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Auch einvernehmlicher Sex mit Patientinnen oder Patienten ist strafbar

 | Gericht:  Oberlandesgericht (OLG) Hamm  | Aktenzeichen:  5 RVs 60/22 | Entscheidung:  Urteil
Kategorie:  Sonstiges

Urteilstext

Tenor

Das angefochtene Urteil wird mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.

Gründe

I.
Das Amtsgericht Essen hat den Angeklagten am 28.08.2020 wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt.

Gegen dieses Urteil haben der Angeklagte Rechtsmittel und die Staatsanwaltschaft Berufung zu seinen Ungunsten eingelegt. Im Berufungshauptverhandlungstermin am 10.08.2021 hat die Staatsanwaltschaft die Berufung zurückgenommen. Mit Urteil vom gleichen Tag hat das Landgericht das angefochtene Urteil aufgehoben und den Angeklagten freigesprochen.

Nach den tatsächlichen Feststellungen des Urteils befand sich die Nebenklägerin seit dem 24.08.2015 wegen eines Frozen-Shoulder-Syndroms sowie diffuser Schmerzen im linken Oberschenkel in der Behandlung des Angeklagten, welcher als Orthopäde und Osteopath eine Privatpraxis betreibt. Die ganzheitlich ausgerichtete Behandlung fand bis zum 18.08.2016 an über 30 Terminen statt und umfasste in etwa zur Hälfte der Behandlungseinheiten auch ein Persönlichkeitscoaching der Nebenklägerin, in welchem auch emotionale (Ehe-)Probleme der Nebenklägerin thematisiert wurden. Nach Besserung der Beschwerden brachte die Nebenklägerin dem Angeklagten immer mehr Zuneigung entgegen und fühlte sich von diesem verstanden und aufgehoben. Es entstand zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin eine sexuelle Anziehung. Die Nebenklägerin kleidete sich zu den Behandlungsterminen in der Regel mit einem einteiligen Sommerkleid, so dass sie dieses für die Behandlung komplett ausziehen musste.

Im Einzelnen kam es zu folgenden Vorfällen:

(1)
Am 06.07.2016 behandelte der Angeklagte die Nebenklägerin, die zu diesem Zweck nur mit Unterwäsche bekleidet mit dem Rücken auf einer Behandlungsliege lag, unter anderem am linken Bein. Als die Nebenklägerin durch die Behandlung Schmerzen empfand, fasste sie zunächst reflexartig mit ihrer Hand an das Gesäß des Angeklagten und beließ diese dann auch über die Zeitspanne hinaus dort, in welcher ein Schmerzreiz auf sie einwirkte. Sodann begann sie den Angeklagten zu streicheln und sah ihn hierbei an. Der Angeklagte fragte die Nebenklägerin hierauf, ob es in Ordnung sei, wenn auch er sie berühre. Die Nebenklägerin bejahte dies und der Angeklagte führte seine Finger unter den Slip der Nebenklägerin und streichelte deren Vagina, was diese zunächst geschehen ließ. Dann schloss sie ihre Beine und sagte sinngemäß, dass der Angeklagte ja verrückt sei und ob er das öfters mache.

(2)
Beim folgenden Behandlungstermin am 12.07.2016 streichelte der Angeklagte erneut die Vagina der Nebenklägerin und führte einen Finger ein, was diese wiederum geschehen ließ. Sodann führte er seinen erigierten Penis zweimal in den Mund der Nebenklägerin, küsste sie und saugte an beiden Brüsten.

(3)
Am 18.08.2016 fand in der Praxis des Angeklagten ein Gespräch über die Ausstellung einer Wiedereingliederungsbescheinigung statt. Zuvor hatte sich die Nebenklägerin bei einem vorangegangenem Gespräch auf einem Parkplatz beim Angeklagten darüber beschwert, dass er sie nicht küsse und sie keine Frau "nur für Zwischendurch" sei.

Nach dem Gespräch über die Wiedereingliederungsbescheinigung bat der Angeklagte die Nebenklägerin zu sich zu kommen und beide küssten sich in Form eines Zungenkusses.

(4)
Am 26.08.2016 sendete der Angeklagte der Nebenklägerin (sinngemäß) die Nachricht "Kommst Du noch auf einen heißen Cappuccino vorbei? Einmal mit der Zunge rein und dann abschlecken!". Die Nebenklägerin erkannte den sexuellen Kontext der Nachricht und begab sich außerhalb eines Behandlungstermins zu der zu diesem Zeitpunkt geschlossenen Praxis. In einem Behandlungszimmer kam es sodann zu sexuellen Handlungen. Der Angeklagte führte seinen erigierten Penis in den Mund der Nebenklägerin und ejakulierte. Im Anschluss führte er einen Finger in die Vagina der Nebenklägerin ein, wobei diese ihm die Hand führte und einen Orgasmus vortäuschte.

Die getroffenen Feststellungen hat das Landgericht vor allem auf die geständige Einlassung des Angeklagten gestützt. Der Aussage der Nebenklägerin, dass sie sich bei der ersten Behandlung lediglich wegen Schmerzen an das Bein des Angeklagten gekrallt habe und weder ihre eigenen Handlungen eine sexuelle Komponente besessen hätten noch das weitere Vorgehen mit ihr abgesprochen gewesen sei, hat das Landgericht keinen Glauben geschenkt.

In rechtlicher Hinsicht liege kein Missbrauch eines Behandlungs- und Betreuungsverhältnisses nach § 174c StGB vor, da der Angeklagte nach der vorzunehmenden Gesamtwürdigung nicht seine Autoritäts- und Vertrauensstellung ausgenutzt habe. Die Annäherung an den Angeklagten sei von der Nebenklägerin ausgegangen. Diese sei nicht von seiner Autorität als behandelndem Orthopäden eingeschüchtert und eingenommen gewesen, sondern habe selbstbestimmt eine weitergehende Vertiefung der Beziehung gesucht.

Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen der Nebenklägerin sowie der Staatsanwaltschaft, die beide mit der Sachrüge begründet wurden. Die Generalstaatsanwaltschaft ist den Revisionen von Nebenklägerin und Staatsanwaltschaft beigetreten und hat - wie die Nebenklägerin - beantragt, das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Essen zurückzuverweisen. Der Angeklagte hat beantragt, die Revisionen als unbegründet zu verwerfen.

II.
Die zulässigen, insbesondere form- und fristgerecht erhobenen Revisionen der Nebenklägerin und der Staatsanwaltschaft haben auf die Sachrüge hin Erfolg. Sie führen gem. §§ 349 Abs. 5, 354 Abs. 2 StPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den zugehörigen Feststellungen sowie zur Zurückverweisung der Sache.

1)
Der Freispruch des Angeklagten hält der sachlich-rechtlichen Prüfung nicht stand.

a)
Die getroffenen Feststellungen sind lückenhaft und erlauben dem Senat nicht zu überprüfen, ob der Angeklagte sich wegen sexuellen Missbrauchs der Nebenklägerin unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses (§ 174c Abs. 1 StGB) strafbar gemacht hat.

aa)
Bei dem von § 174c Abs. 1 StGB vorausgesetzten Missbrauch des Beratungsverhältnisses handelt es sich um ein einschränkendes Tatbestandsmerkmal, dem eine eigenständige Bedeutung zukommt (BGH, Beschluss vom 29. Juni 2016 - 1 StR 24/16 -, BGHSt 61, 208-218, Rn. 21). Dementsprechend ist nicht schon jeder sexuelle Kontakt im Rahmen eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses per se missbräuchlich (BGH, Beschluss vom 29. Juni 2016 - 1 StR 24/16 -, BGHSt 61, 208-218, Rn. 21). Erforderlich ist vielmehr, dass der Täter die Gelegenheit, die seine Vertrauensposition bietet, unter Verletzung der damit verbundenen Pflichten zu sexuellen Handlungen ausnutzt (Renzikowski, in: MünchKomm, 4. Aufl. 2021, § 174c StGB Rn. 27).

In den Blick zu nehmen ist diesbezüglich, dass § 174c StGB dem Schutz der sexuellen Selbstbestimmung in Situationen dient, in denen dieses Rechtsgut aufgrund der besonderen Schutzbedürftigkeit der durch Krankheit oder Behinderung belasteten Rechtsgutsträger und der Eigenart von Beratungs-, Behandlungs- und Betreuungsverhältnissen typischer Weise besonders gefährdet ist (BGH, Beschluss vom 25. Januar 2017 - 1 StR 570/16 -, Rn. 4, juris). Die Strafbarkeit setzt daher weder voraus, dass die Initiative vom Täter ausgeht noch dass ein Handeln gegen den Willen des Opfers vorliegt (Eisele, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. 2019, StGB § 174c Rn. 6a). Auch wenn die Patientin oder der Patient mit den sexuellen Handlungen im Rahmen des Behandlungsverhältnisses ausdrücklich einverstanden ist, versteht es sich in den meisten Fällen von selbst, dass ein Arzt, der sexuelle Handlungen an einer Patientin oder einem Patienten im Rahmen eines Beratungs-, Behandlungs- und Betreuungsverhältnisses vornimmt, dieses besondere Verhältnis missbraucht (BGH, Beschluss vom 29. Juni 2016 - 1 StR 24/16 -, BGHSt 61, 208-218, Rn. 22 m.w.N.).

An einem Missbrauch fehlt es hingegen ausnahmsweise dann, wenn der Täter im konkreten Fall nicht eine aufgrund des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses bestehende Autoritäts- oder Vertrauensstellung gegenüber dem Opfer zur Vornahme der sexuellen Handlung ausgenutzt hat (BGH, Urteil vom 14. April 2011 - 4 StR 669/10 -, BGHSt 56, 226-234, Rn. 38). Ob ein solcher Ausnahmefall vorliegt, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung der den jeweiligen Einzelfall kennzeichnenden Umstände festzustellen (BGH, Urteil vom 14. April 2011 - 4 StR 669/10 -, BGHSt 56, 226-234, Rn. 39). Ein Einverständnis des Patienten/der Patientin allein reicht nicht, vielmehr müssen weitere Umstände hinzukommen, aufgrund derer davon auszugehen ist, dass eine aufgrund des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses regelmäßig gegebene Vertrauensbeziehung entweder tatsächlich nicht bestand oder für die Hinnahme der sexuellen Handlung ohne Bedeutung war (BGH, Urteil vom 14. April 2011 - 4 StR 669/10 -, BGHSt 56, 226-234, Rn. 39 m.w.N.). Solche besonderen Umstände können etwa vorliegen bei einvernehmlichen sexuellen Handlungen des Ehepartners oder Lebensgefährten während eines Betreuungsverhältnisses oder bei einer von dem Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnis unabhängigen "Liebesbeziehung" und in deren Folge nur gelegentlich der Behandlung oder nach deren Abschluss vorgenommenen sexuellen Handlung (BGH, Urteil vom 14. April 2011 - 4 StR 669/10 -, BGHSt 56, 226-234, Rn. 40). Maßstab ist somit, ob sich Arzt und Patient/Patientin "auf Augenhöhe" begegnen (BGH NJW 2016, 2965 (2967)).

Zudem kommt es entscheidend für die Beurteilung, ob ein Missbrauch vorliegt, auf die konkrete Art und Intensität des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses an. Je intensiver die Kontakte zwischen Täter und Opfer im Rahmen dieses Verhältnisses sind, desto geringere Anforderungen sind an das Vorliegen eines Missbrauchs zu stellen. Je weniger der Täter hingegen im Rahmen dieses Verhältnisses mit dem Opfer befasst ist, desto höher sind die Anforderungen (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 4. Juni 2009 - 3 Ss 113/08, BeckRS 2009, 20082; BGH, Beschluss vom 29. September 1998 – 4 StR 324/98, NStZ 1999, 29 [zu § 174a StGB]).

bb)
Ausgehend von dem vorbezeichneten Maßstab fehlt es für die vorzunehmende Gesamtwürdigung sowohl an Urteilsfeststellungen zum Inhalt des Behandlungsverhältnisses als auch dazu, wie sich die Beziehung zwischen dem Angeklagten während des Behandlungsverhältnisses und insbesondere zwischen den einzelnen Vorfällen entwickelt hat.

(1)
So lässt sich dem Urteil zwar zum einen entnehmen, dass der Angeklagte die Nebenklägerin im Zeitraum August 2015 bis Augst 2016 in über dreißig Terminen behandelt hat. Ungefähr die Hälfte der Behandlungszeit entfiel dabei auf therapeutische Gespräche. Die Angaben zu Art und Inhalt der therapeutischen Gespräche - emotionale Probleme innerhalb der Ehe, Lifestyle- und Ernährungscoaching - sind aber so vage gehalten, dass der Senat nicht zu beurteilen vermag, ob und gegebenenfalls in welcher Intensität, aufgrund welcher Diagnose und mit welchem Zweck auch eine psychologische Betreuung der Nebenklägerin stattfand.

(2)
Weiter enthält das angefochtene Urteil auch keine hinreichenden Feststellungen, die auf eine Beziehung auf "Augenhöhe" zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin bzw. auf einen der in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannten Ausnahmefälle schließen lassen, in denen kein Missbrauch angenommen wird (oder eine vergleichbare Konstellation). Es gibt zwar in den Feststellungen einige Anhaltspunkte hierfür. So haben sich der Angeklagte und die Nebenklägerin ab einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt geduzt, es ist eine sexuelle Anziehung zwischen beiden entstanden, die Nebenklägerin hat nicht nur die sexuellen Handlungen geschehen lassen oder bei diesen mitgewirkt, sondern sie hat zuerst die Initiative zu Zärtlichkeiten bzw. sexuellen Handlungen ergriffen (Tat 1) und sie hat auch ein Küssen eingefordert (Tat 3). Augenscheinlich ist es auch außerhalb der Behandlung und auch nicht im Zusammenhang mit Behandlungsterminen zur Kommunikation zwischen der Nebenklägerin und dem Angeklagten (Tat 4: zwecks Verabredung eines Treffens zur Vornahme sexueller Handlungen) und zu Treffen gekommen (Tat 3: Parkplatz). Diese Feststellungen sind indes zu punktuell, um dem Revisionsgericht ein Gesamtbild von der Beziehung zwischen Angeklagtem und der Nebenklägerin zu vermitteln und das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Missbrauchs zu bewerten. So wäre insbesondere näher darzulegen, wie sich die (beiderseitige) "sexuelle Anziehung" - auch schon vor der ersten Tat - zwischen den Beteiligten manifestiert hat (etwa durch Flirten, Austausch von Zärtlichkeiten unterhalb der Schwelle zu einer sexuellen Handlung, etc.). Weiter wäre darzulegen, in welchem Umfang und in welchem Rahmen es zu Zusammenkünften zwischen der Nebenklägerin und dem Angeklagten gekommen ist und in welchem Umfang und mit welchem Inhalt eine Kommunikation (etwa per Textnachrichten etc.) zwischen ihnen außerhalb der Behandlung stattgefunden hat. Auch die Hintergründe, warum die Nebenklägerin trotz der ersten Tat weiterhin den Kontakt mit dem Angeklagten im Rahmen der Behandlung und auch außerhalb mit diesem pflegte, bedürfen der Aufklärung.

Ohne Kenntnis der vorbeschriebenen Umstände lässt sich nicht beurteilen, ob der Angeklagte die aus dem Behandlungsverhältnis resultierende Autoritäts- und Vertrauensstellung ausnutzte, oder ob der Entschluss der Nebenklägerin, mit ihm sexuell zu verkehren, "auf Augenhöhe" erfolgte.

In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass die Feststellung im angefochtenen Urteil, die Nebenklägerin habe ab einem bestimmten Zeitpunkt ein "leichtes Sommerkleid" zu den Behandlungsterminen getragen, was es notwendig gemacht habe, dass sie sich habe komplett ausziehen müssen, nicht ohne Weiteres nachvollziehbar ist. Bei einer Behandlungsbedürftigkeit an Schulter und Oberschenkel hätte auch eine andere Bekleidung (etwa Rock und Bluse) eine vollständige Entkleidung jedenfalls dann notwendig gemacht, wenn beide Körperteile in einem Behandlungstermin behandelt worden wären.

b)
Ferner erweist sich auch die Beweiswürdigung, die zum Freispruch des Angeklagten geführt hat, als durchgreifend rechtsfehlerhaft.

Vorliegend war im Zuge der Beweiswürdigung eine in sich geschlossene und verständliche Darstellung des wesentlichen Inhalts der belastenden Zeugenaussage der Nebenklägerin erforderlich, da deren Aussage in erheblicher Weise von der Einlassung des Angeklagten abwich. Hieran fehlt es indes. Aus den Urteilsausführungen ergibt sich zur Einlassung der Nebenklägerin, dass diese sich in einzelnen Punkten (Mehrzahl) anders als der Angeklagten eingelassen habe. Im Folgenden werden - worauf die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift zutreffend hingewiesen hat - jedoch nicht mehrere Abweichungen, sondern lediglich ein einziger abweichender Umstand - die Initiative und Absprachen beim ersten Vorfall - geschildert. Den weiteren Ausführungen, die sich auf den Vorfall am 26.08.2016 beziehen, lässt sich hingegen nicht entnehmen, ob und in welchem Umfang die Aussage der Nebenklägerin von der Einlassung des Angeklagten insofern abgewichen sein soll. Die tatsächlichen Feststellungen hierzu sollen vielmehr "auch auf den Angaben der Nebenklägerin" beruhen, was eine vollständige oder zumindest teilweise Deckungsgleichheit beider Erklärungen denkbar erscheinen lässt. Angesichts dieser bruchstückhaften Darstellung der Aussage der Nebenklägerin vermag der Senat nicht zu überprüfen, ob das Landgericht dieser in den abweichenden Passagen zu Recht nicht gefolgt ist.

c)
Schließlich begegnet die Begründung des Freispruchs insofern rechtlichen Bedenken, als - worauf die Generalstaatsanwaltschaft ebenfalls zutreffend hingewiesen hat – der Anklagevorwurf nicht einleitend mitgeteilt wird. Nach ständiger Rechtsprechung – auch der des Senats - müssen bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen nach Mitteilung des Anklagevorwurfs im Urteil zunächst diejenigen Tatsachen festgestellt werden, die der Tatrichter für erwiesen hält. Erst auf dieser Grundlage ist in der Beweiswürdigung darzulegen, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen zusätzlichen Feststellungen nicht getroffen werden können. Nur hierdurch wird das Revisionsgericht in die Lage versetzt, nachprüfen zu können, ob der Freispruch auf rechtlich bedenkenfreien Erwägungen beruht (BGH, Urteil vom 2. März 2022 - 5 StR 365/21 -, Rn. 11, juris m.w.N.; OLG Hamm, Urteil vom 1. Juni 2021 - III-5 RVs 33/21 -, Rn. 8, juris).

2)
Für die erneute Hauptverhandlung weist der Senat in Bezug auf den dritten Vorfall am 18.08.2016 auf Folgendes hin:

Ein (Zungen-)Kuss kann nicht stets und ohne Rücksicht auf die Begleitumstände als sexuelle Handlung von einiger Erheblichkeit (§ 174c StGB i.V.m. § 184h Nr. 1 StGB) gewertet werden. (vgl. BGH, StV 1983, 415 f.; BGH, Beschluss vom 14. April 2011 - 2 StR 65/11 -, BGHSt 56, 223-226, Rn. 7; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 28. Oktober 2009 - 1 Ss 70/09 -, Rn. 10, juris). Als maßgebliche Umstände für die vorzunehmende Bewertung sind insofern insbesondere Intensität und Dauer des Kusses sowie etwaige begleitende Handlungen, wie Berührungen des Körpers, das Verhältnis zwischen Täter und Opfer und die konkrete Tatsituation heranzuziehen (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 28. Oktober 2009 - 1 Ss 70/09 -, Rn. 10, juris). Sollte das Landgericht nach der erneuten Beweisaufnahme hinsichtlich dieses Vorfalls die sonstigen Voraussetzungen des § 174c Abs. 1 StGB bejahen, werden zur Erheblichkeit der sexuellen Handlung ergänzende Feststellungen zu treffen sein.


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