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Adhäsive Befestigung von Brackets; AG Recklinghausen

 | Gericht:  Amtsgericht (AG) Recklinghausen  | Aktenzeichen: 54 C 117/13 | Entscheidung:  Urteil
Kategorie Gebühren

Urteilstext


Tenor

Das Amtsgericht Recklinghausen hat für Recht erkannt:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Kläger als Gesamtgläubiger EUR 365,22 nebst Zin­sen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.02.2013 zu zahlen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Beklagten bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleis­tung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Kläger vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu voll­streckenden Betrages leisten.


Tatbestand

Die Parteien streiten über die Frage der Abrechnungsfähigkeit einer kieferorthopädi­schen Leistung für den minderjährigen Sohn des Beklagten.

Die Kläger rechneten ihre Leistungen mit Rechnung vom 03.01.2013 ab. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten wird auf die Anlage K1 zur Klageschrift, BI. 14 ff. d.  A. Be­zug genommen. Vorliegend steht die Position 2197 in Höhe von insgesamt EUR 370,04 in Streit.

Die Behandlung des Sohnes des Beklagten beinhaltete eine Multibandbehandlung der Zähne. Ihr lagen die Behandlungspläne vom 06.09.2012 bzw. vom 20.11.2012 zu Grunde. Insoweit wird ergänzend auf die Anlage B1 zur Klageerwiderung vom 13.08.2013 Bl. 32 ff. d. A. verwiesen.

Die Befestigung der Zahnspange auf die Zähne erfolgt mit sog. „Brackets", welche im Regelfall mithilfe eines Kunststoffklebers auf die Zähne aufgebracht werden. Diese Leistung ist in der Ziffer 6100 der GOZ enthalten und kann nicht zusätzlich berechnet werden. Bei dem Sohn des Beklagten musste auf Grund individueller Voraussetzun­gen jedoch zum Anbringen der Brackets die sog. adhäsive Technik verwendet wer­den. Hierbei wird eine chemische Verbindung zwischen Zahn und Befestigungsmate­rial durch Anbringen einer chemischen Substanz erreicht.

Die Kläger sind der Auffassung, diese besondere Art der Befestigung sei im üblichen Leistungsumfang für die Bracketierung eines Zahnes nicht enthalten und könne vielmehr zusätzlich nach der GOZ-Nr. 2197 mit einem Gebührenwert von 7,31 bei einem Faktor von 2,3, mithin in Höhe von EUR 16,82 pro Befestigung abgerechnet wer­den.

Nach dem in der GOZ geltenden Zielleistungsprinzip könne ein Zahnarzt eine Leistung dann nicht abrechnen, wenn diese Bestandteil einer anderen Leistung ist. Dies sei nach § 4 Abs. 2 GOZ der Fall, wenn die Leistung inhaltlich von der Leistungsbeschrei­bung der anderen Leistung (Zielleistung) erfasst und in deren Gebührenbewertung berücksichtigt worden sei. Der Mehraufwand für die adhäsive Befestigung sei jedoch weder in der Leistungsbeschreibung noch in der Leistungsbewertung von Ziffer 6100 GOZ berücksichtigt worden.

Die Kläger haben im vor Klageerhebung durchgeführten Mahnverfahren ursprüng­lich eine Forderung von EUR 2.434,90 geltend gemacht. Der Mahnbescheid wurde dem Beklagten am 02.05.2013 zugestellt.

Nachdem der Beklagte am 06.05.2013 einen Teilbetrag in Höhe von EUR 2.069,89 leistete, haben die Parteien den Rechtsstreit in dieser Höhe übereinstimmend für er­ledigt erklärt.

Nunmehr beantragen die Kläger,

den Beklagten zu verurteilen, an sie als Gesamtgläubiger EUR 365,22 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.02.2013 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, die von den Klägern abgerechnete Ziffer 2197 GOZ sei in der Ziffer 6100 „Eingliedern eines Klebebrackets zur Aufnahme orthodontischer Hilfsmittel­" abgegolten. Die Ziffer 2197 sei vom Gesetzgeber für die adhäsive Befestigung im Be­reich der Füllungs- und Kronenversorgung in die GOZ aufgenommen worden. Eine Belohnung im kieferorthopädischen Bereich sei nicht möglich.

Zudem beinhalte die Ziffer 6100 GOZ bereits die Material- und Laborkosten für Stan­dardmaterialien. Eine darüber hinausgehende Abrechnung müsse dem Patienten vor Beginn der Behandlung schriftlich mitgeteilt werden. Der pauschale Hinweis „die vollumfängliche Kostenerstattung aller Leistungen durch ihre Erstattungsstellen kann nicht gewährleistet werden" im kieferorthopädischen Behandlungsplan vom 06.09.2012 bzw. vom 20.11.2012 reiche dafür nicht aus.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechsel­seitigen Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet.

Den Klägern steht ein Anspruch auf restliche Zahlung in Höhe von EUR 365,22 aus der Rechnung vom 03.01.2013 zu, § 611 Abs. 1 BGB.

Nach § 4 Abs. 2 S. 2 GOZ kann der Zahnarzt für eine Leistung, die Bestandteil oder eine besondere Ausführung einer anderen Leistung nach dem Gebührenverzeichnis ist, eine Gebühr nur dann nicht berechnen, wenn er für die andere Leistung eine Gebühr berechnet. Dies ist nach S. 4 der Vorschrift der Fall, wenn eine Leistung me­thodisch notwendiger Bestandteil einer anderen Leistung ist, wenn sie inhaltlich von der Leistungsbeschreibung der anderen Leistung (Zielleistung) umfasst und auch in deren Bewertung berücksichtigt worden ist.

Gebührenrechtlich unselbstständiger Bestandteil einer anderen Leistung ist eine Leistung grundsätzlich dann, wenn ohne ihren Leistungsinhalt die andere Leistung nach ihrem technischen Ablauf oder anderen für die Leistungserbringung bestimmenden Faktoren nicht erbracht werden kann. Satz 4 präzisiert dies über die Definition einer Leistung als methodisch notwendiger Bestandteil einer anderen Leistung. Die Bewertungsvoraussetzung erlaubt die zusätzliche Berechnung, wenn die Vergütung des möglichen Leistungsbestandteils außer Verhältnis zur vermeintlichen Zielleistung erfolgt. Ist nur eine der beiden Voraussetzungen des Satz 4 nicht erfüllt, verbleibt es bei der gesamten Berechenbarkeit beider Leistungen (vgl. Zuck in: Gebührenordnung für Zahnärzte, 1. Aufl. 2012, § 4 Rn. 5).

Das Aufbringen der Brackets durch die adhäsive Technik ist eine besondere Form des Anbringens. Sie war hier unstreitig erforderlich, da die konventionelle Befestigung durch Zement nicht ausreichte, um eine sichere Haftung der Brackets zu erreichen. Dies wiederum war vorliegend auf die Oberfläche des Zahnschmelzes des Sohnes des Beklagten zurückzuführen. Wenn es aber verschiedene Methoden gibt, die einen unterschiedlichen Aufwand für den Behandler bedeuten, scheint es gerechtfertigt, diese mit einer höheren Bewertung abzugelten.

Insoweit ist auf die Ausführungen in dem klägerischen Schriftsatz vom 17.10.2013 zu verweisen. Der Verordnungsgeber hat der Position 2197 eine Punktzahl von 130 zu­geschrieben, während er das Eingliedern der Brackets in der Position 6100 mit 165 Punkten bewertet. Wäre die adhäsive Technik bereits von 6100 erfasst, hätte es nahegelegen, für die vor- und nachbereitenden Tätigkeiten, insbesondere für die Positionierung der Brackets, eine Differenzpunktezahl anzusetzen.

Mit der Ziffer 6100 abgegolten sind das Eingliedern eines Attachments sowie die Ma­terialkosten für ein unprogrammiertes Edelstahlbracket (vgl. Liebold/Raff/ Wissing, DER Kommentar BEMA und GOZ, 98. Lieferung, Stand Dezember 2011, Ziffer 6100). Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass weitere Leistungen Bestandteil der GOZ-Nr. 6100 sind und diese mit der GOZ-Nr. 6100 abgegolten sind, hätte er dies wie beispielsweise bei der GOZ-Nr. 2220 in die Abrechnungsbestimmungen aufgenommen.

Soweit sich der Beklagte auf die Verletzung einer Hinweispflicht durch die Kläger berufen hat, ergibt sich hieraus keine andere Bewertung.

In der Rechtsprechung ist zwar grundsätzlich anerkannt, dass dem behandelnden Arzt auch eine wirtschaftliche Aufklärungspflicht obliegt. Da medizinische Leistungen nicht unbegrenzt von den Versichertengemeinschaften bezahlt werden (gleich ob sie den gesetzlichen Versicherungsträgern oder der privaten Krankenversicherung unterfallen), ist die Frage der Erstattungsfähigkeit der ärztlichen Leistungen für den Patienten von großer Bedeutung (vgl. Bergmann/Springer, Die Arzthaftung, 3. Aufl. 2009, 6. Kapitel, I. m. w. N.).

Im Gegensatz zur sonstigen Aufklärungspflichtverletzung handelt es sich bei der wirtschaftlichen Hinweispflicht jedoch lediglich um eine vor-/vertragliche Neben­pflichtverletzung aus dem Behandlungsvertrag und kann nicht der eigentlichen ärztli­chen Behandlung zugerechnet werden (vgl. Ehlers/Broglie, Arzthaftungsrecht, 4. Aufl. 2008, Kapitel 7, Rn. 788 ff. m. w. N.). Dogmatisch wird als Anspruchsgrundlage § 242 BGB herangezogen, wonach der Arzt verpflichtet ist, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte dies erfordern. Verletzt der Arzt diese wirtschaftliche Aufklärungspflicht, macht er sich schadensersatzpflichtig. Der Patient kann daher gegen den Vergütungsanspruch des Arztes mit einem Schadensersatzanspruch in gleicher Höhe aufrechnen (vgl. Bergmann/Springer a. a. O.).

Eine Aufklärungspflicht des Arztes ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn dieser über einen Informationsvorsprung verfügt, insbesondere die Finanzierungslücke kannte oder hätte erkennen können (vgl. Wagner in: Münchener Kommentar, BGB, 6. Aufl. 2013, § 823 Rn. 808). Ob diese Voraussetzungen vorliegend erfüllt sind, kann indes dahinstehen. Denn es fehlt bereits an einer Aufrechnungserklärung des Beklagten mit einem etwaigen Schadensersatzanspruch, § 388 BGB.

Soweit der Beklagte die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt hat, musste dem nach der Ansicht des Gerichts nicht nachgegangen werden. Der tat­sächliche Sachverhalt und das Erfordernis der Anwendung der adhäsiven Technik sind vorliegend unstreitig. Die Frage der Abrechenbarkeit als solche ist hingegen eine Rechtsfrage. Eine mit § 14 RVG vergleichbare Vorschrift enthält die GOZ zudem nicht.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 280, 286, 288 BGB.

Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in §§ 91 Abs. 1 S. 1, 91a Abs. 1 ZPO.

Soweit die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend in Höhe von EUR 2.069,68 für erledigt erklärt haben, sind dem Beklagten die Kosten aufzuerlegen gewesen, § 91a Abs. 1 ZPO. Dies entspricht der Billigkeit unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes.

Der Beklagte hat die Rechnung vom 03.01.2013 inhaltlich nicht bestritten, sondern diese nach Mahnung unter dem 06.05.2013 beglichen. Dies ist als Anerkenntnis zu werten, § 93 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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