Urteilstext
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Nürnberg 3. Zivilsenat - vom 28. Mai 2010 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin ist eine Rechtsanwaltskammer. Sie nimmt den Beklagten, der als Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Steuerrecht Mitglied der Klägerin ist, auf Unterlassung des Gebrauchs der Bezeichnung „Zertifizierter Testamentsvollstrecker (AGT)“ in Anspruch.
Der Beklagte betreibt gemeinsam mit drei anderen Rechtsanwälten eine Rechtsanwaltskanzlei. Im Briefkopf der Anwaltskanzlei bezeichnet er sich als „Zertifizierter Testamentsvollstrecker (AGT)“. Die Abkürzung „AGT“ steht für die Arbeitsgemeinschaft Testamentsvollstreckung und Vermögenssorge, die auf Antrag eine Bescheinigung als „Zertifizierter Testamentsvollstrecker“ ausstellt, wenn der Antragsteller an verschiedenen Unterrichtseinheiten mit Leistungskontrollen teilgenommen hat. Bei einem Rechtsanwalt genügt es als Nachweis der praktischen Fertigkeiten als Testamentsvollstrecker, dass er vor der Stellung eines Antrags auf Erteilung des Zertifikats durchgängig mindestens zwei Jahre lang eine Tätigkeit als Rechtsanwalt ausgeübt hat. Der Beklagte ist Inhaber eines von der AGT ausgestellten Zertifikats.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, der Beklagte verstoße mit seiner Bezeichnung als „Zertifizierter Testamentsvollstrecker (AGT)“ gegen § 43b BRAO und § 6 Abs. 1 BORA. Die Werbung mit der beanstandeten Bezeichnung sei unsachlich, da der Beklagte keinerlei praktische Fähigkeiten auf dem Gebiet der Testamentsvollstreckung habe. Durch den Gebrauch der Bezeichnung „Zertifizierter Testamentsvollstrecker (AGT)“ würden die angesprochenen Verkehrskreise zudem irregeführt, weil damit der Eindruck erweckt werde, es gebe den Beruf eines Testamentsvollstreckers.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen, es zu unterlassen, sich in Briefköpfen und Schreiben als „Zertifizierter Testamentsvollstrecker (AGT)“ zu bezeichnen und Schreiben mit Verwendung der Bezeichnung „Zertifizierter Testamentsvollstrecker (AGT)“ zu unterzeichnen.
Der Beklagte hat demgegenüber die Auffassung vertreten, eine Irreführung der Verbraucher, auf deren Verständnis von der beanstandeten Bezeichnung es allein ankomme, scheide aus, weil er tatsächlich einen Zertifizierungslehrgang mit Erfolg besucht habe. Es genüge ähnlich wie beim Verständnis des Begriffs „Insolvenzverwalter“ , dass er nur gelegentlich eine Tätigkeit als Testamentsvollstrecker ausübe.
Das Berufungsgericht hat der in erster Instanz erfolglosen Klage stattgegeben (OLG Nürnberg, GRUR-RR 2011, 12). Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hat den geltend gemachten Unterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2, §§ 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 43b BRAO, § 6 BORA für begründet erachtet. Dazu hat es ausgeführt:
Die Klägerin sei gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG zur Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs befugt. Der Beklagte verstoße mit dem Gebrauch der Bezeichnung „Zertifizierter Testamentsvollstrecker (AGT)“ gegen die die anwaltliche Werbung regelnden Vorschriften der § 43b BRAO, § 6 Abs. 1 BORA, bei denen es sich um Marktverhaltensregelungen im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG handele. Eine Beschränkung der grundsätzlich garantierten Werbefreiheit sei allerdings nur dann mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, wenn sie im Einzelfall durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sei und im Übrigen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspreche. Danach könne insbesondere eine in Form und Inhalt unsachliche Werbung verboten werden.
Die Werbung des Beklagten mit der Bezeichnung „Zertifizierter Testamentsvollstrecker (AGT)“ sei unsachlich, da sie beim Durchschnittsverbraucher Vorstellungen über eine Qualifizierung wecke, die der Beklagte nicht erfülle. Der mit der beanstandeten Bezeichnung angesprochene Verkehr nehme - ähnlich wie bei einem Insolvenzverwalter - an, dass derjenige, der sich als „Testamentsvollstrecker“ präsentiere, regelmäßig auch als solcher tätig werde. Davon könne in Bezug auf den Beklagten keine Rede sein, da er nach seinen eigenen Angaben bisher nur zweimal eine Tätigkeit als Testamentsvollstrecker ausgeübt habe. Die Werbung des Beklagten sei daher irreführend und damit auch unter Berücksichtigung des Art. 12 Abs. 1 GG als unsachlich zu qualifizieren.
Der beim Verbraucher hervorgerufene Irrtum über den Umfang der Tätigkeit des Beklagten als Testamentsvollstrecker werde nicht durch den Zusatz „zertifiziert“ beseitigt. Der Werbeadressat werde vielmehr den Eindruck gewinnen, der Beklagte wolle sich als besonders qualifizierter Testamentsvollstrecker präsentieren, der regelmäßig Testamentsvollstreckungen durchführe und dessen Tätigkeit zudem noch einer besonderen Prüfung mit positivem Ergebnis unterzogen worden sei. Diese Vorstellung des mit der Werbung angesprochenen Referenzverbrauchers sei indes unzutreffend.
II.
Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben keinen Erfolg. Der von der Klägerin gegen den Beklagten geltend gemachte Unterlassungsanspruch ist gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 2, § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 UWG begründet. Der Gebrauch der beanstandeten Bezeichnung führt, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, bei einem nicht unerheblichen Teil der Verbraucher zu der Fehlvorstellung, der Beklagte verfüge über eine besondere Qualifikation auf dem Gebiet der Testamentsvollstreckung. Er überschreitet damit zugleich den berufsrechtlich zulässigen Rahmen sachbezogener Werbung und verstößt daher auch gegen §§ 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 43b BRAO, § 6 BORA.
1.
Die Führung eines Zertifikats, wie es im Streitfall in Rede steht, begegnet allerdings nicht stets wettbewerbsrechtlichen Bedenken. Zum einen hat der Gesetzgeber mit der Einführung der Fachanwaltsbezeichnungen keine abschließende Regelung des Werberechts der Rechtsanwaltschaft getroffen (BGH, Urteil vom 16. Juni 1994 I ZR 66/92, GRUR 1995, 422, 423 Kanzleieröffnungsanzeige). Hinweise auf zusätzliche Qualifikationen sind dem Rechtsanwalt daher nicht etwa von vornherein versagt. Zum anderen ist eine Irreführung nicht schon deswegen zu bejahen, weil der Begriff der „Zertifizierung“ beim angesprochenen Verkehr eine Fehlvorstellung über eine amtliche Verleihung hervorrufen würde (vgl. Pestke, Stbg 2009, 283). Als Zertifizierung wird ein Verfahren bezeichnet, mit dessen Hilfe die Einhaltung bestimmter Anforderungen an Produkte oder Dienstleistungen einschließlich der Herstellungsverfahren nachgewiesen werden kann (vgl. Grunewald, ZEV 2010, 69, 71). Zertifizierungen werden von unabhängigen Stellen vergeben und müssen sich nach festgelegten Standards richten. Der Begriff der Zertifizierung besagt nicht, dass sie von einer amtlichen Stelle vergeben worden ist; es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Verkehr dies anders sähe. Der Verkehr erkennt auch, dass mit dem Begriff „Testamentsvollstrecker“ eine Tätigkeit beschrieben und nicht etwa ein Beruf bezeichnet wird.
2.
Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass in dem beanstandeten Gebrauch der Bezeichnung „Zertifizierter Testamentsvollstrecker (AGT)“ bei dem angesprochenen Verkehr die Vorstellung über eine besondere Qualifikation des Beklagten auf dem Gebiet der Testamentsvollstreckung geweckt wird. Diese im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet liegende Feststellung des Berufungsgerichts zur Verkehrsauffassung ist nur darauf hin vom Revisionsgericht überprüfbar, ob das Berufungsgericht bei seiner Würdigung gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen oder wesentliche Umstände unberücksichtigt gelassen hat (vgl. BGH, Urteil vom 15. April 1999 - I ZR 83/97, GRUR 1999, 1097, 1099 = WRP 1999, 1133 - Preissturz ohne Ende; Urteil vom 24. Oktober 2002 - I ZR 100/00, GRUR 2003, 361, 362 = WRP 2003, 1224 - Sparvorwahl; Urteil vom 10. April 2008 - I ZR 167/05, GRUR 2009, 60 Rn. 25 = WRP 2008, 1544 - LOTTOCARD). Solche Rechtsfehler sind im Streitfall nicht gegeben.
a)
Das Berufungsgericht hat bei der Feststellung der Verkehrsauffassung zutreffend und von der Revision unbeanstandet auf das Verständnis eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Lesers der Werbung abgestellt (vgl. BGH, Urteil vom 2. Oktober 2003 - I ZR 150/01, BGHZ 156, 250, 252 - Marktführerschaft). Es ist aus Rechtsgründen auch nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht aufgrund eigener Sachkunde beurteilt hat, wie die angesprochenen Verbraucher die beanstandete Werbung verstehen. Gehören die entscheidenden Richter - wie im Streitfall - selbst zu den angesprochenen Verkehrskreisen, bedarf es im Allgemeinen keines durch eine Meinungsumfrage untermauerten Sachverständigengutachtens, um das Verständnis des Verkehrs zu ermitteln (BGHZ 156, 250, 255 - Marktführerschaft, mwN).
b)
Die Feststellung der Verkehrsauffassung durch das Berufungsgericht begegnet auch in der Sache keinen rechtlichen Bedenken. Sie erweist sich insbesondere nicht als erfahrungswidrig.
aa)
Auch wenn ein Verbraucher, der auf der Suche nach einem geeigneten Testamentsvollstrecker ist, wegen der Bedeutung der Angelegenheit - wie die Revision geltend macht - besonders aufmerksam ist, erweist sich die Beurteilung des Berufungsgerichts nicht als rechtsfehlerhaft. Der mit der angegriffenen Bezeichnung konfrontierte Leser wird zunächst annehmen, dass die „Zertifizierung“ von der „AGT“ erteilt wurde. Wer sich hinter dieser Abkürzung verbirgt, wird der Durchschnittsverbraucher dagegen nicht erkennen. Er wird auch nicht wissen, dass das Zertifikat allein aufgrund von theoretischen Kenntnissen auf dem Gebiet der Testamentsvollstreckung vergeben wird. Vielmehr wird er annehmen, dass ein „zertifizierter Testamentsvollstrecker“, auch wenn er Rechtsanwalt ist, entsprechend der für viele andere Berufsgruppen erforderlichen Voraussetzungen über praktische Erfahrungen auf dem Gebiet verfügt, auf das sich die Zertifizierung bezieht.
Diese Erwartung des Verkehrs erfüllt der Beklagte nach den unangegriffen gebliebenen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht. Der Beklagte ist bisher erst zweimal (in den Jahren 2005 und 2008) als Testamentsvollstrecker tätig geworden. Es ist nicht ersichtlich, dass sich diese Testamentsvollstreckungen nach Art oder Umfang in der Weise von einer üblichen Testamentsvollstreckung unterschieden hätten, dass bereits diese Tätigkeit ausnahmsweise als ausreichend angesehen werden könnte. Von einer regelmäßigen Ausübung der Testamentsvollstreckertätigkeit kann daher - wie das Berufungsgericht ebenfalls zutreffend angenommen hat - nicht ausgegangen werden.
Die bei einem Durchschnittsverbraucher aufgrund des Gebrauchs der angegriffenen Bezeichnung hervorgerufene Fehlvorstellung über die praktischen Erfahrungen des Beklagten auf dem Gebiet der Testamentsvollstreckung wird auch durch den Zusatz „zertifiziert“ nicht beseitigt. Eher ist das Gegenteil der Fall. Denn der angesprochene Verbraucher kann aufgrund des Hinweises auf die Zertifizierung den Eindruck gewinnen, dass es sich beim Beklagten um einen besonders qualifizierten Testamentsvollstrecker handelt.
bb)
Ohne Erfolg beruft sich die Revision darauf, dass der Bundesgerichtshof die von einem Rechtsanwalt im Briefkopf geführte Zusatzbezeichnung „Mediator“ nicht beanstandet hat, wenn der betreffende Anwalt durch eine geregelte Ausbildung nachweisen kann, die Grundsätze der Mediation zu beherrschen (BGH, Beschluss vom 1. Juli 2002 - AnwZ (B) 52/01, NJW 2002, 2948). Denn der ohne Zusatz verwendeten Bezeichnung „Mediator“ kann - ebenso wie der Bezeichnung „Rechtsanwalt“, auf die die Revision in diesem Zusammenhang verweist - nur entnommen werden, dass der Betreffende die für diese Bezeichnung vorausgesetzte Qualifikation erfüllt. Dagegen vermittelt das Adjektiv „zertifiziert“ den Eindruck, dass die von dem Betreffenden angebotene Dienstleistung im Rahmen eines Zertifizierungsverfahrens überprüft worden sei; durch die Verwendung dieses Adjektivs wird daher - wie ausgeführt - nahegelegt, dass derjenige, der diese Dienstleistung anbietet, über entsprechende praktische Erfahrungen verfügt.
cc)
Unbegründet ist auch der Einwand der Revision, die Bezeichnung „Fachanwalt“ vermittle dem angesprochenen Verkehr ebenfalls keine besseren Informationen über die erforderlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines solchen Titels. Das Berufungsgericht hat mit Recht darauf verwiesen, dass es sich bei dem Begriff „Fachanwalt“ um eine gesetzlich geregelte Bezeichnung handelt, die im Übrigen nicht nur den Nachweis theoretischen Wissens, sondern auch eine entsprechende, durch Fallzahlen nachgewiesene praktische Tätigkeit voraussetzt.
c)
Eine Werbung, die gegen § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 UWG verstößt, verlässt zudem den Rahmen berufsrechtlich zulässiger Werbung. Sie verletzt das Sachlichkeitsgebot und ist daher auch gemäß §§ 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 43b BRAO, § 6 BORA unlauter (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 2009 I ZR 77/07, GRUR 2010, 349 Rn. 40 = WRP 2010, 518 EKW-Steuerberater). Ein auf einen solchen Verstoß gestütztes Unterlassungsgebot stellt keinen unzulässigen Eingriff in die verfassungsrechtlich garantierte Berufsausübungsfreiheit des Beklagten (Art. 12 Abs. 1 GG) dar (vgl. BVerfG, WRP 2001, 1284, 1285 Anwaltswerbung im Internet; GRUR 2003, 965, 966 Anwaltswerbung mit Sporterfolgen; BGH, GRUR 2010, 349 EKW-Steuerberater).
3.
Ohne Erfolg bleibt schließlich auch die Rüge der Revision, das Berufungsgericht hätte Kriterien entwickeln müssen, in welchem Umfang eine praktische Tätigkeit als Testamentsvollstrecker vorliegen müsse, damit die Bezeichnung geführt werden dürfe. Durchgreifenden Bedenken begegnet es jedenfalls, wenn eine solche Zertifizierung bei Rechtsanwälten keinerlei praktische Erfahrungen auf dem Gebiet der Testamentsvollstreckung voraussetzt. Auch die im Streitfall vom Beklagten angeführten zwei Fälle einer Testamentsvollstreckertätigkeit reichen nicht aus, um die mit der Bezeichnung „Zertifizierter Testamentsvollstrecker (AGT)“ beim angesprochenen Verkehr hervorgerufenen Vorstellungen hinsichtlich der fachlichen Qualifikation auf dem in Rede stehenden Gebiet zu erfüllen, zumal wenn kein zeitlicher Rahmen vorgegeben ist, innerhalb dessen diese Tätigkeit erfolgt sein muss. Vorstellbar ist es beispielsweise auch, für den Regelfall je nach zeitlichem Rahmen verschiedene Mindestfallzahlen vorzusehen und für den Fall besonders aufwendiger Testamentsvollstreckungen auch eine Unterschreitung dieser Fallzahlen zu ermöglichen.
III.
Danach ist die Revision des Beklagten mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.