Aufgabe seiner Mitgliedskammern übernimmt. Die Kammern bedienen sich danach zur Wahrnehmung des Gesamtinteresses ihrer jeweiligen Mitglieder in Fragen, die mehr als einen Kammerbezirk betreffen, des DIHK als eines "Erfüllungsgehilfen", der die regional ermittelten Gesamtinteressen in der Vollversammlung seiner Mitgliedskammern (§ 6 ff. der DIHK-Satzung) und dem repräsentativ zusammengesetzten Vorstand (§ 9 Abs. 2 und 3 der DIHK-Satzung) auf Bundesebene bündelt und strukturiert, gemeinsame Standpunkte zusammenfasst und durch seinen Präsidenten (§ 13 der DIHK-Satzung) gegenüber den politischen Akteuren auf nationaler und supranationaler Ebene vertritt. Aus der satzungsrechtlichen Bindung der Mitgliedskammern an bestimmte mit Drei-Viertel-Mehrheit gefasste Beschlüsse der Vollversammlung des Verbandes (vgl. § 3 Abs. 5 Satz 2 der DIHK-Satzung) folgt ebenfalls keine unzulässige Delegation. Nach der revisionsrechtlich fehlerfreien berufungsgerichtlichen Auslegung dieser Bestimmung wird damit nur eine verbandsinterne Bindung normiert, die sich nicht auf Außenrechtsbeziehungen der Kammer - etwa in ihrer Aufgabenwahrnehmung gegenüber Dritten - erstreckt und darüber hinaus nach § 3 Abs. 5 Satz 3 der DIHK-Satzung durch abweichenden Beschluss der Mitgliedskammer zu beseitigen ist.

 

b)

Der DIHK hat seiner Satzung zufolge auch keine Aufgaben wahrzunehmen, die den Rahmen der Kompetenzen seiner Mitgliedskammern überschreiten.

 

aa)

Nach § 1 Abs. 1 IHKG haben die Industrie- und Handelskammern das Gesamtinteresse der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirks wahrzunehmen, für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft zu wirken und dabei die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend zu berücksichtigen. Dabei obliegt es ihnen insbesondere, durch Vorschläge, Gutachten oder Berichte die Behörden zu unterstützen und zu beraten. Die Beschränkung auf die Wahrnehmung des Gesamtinteresses der Pflichtmitglieder des jeweiligen Kammerbezirks schließt Äußerungen gegenüber nationalen und supranationalen Stellen nicht aus, da die Interessen der Kammerzugehörigen auch durch deren Entscheidungen und nicht nur durch regionale Sachverhalte betroffen werden können.

 

§ 1 Abs. 1 IHKG erlaubt den Kammern allerdings nur Äußerungen zu Sachverhalten, die spezifische Auswirkungen auf die Wirtschaft im jeweiligen Kammerbezirk haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Juni 2010 - 8 C 20.09 - BVerwGE 137, 171 Rn. 23 ff., 30 f.). Dagegen genügt nicht, dass die Folgen einer politischen Entscheidung in irgendeiner weiteren Weise auch die Wirtschaft berühren oder dass die Gewerbetreibenden im Kammerbezirk davon ebenso betroffen sind wie Andere (BVerwG, Urteile vom 19. September 2000 - 1 C 29.99 - BVerwGE 112, 69 <74 f.> und vom 23. Juni 2010 - 8 C 20.09 - BVerwGE 137, 171 Rn. 24, 30 ff.). Der erforderliche spezifische Wirtschaftsbezug muss sich aus der Äußerung selbst, ihrer Begründung oder ihrem textlichen Zusammenhang ergeben (BVerwG, Urteil vom 23. Juni 2010 - 8 C 20.09 - BVerwGE 137, 171 Rn. 31). Er muss umso genauer dargelegt werden, je weniger offenkundig er ist. Die Wahrnehmung sozialpolitischer und arbeitsrechtlicher Interessen fällt nach dem eindeutigen Wortlaut des § 1 Abs. 5 IHKG nicht in die Zuständigkeit der Kammern. Diese Interessenvertretung ist Gegenstand der Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger sowie der grundrechtlich geschützten Tätigkeit freiwilliger Vereinigungen wie etwa der freien Wohlfahrtsverbände und der Tarifpartner.

 

Aus § 1 Abs. 1 IHKG ergeben sich auch Vorgaben für die Art und Weise der Gesamtinteressenwahrnehmung. Aus der Verpflichtung, die Interessen der Kammermitglieder und der verschiedenen Branchen und Betriebe abzuwägen und auszugleichen, folgt die Pflicht, das Gesamtinteresse innerhalb der jeweiligen Kammer grundsätzlich im Prozess repräsentativer Willensbildung durch die Vollversammlung zu ermitteln und dabei die satzungsrechtlichen Verfahrensregeln zu beachten (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1 IHKG; BVerwG, Urteil vom 23. Juni 2010 - 8 C 20.09 - BVerwGE 137, 171 Rn. 34 f.). Die Aufgabe, die Behörden durch die Darstellung des Gesamtinteresses in Vorschlägen, Gutachten oder Berichten zu unterstützen und zu beraten, verlangt von den Kammern, bei allen Äußerungen Objektivität und die notwendige Sachlichkeit und Zurückhaltung zu wahren. Polemisch überspitzte Äußerungen oder Stellungnahmen, die auf eine emotionalisierte Konfliktaustragung zielen, sind unzulässig. Äußerungen zu besonders umstrittenen Themen müssen die nach § 1 Abs. 1 IHKG erforderliche Abwägung erkennen lassen. Bei Mehrheitsentscheidungen sind gegebenenfalls beachtliche Minderheitenpositionen darzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Juni 2010 - 8 C 20.09 - BVerwGE 137, 171 Rn. 32 f.). Dazu zählen nicht nur Minderheitsauffassungen, die von einem beachtlichen Teil der Stimmen vertreten werden, sondern auch Positionen partikulärer Wirtschaftsstrukturen, etwa einer Gruppe von Branchen, von regionalen Wirtschaftszweigen oder von Betrieben einer bestimmten Größenordnung.

 

bb)

Die satzungsrechtlichen Aufgabenzuweisungen an den DIHK halten sich innerhalb dieses gesetzlichen Rahmens. Das ergibt sich aus der näheren Auslegung der Satzungsbestimmungen, die das Revisionsgericht vornehmen darf, weil das Berufungsgericht keine solche, nach § 137 Abs. 2 VwGO bindende Auslegung vorgenommen hat.

 

§ 1 der DIHK-Satzung übernimmt mit dem Rechtsbegriff des Gesamtinteresses (§ 1 Abs. 1 IHKG) die durch diesen gezogenen, soeben dargestellten Grenzen zulässiger Interessenwahrnehmung. Das schließt das Verbot einer Vertretung sozialpolitischer oder arbeitsrechtlicher Interessen gemäß § 1 Abs. 5 IHKG mit ein, da diese Vorschrift das nach § 1 Abs. 1 IHKG wahrzunehmende Gesamtinteresse einschränkend konkretisiert. § 1 Abs. 3 der Satzung, der mit der allgemein- und insbesondere parteipolitischen Betätigung nur bestimmte, thematisch eindeutig kompetenzwidrige Tätigkeiten verbietet, ist danach nicht als abschließende Regelung, sondern nur als Bekräftigung bestimmter Grenzen zulässiger Betätigung zu verstehen. § 1 Abs. 1 der Satzung übernimmt mit dem Begriff des Gesamtinteresses auch die daraus abzuleitenden Anforderungen an die Art und Weise der Gesamtinteressenwahrnehmung einschließlich der Verpflichtung zu Objektivität, Sachlichkeit und Zurückhaltung sowie zur Darstellung beachtlicher Minderheitenpositionen. Der systematische Zusammenhang mit den Regelungen zur repräsentativen Willensbildung des Dachverbandes und der Richtlinienkompetenz seiner Vollversammlung (§ 6 Abs. 2, § 9 Abs. 1 der Satzung) bestätigt, dass sich die Interessenvertretung durch den Verband auf die gemeinschaftliche Wahrnehmung des Gesamtinteresses der Zugehörigen der Mitgliedskammern im Sinne des § 1 Abs. 1 IHKG beschränken soll.

 

3.

Ob die weitere Mitgliedschaft der Beklagten im DIHK kompetenz- und damit grundrechtswidrig ist, weil der Verband seine Aufgaben faktisch in einer Weise überschritten hat, die auf die konkrete Gefahr erneuter Betätigung jenseits der Kammerkompetenzen schließen lässt, ist auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz nicht abschließend zu entscheiden. Zwar ergibt sich daraus, dass die Äußerungen des DIHK in der Vergangenheit mehrfach und keineswegs nur in isolierten, für die Verbandspraxis atypischen Ausnahmefällen ("Ausreißern") die gesetzliche Kammerkompetenz zur Gesamtinteressenwahrnehmung überschritten haben. Die Beurteilung der Wiederholungsgefahr erfordert aber eine Prognose, die das Berufungsgericht - nach seiner Rechtsauffassung konsequent - nicht vorgenommen hat und die das Revisionsgericht mangels hinlänglicher Feststellungen zu den maßgeblichen Indizien nicht selbst vornehmen kann.

 

a)

Von den im Revisionsverfahren zu berücksichtigenden, bis zum Abschluss der Berufungsinstanz in das Verfahren eingeführten Äußerungen des DIHK gehen viele thematisch über die gesetzlichen Grenzen der Kompetenz zur Gesamtinteressenwahrnehmung hinaus. Die bildungspolitische Forderung nach der Einführung von Studiengebühren, die Äußerungen zur Hochschulfinanzierung und die Kritik am föderalen Bildungssystem (DIHK-Positionspapier vom Februar 2005; Newsletter aus der Zeit von März bis August 2013) waren mangels Darlegung eines Wirtschaftsbezugs thematisch ebenso unzulässig wie die Äußerungen zum Hochwasserschutz (Newsletter vom Juli 2013), die keine über die Betroffenheit aller Anlieger hinausgehende wirtschaftsspezifische Betroffenheit deutlich machten. Dagegen war das Befürworten von Ganztagsschulen und von dualen Studiengängen (Newsletter vom März und August 2013) von der Kammerkompetenz gedeckt. Die konkreten Auswirkungen auf die gewerbliche Wirtschaft ergaben sich im ersten Fall aus dem Hinweis auf die Möglichkeit einer Integration beider Elternteile in das Erwerbsleben und im zweiten aus der Erwähnung von Vorteilen der praxisbezogenen Hochschulausbildung für die mittelständische Wirtschaft.

 

Als kompetenzwidrige allgemeinpolitische Aussagen stellen sich demgegenüber die Äußerungen des damaligen Präsidenten des DIHK zum außenpolitischen Auftreten der Bundeskanzlerin und zur Ratsamkeit eines Koalitionsvertrages II (Interview-Veröffentlichung vom 18. Juni 2007) dar. Interviews, die mit dem Präsidenten des Dachverbandes in dieser Eigenschaft geführt werden, sind dem Verband als eigene Äußerungen zuzurechnen. Inwieweit eine Zurechnung ausscheidet, wenn einzelne Äußerungen im Kontext eines solchen Interviews ausdrücklich als private Meinungskundgabe gekennzeichnet werden, ist hier nicht zu entscheiden, weil kein solcher Fall vorliegt.

 

Die Stellungnahmen gegen die Einführung des Mindestlohns in Deutschland, gegen die sogenannte Mütterrente, die Sozialagenda und die Herabsetzung des regulären Renteneintrittsalters auf die Vollendung des 63. Lebensjahres (Interview-Veröffentlichung vom 11. Juni 2013) waren ungeachtet ihres Bezugs zur Wirtschaft in den Kammerbezirken nicht mehr von der Kammerkompetenz gedeckt, weil sie sich als unzulässige Wahrnehmung arbeitsrechtlicher und sozialpolitischer Interessen im Sinne des § 1 Abs. 5 IHKG darstellen. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist auch eine - von ihr so bezeichnete - mittelbare Vertretung dieser Interessen durch die Kammern gesetzlich ausgeschlossen.

 

Um unzulässige allgemeinpolitische Stellungnahmen handelte es sich darüber hinaus bei den Äußerungen zur wirtschaftlichen und innenpolitischen Situation der Republik Südafrika (DIHK, "International Aktuell" 07/2013 vom 6. Dezember 2013). Weder aus ihrem Inhalt noch aus ihrer Begründung oder dem textlichen Zusammenhang ergeben sich konkrete Auswirkungen der kommentierten Sachverhalte auf die Wirtschaft in den Bezirken mehrerer Mitgliedskammern des DIHK. Überdies widersprachen diese Äußerungen dem Gebot der Objektivität sowie der Verpflichtung zu Sachlichkeit und Zurückhaltung, soweit sie der Republik Südafrika eine "Bildungsmisere" attestierten und deren Verwaltung als "Investitionshemmnis" bezeichneten.

 

Von den Aussagen zur Steuer- und zur Energiepolitik sind diejenigen, die mit konkreten Auswirkungen auf die gewerbliche Wirtschaft in den Mitgliedskammern - wie etwa der Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen - begründet wurden, thematisch nicht zu beanstanden. Allerdings missachteten einige dieser Aussagen das Gebot der Objektivität und Sachlichkeit. Das gilt etwa für die Kommentierung einer steuerpolitischen Forderung als "der reine Wahnsinn" (Interview-Veröffentlichung vom 11. Juni 2013) sowie für die Gleichsetzung des Klimaschutzes mit einer Minderung der Lebensqualität, illustriert durch die polemische Frage, ob wir wieder mit 34 PS über die Alpen nach Italien fahren wollten (Interview-Veröffentlichung vom 8. Juli 2007).

 

Wegen ihrer Einseitigkeit unzulässig waren schließlich die Forderungen, die sich gegen den Ausstieg aus der Kernenergie richteten, ohne die in den Kammerbezirken vertretenen Gegenauffassungen darzustellen und eine Abwägung der widerstreitenden Positionen erkennen zu lassen. Da die Frage, welche Mischung von Energieträgern eine sichere, wirtschaftliche und nachhaltige Energieversorgung gewährleisten kann, in der Öffentlichkeit und auch in der Wirtschaft höchst umstritten ist, dürfen die Kammern ihre Mehrheitsauffassung dazu nicht apodiktisch mitteilen, sondern müssen zugleich die Minderheitsauffassung(en) offenlegen und die zur Mehrheitsauffassung führende Abwägung der verschiedenen Positionen erkennbar machen. Das gilt auch für die gemeinschaftliche Gesamtinteressenwahrnehmung durch den Dachverband.

 

Weitere Verstöße gegen § 1 Abs. 1 IHKG folgen nicht schon daraus, dass der DIHK nicht vor jeder Äußerung eine Zustimmung der Vollversammlungen sämtlicher Mitgliedskammern eingeholt hat. Die Vorschrift verlangt zwar, das von der Mitgliedskammer zu vertretende Gesamtinteresse grundsätzlich in der Vollversammlung der Kammer zu ermitteln. Sie schließt jedoch nicht aus, dass die Kammer dieses Interesse zwecks Erarbeitung und Vertretung gemeinsamer Standpunkte in den Willensbildungsprozess eines kompetenzkonform gegründeten Dachverbandes mit einbringt und dessen Zusammenfassung der Kammerstandpunkte ohne - erneute - Abstimmung in der eigenen Vollversammlung mitträgt.

 

b)

Ob die konkrete Gefahr erneuten die Kammerkompetenzen überschreitenden Handelns des DIHK besteht, kann nur aufgrund einer Würdigung sämtlicher in Betracht kommender Indizien für und gegen das Bestehen einer solchen Wiederholungsgefahr entschieden werden. Die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ermöglichen dies nicht. Zwar ergeben sich aus ihnen, wie gezeigt, diverse Missachtungen des Verbots allgemeinpolitischer Aussagen und mehrere Verstöße gegen die Pflicht zu Objektivität, Sachlichkeit und Zurückhaltung sowie einige einseitige Stellungnahmen. Es fehlen aber Feststellungen zu den Reaktionen des Dachverbandes - und nicht nur der Beklagten - auf die Kritik an seinen Äußerungen. Insbesondere ist bislang nicht geklärt, ob und gegebenenfalls wie verbandsintern ein wirksamer und effektiver, für die Pflichtmitglieder der Kammern verfügbarer Schutz gegen solche grundrechtswidrigen Aufgabenüberschreitungen gewährleistet wird. Aus dem Fehlen ausdrücklicher Satzungsregelungen dazu und dem Fehlen entsprechender berufungsgerichtlicher Feststellungen kann noch nicht auf das tatsächliche Fehlen eines ausreichenden Schutzes geschlossen werden, da das Oberverwaltungsgericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung keinen Anlass hatte, entsprechende Ermittlungen unter Berücksichtigung der oben dargelegten Anforderungen an den erforderlichen Schutzstandard anzustellen.


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