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Adhäsive Befestigung von Brackets; LG Hildesheim

 | Gericht:  Landgericht (LG) Hildesheim  | Aktenzeichen: 1 S 15/14 - Berufungsurteil zu AG Hildesheim 81 C 91/13 | Entscheidung:  Urteil
Kategorie:  Gebühren

Urteilstext


Tenor

Das Landgericht Hildesheim – 1. Zivilkammer – durch den Vizepräsidenten des Land­gerichts ..., die Richterin am Landgericht ... und den Richter am Landge­richt ... auf die mündliche Verhandlung vom 26.06.2014 hat für Recht erkannt:

1.
Auf die Berufung des Klägers wird das am 07.02,2014 verkündete Urteil des Amtsgerichts Hildesheim (81 C 91/13) aufgehoben und erkannt:Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 219,34 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.08.2013 sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von EUR 46,41 zu zahlen.

2.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4.
Die Revision wird nicht zugelassen.

5.
Der Wert für das Berufungsverfahren wird auf EUR 219,34 festgesetzt.

Von der Wiedergabe der tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts und der Darstellung etwaiger Änderungen und Ergänzungen wird abgesehen (§ 540 Abs. 1 Nr, 1, Abs. 2, § 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO).


Tatbestand

Der Kläger vertritt auch in der Berufung die Ansicht, dass bei einem Verkleben der Brackels mittels Adhäsionsverfahrens die ärztliche Leistung gemäß der Gebühren­nummer 2197 neben der Nummer 6100 der Anlage 1 GOZ abrechenbar sei. Das an­gefochtene Urteil des Amtsgerichts trage die Entscheidung nicht, da eine lediglich systematische Begründung, dass Nummer 2197 bei einer kieferorthopädischen Be­handlung nicht anwendbar sei, dem Aufbau des Gebührenverzeichnisses widerspre­che.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger EUR 219,34 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.08.2013 sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von EUR 46,41 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verfolgt weiter die Ansicht, dass die adhäsive Befestigung der Brackets durch die Gebührennummer 6100 bereits abgegolten und eine weitere Abrechnung nach der Gebührennummer 2197 aufgrund des Zielleistungsprinzips ausgeschlossen sei. Auf die Art des Einbringens der Brackets komme es dabei nicht an.

Die Berufung ist statthaft gemäß § 511 Abs. 2 Nr 2 ZPO sowie frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden. Das Rechtsmittel ist zudem begründet.


Entscheidungsgründe

Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts vertritt die Kammer die Auffassung, dass die Gebührennummer 2197 neben der Gebührennummer 6100 der Anlage 1 der Gebüh­renordnung für Zahnärzte (GOZ) bei der Einbringung von Brackets mittels Adhäsions­technik abrechenbar ist. Die Vorschrift des § 4 Abs. 2 S. 2 GOZ steht dem nicht entge­gen.

Durch die erste Verordnung zur Änderung der Gebührenordnung der Zahnärzte (1 GOZÄndV) vom 05.12.2011 (BGBl. I S. 2661), geltend ab 01.01.2012, wurde § 4 GOZ wie folgt geändert und dem Absatz 2 unter anderem folgender Satz angefügt:

„Eine Leistung ist methodisch notwendiger Bestandteil einer anderen Leistung, wenn sie inhaltlich von der Leistungsbeschreibung der anderen Leistung (Zielleistung) um­fasst und auch in deren Bewertung berücksichtigt worden ist."

Zudem wurden durch die Novelle die Anlagen 1 und 2 Gebührenverzeichnis für zahnärztliche Leistungen ausgetauscht und geändert und so die Gebührennummer 2197 eingeführt, die lautet:

„Adhäsive Befestigung (plastischer Aufbau, Stift, Inlay, Krone, Teilkrone, Veneer etc.)"

Wierauf das Amtsgericht zutreffend hinweist, hat die Auslegung jedes Gesetzes durch die anerkannten Auslegungsmethoden, also unter Berücksichtigung vom Wortlaut der Nummern, von Systematik, Sinn und Zweck sowie Gesetzesmaterialien und Entste­hungsgeschichte zu erfolgen.

Dem Amtsgericht ist auch darin zu folgen, dass vom Wortlaut der Gebührennummer 6100 grundsätzlich auch eine adhäsive Befestigung der Brackets erfasst ist. Der Wort­laut der Gebührennummer 6100 fautet nämlich:

„Eingliederung eines Klebebrackets zur Aufnahme orthodontischer Hilfsmittel"

und erfasst mithin ausdrücklich das Eingliedern selbst als Leistung, ohne die Art und Weise der Eingliederung festzulegen. Zwischen den Parteien unbestritten ist, dass eine Eingliederung sowohl durch die adhäsive Befestigung als auch durch ein Verkleben mittels Glasionemerzement möglich ist. D. h, unabhängig davon, ob beide Möglich­keiten ein Verkleben darstellen, ist eine verschiedene Ausführung der Eingliederung möglich.

Eine Betrachtung des Wortlauts der Gebührennummer 2197 führt zu der Feststellung, dass diese grundsätzlich auch bei der Eingliederung von Brackets zur Anwendung kommen kann. Denn die Aufzählung der Leistungen ist lediglich enumerativ, aber eben nicht abschließend.

Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts rechtfertigt die Betrachtung der Systematik der GOZ indes einen Ausschluss der Anwendbarkeit der Gebührennummer 2197 im Rahmen einer kieferorthopädischen Behandlung nicht. Es ist zwischen den Parteien unbestritten, dass auch die Gebührennummer 2000 (Glattflächenversiegelung) aus Abschnitt C im Rahmen der streitgegenständlichen Behandlung abrechenbar ist. Insoweit ist dem Kläger zuzustimmen, dass die Ordnung der Gebührenziffern in Ab­schnitte nicht unter dem absoluten Aspekt zusammengehörender Behandlungskon­zepte erfolgt sein kann.

Eine weitergehende systematische Betrachtung der Gebührennummern der GOZ führt jedoch zu der Feststellung, dass die adhäsive Befestigung im Rahmen einer Viel­zahl von Leistungen gesondert aufgeführt und mit einer gesteigerten Punktzahl be­messen ist. Dies ergibt sich zum Beispiel aus einem Vergleich der Gebührennummer 2050 zu 2060 oder 2070 zu 2080. Der Leistungstext dieser zu vergleichenden Gebührennummern stimmt grundsätzlich überein und unterscheidet sich ausschließlich hin­sichtlich des Konditionierens mittels Adhäsivtechnik. Dies führt zu einer nicht nur unerheblichen Steigerung der Punktzahl, z. B. von 213 Punkten für die Gebührennummer 2050 auf 527 Punkte für die Gebührennummer 2060, und spricht dafür, dass die adhä­sive Technik eine besondere ist, die durch eine gesteigerte Punktzahl zu bemessen ist.

So ergibt es sich auch aus der Entwurfsbegründung für den Referentenentwurf einer Verordnung zur Änderung der Gebührenordnung für Zahnärzte vom 24.03.2011. Dort heißt es ausdrücklich, dass die Gebührennummer 2197 den Mehraufwand für eine adhäsive Befestigung abgelten soll. Betrachtet man unter diesem Gesichtspunkt die Gebührennummer 6100, so ist dem Kläger zuzustimmen, dass bei der in 2197 genann­ten Punktzahl von 130 für die Vornahme einer adhäsiven Befestigung, von der in Gebührennummer 6100 genannten Punktzahl von 165 lediglich 35 Punkte für die sonsti­gen Leistungen verblieben. Gem. § 5 GOZ entspricht 1 Punkt einem Wert von EUR ct. 5,62421, d. h. bei Faktor 2,3 lediglich EUR 4,53. Darin müssten bereits sämtli­che Material- und sonstigen Vorhaltekosten enthalten sein sowie die Vergütung für sämtliche weiteren vor- und nachbereitenden Tätigkeiten. Dies wird dem Anspruch des behandelnden Arztes auf eine angemessene Vergütung nicht gerecht. Auch die Ansicht der Beklagten, dass dies bei einer pauschalen Berechnung durch die Ärzte hinzunehmen sei, überzeugt die Kammer nicht. Vielmehr ist davon auszugehen, dass bei einer Betrachtung der Punktzahl gemäß § 4 Abs. 2 S. 4 GOZ die adhäsive Befesti­gung gerade nicht in der Bewertung der Gebührennummer 6100 berücksichtigt wur­de.

D. h., neben der Gebührennummer 6100 ist durch den behandelnden Zahnarzt auch die Gebührennummer 2197 abzurechnen (so auch AG Pankow/Weißensee Urteil vom 15.11,2013, 6 C 46/13; Liebold/Raff/Wissing, GOZ Nr. 2197) und die Beklagte zur Zahlung zu verurteilen. Die Höhe der abgerechneten Gebührennummer ist nicht be­stritten.

Dem Kläger steht auch ein Anspruch auf Zahlung der Verzugszinsen sowie der vorge­richtlichen Rechtsanwaltsgebühren gemäß §§ 286, 288 ZPO zu. Die Beklagte hatte die Leistung zur Zahlung durch Schreiben vom 09.07.2013 sowie vom 27.08,2013 aus­drücklich verweigert, sodass Verzug eingetreten ist.

Die Entscheidung betreffend die Kosten ergibt sich aus §§ 91, 97 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 543 Abs. 2 ZPO. Bislang fehlt es zwar an einer höchstrichterlichen Rechtsprechung bzw. Entscheidungen sonstiger Gerichte hinsichtlich des Verhältnisses der Gebührennummer 6100 zu 2197. Dies al­lein rechtfertigt jedoch noch nicht die Zulassung der Revision. Vielmehr ist davon aus­zugehen, dass die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch für die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfor­derlich ist. Auch eine grundlegende Entscheidung zum Zielleistungsprinzip ist in der getroffenen Entscheidung nicht zu erkennen. Vielmehr hat die Kammer einfach nur das geltende Gebührenrecht seinem Wortlaut nach angewandt.


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