Adhäsive Befestigung ist Leistungsbestandteil von Kompositfüllungen

 | Gericht:  Amtsgericht (AG) Stuttgart  | Aktenzeichen: 9 C 1059/16 | Entscheidung:  Urteil
Kategorie Gebühren

Urteilstext


Tenor

1.
Die Klage wird abgewiesen.
2.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4.
Die Berufung wird zugelassen.

Der Streitwert wird auf bis zu EUR 500,00 festgesetzt.


Tatbestand

Die Beklagte ist die private Krankenversicherung des Klägers. Im Jahr 2015 wurde beim Kläger durch den Zahnarzt Dr.... in ... eine Zahnbehandlung vorgenommen, bei der u.a. an Zahn 27 und 44 jeweils eine Kunststofffüllung angebracht wurde. Die Zahnarztrechnung vom 5.10.2015 belief sich auf insgesamt EUR 2.070,93.

In der Rechnung wurden sowohl im Hinblick auf Zahn 27 als auch 44 neben der Position Nr. 2080 (Präparieren einer Kavität und Restauration mit Kompositmaterialien, in Adhäsivtechnik (Konditionieren), zweiflächig, ggf. einschließlich Mehrschichttechnik, einschließlich Polieren, ggf. einschließlich Verwendung von Inserts) auch die Position Nr. 2197 (adhäsive Befestigung (plastischer Aufbau, Stift, Inlay, Krone, Teilkrone. Vene er, etc.) in Rechnung gestellt (Zahnarztrechnung vom 5.10.2015, Bl. 16).

Die Beklagte erstattete dem Kläger den Rechnungsbetrag, mit Ausnahme der Rechnungsposten Nr. 2197 sowohl im Hinblick auf Zahn 27 als auch Zahn 44, die die Beklagte nicht für erstattungsfähig ansieht neben der Position 2080. Diese Rechnungsposten betragen je EUR 16,82, insgesamt also EUR 33,64, die von der Beklagten nicht erstattet wurden und nun Streitgegenstand sind.
Der Kläger trägt vor, dass die Beklagte zu Unrecht die Position 2197 nicht neben der Position 2080 erstattet habe. Die Position 2080 beinhalte im Hinblick auf die Adhäsivtechnik nur den Schritt bis zum Konditionieren des Zahns, nicht aber die adhäsive Befestigung der Füllung als solches. Die adhäsive Befestigung könne daher getrennt mit der Position 2197 abgerechnet werden. Der Wortlaut der Position 2080 sei eindeutig, in Klammern beziehe sich die Adhäsivtechnik eindeutig nur auf das Konditionieren.

Da auch künftig mit derartigen Behandlungen des Klägers zu rechnen sei, deren Rechnungen die Beklagte dann wohl auch um die Position 2197 kürzen werde, darüber hinaus erwartet werde, dass die Beklagte sich an ein Urteil halten werde, reiche ein Feststellungsantrag aus, aus dem sich die Verpflichtung der Beklagten ergibt, die Behandlungskosten des Klägers auch hinsichtlich der Kosten der adhäsiven Befestigung nach der GOZ-Nr. 2197 zu bezahlen.

Der Kläger bezieht sich auf zwei Urteile, das Urteil des Amtsgericht Bonn vom 28.7.2014 (Az. 116 C 148/13) und das Urteil des Amtsgericht Düsseldorf vom 21.1.2016 (Az. 27 C 3179/14), die seine Rechtsauffassung bestätigen.

Der Kläger beantragt:

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Behandlungskosten des Klägers gemäß Rechnung des Herrn Dr.... vom 5.10.2015 auch hinsichtlich der Kosten der adhäsive Befestigungen GOZ-Nr. 2197 zu zahlen. Hilfsweise beantragt er:

Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der adhäsive Befestigung gemäß der Behandlungsrechnung des Herrn Dr.... vom 5.10.2015 in H. von insgesamt EUR 33,64 nebst 5 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt Klagabweisung.

Der Feststellungsantrag sei schon unzulässig, da das Feststellungsinteresse fehle. Der streitige Betrag könne vorliegend beziffert werden, so dass die Leistungsklage vorrangig sei.

In der Sache trägt die Beklagte vor, dass die Position GOZ-Nr. 2080 auch die adhäsive Befestigung einer Füllung beinhalte. Die Position 2080 sei allumfassend und schließe vom Präparieren einer Kavität bis zur Befestigung der Füllung und dem Polieren den gesamten Vorgang einer Kunststofffüllung mit ein, so dass die Position 2197 nicht noch getrennt geltend gemacht werden könne. Die Nebeneinanderberechnung verstoße gegen § 4 Abs. 2 GOZ, wonach für eine Leistung, die Bestandteil einer anderen Leistung nach dem Gebührenverzeichnis ist, keine weitere Gebühr berechnet werden könne. Diese Ansicht teile auch die Bundeszahnärztekammer. Außerdem verweist die Beklagte insoweit auf ein Urteil des
Verwaltungsgerichts Stuttgart, welches diese Position teilt und hinsichtlich dessen der Verwaltungsgerichtshof die Revision nicht zugelassen hat (VG Stuttgart, 13 K 757/13, Urteil vom 18.11.2014, Anlage Bl, Bl. 23).
Wegen der Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung (Bl. 63ff) Bezug genommen. Das Gericht hat in dieser Sache am 28.6.2016 verhandelt. Im Termin hat der Sachverständige Zahnarzt, Herr Dr. … ein mündliches Gutachten erstattet.


Entscheidungsgründe

I.
Die Feststellungsklage ist mangels Feststellungsinteresse unzulässig. Der Kläger hat nicht vorgetragen, dass eine konkrete neue Behandlung unmittelbar bevorsteht, bei welcher ebenfalls die Positionen 2080 und 2197 abgerechnet werden und wegen derer sich die Beklagte schon geäußert hat, dass sie Rechnungsposten der Ziffer 2197 nicht begleichen werde.

Die allgemeine Möglichkeit, dass weitere Behandlungen erfolgen, bei denen es zum gleichen Streit kommen könnte wie im vorliegenden Fall, reicht nicht aus, um ein Feststellungsinteresse zu bejahen. Vorliegend kann der streitige Betrag genau beziffert werden. Damit ist der Kläger verpflichtet, eine Leistungsklage zu erheben. Da der Kläger hilfsweise den Leistungsantrag gestellt hat, ist die Klage im Hilfsantrag zulässig.

II.
Diesbezüglich ist die Klage aber nicht begründet.

Der Kläger hat gemäß § 192 WG einen Anspruch darauf, dass Aufwendungen für medizinisch notwendige Heilbehandlungen erstattet werden.

Mit der Abrechnung der Position 2197 neben der Position 2080 wird aber gegen § 4 Abs. 2 GOZ verstoßen, wonach für eine Leistung, die Bestandteil einer anderen Leistung nach dem Gebührenverzeichnis ist, eine weitere Gebühr nicht berechnet werden kann.

Die adhäsive Befestigung der Kunststofffüllung des Klägers ist bereits mit der Position 2080 abgerechnet. Durch die zusätzliche Berechnung der Position 2197 wurde die adhäsive Befestigung doppelt abgerechnet.

Bei der Entscheidung, ob die Position 2197 neben der Position 2080 geltend gemacht werden kann, bezieht sich das Gericht auf die überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Zahnarzts Dr. und schließt sich diesen an.

Der Sachverständige hat zur Überzeugung des Gerichts ausgeführt, dass die Position 2080 den gesamten Vorgang hinsichtlich einer Kunststofffüllung umfasst, vom Präparieren des Lochs bis zum abschließenden Polieren der Füllung. Er hat nachvollziehbar ausgeführt, dass es sich bei der Position 2080 immer um eine Kunststofffüllung handelt und dass eine Kunststofffüllung zwingend nur in Adhäsivtechnik anzubringen ist. Eine andere Befestigung einer Kunststofffüllung ist nicht möglich. Die Position 2080 bezieht sich auch explizit auf Kunststofffüllungen und nicht auf andere Füllungen. Das ist schon aus dem Wortlaut der Position 2080 zu erkennen und wurde durch die Ausführungen des Sachverständigen noch deutlicher erläutert. Wenn aber in der Position 2080 der gesamte Vorgang enthalten ist bis zum abschließenden Polieren der Füllung, so kann es nicht sein, dass ein vorhergehender Schritt, nämlich die adhäsive Befestigung der Füllung, aus dieser Position herausgenommen und getrennt berechnet wird. Die Auffassung der Klagepartei, dass der weitere Füllungsvorgang nach dem Konditionieren nicht mehr von der Position 2080 umfasst ist, überzeugt daher nicht. Es ist nicht erkennbar, warum die adhäsive Befestigung lediglich bist zum Konditionieren in der Position enthalten sein soll, der anschließende und abschließende Schritt einer Kunststofffüllung, nämlich das Polieren, aber wieder in dieser Position mit beinhaltet sein soll, insbesondere wenn eine andere Möglichkeit neben der adhäsive Befestigung bei einer Kunststofffüllung gar nicht existiert.

Dazu kommt, dass der Sachverständige überzeugend ausgeführt hat, dass der Begriff „adhäsive Befestigung" zum einen aus dem Konditionieren als erstem Schritt, zum anderen aus dem „Primen und Boden" (Kleben) als zweitem Schritt besteht. Wenn die Position 2197 nun zusätzlich neben der Position 2080 geltend gemacht werden könnte, würde das bedeuten, dass das Konditionieren doppelt berechnet würde, nämlich in der Position 2080 und in der Position 2197. Dies würde gegen den Grundsatz des § 4 Abs. 2 GOZ verstoßen und ist damit nicht zulässig.

Der Sachverständige hat nachvollziehbar ausgeführt, dass der Begriff „in Adhäsivtechnik" den Gesamtvorgang einschließlich der Einführung der Füllung beschreibt, die „adhäsive Befestigung" nicht nur das Kleben als solches, sondern auch die Konditionierung des Zahnes mit beinhaltet. Nach seinen überzeugenden Erklärungen folgt auf eine Konditionierung zwingend das „Primen und Bonden", ein Konditionieren ohne den nächsten Schritt gibt es nicht.

Die Bedeutung der Position 2197 neben der Position 2080 ergibt sich nach den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen für die Fälle, in denen die adhäsive Befestigung nicht bereits in einer anderen Abrechnungsnummer enthalten ist, wie z.B. bei einer Füllung mit Keramik. Dort gibt es für die Füllung die Abrechnungsposition „Einlagefüllung zweiflächig. Die adhäsive Befestigung der Keramikfüllung ist aber nicht in der Position „Einlagefüllung zweiflächig" beinhaltet. Hier macht es Sinn, dass die Position 2197 neben der Position „Einlagefüllung zweiflächig" abgerechnet wird. Auch bei anderen Techniken, die sowohl konventionell als auch adhäsiv durchgeführt werden können, macht es Sinn, dass die Position 2197 bei einer adhäsiven Befestigung abgerechnet wird.

Vorliegend ist dies bei der streitgegenständlichen Kunststofffüllung aber nicht der Fall. In der Position 2080 steht vor der Klammer „in Adhäsivtechnik", was den kompletten Vorgang, der unmittelbar mit der Füllungstätigkeit verbunden ist, umfasst. Der Klammerzusatz mit dem Begriff „Konditionieren" führt nicht dazu, dass die Berechnung einer Kunststofffüllung bei der Position 2080 nur bis zu diesem Schritt des Konditionierens erfolgt und alles, was darüber hinausgeht, nach einer anderen GOZ- Ziffer zu berechnen Ist. Dies widerspräche gerade dem Wortlaut der Position 2080, nachdem gerade auch der Schritt nach dem Konditionieren und Kleben, nämlich dem Polieren, ebenfalls in derselben Position enthalten ist.

Insoweit mag der Klammerzusatz „Konditionieren" bei der Position 2080 missverständlich sein. Schon aus dem übrigen Wortlaut der Position geht aber hervor, dass hier die adhäsive Befestigung als Ganzes umfasst sein muss. Auch die Auslegung der Abrechnungsposition nach Sinn und Zweck führt zu dem Ergebnis, dass die adhäsive Befestigung einer Kunststofffüllung in der Position 2080 abschließend behandelt und mit dieser abgerechnet wird.

Insoweit schließt sich das Gericht auch den Ausführungen des Verwaltungsgerichts Stuttgart (Urteil vom 18.11.2014, Az. 13 K 757/13, Bl. 23) an.

Die vom Kläger herangezogenen Ausführungen der Amtsgerichte Bonn und Düsseldorf, auf die sich der Kläger bezogen hat, überzeugen insoweit nicht. Entgegen deren Auffassung stellt die adhäsive Befestigung nach Position 2197 gerade keinen Mehraufwand dar, der nicht schon durch die Position 2080 abgedeckt ist, sondern ist in dem Begriff „in Adhäsivtechnik" enthalten.

III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

IV.
Das Gericht lässt die Berufung zu.

Es handelt sich nicht nur um einen Einzelfall, da der vorliegende Abrechnungsstreit bereits mehrfach vor verschiedenen Gerichten anhängig war.

Außerdem sind bereits mehrere unterschiedliche Entscheidungen ergangen, auch in der Literatur gibt es divergierende Meinungen zu diesem Abrechnungsstreit.


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