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 | Gericht:  Bundesgerichtshof (BGH) Karlsruhe  | Aktenzeichen: I ZR 182/08 | Entscheidung:  Urteil
Kategorie Ausübung des zahnärztlichen Berufs

Urteilstext

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 30. Oktober 2008 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

 

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin ist die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs. Sie wendet sich gegen eine Werbung der Beklagten für den Vertrieb ihrer Brillen durch Augenärzte.

 

Die Beklagte stellt Augenärzten ihr E.-System zur Verfügung, das aus einem E.-Brillensortiment (in der Anfangsphase ca. 100, später ca. 40 Musterbrillengestelle) und einem E.-Computersystem zur individuellen Brillenanpassung besteht. Nach Eingabe der Patientendaten und Auswahl eines bestimmten Brillengestells in der Augenarztpraxis werden diese Informationen an die Beklagte übermittelt. Bestellt der Patient bei der Beklagten eine Brille, erhält der Augenarzt eine Vergütung von 80 €, bei Mehrstärkenbrillen von 160 €.

 

Die Klägerin hält das Verhalten der Beklagten für wettbewerbswidrig, weil es gegen §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i.V. mit § 34 Abs. 5 und § 3 Abs. 2 der inhaltlich übereinstimmenden Berufsordnungen der Landesärztekammern (BOÄ) und gegen §§ 3, 4 Nr. 1 UWG verstoße. Sie wendet sich dabei gegen bestimmte Werbemaßnahmen der Beklagten gegenüber Augenärzten. Die Klägerin hat, soweit der Rechtsstreit in die Revisionsinstanz gelangt ist, beantragt,

 

es der Beklagten zu untersagen, im Wettbewerb handelnd

 

a) im Internet und/oder durch in Deutschland verbreitete Printwerbung gegenüber Augenärzten das E.-Brillensystem und/oder das E.-System, durch welches die Augenärzte in die Lage versetzt werden, in ihrer Augenarztpraxis von der Beklagten hergestellte Fassungen und Gläser anzupassen und zu vertreiben, mit den Angaben zu bewerben,

 

aa) es offeriere die computergestützte Brillenabgabe in der Augenarztpraxis und/oder

 

bb) mit ihm sei eine Brillenwahl beim Augenarzt möglich und/oder

 

cc) dieses optimiere Ihr Angebot für die Brille aus der Augenarztpraxis und/oder

 

dd) noch nie sei es so einfach gewesen, computergestützt die Brillenwahl in der Augenarztpraxis durchzuführen und/oder

 

ee) dieses System fände in jeder Augenarztpraxis Platz und/oder

 

ff) es sei das Brillenwahl- und Anpassungssystem für die Augenarztpraxis und/oder

 

gg) es könne ohne großen Aufwand als ideale Abrundung in das augenärztliche Leistungsprogramm integriert werden,

 

wie dies in im Einzelnen bezeichneten Werbeunterlagen geschieht;

 

b) Ärzten das in der Klageschrift abgebildete Faltblatt zur Weitergabe an Patienten zur Verfügung zu stellen, in dem für E.-Brillen und/oder eine Brillenanpassung mit dem E.-Computer geworben wird,

 

und/oder

 

c) Augenärzten eine Musterkollektion von E.-Brillenfassungen und/oder des E.-Computers in deren Praxis zur Verfügung zu stellen zur Unterstützung des Verkaufs bzw. Vertriebs von E.-Brillen.

 

Außerdem hat die Klägerin Erstattung von Abmahnkosten in Höhe von 189 € begehrt.

 

Die Anträge zu 1 a und b hat die Klägerin hilfsweise mit dem Zusatz gestellt,

 

dass die angegriffenen Handlungen erfolgen, ohne die Augenärzte zugleich darauf hinzuweisen, dass sie aus standesrechtlichen Gründen an der Brillenabgabe im E.-System nur mitwirken dürfen, wenn sie wegen im Einzelfall vorliegender Besonderheiten notwendiger Bestandteil der ärztlichen Therapie ist bzw. dass das im Antrag zu 1b erwähnte Faltblatt Ärzten nur zur Weitergabe an Patienten zur Verfügung gestellt wird, wenn für eine Empfehlung von E.-Brillen im Einzelfall ein hinreichender Grund besteht.

 

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Beklagte nach den Hauptanträgen verurteilt (OLG Stuttgart GRUR-RR 2008, 429 = WRP 2009, 2209). Dagegen wendet sich die Beklagte mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht hat einen Verstoß der Beklagten durch die beanstandeten Werbeschreiben und die Überlassung von Musterbrillen und Computersystem gegen §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i.V. mit § 34 Abs. 5 und § 3 Abs. 2 BOÄ sowie gegen §§ 3, 4 Nr. 1 UWG angenommen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

 

Die Beklagte stifte mit den streitgegenständlichen Wettbewerbshandlungen die angesprochenen Ärzte zu einem berufswidrigen Verhalten an. Sie fordere die Augenärzte auf, das E.-System auch in Fällen einzusetzen, in denen dies gegen § 3 Abs. 2 BOÄ und § 34 Abs. 5 BOÄ verstoße. Trotz der im Hinblick auf das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) gebotenen engen Auslegung des § 3 Abs. 2 BOÄ verstoße der Arzt in allen Fällen gegen diese Vorschrift, in denen er an der Beschaffung einer Brille mitwirke, ohne dass hierfür ein besonderer Grund vorliege. Die beanstandete Werbung ziele ferner auf ein nach § 34 Abs. 5 BOÄ berufswidriges Verhalten des Augenarztes, da die Anpassung und Beschaffung von Brillen, namentlich Standardbrillen, regelmäßig keinen unmittelbaren medizinischen Zusammenhang aufweise. Um möglichst viele Aufträge zu erlangen, nehme die Beklagte billigend in Kauf, dass der mit ihr zusammenarbeitende Arzt ihr Computersystem auch und sogar überwiegend in Fällen verwende, in denen es hierfür keinen nach § 34 Abs. 5 BOÄ tragenden Grund gebe oder er gegen § 3 Abs. 2 BOÄ verstieße. Dafür spreche schon die als Erfolgshonorar ausgestaltete Vermittlungsgebühr für den Arzt. Auch der Inhalt des beanstandeten Faltblatts zeige, dass es der Beklagten darum gehe, mit ihrem Vertriebssystem gerade in einfach gelagerten Fällen den traditionellen Versorgungsweg über den Optiker zu ersetzen. Das Faltblatt solle die Patienten dazu veranlassen, ihren Augenarzt auf den Bezug einer Brille von der Beklagten anzusprechen. Diese Werbung sei geeignet und ersichtlich dazu bestimmt, Verbraucher zu erreichen, bei denen kein sachlicher Grund für eine Verweisung durch den Arzt an die Beklagte gegeben sei. Die Beklagte wolle den Arzt mit technischen Vorgaben faktisch an sich binden und beeinträchtige so andere Leistungsanbieter.

 

Daneben liege auch eine Anstiftung zu einem nach §§ 3, 4 Nr. 1 UWG unlauteren Verhalten vor. Der Durchschnittspatient sehe sich unangemessenem Druck ausgesetzt, wenn er von seinem Augenarzt im Zusammenhang mit einer Untersuchung oder Behandlung darauf angesprochen werde, dass dieser ihm eine neue Brille mit dem System der Beklagten beschaffen könne. Die Patienten seien etwa bei künftigen Terminvergaben für sich und ihre Familienangehörigen auf das Wohlwollen des Arztes angewiesen oder wüssten sich ihm dankbar verbunden, so dass sie ihn nicht enttäuschen wollten.

 

Die Bereitstellung des E.-Computers und des Musterkoffers binde den Augenarzt bei Brillenbestellungen an die Beklagte und beschränke dadurch seine Entscheidungsfreiheit.

 

II.

Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben im Ergebnis keinen Erfolg. Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob der Klägerin die geltend gemachten Unterlassungsansprüche schon deshalb zustehen, weil die Beklagte die von ihrer Werbung angesprochenen Augenärzte zu einem berufsrechtswidrigen Verhalten anstiftet (§ 4 Nr. 11 UWG). Denn die Werbung der Beklagten ist geeignet, die Entscheidungsfreiheit der Augenärzte durch unangemessenen unsachlichen Einfluss zu beeinträchtigen (§§ 3, 4 Nr. 1 UWG).

 

1.

Auf den in die Zukunft gerichteten Unterlassungsanspruch sind die Bestimmungen des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb in der zum Zeitpunkt der Entscheidung geltenden Fassung anzuwenden. Der im Streitfall auf Wiederholungsgefahr gestützte Unterlassungsanspruch besteht allerdings nur, wenn das beanstandete Verhalten auch schon zum Zeitpunkt seiner Begehung wettbewerbswidrig war (st. Rspr.; vgl. BGH, Urt. v. 20.1.2005 - I ZR 96/02, GRUR 2005, 442 = WRP 2005, 474 - Direkt ab Werk; Urt. v. 28.6.2007 - I ZR 153/04, GRUR 2008, 186 Tz. 17 = WRP 2008, 220 - Telefonaktion). Das von der Klägerin beanstandete Verhalten der Beklagten fällt in die Zeit nach Inkrafttreten des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 3. Juli 2004 (BGBl. I S. 1414, im Folgenden: UWG 2004). Der Unterlassungsanspruch setzt daher voraus, dass das beanstandete Verhalten auch auf der Grundlage des UWG 2004 wettbewerbswidrig war. Die im Streitfall maßgeblichen Vorschriften der §§ 3, 4 Nr. 1, § 8 Abs. 1, 3 Nr. 2 UWG sind jedoch nicht in für die Entscheidung erheblicher Weise geändert worden.

 

2.

Die beanstandeten Werbemaßnahmen stellen sich entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts allerdings nicht unter dem Gesichtspunkt als unlauter dar, dass die von der Werbung angesprochenen Augenärzte dazu verleitet werden, auf die Entscheidungsfreiheit ihrer Patienten einen unangemessenen unsachlichen Einfluss auszuüben. Die vom Berufungsgericht angeführten möglichen Erwägungen der Patienten, den Arzt nicht enttäuschen oder ihn - etwa für künftige Terminvergaben - wohlwollend stimmen zu wollen, stellen keine Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit der Patienten infolge unangemessener unsachlicher Einflussnahme i.S. des § 4 Nr. 1 UWG dar. Die Grenze zur Unlauterkeit ist nach § 4 Nr. 1 UWG erst dann überschritten, wenn eine geschäftliche Handlung geeignet ist, die Rationalität der Nachfrageentscheidung der angesprochenen Marktteilnehmer vollständig in den Hintergrund treten zu lassen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urt. v. 8.11.2007 - I ZR 60/05, GRUR 2008, 530 Tz. 13 = WRP 2008, 777 - Nachlass bei der Selbstbeteiligung, m.w.N.). Nach geltendem Recht, das im Hinblick auf den in die Zukunft gerichteten Unterlassungsanspruch zu berücksichtigen ist, liegt eine Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers i.S. des § 4 Nr. 1 UWG zudem nur dann vor, wenn der Handelnde diese Freiheit durch Belästigung oder durch unzulässige Beeinflussung i.S. des Art. 2 lit. j der Richtlinie 2005/29/EG erheblich beeinträchtigt (vgl. BGH, Urt. v. 29.10.2009 - I ZR 180/07, GRUR 2010, 455 Tz. 17 = WRP 2010, 746 - Stumme Verkäufer II, m.w.N.). Die Einwirkung des Arztes auf die Patienten erreicht im Streitfall nicht dieses für einen Verstoß gegen § 4 Nr. 1 UWG erforderliche Maß.

 

3.

Die streitgegenständliche Werbung verstößt jedoch deshalb gegen §§ 3, 4 Nr. 1 UWG, weil sie geeignet ist, die Entscheidungsfreiheit der angesprochenen Augenärzte unangemessen unsachlich zu beeinflussen.

 

a)

Der Streitfall ist auch insoweit unter dem rechtlichen Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen § 4 Nr. 1 UWG zu prüfen. Die rechtliche Würdigung des vorgetragenen Tatsachenstoffs obliegt allein dem Gericht (vgl. BGH, Urt. v. 2.6.2005 - I ZR 252/02, GRUR 2006, 164 Tz. 17 = WRP 2006, 84 - Aktivierungskosten II).

 

b)

Die beanstandete Werbung der Beklagten für ihr Brillenabgabesystem verstößt gegen § 4 Nr. 1 UWG, weil die Beklagte nach den nicht erfahrungswidrigen Feststellungen des Berufungsgerichts durch das Inaussichtstellen einer zusätzlichen Verdienstmöglichkeit in Höhe von 80 € (bei Mehrstärkenbrillen von 160 €) je vermittelter Brille einen erheblichen Anreiz setzt, dass Augenärzte entgegen ihren Pflichten aus dem Behandlungsvertrag und dem Berufsrecht nicht allein anhand des Patienteninteresses entscheiden, ob sie einen Patienten an bestimmte Anbieter gesundheitlicher Leistungen verweisen (verkürzter Versorgungsweg). Darin liegt eine unsachliche unangemessene Einflussnahme auf die Behandlungstätigkeit des Arztes.

 

aa)

Haben Marktteilnehmer bei ihren geschäftlichen Entscheidungen (auch) die Interessen Dritter zu wahren, so ist eine unangemessene unsachliche Einflussnahme i.S. von § 4 Nr. 1 UWG gegeben, wenn sie durch die Gewährung oder das Inaussichtstellen eines finanziellen Vorteils dazu veranlasst werden können, diese Interessenwahrungspflicht zu verletzen (vgl. BGH, Urt. v. 21.4.2005 - I ZR 201/02, GRUR 2005, 1059, 1060 f. = WRP 2005, 1508 - Quersubventionierung von Laborgemeinschaften I; BGH GRUR 2008, 530 Tz. 14 - Nachlass bei der Selbstbeteiligung).

 

bb)

Das Berufungsgericht hat durch Bezugnahme auf das landgerichtliche Urteil festgestellt, dass der Augenarzt 80 € (bei Mehrstärkenbrillen 160 €) für jede Brillenbestellung bei der Beklagten erhält. Die Annahme des Berufungsgerichts, eine zusätzliche Verdienstmöglichkeit in dieser Höhe reiche aus, die Augenärzte in ihrem Verhalten gegenüber den Patienten zu beeinflussen, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Jedenfalls unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es aufgrund ständiger Zusammenarbeit zu wiederholten Verweisungen kommen wird, handelt es sich dabei um auch für eine Arztpraxis nicht unerhebliche Beträge. Die Ärzte werden durch diesen Anreiz sowie die Werbung der Beklagten für ihr E.-Konzept dazu veranlasst, ihre Patienten regelmäßig auf den verkürzten Versorgungsweg über die Beklagte hinzuweisen.

 

Die von der Beklagten angebotene Vergütung ist, wovon das Berufungsgericht ebenfalls rechtfehlerfrei ausgegangen ist, für die Augenärzte besonders in einfach gelagerten Fällen attraktiv. Nach der Lebenserfahrung ist daher davon auszugehen, dass die in das Geschäftsmodell der Beklagten einbezogenen Augenärzte auch ohne eine entsprechende vertragliche Verpflichtung ihren Patienten die Brillenlieferung durch die Beklagte zumindest als Alternative zum herkömmlichen Bezug im örtlichen Optikerfachgeschäft anbieten werden. Dafür sprechen neben den mit dem E.-Konzept verbundenen zusätzlichen Verdienstmöglichkeiten des Arztes auch die für den verkürzten Versorgungsweg in der Arztpraxis bereitgehaltenen Einrichtungen, Bestellzettel und Faltblätter, die von der Beklagten zur Verfügung gestellt werden. Die Beklagte bewirbt ausweislich der dem Berufungsurteil als Anlagen 1 und 2 beigefügten Werbung ihr Konzept der computergestützten Brillenwahl beim Augenarzt als "ideale Abrundung des Leistungsprogramms in der Praxis", und zwar - gemäß dem als Anlage 3 dem Berufungsurteil beigefügten Faltblatt ohne jede Einschränkung - ganz allgemein "für Damen, Herren und Kinder", also für alle Patienten. Es ist anzunehmen, dass zumindest ein erheblicher Teil der Augenärzte, die sich zu einer Zusammenarbeit mit der Beklagten entschließen, das E.-System in diesem von der Werbung propagierten weiten Umfang nutzen wird. Abweichendes macht auch die Beklagte nicht geltend. Nach ihrem von der Revision in Bezug genommenen Vortrag wird der Patient bei den mit der Beklagten zusammenarbeitenden Ärzten über den verkürzten Versorgungsweg aufgeklärt. Dass diese Aufklärung nur in bestimmten Fällen erfolgt, hat die Beklagte nicht vorgetragen.

 

cc)

Ist naheliegende Folge des E.-Konzepts, dass die Ärzte ihre Patienten regelmäßig auf den verkürzten Versorgungsweg über die Beklagte hinweisen, so sind infolgedessen auch Verstöße gegen das ärztliche Berufsrecht zu erwarten.

 

(1)

Nach § 34 Abs. 5 BOÄ dürfen Ärzte ihre Patienten nicht ohne hinreichenden Grund an bestimmte Anbieter gesundheitlicher Leistungen, zu denen auch Optiker gehören, verweisen. Zweck dieser Bestimmung ist es, die unbeeinflusste Wahlfreiheit der Patienten unter den Anbietern gesundheitlicher Leistungen zu gewährleisten. Weist ein Augenarzt seine Patienten regelmäßig - also auch dann, wenn dafür kein besonderer Grund besteht - auf den verkürzten Versorgungsweg hin, verstößt er gegen diese Vorschrift. Auch bei der im Hinblick auf das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) gebotenen weiten Auslegung des "hinreichenden Grundes" i.S. von § 34 Abs. 5 BOÄ ist die generelle Verweisung an einen bestimmten Optiker mit dieser Vorschrift unvereinbar. Vielmehr lässt sie eine solche Verweisung nur im Ausnahmefall zu (BGH, Urt. v. 9.7.2009 - I ZR 13/07, GRUR 2009, 977 Tz. 24 = WRP 2009, 1076 - Brillenversorgung I).

 

(2)

Nach der zumindest auch das Patienteninteresse schützenden Vorschrift des § 3 Abs. 2 BOÄ ist es Ärzten untersagt, im Zusammenhang mit der Ausübung ihrer ärztlichen Tätigkeit Waren und andere Gegenstände abzugeben oder unter ihrer Mitwirkung abgeben zu lassen sowie gewerbliche Dienstleistungen zu erbringen oder erbringen zu lassen, soweit nicht die Abgabe des Produkts oder die Dienstleistung wegen ihrer Besonderheiten notwendiger Bestandteil der ärztlichen Therapie sind. Auch gegen diese Vorschrift verstößt ein Augenarzt, wenn er seine Patienten regelmäßig auf die Möglichkeit der Brillenversorgung im verkürzten Versorgungsweg hinweist.

 

Die Brillenanpassung und die Abgabe der Brille gehören regelmäßig nicht ohne weiteres zu den notwendigen Bestandteilen augenärztlicher Therapie. Die Rechtsprechung zur Zulässigkeit des verkürzten Versorgungswegs bei Hörgeräten lässt sich daher nicht auf die Brillenversorgung übertragen (BGH GRUR 2009, 977 Tz. 31 - Brillenversorgung I). Nach den für die Senatsentscheidungen zur Versorgung mit Hörgeräten maßgeblichen Feststellungen war der HNO-Arzt ohnehin in den Prozess der Abgabe und Anpassung der Hörhilfe eingebunden (vgl. BGH, Urt. v. 29.6.2000 - I ZR 59/98, GRUR 2000, 1080, 1081 = WRP 2000, 1121 - Verkürzter Versorgungsweg; Urt. v. 15.11.2001 - I ZR 275/99, GRUR 2002, 271, 272 = WRP 2002, 211 - Hörgeräteversorgung). Eine entsprechende Aufgabe hat der Augenarzt bei der Abgabe und Anpassung von Brillen nicht.

 

Weiterhin ist geklärt, dass die Abgabe und Anpassung einer Brille typische Leistungen des Optikerhandwerks sind, die unabhängig davon gewerbliche Dienstleistungen nach § 3 Abs. 2 BOÄ darstellen, ob der Arzt hierfür vom Optiker eine Vergütung erhält oder nicht (BGH GRUR 2009, 977 Tz. 28 - Brillenversorgung I). Ebenso hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden, dass die Vermeidung erneuter Sehschärfenmessungen durch Optiker weder einen hinreichenden Grund für eine Verweisung gemäß § 34 Abs. 5 BOÄ darstellt noch als notwendiger Bestandteil ärztlicher Therapie betrachtet werden kann (BGH GRUR 2009, 977 Tz. 23 f., 33 - Brillenversorgung I).

 

dd)

Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte darauf, dass es in der Entscheidung "Verkürzter Versorgungsweg" (BGH GRUR 2000, 1080) als zulässig angesehen worden ist, Ohrenärzten durch die Zusammenarbeit mit einem Lieferanten von Hörgeräten zusätzliche Verdienstmöglichkeiten zu eröffnen. Dafür war maßgeblich, dass es sich um eine angemessene Vergütung für eine erlaubte ärztliche Tätigkeit handelte. Im Gegensatz dazu setzt die Beklagte im Streitfall einen Anreiz dafür, dass die Augenärzte den Brillenbezug bei ihr auch unter Verletzung berufsrechtlicher Pflichten und unabhängig von bei den Patienten dafür bestehenden Gründen vorschlagen.

 

Es kommt daher nicht darauf an, ob die Vermittlungspauschale als eine der Höhe nach angemessene Entschädigung für den Aufwand angesehen werden kann, der durch die Mitwirkung des Arztes oder seines Personals bei der Aufnahme, Eingabe und Weitergabe der für die Brille erforderlichen Werte oder der Auswahl des Brillengestells entsteht. Auch wenn dies der Fall wäre, änderte sich nichts an der Beurteilung des gegen die Interessenwahrungspflicht des Arztes verstoßenden Verhaltens als unzulässig.

 

ee)

Der Klägerin können die geltend gemachten Unterlassungsansprüche auf der Grundlage von § 4 Nr. 1 UWG zugesprochen werden, auch wenn die Anträge nach Rücknahme des Klageantrags zu 1 e nicht mehr ausdrücklich auf die Zahlung einer Vergütung von 80 € (bzw. 160 €) für jede vermittelte Brille Bezug nehmen. Durch diese teilweise Klagerücknahme hat sich der von der Klägerin vorgetragene Lebenssachverhalt, der zur Auslegung ihrer Klageanträge heranzuziehen ist, nicht verändert. Er ist nach wie vor dadurch geprägt, dass den Augenärzten für die erfolgreiche Vermittlung einer Brillenlieferung eine attraktive Vergütung in Aussicht gestellt wird. Die Bezahlung des Arztes gehört zum Kern des von der Beklagten beworbenen Systems.

 

(1)

Die im Klageantrag zu 1 a enthaltene Bezugnahme auf "das E.-Brillensystem und/oder das E.-System" umfasst die konkret angebotene Vermittlungsvergütung. Im Zusammenhang mit ihr sind die mit dem Klageantrag zu 1 a beanstandeten Werbeaussagen schon je für sich unlauter, weil sie die Ärzte auch dann dazu veranlassen, Patienten den Brillenbezug bei der Beklagten anzubieten, wenn dies berufsrechtlich unzulässig ist. Es wäre dagegen nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte ihre Werbung so gestaltet, dass sie sich aus Sicht der Ärzte für die Lieferung von Brillen im verkürzten Versorgungsweg eindeutig nur in solchen Fällen anbietet, in denen dafür ein hinreichender Grund nach § 34 Abs. 5 BOÄ besteht und die etwaige Mitwirkung des Arztes bei der Brillenabgabe und -anpassung notwendiger Bestandteil ärztlicher Therapie nach § 3 Abs. 2 BOÄ ist.

 

(2)

Entsprechendes gilt für die Klageanträge zu 1 b und c, mit denen sich die Klägerin gegen die Überlassung des zur Weitergabe an Patienten bestimmten Faltblatts (Anlage 5 zum Berufungsurteil) und der Musterkollektion von Brillenfassungen wendet. Auch die Bereitstellung von Faltblatt und Musterkoffer lässt die notwendige Zweckbeschränkung ihrer Verwendung auf Fälle, in denen eine Verweisung an die Beklagte und die vorgesehene Mitwirkung des Arztes berufsrechtlich unbedenklich sind, nicht erkennen. Sie sind jeweils Teil des durch das Angebot der Vermittlungsvergütung geprägten E.-Systems.

 

4.

Da der Klägerin die geltend gemachten Unterlassungsansprüche zustehen, kann sie auch ihre Abmahnkosten ersetzt verlangen.

 

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.


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