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Abgrenzung Zweigpraxis von den eigentlichen Praxisräumen

 | Gericht:  Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf  | Aktenzeichen: 2 U 9/98 | Entscheidung:  Urteil
Kategorie Sonstiges

Urteilstext

 

Tenor

1.

Die Berufung der Beklagten gegen das am 19. November 1997 verkündete Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird zurückgewiesen.

 

2.

Die Beklagten haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

 

3.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung von 100.000,00 DM abwenden, wenn nicht die Klägerin ihrerseits vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die Sicherheiten können jeweils durch die Bürgschaft einer in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Bank oder öffentlichen Sparkasse geleistet werden.

 

4.

Beschwer der Beklagten und Streitwert für das Berufungsverfahren: 100.000,00 DM.

 

Tatbestand

Die Klägerin, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, ist die berufliche Vertretung der Zahnärzte im Kammerbezirk N.

 

Die Beklagten üben gemeinsam in D die Zahnheilkunde als niedergelassene Zahnärzte aus. Sie haben ihre Praxisräume im Hause ...-Straße ... in D. Seit 1995 unterhalten sie im Hause Bl ... in D weitere Praxisräume, die sie z. B. in den von ihnen benutzten Formularen für Terminreservierungen als "Außenstelle" bezeichnen.

 

Nachdem die Klägerin ihnen mit Bescheid vom 21. Juni 1995 mitgeteilt hatte, die Räume im Hause Bl ... seien als eine Zweigpraxis anzusehen, für die sie – die Klägerin – ihre Zustimmung nicht erteilen könne, weil die in § 5 Abs. 3 der Berufsordnung für die Zahnärzte im Kammerbezirk N geregelten Voraussetzungen einer solchen Zustimmung nicht vorlägen, haben die Beklagten nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Klage gegen die Klägerin vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf mit dem Antrag erhoben, festzustellen, daß die Erweiterung ihrer bestehenden Praxisräumlichkeiten auf das Haus Bl ... der Zustimmung der Klägerin nicht bedürfe, hilfsweise: Die Klägerin zu verpflichten, der Erweiterung zuzustimmen. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat die Klage mit Urteil vom 23. Juli 1996 in vollem Umfang abgewiesen; die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten ist durch Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 2. Dezember 1998 zurückgewiesen worden.

 

Die Klägerin hat im vorliegenden Rechtsstreit geltend gemacht: Die Beklagten betrieben im Hause Bl ... in Dü eine zahnärztliche Zweigpraxis, ohne daß dafür ihre – der Klägerin – Zustimmung vorliege; diese Zustimmung könne auch nicht erteilt werden, weil die Bevölkerung im Raum Dü-Stadtmitte auch ohne die Zweigpraxis der Beklagten ausreichend zahnärztlich versorgt sei. Die Beklagten verstießen daher mit dem Betrieb ihrer Zweigpraxis nicht nur gegen § 5 der für sie maßgebenden Berufsordnung, sondern auch gegen die guten Sitten im Wettbewerb.

 

Die Klägerin hat beantragt,

 

die Beklagten unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen,

in den Räumen des Hauses Bl ... in D eine zahnärztliche Zweigpraxis zu betreiben,

hilfsweise, 

im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken durch Verlautbarungen wie insbesondere Briefbögen, Visitenkarten, Praxisstempel, Praxisschilder und Terminreservierungsbelege darauf hinzuweisen, daß sie auch in der Bl ... in D über zahnärztliche Praxisräume verfügten.

 

Die Beklagten haben um Klageabweisung gebeten und eingewendet: Sie hätten die Räume in der Bl nur angemietet, weil eine Anmietung der von ihnen benötigten weiteren Räume im Hause G-A-S ... nicht möglich gewesen sei. Das Haus Bl ... liege ebenso wie das Haus G-A ... im Zulassungsbezirk D-Stadtmitte, für den die Kassenzahnärztliche Vereinigung N sie – die Beklagten – als Vertragszahnärzte zugelassen habe; da sie also die Grenzen ihres Niederlassungsortes (Dü-Stadtmitte) nicht überschritten hätten, könne eine Zweigpraxis von vornherein nicht vorliegen. Im übrigen verfügten die Behandlungsräume in der Bl ... weder über eine eigene Verwaltung noch über eine Anmeldung und seien auch telefonisch nicht unmittelbar zu erreichen, sondern nur über den Telefonanschluß in den Praxisräumen im Hause G-A-S .... Es fehle schließlich auch an einem besonderen Praxisschild, vorhanden sei lediglich ein etwa 20 x 10 cm großes Adressenschild zur Orientierung der zu den Räumen Bl ... verwiesenen Patienten. Irgendwelche Wettbewerbsvorteile für sie – die Beklagten – ergäben sich aus der Verlagerung eines Teiles ihrer Tätigkeit in die Außenstelle nicht.

 

Das Landgericht hat die Beklagten entsprechend dem Hauptantrag der Klage verurteilt. Auf das Urteil vom 19. November 1997 wird Bezug genommen.

 

Die Beklagten haben Berufung eingelegt, mit der sie ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgen, während die Klägerin um Zurückweisung des Rechtsmittels bittet. Die Parteien wiederholen und ergänzen ihr bisheriges Vorbringen, wobei die Beklagten geltend machen, sie hätten das Adressenschild im Hause Bl ... inzwischen entfernt. 

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist nicht begründet.

 

Die Klägerin, die die beruflichen Interessen der in ihr zusammengeschlossenen nordrheinischen Zahnärzte zu vertreten hat und daher als rechtsfähiger Verband zur Förderung gewerblicher Interessen im Sinne des § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG klagebefugt ist (vgl. dazu Köhler-Piper, UWG, § 13 Rdnr. 16; Melullis, Handbuch des Wettbewerbsprozesses, 2. Aufl., Rdnrn. 16, 407 m. w. N.), kann von den Beklagten verlangen, daß diese den Betrieb ihrer zahnärztlichen Zweigpraxis im Hause Bl in D unterlassen, weil sie damit nicht nur gegen § 5 der für sie maßgebenden Berufsordnung, sondern zugleich, weil die Berufsordnung dem Schutz der Volksgesundheit dient und damit sittlich-rechtlich fundiert ist, gegen die guten Sitten im Wettbewerb (§ 1 UWG) verstoßen. 

 

Die Ausübung der zahnärztlichen Tätigkeit der Beklagten ist gemäß § 29 Abs. 3 des Heilberufsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen an die Niederlassung in eigener Praxis gebunden, wobei die näheren Einzelheiten in der von der Klägerin gemäß § 32 Nr. 2 Heilberufsgesetz aufgestellten Berufsordnung geregelt sind. 

 

Dabei sind unter "Praxis" die von dem jeweiligen Zahnarzt eingerichteten Praxisräume zu verstehen, die durch ein Praxisschild kenntlich zu machen sind (§ 5 Abs. 1 der Berufsordnung), woraus sich ergibt, daß als "Praxis" nur solche Räume angesehen werden können, die nach dem insoweit maßgeblichen Verständnis des Verkehrs durch ein Praxisschild gekennzeichnet werden können, also einen engen räumlichen Zusammenhang aufweisen. Das ist der Fall, wenn die Praxisräume in einem einzigen Gebäude liegen; es mag auch noch anzunehmen sein, wenn sich die Räume über mehrere, aber unmittelbar nebeneinanderliegende Gebäude verteilen, so daß sie noch als Teil einer einzigen Praxis angesehen werden können, die der Zahnarzt mit einer zur Ausübung seiner zahnärztlichen Tätigkeit geeigneten Einrichtung versehen hat. Liegen dagegen einzelne Räumlichkeiten, in denen ebenfalls zahnärztliche Behandlungen stattfinden, so weit von den übrigen Praxisräumen entfernt, daß von einem unmittelbaren Zusammenhang mit diesen Räumen keine Rede mehr sein kann, so sind diese Räume kein Teil der "Praxis" in dem soeben dargestellten Sinne mehr, sondern bilden eine Zweigpraxis, deren Unterhaltung, wie sich aus § 5 Abs. 3 der Berufsordnung ergibt, nur ausnahmsweise zulässig ist, nämlich dann, wenn anderenfalls eine ausreichende zahnärztliche Versorgung der Bevölkerung nicht sichergestellt wäre.

 

Die Praxisräume der Beklagten im Hause Bl ... liegen so weit von den Praxisräumen im Hause G-A-S ... entfernt – man benötigt zu Fuß für den Weg von den einen Räumen zu den anderen mindestens etwa 15 Minuten –, daß sie nicht mehr als Teil der eigentlichen Praxis der Beklagten angesehen werden können, sondern rechtlich als Zweigpraxis zu bewerten sind. Da es insoweit, wie ausgeführt, nur darauf ankommt, ob zwischen der "eigentlichen" Praxis und den weiteren Räumen noch ein unmittelbarer Zusammenhang besteht, an dem es vorliegend fehlt, ist es unerheblich, ob sich in den Räumen in der Bl eine eigene Verwaltung oder ein eigener Empfang befinden und ob man diese Räume unmittelbar telefonisch erreichen kann. Unerheblich ist es auch, ob die Beklagten das früher vorhandene, auf die Zweigpraxis hinweisende Schild am Hause Bl ... entfernt haben, zumal sie ein solches Schild jederzeit wieder anbringen könnten.

 

Daß sowohl das Haus Bl ... als auch das Gebäude G-A ... in kassenzahnärztlichen Zulassungsbezirk D-Stadtmitte liegen, steht der rechtlichen Einordnung der "Außenstelle" in der Bl als Zweigpraxis der Beklagten nicht entgegen, und zwar schon deshalb nicht, weil die Zuweisung zu einem bestimmten Zulassungsbezirk durch die kassenzahnärztliche Vereinigung nur die Tätigkeit als Vertragszahnarzt zur Behandlung von Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung betrifft, eine Kassenzulassung aber nicht unabdingbare Voraussetzung für die Tätigkeit als Zahnarzt ist und die Bestimmungen des Heilberufsgesetzes und der Berufsordnung über die Berufsausübung in eigener Praxis für alle Zahnärzte gleich angewendet werden müssen, unabhängig davon, ob sie auch als Vertragsarzt für die Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassen sind oder nicht.

 

Die Beklagten dürften ihre Zweigpraxis im Hause Bl ... nur errichten (§ 5 Abs. 3 der Berufsordnung), wenn die Klägerin dem zugestimmt hätte, was aber nicht der Fall ist. Die Beklagten machen auch selbst nicht geltend, die in § 5 Abs. 3 der Berufsordnung geregelten Voraussetzungen für eine Zustimmung der Klägerin lägen vor. Sie verstoßen daher mit dem angegriffenen Verhalten, mit dem sie sich auch Wettbewerbsvorteile gegenüber gesetzestreuen Kollegen verschaffen, weil sie anders als diese an zwei verhältnismäßig weit auseinanderliegenden Stellen für Patienten erreichbar sind, gegen die guten Sitten im Wettbewerb, so daß sie antragsgemäß zur Unterlassung zu verurteilen waren. Angesichts der Wettbewerbsvorteile, die sich für die Beklagten aus dem Betrieb ihrer Zweigpraxis ergeben, ist das von der Klägerin angegriffene Verhalten auch geeignet, den Wettbewerb auf dem Markt für Zahnärzte in D wesentlich zu beeinträchtigen, vor allem dann, wenn andere Zahnärzte ebenfalls Zweigpraxen betreiben sollten (§ 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG).

 

Angesichts der gegen sie ergangenen Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster können sie auch nicht geltend machen, die für die Frage der Zustimmungserforderlichkeit und einer etwa bestehenden Verpflichtung der Klägerin zur Erteilung der Zustimmung vorrangig berufenen Verwaltungsgerichte hätten bindend festgestellt, daß die Ausübung zahnärztlicher Tätigkeit durch die Beklagten in der "Außenstelle" Bl ... rechtmäßig sei.

 

Lediglich der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, daß das im vorliegenden Verfahren ergangene Verbot gegen die Beklagten dann gegenstandslos würde, wenn sie in dem genannten Verwaltungsrechtsstreit eine ihnen günstige rechtskräftige Entscheidung erwirken sollten.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 108 ZPO. 


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