Urteilstext
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Kleve vom 20. Mai 2021 aufgehoben.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Geldern vom 18. November 2020 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin, die eine Praxis für Ergotherapie und Neurofeedback in G. betreibt, nimmt die Beklagte auf Zahlung einer Ausfallpauschale für zwei kurzfristig abgesagte Behandlungstermine in Anspruch.
Die Beklagte ist die Erziehungsberechtigte der minderjährigen Kinder C. und J. A. sowie B. -S. S. . Am 30. September 2019 meldete sie zunächst den zum damaligen Zeitpunkt siebenjährigen C. und am 13. Januar 2020 auch die seinerzeit fünfjährige B. -S. zur Behandlung bei der Klägerin an. Hierzu trug sie jeweils die Daten der Kinder in gleichlautende Anmeldeformulare ein, in denen unter der Überschrift "Wichtige Informationen" unter anderem folgende Regelung enthalten ist:
"Können vereinbarte Termine nicht eingehalten werden, müssen diese mindestens 24 Stunden vorher abgesagt werden. Andernfalls wird Ihnen unabhängig von einer Begründung des kurzfristigen Ausfalls gemäß § 293 ff. BGB (gesetzliche Regelungen zum Annahmeverzug) eine Ausfallpauschale in Höhe von 25,00 Euro privat in Rechnung gestellt. Entsprechendes gilt für vereinbarte, aber nicht abgesagte Termine, die nicht eingehalten werden.
Mit Ihrer Unterschrift erkennen Sie die Vereinbarungen an und erklären sich mit ihnen einverstanden."
In der darunter befindlichen Unterschriftenzeile unterschrieb die Beklagte die Formulare jeweils mit ihrem Namen.
Die Behandlung der Kinder zielte auf die Förderung ihrer Konzentrationsfähigkeit ab und war von vornherein auf mehrere Behandlungstermine angelegt. Die Beklagte vereinbarte in der Praxis der Klägerin für die beiden Kinder Behandlungstermine unter anderem am 23. März 2020 um 15.00 Uhr (C. ) und um 15.45 Uhr (B. -S. ). In der Nacht zum 23. März 2020 entwickelte der zum damaligen Zeitpunkt neunjährige Sohn J. Hals- und Kopfschmerzen sowie Fieber. Die Beklagte, die über keine Möglichkeit verfügte, ihren Sohn J. anderweitig betreuen zu lassen, rief am 23. März 2020 gegen 7.30 Uhr in der Praxis der Klägerin an, schilderte die Situation und erklärte, dass sie die beiden Termine nicht wahrnehmen könne. Anschließend rief sie in ihrer Hausarztpraxis an und erhielt dort die Auskunft, dass aufgrund der Symptome eine Erkrankung an dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Betracht zu ziehen sei und die Beklagte deshalb mit ihrem erkrankten Sohn die Praxis nicht aufsuchen, sondern zunächst die Entwicklung seines Gesundheit zustandes beobachten solle.
Unter dem 23. März 2020 stellte die Klägerin der Beklagten für die beiden abgesagten Behandlungstermine jeweils eine Ausfallgebühr in Höhe von 25 € in Rechnung. Trotz mehrfacher Mahnungen erfolgte keine Zahlung.
Am 22. März 2020 hatte das Land Nordrhein-Westfalen auf der Grundlage der §§ 32, 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Infektionsschutzgesetzes vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045) die "Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2" (GV. NRW S. 177a) erlassen, die am 23. März 2020 in Kraft und am 20. April 2020 außer Kraft trat. In § 7 wurde unter anderem bestimmt:
"(3) Dienstleistungen und Handwerksleistungen, bei denen ein Mindestabstand von 1,5 Metern zum Kunden nicht eingehalten werden kann (insbesondere von Friseuren, Nagelstudios, Tätowierern, Massagesalons), sind untersagt. Therapeutische Berufsausübungen, insbesondere von Physio- und Ergotherapeuten, bleiben gestattet, soweit die medizinische Notwendigkeit der Behandlung durch ärztliches Attest nachgewiesen wird und strenge Schutzmaßnahmen vor Infektionen getroffen werden. Das gleiche gilt für gesundheitsorientierte Handwerksleistungen (Hörgeräteakustiker, Optiker, orthopädische Schumacher etc.), die zur Versorgung der betreffenden Person dringend geboten sind."
Die Klägerin ist der Auffassung, auf der Grundlage der in den Anmeldeformularen getroffenen Vereinbarung stehe ihr die geltend gemachte Ausfallpauschale zu. Die entsprechende Klausel sei wirksam und halte insbesondere einer Inhaltskontrolle gemäß §§ 307 ff BGB stand. Darüber hinaus folge der Zahlungsanspruch auch aus § 615 BGB.
Das Amtsgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 50 € nebst Zinsen und außergerichtlichen Mahnkosten verurteilt. Die zugelassene Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg gehabt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils zur Abweisung der Klage.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch folge aus den zwischen den Parteien zugunsten der beiden Kinder der Beklagten geschlossenen Behandlungsverträgen (§ 630a Abs. 1, § 328 Abs. 1 BGB) in Verbindung mit der Vereinbarung in den Anmeldeformularen. Die Vereinbarung sei auch als Allgemeine Geschäftsbedingung wirksam. Ein Verstoß gegen § 309 Nr. 5 Buchst. b BGB und § 309 Nr. 6 BGB scheide aus, da die Klausel weder einen an eine Pflichtverletzung anknüpfenden Schadensersatzanspruch noch eine Vertragsstrafe, sondern vielmehr eine Pauschalierung des aus § 615 BGB folgenden Vergütungsanspruchs zum Gegenstand habe. Das werde insbesondere durch die Bezugnahme auf §§ 293 ff BGB deutlich. Ein Verstoß gegen § 308 Nr. 7 BGB komme ebenfalls nicht in Betracht, weil die Absage von Behandlungsterminen - zumal bei längerfristig angelegten Behandlungen wie einer Ergotherapie - nicht mit einer Kündigung des Behandlungsvertrages gleichzusetzen sei. Schließlich liege auch kein Verstoß gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 N . 1 BGB vor. Die 24-stündige Absagefrist stelle angesichts des berechtigten Interesses der Klägerin an einer genügenden Vorlaufzeit für die Umdisponierung abgesagter Behandlungstermine keine unangemessene Benachteiligung der Patienten dar. Ebenso wenig begründe die fehlende Exkulpationsmöglichkeit eine unangemessene Benachteiligung der Patienten. Dies entspreche vielmehr den gesetzlichen Regelungen in §§ 293 ff, 615 BGB, wonach der Annahmeverzug ebenfalls verschuldensunabhängig eintrete und für den Fortbestand der Vergütungspflicht trotz Nichtleistung des Schuldners ein Fehlverhalten des Gläubigers nicht erforderlich sei.
Die Klausel stehe auch nicht im Widerspruch zu dem jederzeitigen, anlasslosen Kündigungsrecht des Patienten nach § 627 Abs. 1 BGB. Die Absage nur eines von mehreren Behandlungsterminen sei in aller Regel in der persönlichen Sphäre des Patienten begründet und beruhe nicht auf einem Vertrauensverlust gegenüber dem Behandler. Die Klausel bewirke keine Einschränkung des Rechts, den Behandlungsvertrag jederzeit zu beenden. Die Frist von 24 Stunden lasse dem Patienten genügend Raum für eine Kündigung ohne kurzfristige Absage von Terminen. Die Höhe des Ausfallhonorars, das ohnehin nur bei Absage eines einzelnen Termins und nicht bei Kündigung des gesamten Behandlungsvertrages anfalle, sei hinsichtlich seines Druckpotenzials nicht vergleichbar mit der Tagespauschale von 80 % in einem vom Bundesgerichtshof bereits entschiedenen Fall (Hinweis auf Senat, Urteil vom 8. Oktober 2020 - III ZR 80/20, NJW 2021, 1392) und stelle kein ernstliches Hindernis für eine Kündigung des Behandlungsvertrages dar.
Eine unangemessene Benachteiligung folge schließlich auch nicht daraus, dass die Klausel dem Patienten nicht entsprechend § 615 Satz 2 BGB den Nachweis erlaube, die Klägerin müsse sich einen weitergehenden Betrag auf die Vergütung anrechnen lassen. Der Nachweis eines anderweitigen Verdienstes dürfte dem Patienten ohnehin kaum je gelingen, da es der Klägerin als Ergotherapeutin unstreitig nicht möglich sei, in weniger als 24 Stunden Termine anderweitig zu vergeben. Anhaltspunkte für die Ersparnis von Aufwendungen in erheblichem Umfang seien ebenfalls nicht ersichtlich. Überdies sei zu berücksichtigen, dass der Ausschluss der Nachweismöglichkeit die Vertragsabwicklung erleichtere und damit auch der Schonung der Behandler-Patienten-Beziehung diene.
Die Geltendmachung des vereinbarten Ausfallhonorars sei weder sitten- noch treuwidrig. Die Beklagte habe mit der Absage der Termine zwar ihre soziale Verantwortung wahrgenommen und auch im Interesse der Klägerin gehandelt. Es entspreche jedoch den Wertungen von § 615 Satz 1 und §§ 293 ff BGB, die Beklagte als Gläubigerin mit dem Risiko zu belasten, die Leistung nicht in Anspruch nehmen zu können und insoweit Kosten in gewissem Umfang übernehmen zu müssen.
II.
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Der geltend gemachte Zahlungsanspruch der Klägerin ergibt sich weder aus der Vereinbarung einer Ausfallpauschale in den Anmeldeformularen noch aus § 615 Satz 1 i.V.m. § 630a Abs. 1 BGB, da der ergotherapeutischen Behandlung der beiden Kinder der Beklagten am 23. März 2020 ein auf der Coronaschutzverordnung vom 22. März 2020 beruhendes gesetzliches Verbot entgegenstand, so dass die Klägerin zur Leistungserbringung nicht imstande war und die Beklagte nicht in Annahmeverzug geriet (§ 297 BGB).
1.
Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht allerdings zu Recht angenommen, dass die Beklagte die beiden der ergotherapeutischen Behandlung zugrunde liegenden Verträge, die medizinische Leistungen im Sinne von § 630a Abs. 1 BGB betrafen (vgl. § 124 Abs. 1 SGB V), nicht gemäß § 1629 Abs. 1 BGB als gesetzliche Vertreterin ihrer minderjährigen Kinder, sondern gemäß § 328 Abs. 1 BGB zu deren Gunsten im eigenen Namen mit der Klägerin abgeschlossen hat. Dabei kann offenbleiben, ob die Kinder der Beklagten im Zeitpunkt des jeweiligen Vertragsschlusses privat oder gesetzlich krankenversichert waren.
Wird ein minderjähriges Kind von seinen Eltern in einer Arztpraxis - oder wie hier in einer Praxis für Ergotherapie - zur medizinischen Behandlung vorgestellt, kommt der Behandlungsvertrag in der Regel zwischen den Eltern und dem Behandelnden als Vertrag zugunsten des Kindes zustande (§§ 630a, 328 BGB). Aus einem solchen Behandlungsvertrag werden, soweit sich nicht aus den Umständen etwas anderes ergibt, die Eltern berechtigt und verpflichtet (vgl. Senat, Urteil vom 28. April 2005 - III ZR 351/04, BGHZ 163, 42, 50; BGH, Urteil vom 10. Januar 1984 - VI ZR 158/82, BGHZ 89, 263, 266 [jeweils hinsichtlich minderjähriger Privatpatienten]). Der Grund dafür liegt darin, dass die Eltern durch den Vertragsschluss ihrer Personensorgepflicht aus § 1626 BGB nachkommen, dem Kind die nötige Behandlung zu verschaffen (BeckOK BGB/Katzenmeier, § 630a Rn. 88 [61. Edition, Stand: 1. Februar 2022]; Lipp in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 8. Aufl., Kap. III Rn. 15; Reuter, Der Abschluss des Arztvertrages durch einen minderjährigen Patienten, 2018, S. 114).
Auf minderjährige Kinder gesetzlich krankenversicherter Eltern ist diese Begründung zwar nur eingeschränkt übertragbar, weil diesen in der Regel als mitversicherten Familienangehörigen (§ 10 SGB V) eigene Leistungsansprüche in der gesetzlichen Krankenversicherung zustehen, die sie selbst und unabhängig von dem Stammversicherten geltend machen können (BSG, FEVS 51, 199, 200). Daraus folgt entgegen der Revision jedoch nicht, dass ein Vertrag zugunsten eines gesetzlich krankenversicherten Minderjährigen ausgeschlossen ist (so aber MüKoBGB/Gottwald, 8. Aufl., § 328 Rn. 48). Auch in diesem Fall ist der Behandlungsanspruch gegen den behandelnden Arzt privatrechtlicher Natur (Senat, Urteile vom 8. Oktober 2020 - III ZR 80/20, NJW 2021, 1392 Rn. 17 sowie vom 28. April 2005 aaO S. 46), so dass er auch im Rahmen eines Vertrages zugunsten Dritter zugewandt werden kann (BeckOGK/Mäsch, BGB, § 328 Rn. 94 [Stand: 1. April 2022]; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 7. Aufl., Rn. 127; Staudinger/Klumpp, BGB, Neubearb. 2020, § 3 8 Rn. 196; weitere Nachweise bei Lauf/Birck, NJW 2018, 2230, 2233). Ob das der Fall ist, hängt von den jeweiligen Umständen ab.
Vorliegend entspricht es angesichts des jungen Alters der beiden Kinder im Zeitpunkt der jeweiligen Vertragsschlüsse unabhängig von der Art der Krankenversicherung der Verkehrserwartung, dass der Behandlungsvertrag mit der Beklagten als Erziehungsberechtigter zustande gekommen ist (vgl. Deutsch/Spickhoff aaO; Reuter aaO; Spickhoff/ Spickhoff, Medizinrecht, 3. Aufl., § 630a BGB Rn. 33; Hebecker/Lutzi, MedR 2015, 17, 18). Aus dem von der Beklagten ausgefüllten und unterschriebenen Anmeldeformular folgt entgegen der Auffassung der Revision nichts Gegenteiliges. Soweit sie dort im oberen Abschnitt unter der Rubrik "Name gesetzlicher Vertreter" jeweils ihren Namen eingetragen hat, diente das ersichtlich nur der Dokumentation der persönlichen Daten ihrer minderjährigen Kinder. Dass die Beklagte den jeweiligen Behandlungsvertrag im eigenen Namen abschließen wollte, wird auch daran deutlich, dass sie das Formular in der Unterschriftenzeile jeweils ohne Vertreterzusatz unterschrieben hat.
2.
Die geltend gemachten Ausfallpauschalen ergeben sich weder aus der Vereinbarung in den Anmeldeformularen noch aus § 615 Satz 1 i.V.m. § 630a Abs. 1 BGB. Beide Anspruchsgrundlagen setzen voraus, dass die Beklagte als Gläubigerin der ergotherapeutischen Dienstleistungen durch die Absage der Behandlungstermine in Annahmeverzug im Sinne der §§ 293 ff BGB geraten ist. Dieser konnte nur eintreten, wenn die Klägerin als Schuldnerin der Behandlung zum vereinbarten Behandlungszeitpunkt zur Leistungserbringung imstande war. Daran fehlte es am 23. März 2020, weil die in § 7 Abs. 3 Satz 2 der Coronaschutzverordnung vom 22. März 2020 bestimmten Maßgaben zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus unter anderem in Ergotherapiepraxen - durch ärztliches Attest nachgewiesene medizinische Notwendigkeit der Behandlung und strenge Schutzmaßnahmen vor Infektionen - nicht erfüllt waren. Der Umstand, dass die Beklagte die ihr obliegende kalendermäßig bestimmte Mitwirkungshandlung - die Übergabe ihrer Kinder an die Klägerin zur Behandlung zu den vereinbarten Zeitpunkten - nicht vorgenommen hat, wirkt sich daher nicht zu ihrem Nachteil aus.
a)
Bei der Regelung einer Ausfallpauschale in den Anmeldeformularen handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB, deren Einbeziehung in den Vertrag nach § 305 Abs. 2 BGB nicht zweifelhaft ist. Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Kreise verstanden werden. Dabei sind die Vorstellungen und Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen, rechtlich nicht vorgebildeten Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen. Ansatzpunkt für die bei einer Formularklausel gebotene objektive, nicht am Willen der konkreten Vertragspartner zu orientierende Auslegung ist dabei in erster Linie ihr Wortlaut (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Urteil vom 8. Oktober 2020 aaO Rn. 32 mwN).
In Satz 2 der betreffenden Klausel wird unter Hinweis auf die §§ 293 ff BGB ausdrücklich auf die "gesetzlichen Regelungen zum Annahmeverzug" Bezug genommen. Aus der maßgeblichen Sicht eines Durchschnittspatienten kommt die Entstehung einer Ausfallpauschale im Fall einer Terminabsage somit nur unter den Voraussetzungen des Gläubigerverzugs in Betracht. Diese Auslegung kann der Senat selbst vornehmen, da Allgemeine Geschäftsbedingungen wie revisible Rechtsnormen zu behandeln und infolgedessen von dem Revisionsgericht frei auszulegen sind (st. Rspr.; vgl. nur Senat aaO Rn. 30 mwN).
b)
Nach § 615 Satz 1 BGB kann der zur Dienstleistung Verpflichtete die nach § 611 BGB vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung der nicht erbrachten Dienste verpflichtet zu sein, wenn der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug gerät. Dies beurteilt sich nach §§ 293 ff BGB (Grüneberg/Weidenkaff, BGB, 81. Aufl.,
§ 615 Rn. 7). Die Vorschrift gibt keinen selbständigen Anspruch, sondern bewirkt, dass der (ursprüngliche) Vergütungsanspruch dem zur Dienstleistung Verpflichteten erhalten bleibt (Grüneberg/Weidenkaff aaO Rn. 3).
Die Vorschrift des § 615 BGB ist gemäß § 630b BGB auch auf Behandlungsverträge anwendbar (vgl. MüKoBGB/Henssler aaO § 615 Rn. 9; Spickhoff/Spickhoff aaO § 630b BGB Rn. 5; Staudinger/Gutmann, BGB, Neubearb. 2021, § 630b Rn. 89). Entgegen der Auffassung der Revision entsteht durch die Anwendung von § 615 BGB auf Behandlungsverträge kein Wertungswiderspruch zu dem außerordentlichen Kündigungsrecht nach § 627 BGB oder dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten (vgl. § 630d Abs. 3 BGB). Gemäß § 627 BGB hat der Patient die Möglichkeit, sich auch zur Unzeit ohne Angabe von Gründen von dem Vertrag zu lösen, ohne über § 628 BGB hinausgehende Rechtsfolgen befürchten zu müssen. Durch die Kündigung wird das Behandlungsverhältnis ex nunc beendet. Annahmeverzug kann nicht mehr eintreten (vgl. Senat aaO Rn. 26, 28; Grüneberg/ Weidenkaff aaO Rn. 13). Die einzige Obliegenheit, die das Gesetz dem Patienten auferlegt, besteht darin, den Behandelnden im Wege der Kündigung davon in Kenntnis zu setzen, die Behandlung nicht wahrnehmen zu wollen. Diese Obliegenheit bedingt keine Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts. Der Patient kann durch rechtzeitige Kündigung des Vertrages seine Interessen ausreichend wahren (vgl. Koch in FS Strätz, 2009, S. 289, 306; Muthorst, ZGS 2009, 409, 413; Poelzig, VersR 2007, 1608, 1610); zur
Abgrenzung zwischen der Kündigung des Behandlungsvertrags und der bloßen Terminabsage siehe unten Buchstabe d.
Für den Fall, dass die Beklagte und ihre Kinder gesetzlich krankenversichert sein sollten, gilt nichts anderes. Gemäß § 630a Abs. 1 BGB sind Patienten verpflichtet, dem Behandelnden die versprochene Vergütung zu gewähren, soweit nicht ein Dritter zur Zahlung verpflichtet ist. Bei einem Behandlungsvertrag mit einem Kassenpatienten besteht zwar ein Vergütungsanspruch des Behandelnden unmittelbar und ausschließlich gegen die gesetzliche Krankenversicherung (vgl. Senat, Urteil vom 28. April 2005 - III ZR 351/04, BGHZ 163, 42, 46 mwN; BGH, Urteil vom 10. Januar 1984 - VI ZR 297/81, BGHZ 89, 250, 257 ff), jedoch nur, soweit eine Behandlung überhaupt stattgefunden hat. Das vergebliche Warten des Behandelnden auf einen zu bestimmter Zeit bestellten Kassenpatienten unterliegt hingegen nicht der Vergütungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung. Insoweit fehlt es an einer Leistung des Behandelnden, die dem Versicherten nach den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren ist. Die Versichertengemeinschaft hat nicht für eistungsstörungen einzustehen, die in den persönlichen Verantwortungsbereich des einzelnen Versicherten fallen (BSGE 31, 33, 36 f). Im Fall des Annahmeverzugs verbleibt es daher bei der aus § 630a Abs. 1 BGB folgenden Pflicht des Kassenpatienten, dem Behandelnden die versprochene Vergütung zu gewähren. Mithin richtet sich ein etwaiger Vergütungsanspruch aus § 615 BGB auch gegen gesetzlich krankenversicherte Patienten (Lafontaine in Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 630b Rn. 130 [Stand: 1. Februar 2020]; Staudinger/Gutmann, aaO § 630b Rn. 101; Arnold, GesR 2008, 232, 233 f; Muthorst aaO S. 414; Poelzig aaO S. 1608 f; Schinnenburg, MDR 2008, 837, 839 f).
c)
Die Voraussetzungen des Annahmeverzugs sind im vorliegenden Fall nicht bereits deshalb zu verneinen, weil das Berufungsgericht ein tatsächliches oder wörtliches Angebot der Klägerin im Sinne der §§ 294, 295 BGB nicht festgestellt hat. Denn die Entbehrlichkeit eines Angebots der Klägerin folgt aus § 296 Satz 1 BGB. Die Beklagte hat ihre Kinder zu den vereinbarten Behandlungszeitpunkten nicht zur Praxis der Klägerin gebracht und somit eine kalendermäßig bestimmte Mitwirkungshandlung unterlassen.
Bei der Beurteilung der Frage, ob die Vereinbarung eines Behandlungstermins eine kalendermäßige Bestimmung im Sinne des § 296 Satz 1 BGB darstellt, verbietet sich eine schematische Betrachtungsweise. Die Vereinbarung eines Behandlungstermins ist eine Nebenabrede im Rahmen des Behandlungsvertrages, deren Inhalt im Wege der Auslegung nach §§ 133, 157 BGB zu ermitteln ist (vgl. AG Rastatt, NJW-RR 1996, 817; Muthorst aaO S. 413; Poelzig aaO S.1610; Pohl, ZM 1966, 265). Dabei sind sämtliche Umstände des jeweiligen Falles, insbesondere die Interessenlage der Parteien und die Organisation der Terminvergabe durch den Behandelnden sowie deren Erkennbarkeit für die Patienten, zu berücksichtigen (vgl. AG Meldorf, NJW-RR 2003, 1029; AG Dortmund, MedR 1992, 348 f; Reuter aaO S. 51; Schinnenburg aaO S. 838).
Bei Anwendung dieser Kriterien handelte es sich bei den zwischen den Parteien getroffenen
Terminabsprachen jeweils um kalendermäßige Bestimmungen im Sinne des § 296 Satz 1 BGB. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts ist es der Klägerin nicht möglich, abgesagte Behandlungstermine in weniger als 24 Stunden anderweitig zu vergeben. Daraus folgt, dass sie an ihre Patienten keine Mehrfachtermine, sondern Exklusivtermine vergibt. Deren Verbindlichkeit liegt nicht nur im Interesse der Klägerin, sondern auch in dem ihrer Patienten, denen dadurch längere Wartezeiten erspart bleiben. Für die Beklagte war auch erkennbar, dass die minutengenau vereinbarte Behandlungszeit ausschließlich für ihre Kinder reserviert war, zumal durch den in den Anmeldeformularen enthaltenen Hinweis auf die 24-stündige Absagefrist und die Ausfallpauschale hinreichend klargestellt wurde, dass die mit der Klägerin vereinbarten Behandlungstermine nicht bloß unverbindliche Absprachen, sondern rechtsverbindliche Vereinbarungen sein sollten. Durch ihre Unterschrift erklärte die Beklagte aus Sicht der Klägerin jeweils ihr Einverständnis mit der Verbindlichkeit der Terminvereinbarungen.
d)
Die durch den Telefonanruf am Morgen des 23. März 2020 erfolgte Absage der beiden Behandlungstermine stellte auch keine den Annahmeverzug ausschließende Kündigung der Behandlungsverträge nach § 627 BGB dar. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bekundete die Beklagte in dem Telefonat nicht, die Behandlung ihrer Kinder durch die Klägerin beenden, sondern lediglich, die vereinbarten Termine absagen zu wollen. Die Erklärung der Beklagten war somit - unter Aufrechterhaltung des Behandlungsverhältnisses - ausschließlich auf die Aufhebung beziehungsweise Verlegung der beiden für den 23. März 2020 vereinbarten Termine gerichtet. Darin ist auch keine Teilkündigung lediglich der Terminvereinbarungen zu sehen. Eine solche ist im Rahmen eines einheitlichen Behandlungsverhältnisses gesetzlich nicht vorgesehen. Die Parteien haben sie in den Behandlungsverträgen auch nicht vorbehalten (vgl. BGH, Urteil vom 5. November 1992 - IX ZR 200/91, NJW 1993, 1320, 1322 mwN).
e)
Nach § 297 BGB kommt der Gläubiger jedoch nicht in Verzug, wenn der Schuldner im Falle des § 296 BGB zu der für die Handlung des Gläubigers bestimmten Zeit außerstande ist, die Leistung zu bewirken. Die Bestimmung bezieht sich auf die vorübergehende Unmöglichkeit und besagt, dass bei zeitweiligem Leistungsunvermögen des Schuldners der Gläubiger auch dann nicht in Verzug gerät, wenn er eine notwendige Mitwirkungshandlung nicht vorgenommen hat (Grüneberg/Grüneberg aaO § 297 Rn. 1; Mü- KoBGB/Ernst aaO § 297 Rn.1). So liegt der Fall hier.
Nach § 7 Abs. 3 Satz 2 der Coronaschutzverordnung vom 22. März 2020, die am 23. März 2020 in Kraft und am 20. April 2020 außer Kraft trat, waren therapeutische Berufsausübungen, insbesondere von Physio- und Ergotherapeuten, vorübergehend nur gestattet, soweit die medizinische Notwendigkeit der Behandlung durch ärztliches Attest nachgewiesen wurde und strenge Schutzmaßnahmen vor Infektionen getroffen wurden. Diese Voraussetzungen waren vorliegend im Zeitpunkt der vereinbarten Behandlungstermine nicht erfüllt. Die Beklagte hat im Berufungsrechtszug unwidersprochen vorgetragen, dass die Wahrnehmung des konkreten Termins für die Behandlung nicht zwingend erforderlich gewesen sei und auch zu einem späteren Zeitpunkt hätte erfolgen können (Schriftsatz vom 8. März 2021, S. 4 = GA II 4). Es lag auch kein aktuelles, das heißt nach Inkrafttreten der Coronaschutzverordnung ausgestelltes, ärztliches Attest oder eine entsprechende ärztliche Verordnung vor, in welcher die medizinische Notwendigkeit der Behandlung bescheinigt wurde. Vielmehr blieb die Beklagte auf Grund der möglichen COVID- 19-Erkrankung ihres Sohnes J. zu Hause, um die weitere Entwicklung abzuwarten, und suchte nicht einmal die Praxis ihres Hausarztes auf. Ob der ergotherapeutischen Behandlung der beiden Kinder eine frühere (ältere) ärztliche Verordnung für Heilmittel zugrunde lag, kann dahinstehen, weil jedenfalls unter den gegebenen Umständen - lediglich Behandlung von Konzentrationsstörungen - eine Behandlung am 23. März 2020 unstreitig nicht dringend geboten war (zu diesem Erfordernis siehe auch § 7 Abs. 3 Satz 3 der Coronaschutzverordnung).
Darüber hinaus ist nichts dafür ersichtlich, dass die Klägerin in ihrer Praxis bereits am Nachmittag des 23. März 2020 ein der Coronaschutzverordnung entsprechendes Patienten- und Hygienemanagement umgesetzt hatte. Zwar trifft den Gläubiger die Darlegungs- und Beweislast für das vorübergehende Leistungsunvermögen des Schuldners (Grüneberg/Grüneberg aaO § 297 Rn. 3; MüKoBGB/Ernst aaO § 297 Rn. 4). Da die Beklagte in der Berufungsbegründung (S. 5) jedoch vorgetragen hat, dass bereits zum Zeitpunkt der Terminabsage verschiedene öffentlich-rechtliche Verordnungen zur Bekämpfung der Ausbreitung des infektiösen Coronavirus gegolten hätten und durch ihre möglicherweise bereits infizierten Kinder eine Gefährdung der Klägerin selbst, ihres Praxispersonals oder anderer Patienten bestanden habe, war die Klägerin - jedenfalls nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast (siehe hierzu z.B. Senat, Urteile vom 19. Mai 2016 - III ZR 274/15, NJW-RR 2016, 842 Rn. 40 und vom 28. Mai 2020 - III ZR 58/19, BGHZ 226, 39 Rn. 33; Versäumnisurteil vom 4. Februar 2021 - III ZR 7/20, NJW 2021, 1759 Rn. 19) - gehalten, zu den von ihr in den Praxisräumen getroffenen Schutzmaßnahmen vor Infektionen näher vorzutragen. Daran fehlt es völlig.
Bei unterstellter fehlender Nachholbarkeit der abgesagten Behandlungstermine würde sich an dem Ergebnis nichts ändern. Endgültige Unmöglichkeit der Leistung schließt den Gläubigerverzug aus (Grüneberg/Grüneberg aaO § 293 Rn. 3). Der zur Dienstleistung Verpflichtete wird gemäß § 275 Abs. 1 BGB von seiner Leistungspflicht befreit, verliert aber zugleich den Anspruch auf die Gegenleistung gemäß § 326 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BGB.
f)
Da die in den Anmeldeformularen enthaltene Klausel zur Berechtigung einer Ausfallpauschale bereits deshalb nicht eingreift, weil die Voraussetzungen des Gläubigerverzugs (§§ 293 ff BGB) nicht vorliegen, kann dahinstehen, ob sie im Übrigen einer Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff BGB standhalten würde.
III.
Das angefochtene Urteil ist demnach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache zur Endentscheidung reif ist, kann der Senat abschließend entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO).
Herrmann/Reiter/Arend/Böttcher/Herr