Lohnfortzahlung im Krankheitsfall - Beweispflicht des Arbeitnehmers

 | Gericht:  Bundesarbeitsgericht (BAG)  | Aktenzeichen: 5 AZR 318/15 | Entscheidung:  Urteil
Kategorie Arbeitsrecht , Sonstiges

Urteilstext

Tenor 

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 26. März 2015 - 16 Sa 1711/14 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.         

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

Der 1951 geborene Kläger war vom 2. November 2010 bis zum 31. Oktober 2013 bei der Beklagten als Arbeiter beschäftigt gegen eine Bruttomonatsvergütung von 1.900,00 Euro.

Vom 9. September bis einschließlich Sonntag, den 20. Oktober 2013, war der Kläger von seinem Hausarzt Dr. L wegen eines lumbalen Facettensyndroms arbeitsunfähig krankgeschrieben. Am 17. Oktober 2013 suchte der Kläger seinen Hausarzt erneut auf, ua. wegen zunehmender Schulterschmerzen. Eine (zusätzliche) Krankschreibung erfolgte an diesem Tag nicht. Am Montag, dem 21. Oktober 2013 attestierte Dr. L dem Kläger wegen Schulterschmerzen mit einer Erstbescheinigung Arbeitsunfähigkeit bis zunächst 5. November 2013, mit einer Folgebescheinigung bis voraussichtlich 1. Dezember 2013.

Für den Monat Oktober 2013 zahlte die Beklagte dem Kläger 1.266,67 Euro brutto, Entgeltfortzahlung für die Zeit vom 21. bis zum 31. Oktober 2013 leistete sie nicht.

Der Kläger hat geltend gemacht, er sei ab dem 21. Oktober 2013 aufgrund einer neuen Krankheit arbeitsunfähig gewesen. Bis dahin habe eine im Frühjahr 2013 bei einem Arbeitsunfall erlittene Schulterverletzung trotz gelegentlicher leichterer Beschwerden und Wetterfühligkeit Arbeitsunfähigkeit nicht verursacht. Am Montag, dem 21. Oktober 2013, sei er beim Anziehen mit der Schulter an einen Türrahmen gestoßen und habe wegen starker Schmerzen nicht zur Arbeit gehen können.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 633,33 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. November 2013 zu zahlen.          

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, der Kläger sei bereits am 17. Oktober 2013 wegen seiner Schulterverletzung arbeitsunfähig gewesen. Nach dem Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls habe ihre Entgeltfortzahlungspflicht mit dem Ablauf von sechs Wochen am 20. Oktober 2013 geendet.

Das Arbeitsgericht hat nach Vernehmung des behandelnden Arztes Dr. L der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.

Entscheidungsgründe        

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht der Berufung der Beklagten stattgegeben. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat für die Zeit vom 21. bis zum 31. Oktober 2013 keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

I.

Wird der Arbeitnehmer nach wiederhergestellter Arbeitsfähigkeit erneut krankheitsbedingt arbeitsunfähig, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, entsteht nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG grundsätzlich ein neuer Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Dauer von sechs Wochen, wenn die Arbeitsunfähigkeit auf einer anderen Krankheit beruht. Dies gilt jedoch nicht uneingeschränkt:

1.

Stellt sich die neue Erkrankung als eine Fortsetzung der früheren Erkrankung dar, weil - trotz verschiedener Krankheitssymptome - die wiederholte Arbeitsunfähigkeit auf demselben nicht behobenen Grundleiden beruht, liegt eine Fortsetzungserkrankung vor (BAG 13. Juli 2005 - 5 AZR 389/04 - zu I 4 der Gründe, BAGE 115, 206; 14. November 1984 - 5 AZR 394/82 - zu 1 der Gründe, BAGE 47, 195). Bei einer solchen ist der Arbeitgeber nach § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG nur dann zur Entgeltfortzahlung verpflichtet, wenn der Arbeitnehmer vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war (Nr. 1) oder seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen ist (Nr. 2).

Die Arbeitsunfähigkeit des Klägers ab dem 21. Oktober 2013 war nicht durch eine Fortsetzungserkrankung bedingt. Das steht zwischen den Parteien (nunmehr) außer Streit. Das lumbale Facettensyndrom, das die Arbeitsunfähigkeit in der Zeit vom 9. September bis zum 20. Oktober 2013 begründete, und die Erkrankung der Schulter beruhten nicht auf einem einheitlichen Grundleiden.

2.

Nach dem Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls ist der Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG auf die Dauer von sechs Wochen seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit beschränkt, wenn während bestehender Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit auftritt, die ebenfalls Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. In diesem Fall kann der Arbeitnehmer bei entsprechender Dauer der durch beide Erkrankungen verursachten Arbeitsverhinderung die Sechs-​Wochen-​Frist nur einmal in Anspruch nehmen. Ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht nur, wenn die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits in dem Zeitpunkt beendet war, in dem die weitere Erkrankung zu einer erneuten Arbeitsverhinderung führt (BAG 10. September 2014 - 10 AZR 651/12 - Rn. 13, BAGE 149, 101; 13. Juli 2005 - 5 AZR 389/04 - zu I 4 der Gründe, BAGE 115, 206). Das ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer zwischen zwei Krankheiten tatsächlich gearbeitet hat oder jedenfalls arbeitsfähig war, sei es auch nur für wenige außerhalb der Arbeitszeit liegende Stunden (BAG 12. Juli 1989 - 5 AZR 377/88 - zu II 2 der Gründe mwN). Maßgeblich für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit und damit für das Ende des Verhinderungsfalls ist die Entscheidung des Arztes, der Arbeitsunfähigkeit - unabhängig von der individuellen Arbeitszeit des betreffenden Arbeitnehmers - im Zweifel bis zum Ende eines Kalendertags bescheinigen wird (anders noch BAG 12. Juli 1989 - 5 AZR 377/88 - zu III 1 der Gründe mwN, hieran wird nicht festgehalten). Dabei ist es unerheblich, ob das Ende der Arbeitsunfähigkeit auf einen Arbeits- oder arbeitsfreien Tag fällt (vgl. BAG 10. September 2014 - 10 AZR 651/12 - Rn. 17 mwN, BAGE 149, 101; 14. September 1983 - 5 AZR 70/81 - zu 2 b der Gründe, BAGE 43, 291).

a)

Der vom Bundesarbeitsgericht erstmals in der Entscheidung vom 12. September 1967 (-​ 1 AZR 367/66 - BAGE 20, 90) entwickelte Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls (seither st. Rspr., vgl. zB BAG 2. Dezember 1981 - 5 AZR 89/80 - BAGE 37, 172; 2. Februar 1994 - 5 AZR 345/93 - BAGE 75, 340; 13. Juli 2005 - 5 AZR 389/04 - BAGE 115, 206) hat im Schrifttum weitgehend Zustimmung gefunden (sh. nur ErfK/Reinhard 16. Aufl. § 3 EFZG Rn. 43; HWK/Schliemann 7. Aufl. § 3 EFZG Rn. 93; Schaub/Linck ArbR-​HdB 16. Aufl. § 98 Rn. 54; Schmitt EFZG 7. Aufl. § 3 Rn. 285, jeweils mwN) und ist vom Gesetzgeber bei mehrfachen Novellierungen des Rechts der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nicht korrigiert worden. Ihm liegt die Erwägung zugrunde, dass die Sechs-​Wochen-​Frist, innerhalb derer der Arbeitnehmer in Abweichung vom allgemeinen Schuldrecht aus sozialen Gründen das Arbeitsentgelt trotz Nichtleistung der Arbeit erhalten soll, nicht an die Krankheit (in der früheren Begrifflichkeit: das Unglück), sondern an die Arbeitsverhinderung anknüpft und es deshalb nicht darauf ankommt, ob den Arbeitnehmer während einer krankheitsbedingten Arbeitsverhinderung „ein neues Unglück trifft“, das seinerseits zu einer Arbeitsverhinderung geführt hätte, wenn eine solche nicht bereits aufgrund des früheren Unglücks (der früheren Krankheit) bestanden hätte (BAG 12. September 1967 - 1 AZR 367/66 - BAGE 20, 90; vgl. zur Entwicklung im Einzelnen BAG 10. September 2014 - 10 AZR 651/12 - Rn. 14 -​ 17, BAGE 149, 101).

b)

Nach der nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffenen, für den Senat bindenden (§ 559 Abs. 2 ZPO) Feststellung des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger kurz vor dem Ende der wegen des lumbalen Facettensyndroms attestierten Arbeitsunfähigkeit am 17. Oktober 2013 seinen Hausarzt erneut und auch wegen zunehmender Schulterschmerzen aufgesucht. Ob der krankhafte Zustand der Schulter des Klägers (zum Begriff der Krankheit vgl. etwa BAG 9. Januar 1985 - 5 AZR 415/82 - zu I 1 der Gründe, BAGE 48, 1; ErfK/Reinhard § 3 EFZG Rn. 4 ff.; HWK/Schliemann § 3 EFZG Rn. 34 ff., jeweils mwN) bereits vor dem 21. Oktober 2013 die Arbeitsunfähigkeit des Klägers bedingt hat, ist zwischen den Parteien streitig geblieben und konnte durch die Vernehmung des behandelnden Arztes nicht geklärt werden.

II.

Das Landesarbeitsgericht hat bei seiner Beweislastentscheidung im Ergebnis zu Recht angenommen, das Risiko, nicht (mehr) feststellen zu können, ob Arbeitsunfähigkeit infolge einer bestimmten Krankheit erst ab dem vom behandelnden Arzt attestierten Zeitpunkt bestanden hat oder schon während einer unmittelbar vorangehenden sechswöchigen Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer anderen Krankheit eingetreten ist, habe der Arbeitnehmer zu tragen.

1.

Für ihre gegenteilige - auch vom Arbeitsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegten - Auffassung kann sich die Revision nicht auf die Rechtsprechung zur Fortsetzungserkrankung stützen.

Die rechtliche Bewertung der Fortsetzungserkrankung in § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG ist eine durch Gesetz zugunsten des Arbeitgebers getroffene Ausnahmeregelung von dem allgemeinen Grundsatz der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. BAG 4. Dezember 1985 - 5 AZR 656/84 - zu I 2 der Gründe). Zwar muss der Arbeitnehmer, der innerhalb der Zeiträume des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 EFZG länger als sechs Wochen arbeitsunfähig ist, darlegen, dass keine Fortsetzungserkrankung vorliegt und - bestreitet der Arbeitgeber den Eintritt einer neuen Krankheit - den Arzt von der Schweigepflicht entbinden. Doch hat die Folgen der Nichterweislichkeit einer Fortsetzungserkrankung der Arbeitgeber zu tragen, weil nach der sprachlichen Fassung des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 EFZG ihn und nicht den Arbeitnehmer die objektive Beweislast trifft (BAG 13. Juli 2005 - 5 AZR 389/04 - zu I 5 der Gründe, BAGE 115, 206; ebenso die hM im Schrifttum, vgl. nur ErfK/Reinhard § 3 EFZG Rn. 44; HWK/Schliemann § 3 EFZG Rn. 111; Schaub/Linck ArbR-​HdB § 98 Rn. 61; Schmitt EFZG § 3 Rn. 293, jeweils mwN).

2.

Im Unterschied dazu betrifft der Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls nicht eine vom Arbeitgeber einzuwendende Ausnahme, sondern eine der Voraussetzungen des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Meldet sich der Arbeitnehmer in unmittelbarem Anschluss an den ausgeschöpften Sechs-​Wochen-​Zeitraum des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG erneut mit einer Erstbescheinigung arbeitsunfähig krank, bestreitet der Arbeitgeber mit der Berufung auf den Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls, dass Arbeitsunfähigkeit infolge der „neuen“ Krankheit erst jetzt eingetreten sei.

Die Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG trägt - nach allgemeinen Grundsätzen - der Arbeitnehmer (BAG 13. Juli 2005 - 5 AZR 389/04 - zu I 6 der Gründe, BAGE 115, 206; 26. Februar 2003 - 5 AZR 112/02 - zu I 1 der Gründe, BAGE 105, 171). Ebenso wie er für die Tatsache der Arbeitsunfähigkeit als solcher beweispflichtig ist, trifft ihn auch für deren Beginn und Ende die objektive Beweislast.

3.

Für Darlegung und Nachweis von Beginn und Ende einer auf einer bestimmten Krankheit beruhenden Arbeitsunfähigkeit kann sich der Arbeitnehmer zunächst auf die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung stützen (zu deren Beweiswert sh. BAG 26. Februar 2003 - 5 AZR 112/02 - zu I 1 der Gründe, BAGE 105, 171; zu den neuen Vordrucken für Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vgl. Kleinebrink ArbRB 2016, 93).

Ist jedoch unstreitig oder bringt der Arbeitgeber gewichtige Indizien dafür vor, dass die erneute Arbeitsunfähigkeit auf einer Krankheit beruht, die bereits vor dem attestierten Beginn der Arbeitsunfähigkeit bestanden hat, und zu einer Krankheit, wegen derer der Arbeitnehmer bereits durchgehend sechs Wochen arbeitsunfähig war, hinzugetreten ist, muss der Arbeitnehmer als Voraussetzung des Entgeltfortzahlungsanspruchs den von ihm behaupteten Beginn der „neuen“ krankheitsbedingten Arbeitsverhinderung beweisen. Dafür steht ihm das Zeugnis des behandelnden Arztes als Beweismittel zur Verfügung.

4.

Der Kläger konnte nicht beweisen, erst am 21. Oktober 2013 wegen der Schulterverletzung arbeitsunfähig geworden zu sein. Davon hat der Senat nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts auszugehen.

Danach suchte der Kläger vor dem Ende der Arbeitsunfähigkeit wegen des lumbalen Facettensyndroms am 17. Oktober 2013 jedenfalls auch wegen zunehmender Schulterschmerzen erneut seinen Hausarzt auf, der sich notierte: „Schulterschmerzen nehmen zu. Am Montag geht er zum Orthopäden“. Dr. L konnte als - erstinstanzlich vernommener - Zeuge weder bestätigen noch ausschließen, dass der Kläger wegen der schmerzenden Schulter erst am 21. Oktober 2013 arbeitsunfähig wurde und nicht schon am 17. Oktober 2013 war. Das Landesarbeitsgericht hat aufgrund der Beweisaufnahme - im Einklang mit der Beweiswürdigung des Arbeitsgerichts - in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ein non liquet angenommen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.          


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