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Alternativenaufklärung vor einer Zahnimplantat-Behandlung

 | Gericht:  Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart  | Aktenzeichen: 1 U 25/05 | Entscheidung:  Urteil
Kategorie Schadenersatzrecht

Urteilstext

 

Tenor

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der 20. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 15. Februar 2005 (20 O 389/03) wird zurückgewiesen.

 

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

 

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Streitwert des Berufungsverfahrens: 7.000 €.

 

Gründe

Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen, §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO. –

 

I.

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

 

Das Landgericht ist mit Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Klägerin gegen den Beklagten wegen der implantologischen Behandlung vom 26. April 1999 ein Schmerzensgeldanspruch in Höhe 5.000 € zusteht und der Beklagte für sämtliche künftigen immateriellen sowie alle vergangenen und künftigen materiellen Schäden der Klägerin aus dieser zahnärztlichen Behandlung einzustehen hat.

 

Der Eingriff vom 26. April 1999 zum Aufbau des Knochens im Oberkiefer der Klägerin unter Verwendung des Augmentationsmaterials „Bio-Oss“ war rechtswidrig. Er erfüllt damit den Tatbestand von § 823 Abs. 1 BGB. Die Einwilligung der Klägerin in den Eingriff war unwirksam, weil der Beklagte die Klägerin nicht in ausreichender Weise über echte Behandlungsalternativen für den Knochenaufbau vor der Implantation des Oberkiefers aufgeklärt hat. Neben der Verwendung von bovinem, also aus Rinderknochen gewonnenem Augmentationsmaterial mit oder ohne Beimischung von eigenem Knochen gab es eine gleichermaßen indizierte Behandlungsalternative mit wesentlichen Unterschieden in der Belastung, den Risiken und den Erfolgschancen, nämlich die Verwendung von Knochenmaterial aus dem Beckenkamm. Der Kläger hätte die Beklagte auch darauf hinweisen müssen, dass das von ihm verwendete Material aus Rinderknochen gewonnen wird. Der - von der Klägerin bestrittene - Hinweis auf die „bovine“ Herkunft des Augmentationsmaterial war nicht ausreichend, um die Klägerin in die Lage zu versetzen, eigenverantwortlich zu entscheiden, welcher Behandlung sie sich unterziehen möchte.

 

Auf den Einwand des Beklagten, die Klägerin hätte sich auch im Falle einer ordnungsgemäßen Aufklärung für den konkreten Eingriff entschieden, hat sie plausibel darlegt, sie hätte sich bei Erteilung der gebotenen Risikoaufklärung in einem Entscheidungskonflikt befunden und den Eingriff jedenfalls nicht so, wie geschehen, durchführen lassen. Der Beklagte hat eine hypothetische Einwilligung der Klägerin nicht beweisen können. Er haftet deswegen für die Folgen des rechtswidrigen Eingriffs, die gemäß § 287 ZPO hinreichend dargetan sind. Ein Schmerzensgeld von 5.000 € ist angemessen. Die Voraussetzungen für die Feststellung einer darüber hinausgehenden Einstandspflicht des Beklagten liegen gleichfalls vor. Die Ansprüche sind nicht verjährt.

 

1.

Der Eingriff vom 26. April 1999 war rechtswidrig. Die Einwilligung der Klägerin war wegen unzureichender Aufklärung über das Vorliegen einer gleichwertigen Behandlungsalternative unwirksam.

 

a)

Zwar ist die Wahl der Behandlungsmethode grundsätzlich Sache des Arztes. Bestehen aber mehrere, medizinisch gleichermaßen indizierte Behandlungsmöglichkeiten mit wesentlich unterschiedlichen Risiken oder Erfolgsaussichten, ist der Patient hierüber in Kenntnis zu setzen, damit er in Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts die Entscheidung für die eine oder andere Behandlungsmöglichkeit eigenverantwortlich treffen kann (vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 15.3.2005 - VI ZR 313/03, NJW 2005, 1718).

 

b)

Die implantologische Versorgung mit autologem Knochenmaterial stellt eine gleichwertige Behandlungsalternative zur Verwendung von Knochenersatzmaterial aus Rinderknochen dar; über diese Behandlungsmöglichkeiten ist die Klägerin pflichtwidrig nicht in gebotener Weise aufgeklärt worden. Allein der Hinweis auf die Möglichkeit der Verwendung von - in einer zusätzlichen Operation gewonnenem - Beckenkammknochenmaterial unter Hinweis auf Kostengesichtspunkte war nicht ausreichend.

 

aa)

Der Sachverständige Dr. E. (Bl. 151 d.A.) hat nachvollziehbar ausgeführt, dass es sich bei beiden Therapieansätzen um medizinisch gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten handle, die unterschiedliche Belastungen des Patienten mit sich brächten und zu unterschiedlichen Risiken und Erfolgschancen führten. So könne bei der Verwendung von eigenem Knochenmaterial schon nach drei Monaten implantiert werden, die Gewinnung dieses Materials setze allerdings einen operativen Eingriff am Beckenkamm voraus, der wiederum zu einem eigenständigen Infektionsrisiko führe und die Behandlung teurer mache (Bl. 225 d.A.). Ein solcher Eingriff sei hingegen entbehrlich, wenn Knochenersatzmaterial verwendet werde. Dort betrage die Einheilungszeit allerdings sechs bis neun Monate. Darüber hinaus bestehe bei Knochenersatzmaterialien aufgrund der Porosität des Materials eine größere Infektanfälligkeit im Vergleich zum transplantierten autologen Knochen, die Behandlung einer Infektion sei schwieriger. In diesem Zusammenhang hätte die Klägerin auch über die Herkunft des Augmentationsmaterials aufgeklärt werden müssen. Eine solche Aufklärungspflicht, die der Beklagte nicht in Abrede stellt, hat der Sachverständige Dr. E. unmissverständlich bejaht (Bl. 154, 157 und 223). Er hat dies nachvollziehbar damit begründet, dass in der damaligen Literatur hinsichtlich der Therapiesicherheit von Ersatzmaterialien bovinen Ursprungs keine eindeutige Meinung bestanden und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Jahr 1997 empfohlen habe, Rinderstoffe als Ausgangsmaterial für die Herstellung von Medizinprodukten soweit wie möglich zu vermeiden.

 

bb)

Der Beklagte hat nicht bewiesen, dass er die Klägerin in dieser Art und Weise aufgeklärt hat. Der Beklagte hat keine vollständige Information über die Vorzüge und Nachteile der Verwendung von Knochen aus dem Beckenkamm einerseits, von Knochenersatzmaterial andererseits vermittelt, sondern auf den Kostenfaktor abgestellt (Bl. 87 d.A.). Die vom Beklagten genannten Kostengesichtspunkte entbinden nicht von einer Aufklärung über gleichwertige Behandlungsmaßnahmen. Erst wenn einem Patienten die medizinischen Vor- und Nachteile gleichwertiger Behandlungsalternativen dargelegt worden sind, kann dieser in Ausübung des Selbstbestimmungsrechts die Chancen und Risiken abschätzen und eigenständig beurteilen, ob und inwieweit gegebenenfalls auch finanzielle Gesichtspunkte den Ausschlag für oder gegen eine Behandlungsalternative geben. Auch der Vortrag des Beklagten, er habe die Klägerin auf die Möglichkeit einer zusätzlichen intraoralen oder extraoralen Eigenknochenentnahme hingewiesen, wird der gebotenen Aufklärung nicht gerecht, weil hierdurch lediglich diejenige Behandlungsalternative angesprochen war, die eine Mischung aus bovinem Augmentationsmaterial und Eigenknochen verwendet.

 

Darüber hinaus hat der Beklagte nicht bewiesen, die Klägerin über die Herkunft des Augmentationsmaterials „Bio-Oss“ und die möglichen Risiken aufgeklärt zu haben. Der von ihm behauptete aber bestrittene Hinweis auf die „bovine Herkunft“ des Materials reicht hierfür nicht aus. Die Klägerin hat glaubhaft und nachvollziehbar dargelegt, dass ihr die Bedeutung des Wortes „bovin“ nicht bekannt gewesen sei.

 

c)

Die Einwilligung der Klägerin auf der Grundlage einer unzureichenden Aufklärung über die gleichwertigen Behandlungsalternativen machte die Entscheidung der Klägerin für den Eingriff unter Verwendung von „Bio-Oss“ rechtswidrig.

 

2.

Die Klägerin hat gegenüber dem Senat plausibel dargelegt, dass sie sich bei dem gebotenen Hinweis auf die Gewinnung von „Bio-Oss“ aus Rinderknochen im Blick auf eine Kieferknochenaugmentation unter Verwendung dieses Materials zumindest in einem Entscheidungskonflikt befunden hätte. Der danach beweisbelastete Beklagte kann nicht beweisen, dass die Klägerin auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in den Eingriff eingewilligt hätte.

 

a)

Die Klägerin hat vor dem Hintergrund einer naturheilkundlichen Ausbildung, ihres Interesses für Homöopathie verbunden mit der Ablehnung anderer als naturheilkundlicher Produkte in plausibler Weise dargelegt, dass es für sie nie in Betracht gekommen wäre, sich Rindermaterial in den Kiefer und somit nahe an ihr Gehirn einsetzen zu lassen. Ferner hat sie dargelegt, dass sie bei entsprechender Aufklärung die Behandlung nicht hätte durchführen lassen, sondern sich wegen der weiteren Behandlung wahrscheinlich wieder an Dr. H. gewandt hätte.

 

b)

Dass die Klägerin auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in den Eingriff eingewilligt hätte, kann der Beklagte nicht beweisen. Dafür, dass die ordnungsgemäß aufgeklärte Klägerin einer Augmentation des Kieferknochens unter Verwendung von „Bio-Oss“ zugestimmt hätte, ist auch nichts ersichtlich.

 

3.

Wegen der fehlenden Einwilligung der Klägerin in den Eingriff vom 26. April 1999 war dieser rechtswidrig. Deswegen haftet der Beklagte schon für die mit diesem Eingriff verbundenen gesundheitlichen Nachteile und Schmerzen. Da die implantologische Versorgung fehlgeschlagen ist, bedurfte es am 3. Dezember 1999 eines weiteren Eingriffs zur Entfernung des Augmentationsmaterials. Damit hat der Beklagte auch für Unannehmlichkeiten dieses Eingriffs einzustehen. Unter Berücksichtigung des weiteren Umstandes, dass sich die implantologische Versorgung der Klägerin - neben der Duldung von 2 überflüssigen operativen Eingriffen - um 13 Monate verzögerte, rechtfertigt die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes von 5.000,00 €.

 

4.

Die Feststellung des Landgerichts zur Verpflichtung des Beklagten, den der Klägerin künftig entstehenden immateriellen sowie den gesamten materiellen Schaden aus der zahnärztlichen Behandlung vom 26. April 1999 zu ersetzen, begegnet keinen Bedenken.

 

5.

Die Ansprüche waren bei Klageerhebung nicht verjährt. Die Ausführungen des Landgerichts zur Verjährung sind nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat auch im Berufungsrechtszug nicht schlüssig dargelegt, dass der Klägerin schon vor dem vom Landgericht für maßgeblich erachteten Zeitpunkt Umstände bekannt waren, aus denen ihr die maßgeblichen Aufklärungsfehler hätten auffallen müssen. Die vom Klägervertreter aufgeführte Nachbehandlung bei Dr. K. im August 1999 wegen eines angeblichen Kunstfehlers des Beklagten besagt nichts über den Kenntnisstand der Klägerin im Blick auf ein eventuelles Aufklärungsdefizit.

 

6.

Die nicht nachgelassenen Schriftsätze der Parteien vom 15. Juni und 4. Juli 2005 gebieten keine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.

 

II.

Daher war die Berufung des Beklagten mit der Kostenfolge von § 97 Abs. 1 ZPO als unbegründet zurückzuweisen. 

 

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

 

Die Revision wird nicht zugelassen, § 543 Abs. 2 ZPO. Fragen von einer über den vorliegenden Einzelfall hinaus gehenden Bedeutung sind nicht ersichtlich. 


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