Urteilstext
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 22. Juni 2006 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Ersatz materieller und immaterieller Schäden wegen eines Spritzenabszesses in Anspruch. Sie begab sich im Juni 1999 in die orthopädische Gemeinschaftspraxis der Beklagten zu 3 und 4, in der damals die Beklagten zu 1 und 2 als Vertretungsärzte tätig waren. Der Beklagte zu 1 setzte der Klägerin am 9. und 11. Juni 1999, der Beklagte zu 2 am 15. Juni 1999 jeweils eine Spritze im Nackenbereich. In der Folgezeit entwickelte sich ein Spritzenabszess, der eine zweiwöchige stationäre Behandlung erforderlich machte. Die Klägerin, die Leiterin eines Catering-Betriebes war und diese Tätigkeit zunächst wieder aufnahm, hat geltend gemacht, sie leide aufgrund des Spritzenabszesses an anhaltenden Schmerzen, Schlafstörungen und Depressivität und sei deshalb arbeitsunfähig.
Der Spritzenabszess beruht auf einer Staphylokokken-Infektion. Ausgangsträger der Keime war die bei den Beklagten zu 3 und 4 angestellte Arzthelferin H., die seinerzeit an Heuschnupfen litt und bei der Verabreichung der Spritzen assistierte. Gleichartige Infektionen traten zeitnah bei anderen Patienten in der Praxis auf, die ersten Fälle am 2., 8. und 10. Juni 1999. Das von den Beklagten zu 3 und 4 Mitte Juni 1999 eingeschaltete Gesundheitsamt beanstandete die Hygieneprophylaxe in der Praxis.
Das Landgericht hat der Klägerin durch Grund- und Teilurteil ein Schmerzensgeld von 25.000 € zuerkannt, die bezifferten Schadensersatzansprüche dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und dem Feststellungsbegehren hinsichtlich der Ansprüche auf Ersatz materiellen Schadens entsprochen. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgen diese ihr Klageabweisungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung u.a. in NJW-RR 2006, 1401 veröffentlicht ist, bejaht eine Haftung aller Beklagten aus §§ 823 Abs. 1, 847 BGB a.F. sowie der Beklagten zu 3 und 4 hinsichtlich der materiellen Schäden aus Vertragsrecht. Es ist der Ansicht, es sei unerheblich, ob die Beklagten die Infizierung der Arzthelferin hätten erkennen können oder ob die Keimübertragung auch bei Anwendung aller zumutbaren Präventivmaßnahmen nicht hätte verhindert werden können. Die Einstandspflicht der Beklagten beruhe auf einem generell unzulänglichen Hygienemanagement, das ihnen im Sinne einer Fahrlässigkeit zuzurechnen sei. Es komme nicht darauf an, ob die vorhandenen Versäumnisse die Schädigung der Klägerin tatsächlich ausgelöst oder begünstigt hätten, es reiche aus, dass sich dies nicht ausschließen lasse. Zumindest wenn für eine alternative Schadensentstehung keine überwiegende Wahrscheinlichkeit spreche, sei es bei Vorliegen von Hygienemängeln Sache des Arztes, den Beweis dafür zu erbringen, dass der Patient gleichermaßen geschädigt worden wäre, wenn es keine Hygienemängel gegeben hätte.
II.
Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten den Angriffen der Revision im Ergebnis stand.
1.
Das Berufungsgericht geht mit dem Landgericht zutreffend davon aus, dass die Beklagten zu 3 und 4 als Praxisinhaber nur dann nach §§ 823, 847 BGB a.F. haften, wenn ihnen ein eigenes Verschulden zur Last fällt. Eine Haftung gemäß § 831 BGB für etwaige Versäumnisse der als Vertretungsärzte tätig gewordenen Beklagten zu 1 und 2 kommt nicht in Betracht, da für eine Weisungsberechtigung ihnen gegenüber nichts festgestellt ist. Für die Ersatzpflicht der Beklagten zu 3 und 4 hinsichtlich materieller Schäden wegen positiver Forderungsverletzung wäre ihnen ein Verschulden der Beklagten zu 1 und 2 nach § 278 BGB zuzurechnen. Diese haften mangels eigener vertraglicher Bindung gegenüber der Klägerin nur deliktisch für eigenes Verschulden.
2.
Rechtsfehlerfrei nimmt das Berufungsgericht an, dass die Beklagten für die materiellen und immateriellen Schäden einzustehen haben, die der Klägerin aufgrund des Spritzenabszesses entstanden sind. Die Erwägungen des Berufungsgerichts, mit denen es den Beklagten die Beweislast zugewiesen hat, treffen im Ergebnis zu.
a)
Entgegen der Auffassung der Revision widerspricht die angefochtene Entscheidung nicht der Rechtsprechung des erkennenden Senats zur Haftung des Arztes für Hygienemängel (Senatsurteil vom 8. Januar 1991 - VI ZR 102/90 - VersR 1991, 467 = NJW 1991, 1541). Diese auch vom Berufungsgericht zitierte Entscheidung betraf die Haftung des Krankenhausträgers bei einer Infizierung der Operationswunde durch einen Keimträger aus dem Operationsteam. Im Unterschied zu dem vorliegenden Fall zeichnete sich der dem damaligen Urteil zugrunde liegende Sachverhalt dadurch aus, dass die Identität des Keimträgers seinerzeit nicht festgestellt werden konnte. Demgegenüber steht vorliegend nach den Feststellungen des Berufungsgerichts außer Frage, dass es zu dem infektiösen Geschehen gekommen ist, weil die Arzthelferin H. Träger des Bakteriums Staphylokokkus aureus war und dieses Bakterium - auf welchem Weg auch immer - mittels einer Injektion auf die Klägerin übertragen werden konnte.
Damit steht im Streitfall fest, dass die Schädigung der Klägerin weder aus einer Sphäre stammt, die - wie z.B. Risiken aus dem eigenen menschlichen Organismus - dem Patienten zuzurechnen ist, noch aus dem Kernbereich des ärztlichen Handelns herrührt. Das Risiko, das sich bei der Klägerin verwirklicht hat, stammt vielmehr aus einem Bereich, dessen Gefahren ärztlicherseits objektiv voll ausgeschlossen werden können und müssen (so genannte voll beherrschbare Risiken, vgl. Senatsurteile BGHZ 89, 263, 269; vom 11. Oktober 1977 - VI ZR 110/75 - VersR 1978, 82, 83; vom 9. Mai 1978 - VI ZR 81/77 - VersR 1978, 764; vom 3. November 1981 - VI ZR 119/80 - VersR 1982, 161, 162 und vom 25. Juni 1991 - VI ZR 320/90 - VersR 1991, 1058, 1059). Anders als im Bereich des ärztlichen Handelns, in dem grundsätzlich der Patient die Darlegungs- und Beweislast für einen von ihm behaupteten Behandlungsfehler sowie dessen Ursächlichkeit für den eingetretenen Gesundheitsschaden trägt (vgl. u.a. Senatsurteil vom 18. Dezember 1990 - VI ZR 169/90 - VersR 1991, 310 m.w.N.), kommt bei der Verwirklichung von Risiken, die nicht vorrangig aus den Eigenheiten des menschlichen Organismus erwachsen, sondern durch den Klinikbetrieb oder die Arztpraxis gesetzt und durch sachgerechte Organisation und Koordinierung des Behandlungsgeschehens objektiv voll beherrscht werden können, der Rechtsgedanke des § 282 BGB a.F. (nunmehr § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB) zum Tragen, wonach die Darlegungs- und Beweislast für Verschuldensfreiheit bei der Behandlungsseite liegt.
b)
Ohne Erfolg macht die Revision geltend, es fehle im Streitfall an der Feststellung, dass die Infizierung der Arzthelferin H. mit dem Bakterium Staphylokokkus aureus für die Beklagten erkennbar gewesen sei. Der Revisionserwiderung ist zuzugeben, dass vieles dafür spricht, dass die akute Heuschnupfenerkrankung der Angestellten H. zumindest den mit ihr zusammen arbeitenden Beklagten zu 1 und 2 nicht unbemerkt geblieben ist. Wie die Klägerin vorgetragen hat, äußert sich eine Heuschnupfenerkrankung regelmäßig in für alle Umstehenden deutlich sichtbarem Naselaufen, häufigem Niesen, ständigem Naseputzen und tränenden Augen. Indessen ist weder festgestellt noch vorgetragen, dass diese Symptome auf eine Infektion mit Staphylokokken hinweisen oder dass eine Heuschnupfenerkrankung das Risiko einer Infektion des Mund-Rachen-Raumes mit diesem Bakterium so erhöht, dass eine Untersuchung der Erkrankten auf den Erreger oder ihr Ausschluss von der Assistenz bei der Spritzenvergabe hygienetechnisch erforderlich gewesen wäre. Wäre dies der Fall, hätten die Beklagten möglicherweise wegen eines ihnen zuzurechnenden Organisationsfehlers ohne Entlastungsmöglichkeit für die Infektion der Klägerin einzustehen. Auf diese Fragen kommt es hier aus nachfolgenden Gründen jedoch nicht an.
Die Verlagerung der Darlegungs- und Beweislast auf die Behandlungsseite in Anwendung des Rechtsgedankens des § 282 BGB a.F. setzt nämlich nicht voraus, dass die aus dem Klinikbetrieb oder der Arztpraxis stammende objektiv gegebene Gefahr für die Behandlungsseite im konkreten Fall erkennbar war. Steht wie im Streitfall fest, dass sich ein aus diesem Bereich stammendes objektiv voll beherrschbares Risiko verwirklicht hat, ist es vielmehr Sache des Arztes oder des Klinkträgers darzulegen und zu beweisen, dass es hinsichtlich des objektiv gegebenen Pflichtenverstoßes an einem Verschulden der Behandlungsseite fehlt (Senatsurteil vom 11. Oktober 1977 - VI ZR 110/75 - aaO). So hat der erkennende Senat z.B. dem Krankenhausträger und seinen Ärzten die Beweislast für die Gewähr einwandfreier Voraussetzungen für eine sachgemäße und gefahrlose Behandlung zugewiesen, wenn es etwa um Fragen ging wie den ordnungsgemäßen Zustand eines verwendeten Tubus (Senatsurteil vom 24. Juni 1975 - VI ZR 72/74 - VersR 1975, 952, 954), die Funktionstüchtigkeit des eingesetzten Narkosegeräts (Senatsurteil vom 11. Oktober 1977 - VI ZR 110/75 - aaO), die Reinheit des benutzten Desinfektionsmittels (Senatsurteil vom 9. Mai 1978 - VI ZR 81/77 - aaO) oder die Sterilität der verabreichten Infusionsflüssigkeit (Urteil vom 3. November 1981 - VI ZR 119/80 - aaO). Dasselbe gilt für die unbemerkt gebliebene Entkoppelung eines Infusionssystems (Senatsurteil BGHZ 89, 263, 269), das Zurückbleiben eines Tupfers im Operationsgebiet (Senatsurteil vom 27. Januar 1981 - VI ZR 138/79 - VersR 1981, 462, 465) oder die richtige Lagerung des Patienten auf dem Operationstisch (Senatsurteil vom 24. Januar 1984 - VI ZR 203/82 - VersR 1984, 386, 387). All diesen Fällen ist gemeinsam, dass objektiv eine Gefahr bestand, deren Quelle jeweils festgestellt werden konnte und die deshalb objektiv beherrschbar war. Für die Gefahr, die für einen Patienten von einer mit einem Bakterium infizierten Arzthelferin ausgeht, gilt nichts anderes. Anders als in dem oben erörterten Fall (Senatsurteil vom 8. Januar 1991 - VI ZR 102/90 - aaO), in dem die Annahme eines voll beherrschbaren Risikos letztlich daran scheiterte, dass die Keimübertragung durch irgendein Mitglied des Operationsteams erfolgte, jedoch ungeklärt war, welches Mitglied mit dem Keim infiziert war, ist das von einer infizierten Person ausgehende Risiko in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die Identität des Keimträgers feststeht, für die Behandlungsseite objektiv voll beherrschbar. Unter diesen Voraussetzungen ist es Sache der Behandlungsseite, sich für fehlendes Verschulden zu entlasten.
c)
Diesen Entlastungsbeweis hat das Berufungsgericht vorliegend rechtsfehlerfrei als nicht geführt angesehen. Steht fest, dass die Infektion aus einem hygienisch beherrschbaren Bereich hervorgegangen sein muss, so hat der Krankenhausträger bzw. der Arzt für die Folgen der Infektion sowohl vertraglich als auch deliktisch einzustehen, sofern er sich nicht dahin gehend zu entlasten vermag, dass ihn an der Nichtbeachtung der Hygieneerfordernisse kein Verschulden trifft, er also beweist, dass alle organisatorischen und technischen Vorkehrungen gegen von dem Personal der Klinik oder der Arztpraxis ausgehende vermeidbare Keimübertragungen getroffen waren (Senatsurteil vom 8. Januar 1991 - VI ZR 102/90 - aaO). Dafür würde es nicht genügen, dass die Infizierung der Arzthelferin H., wovon die Revision ausgeht, für die Beklagten subjektiv nicht erkennbar war. Der Entlastungsbeweis erfordert vielmehr auch den Nachweis, dass im Übrigen die gebotene Sorgfalt gewahrt worden ist. Dies hat das Berufungsgericht mit Rücksicht darauf verneint, dass in der Arztpraxis elementare Hygienegebote missachtet worden sind. So wurde nach den auf der Grundlage der Ermittlungen des Gesundheitsamts getroffenen Feststellungen das Hygieneverhalten der Arzthelferinnen nicht in dem erforderlichen Umfang durch die Ärzte vermittelt und nicht überprüft. Desinfektionsmittel wurden nicht in ihren Originalbehältnissen aufbewahrt, sondern umgefüllt. Zwei von vier überprüften Alkoholen waren verkeimt, und Durchstechflaschen mit Injektionssubstanzen fanden über mehrere Tage hinweg Verwendung. Des Weiteren wurden Flächendesinfektionsmittel mit einer langen Einwirkungszeit fehlerhaft zur Hautdesinfektion eingesetzt. Auch war es nicht üblich, dass Arzthelferinnen vor dem Aufziehen einer Spritze ihre Hände desinfizierten; Arbeitsflächen wurden zudem nicht, wie es geboten gewesen wäre, jeden Tag, sondern nur einmal wöchentlich desinfiziert. Bei dieser Sachlage ist die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der den Beklagten obliegende Entlastungsbeweis angesichts der festgestellten gravierenden Hygienemängel nicht geführt sei, aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.