Anspruch eines Gesellschafters auf Gewährung rechtlichen Gehörs

 | Gericht:  Bundesgerichtshof (BGH) Karlsruhe  | Aktenzeichen: II ZR 135/09 | Entscheidung:  Urteil
Kategorie Sonstiges

Urteilstext

 

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 20. Mai 2009 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Klägers erkannt worden ist.

 

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an den 16. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.

 

Streitwert: 20.445,66 €

 

Gründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist begründet und führt gemäß §§ 544 Abs. 7, 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO im Kostenpunkt und, soweit zum Nachteil des Klägers erkannt worden ist, zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und im Umfang der Aufhebung zur Zurückverweisung der Sache an einen anderen Senat des Berufungsgerichts.

 

Das Berufungsgericht hat, indem es der Klage lediglich im Umfang von 15.344,77 € nebst Zinsen stattgegeben hat, den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) mehrfach in entscheidungserheblicher Weise verletzt.

 

1.

Fehlerhaft und unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ergangen ist das Berufungsurteil - selbst wenn man die Auslegung der Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages durch das Berufungsgericht (wie nicht, siehe nachfolgend 2.) für richtig halten wollte - soweit es den Auseinandersetzungsanspruch des Klägers gegen die Beklagten zu 1 und 2 und den Anspruch des Klägers gegen die Beklagte zu 1 auf Karenzentschädigung jeweils um 1/3 wegen angeblich in diesem Umfang "mitgenommener" Patienten gekürzt hat.

 

Die Beklagten selbst haben in erster Instanz mehrfach (siehe nur GA I, 26) vorgetragen, der Kläger habe in den Jahren von 2001 bis zum Zeitpunkt seines Ausscheidens regelmäßig 2.464 Patienten in Behandlung gehabt. Ausgehend hiervon hat das Landgericht (LGU 6) ausgeführt, der Umstand, dass der Kläger 1/3seiner alten Patienten in seiner neuen Praxis weiterbehandle, könne seinem Abfindungsanspruch nicht entgegenstehen. Zusätzlich hat das Berufungsgericht übergangen, dass ausweislich Bl. 1 der von den Beklagten vorgelegten Patientenliste die zahnärztliche Gemeinschaftspraxis der Parteien zum Zeitpunkt des Ausscheidens des Klägers über 6.572 Patienten verfügte. Da zwischen den Parteien unstreitig ist, dass der Kläger 841 Patienten aus diesem Praxisstamm übernommen hat, hat der Kläger, anders als das Berufungsgericht meint, nicht 1/3 des Patientenstamms der Gemeinschaftspraxis sondern nur ca. 1/8 "mitgenommen".

 

Vom Rechtsstandpunkt des Berufungsgerichts aus wäre daher bei ordnungsgemäßer Zurkenntnisnahme des Vortrags des Klägers allenfalls eine Kürzung seiner Ansprüche um 1/8 gerechtfertigt gewesen.

 

2.

Aber bereits die Annahme des Berufungsgerichts, hier sei eine Kürzung des Auseinandersetzungsanspruchs des Klägers im Umfang der mitgenommenen Patienten vorzunehmen, beruht auf einem entscheidungserheblichen Verstoß des Berufungsgerichts gegen Art. 103 Abs. 1 GG.

 

a)

Die Auslegung eines Vertrages ist zwar grundsätzlich Sache des Tatrichters und - revisionsrechtlich - nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungsgesetze verletzt oder wesentlichen Auslegungsstoff außer Acht gelassen hat (st. Rspr., siehe nur Sen.Urt. v. 8. November 2004 - II ZR 300/02, ZIP 2005, 82, 83; v. 7. März 2005 - II ZR 194/03, ZIP 2005, 1068, 1069). Geht das Gericht bei der Auslegung vertraglicher Bestimmungen auf den wesentlichen Kern des Vortrags einer Partei nicht ein, lässt sich daraus schließen, dass es diesen Vortrag unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zur Kenntnis genommen hat. Dies rechtfertigt im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren die Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht (siehe nur Sen.Beschl. v. 9. Februar 2009 - II ZR 77/08, WM 2009, 1154 Tz. 4; v. 20. Oktober 2008 - II ZR 207/07, ZIP 2008, 2311 Tz. 4).

 

b)

So liegt der Fall hier. Das Berufungsgericht hat die sich nach dem Vortrag des Klägers aufdrängende Auslegung der Regelungen des Gesellschaftsvertrags überhaupt nicht vorgenommen, sondern sich zur Begründung seiner Entscheidung lediglich auf den "Normalfall" der Auseinandersetzung einer Freiberuflerpraxis gestützt.

 

aa)

Richtig ist zwar, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Senats eine Freiberuflerpraxis vorrangig durch Realteilung in Form der Mitnahme von Patienten auseinandergesetzt wird bzw. dass dieses Vorgehen sachgerecht ist (siehe dazu nur Sen.Urt. v. 6. Dezember 1993 - II ZR 242/92, ZIP 1994, 378 ff.; v. 6. März 1995 - II ZR 97/94, ZIP 1995, 833 ff.). Allerdings ist auch eine abweichende Vereinbarung, bei der die Parteien den "Mitnahme"-Vorteil des Ausscheidenden bewusst in Kauf genommen haben, grundsätzlich in den durch § 138 BGB gezogenen Grenzen möglich (siehe hierzu Goette, DStR 1995, 857).

 

bb)

Das Berufungsgericht hat den Vortrag des Klägers, dass die Parteien hier im Gesellschaftsvertrag eine derartige abweichende Regelung getroffen haben, nicht zur Kenntnis genommen.

 

Die Parteien hatten, wie das Landgericht zutreffend erkannt hatte, im Gesellschaftsvertrag drei verschiedene Szenarien im Zusammenhang mit den möglichen Konsequenzen des Ausscheidens eines Partners geregelt: Entweder verließ der ausscheidende Partner (hier: der Kläger) den Planungsbereich und ermöglichte damit eine Neuzulassung, dann erhielt er den von einem Sachverständigen zu ermittelnden vollen Ausgleich des ideellen Wertes seines Praxisanteils. Blieb er im Planungsbereich, so hatte er das zeitlich und räumlich begrenzte Wettbewerbsverbot aus Nr. 7 des Gesellschaftsvertrages einzuhalten und erhielt einen der Höhe nach festgelegten Betrag. Aus Nr. 6 des Gesellschaftsvertrages ergab sich das dritte Szenario: Sollte aus kassenzahnärztlichen Gründen (Niederlassungssperre) keine oder nur eine sehr eingeschränkte Möglichkeit bestehen, den ideellen Wert des ausscheidenden Partners wirtschaftlich zu nutzen, sollte der Kläger bei Einhaltung der Konkurrenzschutzklausel lediglich 50.000,00 DM, mithin die Hälfte des ansonsten vereinbarten Betrags erhalten. Hierzu hat der Kläger stets vorgetragen, dass der Betrag von 100.000,00 DM, der letztlich seinem "Eintrittspreis" in den ersten Jahren seiner Praxiszugehörigkeit entsprochen hat, ungeschmälert dann gezahlt werden sollte, wenn er das Konkurrenzverbot in Nr. 7 des Vertrages einhält, was er unstreitig getan hat. Das Berufungsgericht hat weiter nicht zur Kenntnis genommen, dass es sich bei dem Betrag von 100.000,00 DM um einen ganz erheblich gedeckelten Abfindungsbetrag für den good will gehandelt hat, wie der Kläger, von dem Beklagten unwidersprochen, stets vorgetragen hat. Danach hätte der ungeschmälerte Anteil des Klägers am good will an sich im Minimum ca. 142.600,00 € (= 278.900,00 DM) betragen.

 

c)

Der Gehörsverstoß des Berufungsgerichts ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es dann, wenn es, wie das Landgericht, den Vortrag zu den abgestuften Regelungen im Gesellschaftsvertrag zur Kenntnis genommen hätte, zu dem Ergebnis gelangt wäre, dass die Parteien den Abfindungsanspruch des Klägers lediglich an die Einhaltung des Konkurrenzverbotes und nicht zusätzlich an das Unterbleiben der Mitnahme von Patienten geknüpft haben. Angesichts der sehr geringen räumlichen Begrenzung des Wettbewerbsverbots war eine gewisse Patientenmitnahme nahezu unausweichlich. Diesem Risiko konnte durch die Begrenzung des Abfindungsanspruchs auf die Höhe des "Eintrittspreises" Rechnung getragen werden.

 

3.

Unabhängig davon, dass auch der Karenzentschädigungsanspruch bei zutreffender Zurkenntnisnahme des vorgetragenen Sachverhalts allenfalls um 1/8 hätte gekürzt werden dürfen (s.o. 1.), hat das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs zusätzlich dadurch verletzt, dass es dessen Vortrag zu dem Hintergrund der Vereinbarung der Karenzentschädigung, die Ausgleich für das Erfordernis des Aufbaus einer neuen Praxis unter Einhaltung des Wettbewerbsverbots sein sollte, nicht zur Kenntnis genommen hat.

 

Auch dieser Gehörsverstoß ist entscheidungserheblich. Es ist nämlich nicht ausgeschlossen, dass das Berufungsgericht bei vollständiger Erfassung des Vortrags des Klägers zu dem Ergebnis gekommen wäre, dass eine Kürzung der Karenzentschädigung nur dann gerechtfertigt wäre, wenn der Kläger in grobem Maße gegen den Sinn der Wettbewerbsklausel verstoßen hätte, was etwa dann der Fall wäre, wenn er bewusst und zielstrebig um sämtliche Patienten der Gemeinschaftspraxis geworben und einen ganz erheblichen Anteil der Patienten an sich gezogen hätte.


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