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Weisheitszahnextraktion auch durch eine nicht spezialisierte Zahnarztpraxis möglich

 | Gericht:  Oberlandesgericht (OLG) Dresden  | Aktenzeichen: 4 U 1775/20 | Entscheidung:  Urteil
Kategorie Schadenersatzrecht , Ausübung des zahnärztlichen Berufs , Sonstiges

Urteilstext

 

Tenor

1.

Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

2.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

3.

Dieser Beschluss und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

4.

Der Gegenstandswert des Berufungsverfahrens wird auf bis zu 12.000,- EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Die zulässige Berufung des Klägers ist nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch - einstimmig gefassten - Beschluss zurückzuweisen. Sie bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht.

Zur Begründung nimmt der Senat auf den Hinweisbeschluss vom 21.12.2020 Bezug. An der dort geäußerten Rechtsauffassung hält der Senat auch im Hinblick auf die von dem Kläger mit Schriftsatz vom 25.01.2021 geäußerten Bedenken fest, die zu einer Abänderung keinen hinreichenden Anlass bieten.

Entgegen der Ansicht der Berufung war eine Aufklärung des Klägers über die Möglichkeit, den Eingriff in einer fachärztlichen oralchirurgischen Praxis bzw. Klinik durchzuführen, nicht geschuldet. Insoweit handelt es sich gerade nicht um eine Behandlungsalternative mit gleichwertigen Chancen, aber unterschiedlichen Risiken. Wie bereits im Hinweisbeschluss ausgeführt, ist mit dem Sachverständigen davon auszugehen, dass die beabsichtigte Weisheitszahnextraktion im Wege der Osteotomie zum Behandlungsstandard einer Zahnarztpraxis gehört und es daher - unabhängig von der konkreten Ausführung der Operation - schon aus diesem Grund nicht geboten gewesen ist, den Eingriff in einer spezialisierten Klinik bzw. von einem Facharzt durchführen zu lassen. Da der Kläger nicht nachgewiesen hat, dass die Beklagte im Behandlungszeitraum unerfahren war und vergleichbare Eingriffe nur selten ausgeführt hatte, bestand auch keine dahingehende Hinweispflicht.

Die weiteren Ausführungen des Klägers zur Weisheitszahnextraktion als oralchirurgischer aber nicht zahnärztlicher Routineeingriff vermögen die entgegenstehenden Ausführungen des Sachverständigen nicht in Frage zu stellen. Insbesondere sind weder der Verweis auf die Weiterbildungsordnung oder eine behauptete Ablehnung derartiger Eingriff durch viele zahnärztliche Praxen und Unverständnis über eine angeblich fehlende gesetzliche Regelung noch der Hinweis auf ein Verfahren vor dem LG Dessau geeignet, begründete Zweifel an der sachverständigen Begutachtung zu wecken. Aus der Weiterbildungsordnung ergibt sich bereits nicht, dass die operative Zahnentfernung allein durch Fachzahnärzte für Oralchirurgie oder Kieferorthopädie durchgeführt werden darf. Dass ein derartiger Eingriff von verschiedenen (Nicht-​Fach)-​Zahnärzten regelmäßig abgelehnt wird, kann dahingestellt bleiben. Denn hierdurch wird bereits nicht belegt, dass Zahnärzten nach ihrer Ausbildung bzw. entsprechend ihrer jeweiligen Erfahrung und Praxisausstattung regelmäßig nicht über die erforderlichen Kenntnisse und die Routine zur Durchführung eines solchen Eingriffs verfügen. Zur Begründung wird auf die Ausführungen im Hinweisbeschluss (S. 7/8) ergänzend verwiesen.

Der Kläger legt auch an keiner Stelle dar, welche gegenüber der Weisheitszahnextraktion in einer Zahnarztpraxis weniger risikobehaftete Behandlungsalternative in einer oralchirurgischen Praxis oder Klinik bestanden hätte oder durchgeführt worden wäre. Dass sich ein Zahnarzt in einem Verfahren vor dem Landgericht Dessau dahingehend geäußert hat, er habe die Operation als Herausforderung empfunden und die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit testen wollen, lässt sich weder bei der Beurteilung von zahnärztlichen Weisheitszahnextraktionen im allgemeinen noch bei der Beurteilung der im Streitfall erfolgten Behandlung heranziehen. Anhaltspunkte, die eine Vergleichbarkeit der Sachverhalte auch nur ansatzweise nahelegen könnten, sind weder dargelegt noch sonst wie ersichtlich. Der Umstand, dass sich in einer oralchirurgischen Praxis häufig Patienten nach abgebrochener Zahnentfernung vorstellen, belegt entgegen der Ansicht der Berufung nicht, dass Zahnärzte regelmäßig nicht in der Lage sind, derartige Eingriffe entsprechend den zahnärztlichen Leitlinien durchzuführen. Diese Feststellung steht im Widerspruch zu den Bekundungen des Sachverständigen, wird durch nichts belegt und ist in ihrer Allgemeinheit nicht geeignet, Zweifel am Ergebnis der Begutachtung zu wecken. Gleiches gilt hinsichtlich einer Erhöhung der Komplikationsrate bei Durchführung von derartigen Eingriffen durch unerfahrene Operateure, da vorliegend nichts dafür ersichtlich oder vorgetragen ist, dass die Beklagte unerfahren war. Die Ausführungen der Berufung stellen sich vielmehr als Zirkelschluss dar, da mit der Tatsache des Eintritts einer Nervschädigung die behauptete Behandlungsfehlerhaftigkeit bewiesen werden soll, was - wie bereits mehrfach ausgeführt - nicht durchgreifend ist.

Ob ein Verstoß gegen die präoperative Aufklärungspflicht vorliegt, ist unabhängig von der Frage zu prüfen, ob die Beklagte bei der streitgegenständlichen Operation dem Behandlungsstandard entsprechend vorgegangen ist. Aus diesem Grund kommt es bei der Prüfung einer Aufklärungspflichtverletzung auch nicht auf Feststellungen zum konkreten Behandlungsverlauf an, so dass sich das vom Kläger gerügte Fehlen einer diesbezüglichen Dokumentation nicht auswirkt.

Ohne Erfolg macht die Berufung weiterhin geltend, mangels Dokumentation der durchgeführten Osteotomie sei die Annahme nicht gerechtfertigt, die Beklagte sei entsprechend dem ärztlichen Behandlungsstandard vorgegangen. Die Verletzung des Nervus lingualis sei vielmehr als Indiz für einen Behandlungsfehler im Sinne eines Beweises des ersten Anscheins mit der Folge einer Beweislastumkehr zur würdigen. Wie bereits im Hinweisbeschluss ausgeführt, kommen dem Kläger hinsichtlich des ihm obliegenden Beweis eines behandlungsfehlerhaften Vorgehens keine Beweiserleichterungen zugute. Auf die Ausführungen unter Ziff. 3 des Beschlusses wird zur Vermeidung von Wiederholungen zur Begründung Bezug genommen. Zugunsten des Klägers greift bei der streitgegenständlichen Weisheitszahnextraktion wegen der Nervläsion nicht der Beweis des ersten Anscheins zugunsten einer erhöhten Wahrscheinlichkeit einer behandlungsfehlerhaften Vorgehens ein, denn eine Typizität des Geschehensablaufs liegt nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht vor. Eine Läsion des Nervus lingualis bei der Extraktion eines unteren Weisheitszahnes sei ein geradezu typisches Risiko, könne auch bei größter operativer Vorsicht und bei Ausnutzung sämtlicher prospektiver Maßnahmen eintreten und sei daher nicht vermeidbar. In Übereinstimmung mit der Einschätzung des Sachverständigen geht der Senat davon aus, dass aus der Verletzung des Nervus lingualis als Folge der Extraktion eines Weisheitszahnes nicht auf ein fehlerhaftes ärztliches Verhalten geschlossen werden kann (so auch - neben der im Hinweisbeschluss aufgeführten Entscheidung des OLG Stuttgart - Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 27. Februar 1998 - 1 U 131/97 -, Rn. 5, juris; OLG München NJW RR 1994, 1308, 1309). Die vom Kläger zur Begründung seiner gegenteiligen Ansicht teilweise wiederholt angeführten Gerichtsentscheidungen OLG Karlsruhe, Urteil vom 16.10.1985 (AHRS 4800/4), LG Marburg, Urteil vom 11.11.1987 (2 OB 262/82) und LG Heidelberg (3 O 96/83) sind veraltet und entsprechen nicht dem aktuellen Stand der vom Sachverständigen dargestellten zahnärztlichen Studienlage (vgl. nunmehr auch OLG Karlsruhe, Urteil vom 03.07.2013 - 7 U 143/12, zur Begründung einer Aufklärungspflichtverletzung). Dokumentationsmängel, insbesondere auch im Hinblick auf den Einsatz eines üblicherweise bei einer Weisheitszahnextraktion verwendeten Raspatoriums hat der Sachverständige nicht feststellen können. Selbst wenn solche vorliegen würden, begründet ein Dokumentationsmangel für sich genommen kein behandlungsfehlerhaftes Vorgehen (vgl. Senat, Urteil vom 30. Juni 2020 - 4 U 2883/19 -, Rn. 24, juris; Urteil vom 13. September 2007 - 4 U 601/06 -, Rn. 19, juris; Urteil vom 20. September 2001 - 4 U 1598/95 -, Rn. 100, juris).

Der Kläger hat dem ihm obliegenden Nachweis nicht geführt, dass die eingetretene Nervschädigung auf ein behandlungsfehlerhaftes Vorgehen der Beklagten zurückgeht. Die Frage, ob es sich um einen schicksalhaften Verlauf handelt, bedarf daher keiner Entscheidung.

Das Belassen von Wurzelresten stellt sich entgegen der Ansicht der Berufung auch nicht als Behandlungsfehler dar. Wie der Sachverständige ausgeführt hat, war zwar eine Indikation zur Entfernung des größeren Wurzelrestes gegeben. Angesichts der Belastung des Klägers durch den mehrstündigen Eingriff stellte sich der Abbruch des Eingriffs jedoch nicht als behandlungsfehlerhaft dar. Die Ausführungen des Sachverständigen sind überzeugend. Insbesondere ergibt sich aus der vom Kläger in Bezug genommenen S3-​Leitlinie (Anlage BK5) nicht, dass angesichts der konkret bestehenden Behandlungssituation die Entfernung des Wurzelrestes hätte noch am gleichen Tag erfolgen müssen.

Der Umstand, dass es während der streitgegenständlichen Operation zu einer Schädigung des Nervus lingualis gekommen ist, belegt auch nicht, dass der Beklagten die Routine zur Durchführung des Eingriffs fehlte. Der Sachverständige hat keine Behandlungsfehler feststellen können, hat vielmehr darauf hingewiesen, dass es auch bei größter operativer Vorsicht und Ausnutzung sämtlicher prospektiver Maßnahmen zu einer solchen Schädigung kommen könne und die bei Beachtung größtmöglicher Sorgfalt nicht sicher vermieden werden könnte. Auch insoweit stellen sich die Ausführungen in der Berufungsbegründung als Zirkelschluss dar und sind nicht geeignet, ein behandlungsfehlerhaftes Vorgehen der Beklagten zu beweisen.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 522 Abs. 3 in Verbindung mit § 708 Nr. 10 Satz 2, § 713 ZPO.

Der Gegenstandswert wurde gemäß § 3 ZPO, § 48 GKG festgesetzt.


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