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Wettbewerbsverstoß: Angebot von Siegeln als Qualitätsurteil für ärztliche Leistungen

 | Gericht:  Landgericht (LG) München  | Aktenzeichen: 4 HK O 14545/21 | Entscheidung:  Urteil
Kategorie Berufliche Kommunikation

Urteilstext

Tenor

I. 
Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu € 250.000,-- - ersatzweise Ordnungshaft - oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollstrecken an ihrem Geschäftsführer, zu unterlassen, geschäftlich handelnd Ärztinnen/Ärzten

1.
die nachfolgend abgebildeten Siegel

a)     und/oder b)    
        

zu Werbezwecken anzubieten und/oder zur Verfügung zu stellen, wenn dies geschieht wie in der Anlage K 1 (Siegel a)) oder in der Anlage K 2 (Siegel b)); und/oder

2.
die nachfolgend abgebildeten Siegel
a)     und/oder b)    
        
zu Werbezwecken anzubieten und/oder zur Verfügung zu stellen, wenn dies geschieht wie in der Anlage K 5;

II. 
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. 
Das Urteil ist hinsichtlich Ziffer I. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von € 100.000,--, im Übrigen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger, die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e. V. wendet sich dagegen, dass die Beklagte an Ärztinnen und Ärzte Siegel verleiht, die sie als sogenannte „Top Mediziner“ bzw. ... Empfehlung“ auszeichnen.

Die Beklagte verlegt u. a. die mehrfach im Jahr erscheinende Publikation ... Gesundheit“, die sowohl als Heft als auch digital als PDF-Dokument vertrieben wird. Einmal im Jahr erscheint ... Gesundheit“ unter dem Titel „Ärzteliste“.

Gegen eine zu bezahlende Lizenz erhalten Ärzte die im Tenor (verallgemeinernd, ohne Angabe der Indikation/Fachrichtung und bei dem Siegel ... EMPFEHLUNG“ ohne Angabe des Landkreises) wiedergegebenen Siegel, die sie sodann werbend benutzen können und dies auch (unter Angabe der Fachrichtung bzw. des Landkreises) tun, wie sich aus den als Anlagen K 1, K 2 und K 5 vorgelegten Ausgaben der Publikationen „...“, „...“ und dem als Anlage K 5 vorgelegten Internetausdruck ergibt.

Ausweislich des als Anlage K 4 vorgelegten Angebotsschreiben der Beklagten an einen Arzt nebst Empfehlungsurkunde und weiteren Unterlagen muss ein Arzt, der das in Klageantrag I. 2. wiedergegebene Siegel verwenden will, hierfür eine jährliche Lizenz in Höhe von € 1.900,-- netto an die Beklagte entrichten.

Der Kläger sieht hierin einen Verstoß gegen § 5 Abs. 1, § 5 a und 6 Abs. 2 Nr. 2 UWG.

Durch die werblich verwendeten Siegel würden die angesprochenen Verkehrskreise irregeführt, weil Spitzenstellungsbehauptungen aufgestellt würden, ohne dass ein dauerhafter Vorsprung aufgrund von objektiven und nachprüfbaren Kriterien vorliege. Maßgeblich seien vielmehr subjektive Kriterien wie die Bewertung durch Patienten, die Kollegenbewertung und die eigene Bewertung.

Aus dem eigenen Vortrag in der Klageerwiderung zeige sich, dass das Bewertungssystem der Beklagten nicht geeignet sei, einen dauerhaften und erheblichen qualitativen Vorsprung der ausgewählten Ärzte vor anderen Ärzten ermitteln zu können. So könne z.B. kein „Topmediziner“ sein, der keine Weiterbildungsbefugnis, keine Habilatation, keine leitende Funktion in einem Krankenhaus oder keine führende Rolle oder Referententätigkeit bei einer einschlägigen medizinischen Fachgesellschaft besitze bzw. wer nicht zuvor bereits einmal in die Liste der Beklagten aufgenommen worden sei. Aus der Sicht des Klägers liege es auf der Hand, dass etwa eine Weiterbildungsbefugnis oder aber eine leitende Stellung in einer Klinik keine durch objektive Notwendigkeiten zu begründende Voraussetzung dafür sei, eine qualitativ bestmögliche Behandlung seiner Patienten zu gewährleisten und sich zur Spitze der Ärzteschaft zählen zu können. Im Gegenteil liege es näher, dass gerade solche Praktiker, die sich auf die Medizin konzentrieren könnten und nicht mit Leitungstätigkeiten in einem Krankenhaus befasst sein, medizinisch qualitativ hochwertige Arbeit leisten könnten.

Im übrigen müsse nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Verbraucher eine testbezogene Wertung überprüfen und in den Gesamtzusammenhang des Tests einordnen können. Auch dies sei bei den Prüfsiegeln der Beklagten nicht der Fall. Sie enthielten darüber hinaus eine vergleichende Werbung, die nicht nachprüfbar sei.

Der Kläger stellt folgende Anträge:

Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu € 250.000,-- - ersatzweise Ordnungshaft -- oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollstrecken an ihrem Geschäftsführer, zu unterlassen, geschäftlich handelnd

Ärztinnen/Ärzten

1,

die nachfolgend abgebildeten Siegel

a)     und/oder b)    
        
zu Werbezwecken anzubieten und/oder zur Verfügung zu stellen, wenn dies geschieht wie in der Anlage K 1 (Siegel a)) oder in der Anlage K 2 (Siegel b));

und/oder

2.
die nachfolgend abgebildeten Siegel

a)     und/oder b)    
        
zu Werbezwecken anzubieten und/oder zur Verfügung zu stellen, wenn dies geschieht wie in der Anlage K 5;

Die Beklagte beantragt:

Klageabweisung.

Darüber hinaus beantragt sie,

die Höhe einer etwaigen Sicherheit gemäß § 709 Satz 1 ZPO auf nicht unter € 1.000.000,-- festzusetzen und der Beklagten nachzulassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung ohne Rücksicht auf eine Sicherheitsleistung des Gläubigers gemäß § 712 Abs. 1 Satz 1 ZPO abzuwenden.

Sie trägt vor, die Lizenzierung mit den streitgegenständlichen Siegeln sei gegenüber den seit vielen Jahren bestehenden und der Pressefreiheit unterliegenden ... Ärztelisten ein unselbständiger, nachgelagerter Akt mit dem Inhalt, der bereits aufgrund unabhängiger redaktioneller Recherche und Entscheidung ausgesprochenen Empfehlungen die werbliche Nutzung markenrechtlich geschützter Logos zu gestatten. Die Siegellizensierung sei vor dem Hintergrund erfolgt, dass sich vor etwa zehn Jahren zunehmend herausgestellt habe, dass es auch ein Bedürfnis der auf den Listen verzeichneten Ärztinnen und Ärzte

gab, die Empfehlung gegenüber (potenziellen) Patientinnen und Patienten zu kommunizieren. Es habe ein gewisser „Wildfuchs“ eingesetzt. Das markenrechtlich umfangreich geschützte ... Logo sei teilweise in „selbst gebastelter“, grafisch mangelhafter Form verwendet worden, um auf die ... Ärztelisten hinzuweisen. Aus diesem praktischen Bedürfnis sei das sogenannte Siegel entwickelt worden. Es sei absolut branchenüblich und schon aus rechtlichen Gründen sinnvoll, die Werbung redaktionell empfohlener Leistungserbringer vertrags- und markenrechtlich zu kanalisieren. So habe etwa auch die Stiftung Warentest im Jahr 2013 ihre Praxis bezüglich der Werbung mit ihren Testergebnissen grundlegend umgestellt, wie sich aus der als Anlage B 9 vorgelegten Pressemitteilung ergebe.

Was die Ärztelisten als solche angehe, so seien diese von der Meinungs- und Pressefreiheit gedeckt. Diese erstrecke sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch auf die Refinanzierung der Ärztelisten.

Zwar lasse sich die Qualität ärztliche Dienstleistungen nicht mit Messgeräten im Testlabor ermitteln und vergleichen. Die für die Erstellung der ...Listen herangezogenen Kriterien seien jedoch im Vergleich mit allen anderen verfügbaren Quellen die mit Abstand beste Grundlage für eine redaktionelle Empfehlung.

Für die ... Empfehlung niedergelassener Ärzte habe die Beklagte in enger Zusammenarbeit mit der Stiftung Gesundheit eine Reihe von Bewertungskriterien entwickelt, denen die Daten der Stiftung Gesundheit und der durch sie durchgeführten Primärdatenerhebung zugrunde lägen. Die Kriterien seien in absteigender Reihenfolge der Bedeutung:

• Kollegenempfehlung (Medizinische Reputation)

• Facharzt- und Zusatzbezeichnungen entsprechend der Weiterbildungsordnung

• Mitglied bzw. Funktionsträger in Fachgesellschaft

• Niederlassungsjahr

• allgemeine bzw. koordinierende Teilnahme an Disease-Management-Programm (DMP)

• Gutachtertätigkeit

• Wissenschaftliche Vortragstätigkeit

• Zertifiziertes Qualitätsmanagement

• Patientenzufriedenheit

• Patientenservice

• Barrierefreiheit

• Publikationen

Für jedes Kriterium, das erfüllt oder teilweise erfüllt sei, erhalte der Arzt Punkte. Diese Punkte würden zu einem Gesamtscore addiert.

Die für 2021 aktuelle Erhebungsmethode der TOP-Mediziner-Listen ergebe sich aus der Anlage B 2 und B 3.

Hinsichtlich der Anträge 1 a. und 2 a. werde die Einrede der Verjährung erhoben. Der Kläger habe spätestens ab 06.01.2021 Kenntnis von der Verwendung der dort abgebildeten Siegel gehabt. Inzwischen lägen die neuen Ärztelisten für 2021 vor. Weshalb zum jetzigen Zeitpunkt noch die veralteten Listen/Siegel aus dem Jahr 2020 behandelt werden sollten, sei nicht nachvollziehbar.

Darüber hinaus müsse die Beklagte einen Vollstreckungsschutzantrag nach § 712 Abs. 1 Satz 1 ZPO stellen. Selbst bei verhältnismäßig hoher Sicherheitsleistung gemäß § 709 Satz 1 ZPO wäre im „worst case“ die Refinanzierung der seit über 25 Jahren publizierten
Ärztelisten dauerhaft unmöglich, was dann nicht anhand gradueller Umsatzeinbußen zu bewerten wäre, sondern anhand des zerstörten Geschäftswerts.

Wie sich aus der als Anlage B 15 vorgelegten eidesstattlichen Versicherung ergebe, erfolgte die Refinanzierung im Fall der Listen ... Topmediziner“ teilweise durch Erlöse mit Publikationen, die die Listen enthalten (Werbe- und Vertriebserlöse) und teilweise durch Erlöse aus der Lizenzierung sogenannter Siegel. Im Falle der Liste ... Empfehlung“ erfolge die Publikation nur digital und es entstünden keine Vertriebserlöse und nur geringe
Werbeerlöse. Auch hier entstünden Lizenznamen durch sogenannte Siegel. Bei beiden Listen liege der Erlösanteil, der auf die Siegel-Lizenzierung entfalle, so hoch, dass ohne diese Erlöse die Kosten nicht mehr gedeckt werden könnten. Es würde eine Unterdeckung von über 75 % sowohl bei den TOP-Listen als auch bei den Regiolisten eintreten, d. h. nicht einmal 25 % der Kosten wären anderweitig gedeckt. Der ... der über Jahrzehnte im Markt etablierten ... Listen würden unmittelbar beeinträchtigt und voraussichtlich innerhalb kurzer Zeit als Wert weitestgehend vernichtet.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätzen nebst Anlagen und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 26.09.2022 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der zulässigen Klage war in vollem Umfang stattzugeben, da dem Kläger der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus §§ 8 Abs. 1, 3 Nr. 2 i. V. m. 5 Abs. 1 Satz 1 UWG zusteht.

Im Einzelnen gilt Folgendes:

1. 
Die Beklagte verstößt durch die Vergabe der Siegel, die nach ihrem eigenen Vortrag von den Ärzten werblich genutzt werden sollen, gegen das lauterkeitsrechtliche Irreführungsgebot des § 5 Abs. 1 Nr. 1 UWG.

Mit den Siegeln wird bei deren angesprochenen Verkehrskreisen der Eindruck erweckt, dass die betreffenden Ärzte, die als „TOP-Mediziner“ bezeichnet bzw. als ... Empfehlung“ angepriesen werden, aufgrund einer neutralen und sachgerechten Prüfung ausgezeichnet wurden und dadurch eine Spitzenstellung unter den Ärzten gleicher Fachdisziplin einnehmen.

Die von der Beklagten gegen Bezahlung einer nicht unerheblichen sog. Lizenzgebühr vergebenen Siegel haben die Aufmachung eines Prüfzeichens und werden in den vorgelegten Medien auch als solche werbend verwendet (vgl. etwa die Werbung gemäß Anlage K 9, Seite 1 der Anlage K 1 und die Rückseiten der Anlagen K 1 und K 2). Dies wird letztendlich auch von der Beklagten so gesehen, die auf die als Anlage B 9 vorgelegte Pressemitteilung der Stiftung Warentest verweist. Die angesprochenen Verkehrskreise werden die Siegel, die von der Beklagten lizenziert werden, ähnlich wie Prüfsiegel der Stiftung Warentest auffassen und davon ausgehen, die betreffenden Ärzte seien aufgrund einer neutralen und sachgerechten Prüfung ausgezeichnet worden.

Nach der Lebenserfahrung hat der Hinweis auf ein Prüfzeichen für die geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers eine erhebliche Bedeutung. Der Verbraucher erwartet, dass ein mit einem Prüfzeichen versehenes Produkt oder eine Dienstleistung von einer neutralen und fachkundigen Stelle auf die Erfüllung von Mindestanforderungen anhand objektiver Kriterien geprüft wurde und bestimmte, von ihm für die Güte und Brauchbarkeit der Ware als wesentlich angesehener Eigenschaften aufweisen (vgl. GRUR 2016, 1398 bis 1400 - LGA tested).

Tatsächlich ist es aber selbst nach dem Vortrag der Beklagten so, dass sich die Qualität ärztlicher Dienstleistungen nicht mit Messgeräten im Testlabor ermitteln und vergleichen lässt.

Vielmehr sind von den Kriterien, die nach dem Vortrag der Beklagten bei ihren Empfehlungslisten berücksichtigt werden, Kriterien dabei, die auf ausschließlich subjektiven Elementen beruhen, wie z. B. die Kollegenempfehlung oder die Patientenzufriedenheit.

Dass Anwaltsranglisten (und gleiches muss für Ärztelisten geltend) schwerpunktmäßig Werturteile und gerade keine Tatsachenbehauptungen enthalten, war sogar der maßgebliche Grund dafür, dass das Bundesverfassungsgericht in der Juve Handbuch-Entscheidung das Urteil des Bundesgerichtshofs, dass die entsprechenden Anwaltslisten als wettbewerbswidrig eingestuft hatte, aufgehoben hat (vgl. den ersten Leitsatz der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts GRUR 2006,1319)

Durch die gegen ein nicht unerhebliches Entgelt gewährte Lizenzierung von Gütesiegeln, die den Anschein eines objektiven Prüfzeichens erwecken, wird jedoch gerade der Bereich der von der Meinungsfreiheit und Pressefreiheit gedeckten redaktionellen, bewertenden Beurteilung verlassen und der irreführende Eindruck erweckt, es gebe tatsächliche, objektiv nachprüfbare Kriterien, die zur Verleihung des Gütesiegels geführt haben.

Die von der Beklagten vergebenen Siegel erwecken gerade nicht den Eindruck, dass diesem eine mathematisch nicht nachvollziehbare Wertungsentscheidung zugrunde liegt. Das vermeintlich durch das Siegel objektivierte Qualitätsurteil ist in Wahrheit ein rein subjektives, das von vielen durch Ärzte und ihre Leistungen nicht beeinflussbare Faktoren abhängt. Dies gilt sowohl für das Siegel mit der Bezeichnung „TOP-Mediziner“ als auch für das regionale Siegel, das mit ... Empfehlung“ gelabelt ist. Auch dieses etwas weicher formulierte Siegel hat die optische Aufmachung eines Prüfzeichens und wird daher jedenfalls bei nicht unerheblichen Teilen der angesprochenen Verkehrskreise die Erwartung wecken, die Prüfung sei anhand objektiv nachvollziehbarer Kriterien durchgeführt worden.

2. 
Die Beklagte kann auch nicht damit gehört werden, die Lizenzierung sogenannter Siegel sei ein unselbständiger, nachgelagerter Akt der Ärztelisten, der ebenfalls von der Pressefreiheit umfasst sei. Zwar erstreckte sich die Pressefreiheit in dem Sachverhalt, der der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts NJW 2003, 277, Juve-Handbuch zu Grunde lag, auch auf die Refinanzierung der redaktionellen Inhalte. Diese Aussage des Bundesverfassungsgerichts bezog sich jedoch allein darauf, dass in dem dort zu entscheidenden Fall nicht festgestellt werden konnte, dass durch die Veröffentlichung von Ranglisten in sittenwidriger Weise auf die Aufgabe von Inseraten hingewirkt wurde und
dass anzeigenfinanzierte Medien regelmäßig darauf angewiesen sind, zur Schaltung von Anzeigen zu motivieren.

Hiervon unterscheidet sich der vorliegende Fall jedoch grundlegend. Die Wettbewerbswidrigkeit der Prüfsiegel ergibt sich im vorliegenden Fall nicht daraus, dass irgendjemand in sittenwidriger Weise zum Erwerb dieses Prüfsiegels verleitet wurde, sondern daraus, dass in irreführender Weise der Bereich des redaktionellen, wertenden Beitrags verlassen und der Eindruck erweckt wird, es finde eine Bewertung nach objektiven Kriterien statt.

Hinzu kommt, dass Medien zwar regelmäßig darauf angewiesen sind, sich durch Anzeigen finanzieren, nicht jedoch durch die Vergabe von Prüfsiegeln gegen ein nicht unerhebliches Entgelt. Dass dies eine unübliche, nicht zwingend erforderliche Art der Finanzierung redaktioneller Beiträge ist, zeigt von der eigene Vortrag der Beklagten, wonach die Verteilung der Siegel erst eine Reaktion auf den vor etwa zehn Jahren eingetretenen sogenannten „Wildwuchs“ gewesen sei. Davor wurden die Magazine mit den Ärztelisten ganz offensichtlich anders finanziert.

3. 
Auch die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung greift nicht durch. Nach unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Klägerin enthält die Anlage K 10,nämlich die
„Ärzteliste 2021“ weiterhin Werbeanzeigen von vermeintlichen „TOP-Medizinern“, die sowohl mit Siegeln betreffend das Jahr 2021 als auch das Jahr 2020 werben. Die von der
Beklagten unter Wiedergabe des Siegels aus 2020 abgedruckten Anzeigen befinden sich auf Seiten 181, 218 und 219 des Hefts. Es liegt daher eine nicht abgeschlossene Dauerhandlung vor, bei der ein die Verjährung noch nicht begonnen hat.

4. 
Dass die im Klageantrag und Tenor abgebildeten Siegeln von der Beklagten jeweils mit dem entsprechenden Fachgebiet bzw. dem Landkreis zur Verfügung gestellt wurden und nicht in der verallgemeinernden Form des Klageantrags, ändert nichts an der hinreichenden Bestimmtheit und Begründetheit des Unterlassungsantrags. Die Verallgemeinerung umfasst sämtliche Fachrichtungen und sämtliche Landkreise. Die Hinzufügung dieser Kriterien in den Siegeln, die die Beklagte den Ärzten zur Verfügung stellt, ändert nichts an ihrem irreführenden Charakter.

5. 
Dem Vollstreckungsschutzantrag nach § 712 Abs. 1 ZPO konnte nicht stattgegeben werden, da nicht hinreichend nachgewiesen wurde, dass der Beklagten durch die Vollstreckung des Urteils ein unersetzbarer Nachteil entstehen würde. Die Beklagte hat keinerlei konkrete Zahlen vorgelegt, aus denen die Kammer schließen könnte, dass es ihr als Verlag ohne die Lizenzeinnahmen aus den irreführenden Siegeln nicht möglich wäre, die Ärztelisten weiter herauszugeben. Dies erscheint schon deshalb nicht wahrscheinlich, weil die Beklagte bis vor zehn Jahren genau dies getan hat, nämlich ihre Ärztelisten ohne die Einnahmen aus den Siegeln zu finanzieren. Im Übrigen überwiegen die Interessen der Gläubigerin vor Irreführung der Allgemeinheit (vgl. BGH WM 18, 2048). Eine Existenzgefährdung der gewerblichen Tätigkeit der Beklagten als Verlag ist weder ersichtlich noch wurde sie vorgetragen.

Die Fälle, in denen Feststellungen nach § 712 Abs. 1 ZPO zu einem für den Schuldner unersetzlichen Nachteil getroffen werden können, sind selten. Es genügt nicht die bloße Wahrscheinlichkeit eines Nachteils; vielmehr muss das Gericht von dessen Eintritt überzeugt sein (vgl. Herget in Zöller, Kommentar zur ZPO, 30. Aufl., Rdn. 1 zu § 712 ZPO m.w.N.)

Der Klage war daher in vollem Umfang mit der Kostenfolge des § 91 Abs. 1 ZPO stattzugeben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 709 Satz 1 ZPO. Dabei wurde die Sicherheitsleistung mit dem Doppelten des von der Klägerin angegebenen und von der Beklagten auch nicht in Frage gestellten Streitwerts, der ebenfalls entsprechend erhöht wurde, angegeben. Da die Beklagte auch keine konkreten Zahlen angegeben hat, aus denen sich schließen lassen könnte, welche Einnahmen ihr in Zukunft durch die Vergabe der Siegel entgehen, konnte die Sicherheitsleistung auch nicht höher angesetzt werden.


Ausdruck Urteil - PDF